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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 21.07.2009
Aktenzeichen: 11 A 701/07
Rechtsgebiete: StrWG NRW, OBG NRW, VwGO, BGB


Vorschriften:

StrWG NRW § 22
StrWG NRW § 30
OBG NRW § 14
OBG NRW § 18
VwGO § 114
BGB § 854
BGB § 910
BGB § 1004
Teile von Anpflanzungen, die in das Lichtraumprofil der Straße hineinragen, stellen eine Sondernutzung dar, gegen die nach § 22 Satz 1 StrWG NRW eingeschritten werden kann.

§ 22 Satz 1 StrWG NRW ist gegenüber § 14 OBG lex spezialis.

§ 30 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 StrWG NRW regelt nur Sachverhalte, in denen Anpflanzungen auf dem der öffentlichen Straße benachbarten Grundstück die Verkehrssicherheit beeinträchtigen.


Tatbestand:

Die Klägerin ist Miteigentümerin eines Eckgrundstücks, auf dem Lebensbäume stehen, die in den Bereich über dem Bürgersteig hineinragen. Der Beklagte forderte die Klägerin unter Fristsetzung auf, den Rückschnitt der Anpflanzungen durchzuführen und damit die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit auf dem Bürgersteig zu beseitigen; als Rechtsgrundlage gab er § 14 OBG i. V. m. § 30 Abs. 2 und 4 StrWG NRW an. Das VG wies die Klage ab. Die vom Senat zugelassene Berufung hatte Erfolg.

Gründe:

Die Ordnungsverfügung ist bereits fehlerhaft, soweit sie auf eine falsche Rechtsgrundlage gestützt worden ist. Die zutreffende Rechtsgrundlage für ein Einschreiten des Beklagten wäre hier § 22 Satz 1 StrWG NRW gewesen. Danach kann die für die Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung einer Straße anordnen, wenn eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt wird. Teile von Anpflanzungen, die von einem der öffentlichen Straße benachbarten Grundstück in das Lichtraumprofil der Straße hineinragen (Überwuchs), stellen eine Sondernutzung dar.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.6.1999 - 23 B 844/99 -; Walprecht/Cosson, Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl. 1986, Rdnr. 268; Stuchlik, GewA 2004, 143 (145/148); Marschall/ Kastner/Ronellenfitsch, Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl. 1998, § 11 Rdnr. 3 zu der entsprechenden Regelung in § 8 Abs. 7a FStrG sowie Wiget, in: Wiget u. a., Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Kommentar (Stand Februar 2008), Rdnrn. 1, 37a zu der § 30 StrWG NRW entsprechenden Regelung in Art. 29 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes.

Die vom Beklagten sowie der Widerspruchsbehörde angeführten Rechtsgrundlagen - §§ 14 ff. OBG, 30 Abs. 2 und 4 StrWG NRW - kommen dagegen nicht zur Anwendung. Gegenüber § 14 OBG ist § 22 Satz 2 StrWG NRW als lex specialis vorrangig (vgl. §§ 1, 12 Abs. 2 OBG).

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31.10.2008 - 11 E 1239/08 -.

§ 30 StrWG NRW regelt nach Systematik sowie Sinn und Zweck des Gesetzes in seinem hier allein in Betracht kommenden, auf Absatz 2 Satz 1 Bezug nehmenden Absatz 4 Satz 1 nur Sachverhalte, in denen Anpflanzungen i. S. v. Absatz 2 Satz 1 auf dem Grundstück die Verkehrssicherheit beeinträchtigen. Dagegen erfasst die Bestimmung nicht den Überwuchs von Anpflanzungen in das Lichtraumprofil über der Straße.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.6.1999 - 23 B 844/99 -; Walprecht/Cosson, a. a. O.; OVG NRW, Urteil vom 24.1.1972 - IX A 167/71 -, OVGE 27, 248 (250); BGH, Urteil vom 8.6.1979 - V ZR 46/78 -, juris, Rdnr. 7; a. A. Fickert, Straßenrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl. 1989, Rdnrn. 13 ff.

§ 30 Abs. 2 Satz 1 StrWG NRW hat ebenso wie die entsprechende ursprüngliche Regelung in § 30 Abs. 2 Satz 1 LStrG 1962 nachbarrechtlichen Inhalt und unterwirft, was Art. 124 EGBGB zulässt, das Eigentum zugunsten der Verkehrssicherheit weiteren als den zugunsten der Nachbarn bestimmten Beschränkungen. Dessen bedurfte und bedarf es indes nicht im Hinblick auf in das Lichtraumprofil über dem Straßenkörper hineinragende Zweige (Überwuchs), da insoweit schon auf der Grundlage der allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen der §§ 910, 1004 BGB deren Beseitigung verlangt werden konnte.

Vgl. dazu bereits OVG NRW, Urteil vom 24.1.1972, a. a. O., S. 252 f., und Walprecht/Cosson, a. a. O., m. w. N.

Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob der Fehler, dass der Beklagte die Verfügung auf eine falsche Rechtsgrundlage gestützt hat, zum Erfolg der Klage führt oder ob er hier durch deren Austausch behoben werden könnte.

Vgl. zum Austausch der Rechtsgrundlage allg. OVG NRW, Beschluss vom 27.4.2009 - 13 B 34.09 -, juris, Rdnr. 6 f., sowie speziell zum Verhältnis von §§ 22 und 30 Abs. 4 StrWG NRW: OVG NRW, Beschluss vom 10.6.1999 - 23 B 844/99 -.

Denn die Klage hat jedenfalls deshalb Erfolg, weil die vom Beklagten getroffene Auswahlentscheidung zwischen den als Adressaten in Betracht kommenden Personen ermessensfehlerhaft erfolgt ist.

Maßgebliches Auswahlkriterium war für den Beklagten und die Widerspruchsbehörde der Sache nach die zivilrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb der Gemeinschaft der als Adressaten in Betracht kommenden Miteigentümer. Bei der Anwendung dieses Kriteriums ist der Beklagte - und ihm folgend die Widerspruchsbehörde - indes von falschen zivilrechtlichen Wertungen ausgegangen. Das führt zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung. (wird ausgeführt)

Eine zur Heilung dieses Fehlers führende Ergänzung der Ermessensentscheidung über die Auswahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Adressaten der Verfügung (vgl. § 114 Satz 2 VwGO) ist nicht erfolgt. Unabhängig davon, ob die Ausführungen des Beklagten im Rahmen der Berufungserwiderung zur Innehabung der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück und zur Nähe zur Schadensverursachung als neue maßgebliche Ermessenserwägungen und damit als relevante Ergänzung im Sinne von § 114 Satz 2 VwGO gewertet werden könnten, sind diese Erwägungen nicht geeignet, die vorgenommene Auswahl der Klägerin aus dem Kreis der Miteigentümer zu tragen. (wird ausgeführt)

Ende der Entscheidung

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