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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 30.09.2005
Aktenzeichen: 12 A 2184/03
Rechtsgebiete: GTK, SGB X, SGB VIII


Vorschriften:

GTK § 17 Abs. 1 S. 6
GTK § 17 Abs. 2 S. 1
GTK § 17 Abs. 2 S. 3
GTK § 28 Abs. 1
SGB X § 44 Abs. 1
SGB VIII § 90 Abs. 1
Eine den zusätzlichen Beitrag nach § 17 Abs. 6 Satz 1 GTK rechtfertigende regelmäßige Betreuung über Mittag setzt voraus, dass diese Betreuung auf seiten der Tageseinrichtung vorgehalten wird - hier an fünf Tagen in der Woche - und dieses Angebot in dem für eine Teilnahme i.S.d. § 90 Abs. 1 SGB VIII bzw. § 17 Abs. 2 Satz 1 GTK notwendigen Maß in Anspruch genommen wird.

Eine darüber hinaus gehende, insbesondere regelmäßige Inanspruchnahme dieses Angebots ist nicht erforderlich.


Tatbestand:

Die Kläger wandten sich gegen den zusätzlichen Beitrag für die Über-Mittag-Betreuung ihres Kindes. Sie vertraten die Aufassung, dass die für die Erhebung des Beitrags erforderliche Voraussetzung einer regelmäßigen Betreuung nicht gegeben sei, da ihr Kind die an fünf Tagen in der Wochen angebotene Über-Mittag-Betreuung lediglich einmal in der Woche in Anspruch genommen habe. Das VG wies die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage ab und ließ die Berufung zu. Diese blieb erfolglos.

Gründe:

Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 6 GTK ist für die regelmäßige Betreuung eines Kindes im Kindergarten über Mittag (12.30 Uhr bis 14.00 Uhr) ein zusätzlicher Beitrag zu zahlen. Wann eine regelmäßige Betreuung im Sinn dieser Bestimmung vorliegt, ergibt sich weder aus dem Gesetz, noch aus den Gesetzesmaterialien (vgl. LT-Drucks. 11/1640 und 11/2330). Der Wortlaut lässt offen, ob ein Kind tatsächlich regelmäßig über Mittag betreut werden muss, oder ob es nur darauf ankommt, dass die Möglichkeit besteht, eine regelmäßige Über-Mittag-Betreuung in Anspruch zu nehmen; des Weiteren ist unklar, ab welchem Zeitpunkt eine Regelmäßigkeit anzunehmen ist.

Die maßgebenden Voraussetzungen erschließen sich jedoch aus der gesetzlichen Konzeption der Elternbeiträge. Die Elternbeiträge nach § 17 GTK können dabei nicht losgelöst von ihrer bundesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage § 90 Abs. 1 SGB VIII gesehen werden. Der Landesgesetzgeber hat ersichtlich an den dort aufgeführten Begriff des "Teilnahmebeitrags" und nicht an den klassischen Begriff der "Gebühr" angeknüpft. Die gesetzliche Ausgestaltung des Elternbeitrags ist zum einen dadurch gekennzeichnet, dass die Elternbeiträge nach § 17 GTK lediglich einen geringen Teil der Betriebskosten der Tageseinrichtungen decken und damit nur einen im wörtlichen Sinn "Beitrag" zu diesen Kosten darstellen; der weit überwiegende Teil der Betriebskosten wird von den Trägern der Tageseinrichtungen und von öffentlichen Kassen, nämlich den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe (§ 18 Abs. 1 und 2 GTK) und vom Land NRW im Wege eines dem örtlichen Träger zu gewährenden Zuschusses getragen. Die danach im Wesentlichen staatlicherseits erbrachte Leistung - die finanzielle Förderung der Benutzung der Tageseinrichtung - wird lediglich in unterschiedlicher Höhe gemindert um die von den Eltern zu entrichtenden Elternbeiträge.

Die Elternbeiträge entziehen sich als Teilnahmebeiträge auch in weiteren Punkten einer eindeutigen Zuordnung zu den klassischen Abgabenarten. Bei den Elternbeiträgen handelt es sich nicht um Beiträge im klassischen abgabenrechtlichen Sinn. Letztere dienen dem Vorteilsausgleich für die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Einrichtung, unabhängig davon, ob die Einrichtung tatsächlich in Anspruch genommen wird. Demgegenüber setzt die Entstehung der Elternbeitragspflicht den Tatbestand der Teilnahme in Form der Inanspruchnahme -, d.h. den tatsächlichen Besuch einer Tageseinrichtung i.S.d. § 1 GTK, voraus (vgl. § 90 Abs. 1 SGB VIII und § 17 Abs. 2 Satz 1 GTK). Dabei wird die das Nutzungsverhältnis konkretisierende, vom Träger im Einzelnen zu erbringende Leistung im Gesetz in den §§ 1 bis 4 sowie 9 und 19 GTK lediglich der Zielsetzung nach, nicht aber dem konkreten Leistungsumfang nach geregelt. Ausweislich der Anlage zu § 17 GTK betrachtet der Gesetzgeber die Betreuung "über Mittag" als gesonderte Angebotsform, an die die sozialrechtliche Abgabe "Elternbeitrag" anknüpft.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.03.2001 - 16 A 4298/00 - StGR 2002, 32-33

Von den Benutzungsgebühren wiederum unterscheiden sich die Elternbeiträge insbesondere dadurch, dass ihnen - wie eingangs dargelegt - das gebührentypische "Kostendeckungsprinzip" im Sinne einer über die Elternbeiträge angestrebten vollständigen Deckung der Betriebskosten und der gebührentypische "Grundsatz der speziellen Entgeltlichkeit" (Prinzip der Leistungsproportionalität) nicht immanent sind.

Diese Modifizierungen lassen allerdings die grundsätzliche Qualifizierung der Elternbeiträge als öffentlich-rechtliche Abgaben (eigener Art) unberührt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.2001 - 9 B 90.01 -; OVG NRW, Urteil vom 13.06.1994, - 16 A 2645/93 -, NVwZ 1995, 191, Beschlüsse vom 2.08.2002 - 16 B 1212/02 -, und vom 17.09.1993 - 16 B 2069/93 -, NWVBl. 1994, 29.

Die Elternbeiträge sind aufgrund der genannten Modifizierungen - ungeachtet ihres nach wie vor gegebenen Abgabencharakters - daher grundsätzlich unabhängig von dem zugrundeliegenden individuellen Leistungsverhältnis. Kennzeichnend für diese durch den geringen Deckungsgrad und Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigte Abkoppelung der Elternbeiträge von den spezifischen Gegebenheiten des konkreten Leistungsverhältnisses vor Ort ist die auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unbedenkliche landeseinheitliche Bemessung der Elternbeiträge unabhängig von den Betriebskosten der tatsächlich besuchten Tageseinrichtung.

Dementsprechend ist es rechtlich unbedenklich, dass für die Heranziehung zu Elternbeiträgen, die sich - wie hier - an den Jahresbetriebskosten orientieren, individuelle Umstände wie z.B. unterschiedliche Öffnungszeiten, Besuch der Tageseinrichtung nur am Vor- oder Nachmittag, Fernbleiben aus persönlichen Gründen (Krankheit, Urlaub etc.) unberücksichtigt bleiben.

Vgl. hierzu etwa OVG NRW, Urteile vom 13.06.1994 a.a.O., und vom 6.03.1998 - 16 A 525/97 -, m.w.N.

Für den aufgrund der Über-Mittag-Betreuung zu leistenden zusätzlichen Elternbeitrag gilt in Ermangelung abweichender Regelungen und mit Blick auf die durchgängige Subventionskonzeption des Gesetzes nichts anderes.

Der zusätzliche Elternbeitrag setzt danach - ebenso wie der für den Besuch der Tagesstätte außerhalb der Über-Mittag-Betreuung zu leistende Elternbeitrag - lediglich die Teilnahme, d.h. die Inanspruchnahme der Über-Mittag-Betreuung als solche ("ob") voraus. Der Umfang der Inanspruchnahme ist, wie auch der Umfang der Inanspruchnahme der Tageseinrichtung im Übrigen, für die Entstehung der Beitragspflicht grundsätzlich unbeachtlich. Kommt es aber letztlich nicht darauf an, ob die Über-Mittag-Betreuung etwa an einem, an zwei oder an fünf Tagen in der Woche genutzt wird, kann das Tatbestandsmerkmal der "regelmäßigen Betreuung" in § 17 Abs. 1 Satz 6 GTK systemgerecht nur so verstanden werden, dass eine regelmäßige Über-Mittag-Betreuung auf seiten der Tageseinrichtung vorgehalten werden muss, unabhängig davon, ob diese über das für eine Teilnahme notwendige Mindestmaß hinaus auch in Anspruch genommen wird.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Seitens des Trägers der von den Kindern der Kläger besuchten Tageseinrichtung wurde eine Über-Mittag-Betreuung an fünf Tagen in der Woche über den maßgebenden Zeitraum angeboten; dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Hierbei handelt es sich auch ersichtlich um eine regelmäßige Betreuung. An dieser Betreuung haben die Kinder der Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum (einmal in der Woche) teilgenommen.

Danach kommt es für die Beantwortung der Frage, ob eine regelmäßige Betreuung i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 6 GTK vorliegt, nicht darauf an, ob die Inanspruchnahme der Betreuung regelmäßig erfolgt.

Soweit der norminterpretierende Erlass des Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen (MFJFG NRW) vom 6.03.2001 - IV A 2-6001.22 - die Erhebung des zusätzlichen Elternbeitrags erst dann als gerechtfertigt ansieht, wenn ein Kind mehrmals (mindestens dreimal) pro Woche zwischen 12.30 Uhr und 14.00 Uhr tatsächlich betreut wird, ist diese Verwaltungsvorschrift - wie das VG zutreffend ausgeführt hat - für die Gerichte nicht bindend.

Die Voraussetzungen für einen Erlass der erhobenen Beiträge liegen nicht vor. Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 3 GTK sollen die Elternbeiträge vom örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe ganz oder teilweise erlassen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist (§ 90 Abs. 3 SGB VIII). Wie das VG unter Bezugnahme auf das Urteil des 16. Senats vom 21.11.1994 - 16 A 2859/94 -, NVwZ 1995, 1231, zutreffend ausgeführt hat, ist in Ermangelung einer weiteren landesrechtlichen Ausgestaltung der einzelnen Erlassvoraussetzungen und mit Blick auf die trotz einiger Modifizierungen gegebene Nähe des Elternbeitrags zur öffentlichen Abgabe die Regelung des § 227 AO entsprechend anzuwenden.

Hiernach können, d.h. mit Blick auf die Formulierung in § 17 Abs. 2 Satz 3 GTK sollen Ansprüche aus dem Abgabenverhältnis erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles (für die Eltern und das Kind) unbillig wäre. Unbillig kann die Einziehung von Ansprüchen aus dem Abgabenverhältnis aus sachlichen oder persönlichen Gründen sein.

Sachliche Unbilligkeit setzt voraus, dass die Einziehung der Abgabe im Einzelfall, vor allem mit Rücksicht auf den Zweck ihrer Erhebung, nicht mehr zu rechtfertigen ist oder dass sie den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Bei einer solchen Billigkeitsprüfung müssen grundsätzlich solche Erwägungen unberücksichtigt bleiben, die der gesetzliche Tatbestand üblicherweise mit sich bringt.

Vgl. BFH, Beschluss vom 24.10.1988 - X B 54/88 -, BFH/NV 1989, 285.

Danach können die Kläger mit ihren gegen die gesetzliche Konstruktion der pauschalierten Bemessung des Elternbeitrags - hier in der besonderen Ausprägung des zusätzlichen Elternbeitrags für die Über-Mittag-Betreuung - gerichteten Einwänden nicht gehört werden. Die aufgrund der gesetzlichen Konstruktion im Einzelfall begründeten Nachteile (hier die Verpflichtung zur Leistung des vollen zusätzlichen Elternbeitrags bei nur 20 %-iger Ausnutzung der während jeder Woche durchgängig an fünf Tagen angebotenen Über-Mittag-Betreuung) mögen eine Härte darstellen; diese Härte wird jedoch vom Gesetzgeber aus den oben genannten Gründen in Kauf genommen und ist damit nicht unbillig. Etwas anderes mag möglicherweise dann gelten, wenn aufgrund von längerfristigen Leistungsstörungen auf der Seite des Anbieters der jeweilige Betreuungsauftrag (§§ 2-4, 9 und 19 GTK) in dem jeweiligen Jahr letztlich nicht mehr erfüllt werden kann. Diese Fallgestaltung ist hier jedoch nicht gegeben.

Eine persönliche Unbilligkeit, liegt vor, wenn die Abgabenerhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Abgabepflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde.

Vgl. BFH, Beschluss vom 24.10.1988, a.a.O.

Hierfür sind Anhaltspunkte weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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