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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 23.10.2002
Aktenzeichen: 10a D 86/00.NE
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1
1. Nicht der für den Antragsteller nachteilige Bebauungsplan selbst, sondern erst seine im Regelfall zu erwartende Verwirklichung begründet das Rechtsschutzbedürfnis für die Normenkontrolle (wie BVerwG, Urteil vom 23.4.2002 - 4 CN 3.01 -).

2. Das Normenkontrollgericht wird unnütz in Anspruch genommen, wenn der Antragsteller unabhängig vom Ausgang des Normenkontrollverfahrens keine reale Chance hat, sein eigentliches Ziel - beispielsweise die Beseitigung der durch die Umsetzung der Festsetzungen des angegriffenen Bebauungsplans entstandenen Bebauung - zu erreichen.


Tatbestand:

Die Antragstellerin wandte sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen die Änderung eines Bebauungsplans, mit der im Wege der nachvollziehenden Planung die überbaubaren Grundstücksflächen und das Maß der baulichen Nutzung entsprechend der im Plangebiet bestehenden Bebauung übernommen wurden. Die Fest-setzungen des Bebauungsplans sind auf eine Zeile von Wohn- und Geschäftshäusern zugeschnitten und in Gänze verwirklicht. Parallel zum Normenkontrollverfahren betrieb die Antragstellerin Nachbarklagen gegen mehrere Baugenehmigungen, die der Errichtung der Häuserzeile zu Grunde lagen, sowie ein Verfahren auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die vorhandene Bebauung, mit dem Ziel, den teilweisen Rückbau dieser Bebauung zu erreichen. Der Normenkontrollantrag blieb erfolglos.

Gründe:

Der Normenkontrollantrag ist mangels eines Rechtschutzbedürfnisses der Antragstellerin unzulässig.

Nach allgemeiner Auffassung fehlt einem Antrag auf gerichtlichen Rechtsschutz das Rechtsschutzbedürfnis unter anderem dann, wenn der Antragsteller seine Rechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung nicht verbessern kann und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb als für ihn nutzlos erscheint. Wann dies der Fall ist, richtet sich im Wesentlichen nach den jeweiligen Verhältnissen im Einzelfall. Denkbar ist beispielsweise eine Konstellation, in der der Antragsteller seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan deshalb nicht mehr aktuell verbessern kann, weil dessen Festsetzungen vollständig verwirklicht und die zur Verwirklichung der Festsetzungen erteilten Baugenehmigungen für ihn unanfechtbar sind.

Sind - wie hier - die Festsetzungen eines Bebauungsplans vollständig umgesetzt, kann die Möglichkeit einer aktuellen Verbesserung der eigenen Rechtsstellung aber auch dann ausscheiden, wenn der Antragsteller eine zur Umsetzung der Festsetzungen erteilte Baugenehmigung angefochten hat und über diese Anfechtung noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Allerdings ist bei einer solchen Fallgestaltung, bei der der Normenkontrollantrag der Vorbereitung eines Verfahrens gegen eine verwirklichte Festsetzung eines Bebauungsplans dient, das Rechtsschutzbedürfnis für den Normenkontrollantrag nur zu verneinen, wenn die beabsichtigte weitere Rechtsverfolgung - bezogen auf das Verfahren gegen die verwirklichte Festsetzung - offensichtlich aussichtslos ist. Nur wenn für das Normenkontrollgericht auf der Hand liegt, dass eine nachfolgende oder zeitgleich geführte Klage unter jedem in Betracht kommenden Gesichtspunkt erfolglos sein wird, muss der Antrag wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses zurückgewiesen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9.2.1989 - 4 NB 1.89 -, BRS 49 Nr. 37).

Das Rechtsschutzbedürfnis für ein Normenkontrollverfahren ergibt sich nicht nur aus dem Interesse des Antragstellers an der Erklärung der Nichtigkeit (oder Unwirksamkeit) einer für ihn nachteiligen Bauleitplanung, sondern beruht auch und vor allem auf dem Interesse an der Verhinderung der Realisierung dieser Bauleitplanung. Nicht der für den Antragsteller nachteilige Bebauungsplan selbst, sondern erst seine im Regelfall zu erwartende Verwirklichung begründet das Rechtsschutzbedürfnis für die Normenkontrolle (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.4.2002 - 4 CN 3.01 -, ZfBR 2002, 687).

Kann der Antragsteller gemäß § 47 Abs. 2 VwGO geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden, ist regelmäßig auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Mit dem Erfordernis des Vorliegens eines allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses neben der Antragsbefugnis soll nur vermieden werden, dass die Gerichte in eine Normprüfung eintreten müssen, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.4.2002, a.a.O.).

Das Rechtsschutzbedürfnis setzt insoweit allerdings nicht voraus, dass die begehrte Nichtigerklärung des Bebauungsplans unmittelbar zum eigentlichen Rechtsschutzziel führen muss. Vielmehr reicht es aus, dass sich nicht ausschließen lässt, dass die gerichtliche Entscheidung für den Antragsteller von Nutzen sein kann, weil etwa - im Sinne einer tatsächlichen Prognose - zu erwarten ist, dass die Gemeinde einen neuen Bebauungsplan mit möglicherweise für den Antragsteller günstigeren Festsetzungen aufstellen wird. Unnütz wird das Normenkontrollgericht nur dann in Anspruch genommen, wenn der Antragsteller unabhängig vom Ausgang des Normenkontrollverfahrens keine reale Chance hat, sein eigentliches Ziel zu erreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.4.2002, a.a.O.).

So ist es hier. Die Festsetzungen der 2. Änderung des Bebauungsplans sind in Gänze verwirklicht. Innerhalb des festgesetzten Kerngebiets ist der Gebäudekomplex der so genannten "T.-Zeile" errichtet worden, der den Festsetzungen des angegriffenen Änderungsplans entspricht, denn mit der 2. Änderung des Bebauungsplans sind im Wege der nachvollziehenden Planung die überbaubaren Grundstücksflächen und das Maß der baulichen Nutzung entsprechend der bestehenden Bebauung übernommen worden.

Soweit die gegenüber den Grundstücken der Antragstellerin liegenden Gebäudeteile der "T.-Zeile" nach den Festsetzungen des 2. Änderungsplans - unter Beibehaltung der Dachneigung von 45° - hinsichtlich der Traufhöhe auf maximal 40,00 m über N.N. und hinsichtlich des Firstes auf maximal 45,50 m über N.N. erhöht werden können, bedeutet dies nicht, dass sich die Rechtsposition der Antragstellerin mit der Aufhebung des Änderungsplans verbessern würde. Bei vollständiger Ausnutzung der Höhenfestsetzungen auch für die den Grundstücken der Antragstellerin gegenüberliegenden Bauteile der "T.-Zeile" hätten die nach Süden liegenden notwendigen Abstandflächen eine Tiefe von maximal 6,94 m. Bei einem Erfolg des Normenkontrollantrags würde wieder der Bebauungsplan in der Fassung der 1. Änderung gelten, der eine viergeschossige Bebauung ohne Höhenbegrenzung vorsieht und im Zweifel - bis zur Ausschöpfung der maximal zur Verfügung stehenden Abstandflächentiefe von 7,95 m - eine noch höhere Bebauung zulässt. Bedenken bezüglich der Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans in der Fassung der 1. Änderung bestehen - wie noch auszuführen sein wird - nicht.

Würde der Änderungsplan für nichtig erklärt, würde dies allein an der bestehenden Bebauung des Kerngebiets nichts ändern. Die zwingenden Festsetzungen des Änderungsplans zur überbaubaren Grundstücksfläche und zur Höhenentwicklung der Gebäude sind auch nicht etwa Voraussetzung dafür, dass die Bebauung unverändert bestehen bleiben kann, weil sich nur über § 6 Abs. 17 BauO NRW, der den sich durch zwingende Festsetzungen eines Bebauungsplans ergebenden Abstandflächentiefen Vorrang gegenüber den landesrechtlichen Regelungen einräumt, den Anforderungen des Abstandflächenrechts Rechnung tragen lässt. Selbst wenn die Festsetzungen des Änderungsplans fortfallen würden, könnte die Antragstellerin eine Veränderung der Bebauung des Kerngebiets zu ihren Gunsten nicht erreichen. Zwar betreibt sie im Hinblick darauf, dass der Senat die ursprünglich für die "T.-Zeile" erteilte Baugenehmigung mit Urteil vom 5.2.1998 aufgehoben hat, ein Verfahren auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die ihren Grundstücken gegenüberliegende Bebauung der "T.-Zeile", mit dem Ziel, einen teilweisen Rückbau dieser Bebauung zu erreichen, doch hat dieses Verfahren ebenso wenig Aussicht auf Erfolg wie die Nachbarklage, die sie gegen die für die "T.-Zeile" erteilten Baugenehmigungen angestrengt hat. Es ist offensichtlich, dass beide Verfahren unter jedem denkbaren Gesichtspunkt erfolglos sein werden.

Eine Nachbarklage gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung kann nur Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung in Rechtspositionen des Nachbarn eingreift, das heißt, wenn sie zu Lasten des Nachbarn gegen Vorschriften des öffentlichen Baurechts verstößt, die auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Die für die "T.-Zeile" unter dem 16.8.2000 und unter dem 2.2.2001 erteilten Baugenehmigungen verstoßen nicht zu Lasten der Antragstellerin gegen drittschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts. (Wird ausgeführt).

Der mit der Verpflichtungsklage verfolgte Antrag der Antragstellerin auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die ihren Grundstücken gegenüberliegenden Gebäudeteile der "T.-Zeile" wird aus den vorstehend aufgeführten Gründen ebenfalls erfolglos bleiben. Eine Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde, zu Gunsten eines Dritten gegen einen baurechtswidrigen Zustand einzuschreiten, besteht regelmäßig nur dann, wenn nachbarschützende Vorschriften zu Lasten dieses Dritten verletzt sind. Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 5.2.1998 eine Verletzung der Abstandflächenvorschriften zu Lasten der Antragstellerin festgestellt und die ursprünglich für die "T.-Zeile" erteilte Baugenehmigung aufgehoben, doch hat sich die Rechtslage durch die zum 1.6.2000 in Kraft getretene Änderung der Abstandflächenvorschriften, wonach nunmehr die Tiefe der Abstandflächen zu öffentlichen Verkehrsflächen maximal 0,4 H beträgt, und die Erteilung einer neuen Baugenehmigung für die "T.-Zeile" maßgeblich geändert.

Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften zu Lasten der Antragstellerin ist - wie oben ausgeführt - mit der bestehenden "T.-Zeile" nicht (mehr) verbunden.

Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Normenkontrollantrag besteht schließlich auch nicht deshalb, weil - im Sinne einer tatsächlichen Prognose - zu erwarten wäre, dass die Gemeinde - würde der 2. Änderungsplan für nichtig erklärt - einen neuen Bebauungsplan mit möglicherweise für die Antragstellerin günstigeren Festsetzungen aufstellen würde. Mit der Aufstellung eines neuen Bebauungsplans ist nicht zu rechnen, da nach der Änderung der landesrechtlichen Abstandflächenvorschriften bereits die Festsetzungen des 1. Änderungsplans den Bestand der "T.-Zeile" planungsrechtlich sicherstellen.

Der Normenkontrollantrag ist nicht nur unzulässig, er ist auch unbegründet. (Wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

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