Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.08.2006
Aktenzeichen: 11 A 2642/04
Rechtsgebiete: StrWG NRW, OBG NRW, VwVfG


Vorschriften:

StrWG NRW § 18
StrWG NRW § 19
OBG NRW § 14
VwVfG § 40
1. Bei der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis hat sich die behördliche Ermessensausübung an Gründen zu orientieren, die einen sachlichen Bezug zur Straße haben. Zu diesen Gründen können insbesondere ein einwandfreier Straßenzustand, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, der Ausgleich zeitlich und örtlich gegenläufiger Interessen verschiedener Straßenbenutzer und Straßenanlieger oder Belange des Straßen- und Stadtbildes zählen.

2. Die für die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis zuständige Behörde ist im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung aber nicht zur Beachtung aller anderen öffentlichen Belange berufen, die nur mittelbar im Zusammenhang mit der Straße stehen, d. h. insbesondere nicht zur Berücksichtigung allgemeiner ordnungsbehördlicher Gesichtspunkte.


Tatbestand:

Der klagende Verein betreibt unter anderem durch Informationsstände Aufklärung zu Fragen der Abtreibung. Hierbei werden unter anderem Fotos mit der Abbildung toter, teils zerstückelter abgetriebener Föten und Teile toter Föten öffentlich gezeigt. Auf Antrag des Klägers erteilte ihm die Straßenbaubehörde eine Sondernutzungserlaubnis zur Inanspruchnahme eines öffentlichen Platzes, um dort einen Informationsstand aufzustellen. Des Weiteren verfügte die Behörde unter Hinweis auf das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne des § 14 Abs. 1 OBG NRW: "Es ist untersagt, schockierende Photographien (z. B. Bilder von Todgeburten) und Darstellungen von Menschenrechtsverletzungen öffentlich an Plakattafeln zur Schau zu stellen. Sie dürfen nur interessierten Erwachsenen in Mappen zur Verfügung gestellt werden".

Gegen diese Nebenbestimmung wandte sich der Kläger im Widerspruchs- und Klageverfahren ohne Erfolg. Nachdem sich die Sondernutzungserlaubnis zwischenzeitlich infolge Zeitablaufs erledigt hatte, stellte das OVG auf die zugelassene Berufung des Klägers fest, dass die angegriffene Nebenbestimmung rechtswidrig war.

Gründe:

Es ist antragsgemäß festzustellen, dass die angegriffene Nebenbestimmung rechtswidrig war, denn sie ist ermessensfehlerhaft erlassen worden.

Die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis steht grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Ferner kann eine Sondernutzungserlaubnis gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 StrWG NRW nach Ermessen mit Bedingungen und Auflagen verbunden werden. Der Behörde ist aber kein völlig freies Ermessen eröffnet. Sie hat ihr Ermessen vielmehr gemäß § 40 VwVfG NRW entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Der gesetzliche Erlaubnisvorbehalt für eine straßen- und wegerechtliche Sondernutzung soll eine Nutzung der betroffenen Straßen und Wege sicherstellen, die den Widmungszweck, insbesondere den Gemeingebrauch, nicht wesentlich beeinträchtigt. Damit dient das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt in erster Linie der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs, so wie ihn die Widmung der öffentlichen Sache zulässt. Nach der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Gerichts hat sich die behördliche Ermessensausübung bei der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis daher an Gründen zu orientieren, die einen sachlichen Bezug zur Straße haben. Zu diesen Gründen können insbesondere zählen ein einwandfreier Straßenzustand - Schutz des Straßengrundes und des Zubehörs -, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, der Ausgleich zeitlich und örtlich gegenläufiger Interessen verschiedener Straßenbenutzer und Straßenanlieger - etwa Schutz vor Abgasen, Lärm oder sonstigen Störungen - oder Belange des Straßen- und Stadtbildes, d. h. baugestalterische oder städtebauliche Vorstellungen mit Bezug zur Straße und auf Grund eines konkreten Gestaltungskonzeptes - Vermeidung einer "Übermöblierung" des öffentlichen Straßenraumes, Schutz eines bestimmten Straßen- oder Platzbildes u. ä. - (vgl. OVG NRW, Urteile vom 21.7.1994 - 23 A 2163/93 -, n. v., Leitsätze in juris, S. 7 f. des Urteilsabdrucks, und vom 24.11.1994 - 23 A 742/93 -, MittNWStGB 1995, 50, sowie Beschluss vom 18.4.2005 - 11 A 2420/04 -, n. v., S. 6 f. des Beschlussabdrucks, jeweils m. w. N.).

Dass nur straßenbezogene Gesichtspunkte die Ablehnung einer Sondernutzungserlaubnis oder deren Verbindung mit Nebenbestimmungen rechtfertigen können, sieht auch die Sondernutzungssatzung der Stadt vor. Nach § 19 Satz 1 StrWG NRW kann die Gemeinde durch Satzung bestimmte Sondernutzungen in den Ortsdurchfahrten und in den Gemeindestraßen von der Erlaubnispflicht befreien und die Ausübung regeln. In § 6 Abs. 1 Satz 2 der Sondernutzungssatzung ist dementsprechend ausdrücklich bestimmt: "Sie (die Sondernutzungserlaubnis) kann versagt, widerrufen oder unter Bedingungen und Auflagen erteilt werden, wenn dies für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs, zum Schutze der Straße oder zur Wahrung stadtgestalterischer oder städtebaulicher Belange erforderlich ist". Neben der nach dem übergeordneten Landesstraßenrecht bereits bestehenden Bindung der Beklagten, bei ihrer Ermessensausübung nur Gründe mit einem straßenrechtlichen Bezug zu berücksichtigen, folgt dies also ebenfalls aus dem nachgeordneten Satzungsrecht.

Demgegenüber ist die für die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis zuständige Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung jedoch nicht zur Beachtung aller anderen öffentlichen Belange berufen, die nur mittelbar im Zusammenhang mit der Straße stehen, d. h. insbesondere nicht zur Berücksichtigung allgemeiner ordnungsbehördlicher Gesichtspunkte (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.4.2005 - 11 A 2420/04 -, a. a. O.; Fickert, Straßenrecht in Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 3. Aufl. 1989, § 18 StrWG NRW Rdnr. 22; Sauthoff, Straße und Anlieger, 2003, Rdnr. 657 ff.).

Wenn mit der Sondernutzung evident die Begehung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verbunden wäre (vgl. in diesem Zusammenhang OVG NRW, Beschluss vom 15.5.1987 - 23 B 878/87 -, NVwZ 1988, 269, 270, und Urteil vom 14.4.1994 - 23 A 3521/91 -, n. v., S. 9 f. des Urteilsabdrucks -; siehe auch Fickert, a. a. O., § 18 StrWG NRW Rdnr. 23), könnte von der Straßenbehörde allenfalls dem Gesichtspunkt Rechnung getragen werden, dass in einem solchen Fall das Interesse des eine Sondernutzungserlaubnis Beantragenden an der Erteilung einer uneingeschränkten, d. h. auch nicht mit Nebenbestimmungen versehenen Sondernutzungserlaubnis rechtlich nicht schutzwürdig wäre. Insoweit würde nämlich - wie in anderen Rechtsbereichen auch - der allgemeine Rechtsgedanke gelten, dass kein schützenswertes Interesse an der Erteilung einer Erlaubnis gegeben ist, wenn deren legaler Ausübung zwingende Hindernisse aus einem anderen Rechtsgebiet entgegen stehen. Im Übrigen kann die Straßenbehörde aus Kompetenzgründen, wenn die Sondernutzungserlaubnis zu einem gesetzwidrigen Verhalten missbraucht werden sollte, nur die zuständige Ordnungs- bzw. Polizeibehörde informieren und diese um entsprechende Maßnahmen bitten (so auch Hess. VGH, Beschluss vom 3.4.1987 - 2 TG 911/87 -, NVwZ 1987, 902, 903).

Gemessen an diesen Maßstäben lagen die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 StrWG NRW für den Erlass der in Rede stehenden Nebenbestimmung nicht vor (wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

Zurück