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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 08.12.2005
Aktenzeichen: 11 A 2436/02
Rechtsgebiete: BBergG, OBG NRW, BGB, GG


Vorschriften:

BBergG § 9
BBergG § 149
OBG NRW § 18
BGB § 90
BGB § 93
BGB § 94
BGB § 95
BGB § 903
GG Art. 14
1. Der Inhaber einer bergbaulichen Berechtigung, die Bergwerkseigentum ist und auf die gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz BBergG - soweit nichts anderes bestimmt ist - die für Grundstücke geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend anzuwenden sind, ist Eigentümer im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 OBG NRW und kann grundsätzlich als Zustandsstörer herangezogen werden.

2. Bergwerkseigentum kann ebenso wie das Eigentum an Sachen wesentliche Bestandteile im Sinne der entsprechend anwendbaren §§ 93, 94 Abs. 1 Satz 1 BGB haben; zum Zwecke des Bergbaus angelegte Schächte können wesentliche Bestandteile des Bergwerkseigentums sein.


Tatbestand:

Die Klägerin ist seit 1929/1930 Eigentümerin des Bergwerkfeldes C., das sich mit mehreren Flözen unterhalb von B. erstreckt. Die ursprüngliche Kohleförderung erfolgte dort von 1920 bis 1928; in den Jahren 1951/1952 wurde die Kohlegewinnung kurzfristig in einem Teilbereich des Abbaugebietes von einer Kleinzeche wieder aufgenommen.

Im Jahr 1996 kam es zu einem Tagebruch im Bereich der G.-Straße in B. Der Beklagte nahm die Klägerin als Zustandsstörerin in Anspruch und gab ihr durch Ordnungsverfügung unter anderem auf, Hohlräume und Verbruchzonen im Bereich einzelner Flöze unterhalb der G.-Straße und angrenzender Grundstücke zu verfüllen.

Die Klage gegen die Anordnung blieb ebenso erfolglos wie der anschließende Antrag auf Zulassung der Berufung.

Gründe:

Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 OBG NRW sind ordnungsbehördliche Maßnahmen gegen den Eigentümer zu richten, wenn die Gefahr von einer Sache ausgeht. Nach ganz überwiegender Meinung ist "Eigentümer" im Sinne dieser Bestimmung der Inhaber des durch Art. 14 GG grundrechtlich geschützten zivilrechtlichen Eigentums (Vgl. etwa Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. [1986], S. 326; Lisken, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl. [2001], S. 247, Rdnr. E 106).

Der Inhaber einer bergbaulichen Berechtigung, die Bergwerkseigentum ist und auf die gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz BBergG - soweit nichts anderes bestimmt ist - die für Grundstücke geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend anzuwenden sind, ist Eigentümer im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 OBG NRW und kann grundsätzlich als Zustandsstörer herangezogen werden.

1. Die Klägerin ist Inhaberin eines durch Art. 14 GG geschützten und zum privaten Eigentum gehörenden Rechts. Sie ist Inhaberin einer alten bergrechtlichen Berechtigung im Sinne des § 149 Abs. 1 Nr. 4 BBergG, die nach Inkrafttreten des Bundesberggesetzes aufrechterhalten worden ist. Hierbei handelt es sich um ein durch Art. 14 GG geschütztes Eigentumsrecht. Der Klägerin ist ein vermögenswertes Recht ebenso wie Eigentum an einer Sache zur privaten Nutzung und zur eigenen Verfügung zugeordnet (Vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 9.1.1991 - 1 BvR 929/89 -, BVerfGE 83, 201 [208]). Bereits verliehene Bergbauberechtigungen genießen nach allgemeiner Auffassung den Grundrechtsschutz aus Art. 14 GG (Vgl. BVerfG, Urteil vom 21.10.1987 - 1 BvR 1048/87 -, BVerfGE 77, 130 [136]; BGH, Urteil vom 9.12.2004 - III ZR 263/04 -, BGHZ 161, 305 [313]; Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt-Ausgabe [Stand: Februar 2005], Band II, Art. 14 Rdnr. 203). Auch der Gesetzgeber des Bundesberggesetzes hatte, als er die Aufrechterhaltung alter Rechte und Verträge in den §§ 149 ff. BBergG geregelt hat, vor Augen, dass bei "einer Neuregelung des bergbaulichen Berechtsamswesens ... die bestehenden Bergbauberechtigungen berücksichtigt werden" müssen und eine "generelle Beseitigung der bestehenden Bergbauberechtigungen ... schon mit Rücksicht auf Artikel 14 GG ... außer Betracht bleiben" muss (Vgl. BT-Drucks. 8/1315, S. 159).

2. Die der Klägerin zustehende Bergbauberechtigung ist zwar keine Sache im Sinne der §§ 90, 903 BGB. Es handelt sich aber um ein grundstücksgleiches Recht, das nicht nur formell, sondern auch materiell wie ein Grundstück zu behandeln ist (Vgl. zu Haubergsanteilen: BGH, Beschluss vom 5.2.1957 - V BLw 25/56 -, BGHZ 23, 241 [240]; siehe auch Bassenge, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 64. Aufl. [2005], Überbl. vor § 873 Rdnr. 3, m. w. N.). Denn für das aufrechterhaltene Recht der Klägerin im Sinne des § 149 Abs. 1 Nr. 4 BBergG gilt über die Verweisungen in den §§ 154 Abs. 1 Satz 1, 151 Abs. 2 BBergG die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz BBergG. Hiernach ist das Bergwerkseigentum ein sog. grundstücksgleiches Recht, auf das grundsätzlich die für Grundstücke geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend anzuwenden sind; dem Bergwerkseigentum ist in der Sozialordnung die gleiche Stellung wie dem Grundeigentum zuzuordnen (Vgl. zu § 149 Abs. 1 Nr. 3 BBergG: BVerwG, Urteil vom 24.6.1993 - 7 C 36.92 und 37.92 -, BVerwGE 94, 23 [31]; so bereits zu § 50 Abs. 2 ABG: BVerwG, Urteil vom 24.10.1967 - I C 64.65 -, BVerwGE 28, 131 [135 f.], und OVG NRW, Urteil vom 6.11.1989 - 12 A 2685/87 -, ZfB 1990, 232 [233]).

Wenn die für Grundstücke geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches auf Bergwerkseigentum entsprechend anzuwenden sind, d. h. auch die Vorschriften über das Sacheigentum, kann ein Bergwerkseigentümer also gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 OBG NRW als Zustandsstörer in Anspruch genommen werden. Deshalb handelt es sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um eine unzulässige analoge Anwendung entsprechender Eingriffsbefugnisse auf andere Berechtigungen. Insoweit verfängt auch nicht das unter Hinweis auf § 3 Abs. 6 EEG NRW vorgetragene Argument der Klägerin, es bedürfe einer ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers hinsichtlich der Gleichstellung zwischen Grundeigentum und grundstücksgleichen Rechten. Abgesehen davon, dass diese ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers bereits spezialgesetzlich in § 9 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz BBergG enthalten ist, wurde § 3 Abs. 6 EEG NRW nicht aus konstitutiven, sondern lediglich aus deklaratorischen Gründen in das Landesenteignungsgesetz aufgenommen. Die Vorschrift entspricht § 200 BauGB und soll nach dem Willen des Gesetzgebers nur die Fassung der übrigen Vorschriften erleichtern, indem dort Grundstücksteile und grundstücksgleiche Rechte nicht mehr erwähnt zu werden brauchen (Vgl. LT-Drucks. 10/3177, S. 55). Die Bestimmung des § 200 Abs. 2 BauGB, wonach die für das Eigentum an Grundstücken bestehenden Vorschriften entsprechend auch auf grundstücksgleiche Rechte anzuwenden sind, sofern dieses Gesetzbuch nichts anderes vorschreibt, dient ihrerseits aber auch nur der redaktionellen Vereinfachung des Gesetzes. Zu den grundstücksgleichen Rechten im Sinne des § 200 Abs. 2 BauGB zählen auch Bergrechte (Vgl. etwa Hofherr, in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, 3. Aufl., Losebl.-Ausg. [Stand: Juli 2005], Bd. II, § 200 Rdnrn. 1 f. und 20).

Zudem würde, selbst wenn das der Klägerin zustehende Eigentumsrecht nicht ausdrücklich bereits im bürgerlichen Recht geregelt ist, dies nichts an der Verantwortlichkeit der Klägerin als Zustandsstörerin ändern. Denn es ist in der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts anerkannt, dass § 18 OBG NRW unmittelbar auch bei nicht den Sachenrechten des Bürgerlichen Gesetzbuches unterfallendem privatrechtlichen Eigentum anwendbar ist und eine Zustandshaftung des Eigentümers gegeben sein kann (Vgl. zur Zustandshaftung des Bundes als Eigentümer des Rheins: OVG NRW, Urteil vom 9.2.1979 - XI A 76/77 -, OVGE 36, 1 [4 f.]; nachfolgend: BVerwG, Urteil vom 29.10.1982 - 4 C 4.80 -, Buchholz 445.4 § 28 WHG Nr. 1).

3. Die Rechtsauffassung, dass (ehemalige) Bergwerkseigentümer nach § 18 Abs. 1 Satz 1 OBG NRW als Zustandsstörer ordnungspflichtig sein können, entspricht im Übrigen der einhelligen Meinung der erstinstanzlichen (vgl. etwa VG Arnsberg, Urteile vom 19.10.1990 - 3 K 2214/89 -, ZfB 1991, 147 [150], und vom 8.3.2002 - 3 K 772/00 -, ZfB 2004, 41 [47 f.]; LG Essen, Urteil vom 16.11.2000 - 4 O 494/99 -, ZfB 2001, 230 [235 f.]) und der obergerichtlichen Rechtsprechung nordrhein-westfälischer Gerichte, insbesondere der früher für das Sachgebiet Bergrecht zuständigen Senate des beschließenden OVG (Vgl. OVG NRW, Urteile vom 6.11.1989 - 12 A 2685/87 -, a. a. O. [233], und vom 13.9.1995 - 21 A 2273/91 -, a. a. O. [328 ff.]; vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 26.10.2001 - 11 U 44/01 -, n. v., UA S. 7). Die Literatur vertritt ebenfalls - soweit ersichtlich - übereinstimmend diese Auffassung (Vgl. etwa Kirchner/Kremer, ZfB 1990, 5 [7]; Frenz/Kummermehr, ZfB 2000, 24 [28]).

4. Vor diesem Hintergrund verfängt auch nicht die Argumentation der Klägerin, die hier maßgeblichen Grubenbaue seien nicht wesentliche Bestandteile des Bergwerkseigentums. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Bergwerkseigentum ebenso wie das Eigentum an Sachen wesentliche Bestandteile im Sinne der entsprechend anwendbaren §§ 93, 94 Abs. 1 Satz 1 BGB haben kann und dass zum Zwecke des Bergbaus angelegte Schächte wesentliche Bestandteile des Bergwerkseigentums sein können. Während sich bei körperlichen Sachen die Zubehöreigenschaft gemäß § 93 BGB durch die untrennbare Verbindung mit dem Bestandteil ergibt, kommt es bei der Verbindung von - unkörperlichem - Bergwerkseigentum mit einem körperlichen Bestandteil - Schacht - auf einen funktionellen Zusammenhang an; der Schacht ist wesentlicher Bestandteil des Bergwerkseigentums, weil er zu der Bergwerksanlage in fester Verbindung steht und zu deren Herstellung unentbehrlich ist (Vgl. OVG NRW, Urteile vom 6.11.1989 - 12 A 2685/87 -, a. a. O. [233], und vom 13.9.1995 - 21 A 2273/91 -, a. a. O. [330 f.]; VG Düsseldorf, Urteil vom 15.5.1991 - 3 K 4171/87 -, ZfB 1991, 296 [299]; VG Arnsberg, Urteil vom 8.3.2002 - 3 K 772/00 -, a. a. O. [48 f.]). Nur für den Eigentümer des über den Grubenbauen liegenden Grundstückes ist der Schacht ein Scheinbestandteil im Sinne des § 95 BGB (Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.9.1995 - 21 A 2273/91 -, a. a. O. [333]).

Unbeschadet dessen ist nichts dafür ersichtlich, dass die Grubenbaue - mögen sie auch lediglich der Verwirklichung des zeitlich begrenzten Nutzungsrechts durch die Kleinzeche gedient haben - nur zu einem vorübergehenden Zweck im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 1 BGB eingebaut worden sind. Da die Grubenbaue für die Kleinzeche nach Beendigung der Abbautätigkeit keinen Nutzen mehr hatten, ist davon auszugehen, dass diese endgültig mit dem Boden verbunden bleiben sollten. Anders als bei Stützmaterial oder dem Abbau dienenden Maschinen ist eine Aufhebung der Verbindung ohnehin nicht möglich (Vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 8.3.2002 - 3 K 772/00 -, a. a. O. [48 f.]).

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