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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 15.07.2009
Aktenzeichen: 12 A 2190/08
Rechtsgebiete: PfG NRW, SGB X
Vorschriften:
PfG NRW § 12 | |
SGB X § 45 |
Tatbestand:
Die Klägerin ist Trägerin eines Altenheims. Sie beantragte für den Heimplatz einer der Bewohnerinnen ihres Heims Pflegewohngeld beim Beklagten. Dieses wurde gewährt, nachdem durch den Sohn der Heimbewohnerin als ihr Vertreter Angaben zu ihrem Einkommen und Vermögen gemacht worden waren. Die bewilligenden Bescheide nahm der Beklagte später gegenüber der Klägerin mit der Begründung zurück, er habe von Vermögenswerten der Heimbewohnerin erfahren, die der Bewilligung von Pflegewohngeld entgegen gestanden hätten. Die Kenntnis der Heimbewohnerin bzw. ihres Vertreters von diesen Vermögenswerten sei der Klägerin zuzurechnen. Das VG hatte die Klage gegen die Rücknahme der Bescheide abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg.
Gründe:
Die Rücknahme der Bewilligungsbescheide nach § 45 SGB X i. V. m. § 16 des Gesetzes zur Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes (Landespflegegesetz Nordrhein-Westfalen-PfG NRW) vom 19.3.1996 in der ab 1.8.2003 geltenden Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Umsetzung des Pflegeversicherungsgesetzes vom 8.7.2003 (GV.NRW. S. 380) ist ermessensfehlerhaft im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO erfolgt. Nach § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, auch, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Ermessensfehlerhaft ist ein Verwaltungsakt, wenn die Behörde bei ihrem Handeln von unzutreffenden, in Wahrheit nicht gegebenen, unvollständigen oder falsch gedeuteten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht. Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 114 Rn. 12.
Der Beklagte ging hier unzutreffend davon aus, die Klägerin müsse es sich zurechnen lassen, dass die Heimbewohnerin bzw. ihr Sohn im Zusammenhang mit der Beantragung von Pflegewohngeld nach Ansicht des Beklagten zumindest grob fahrlässig unvollständige Angaben i. S. v. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X über das Vermögen der Heimbewohnerin gemacht habe. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Die Klägerin als Adressatin der Pflegewohngeldbewilligungsbescheide des Beklagten und somit Begünstigte hat selbst nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig unvollständige Angaben über das Vermögen der Heimbewohnerin gemacht. Ein solches Verhalten der Heimbewohnerin oder ihres Vertreters ist der Klägerin nicht zuzurechnen. Grundsätzlich können Angaben Dritter dem Begünstigten zugerechnet werden, soweit der Dritte als Vertreter mit der fehlerhaften Angabe selbst pflichtwidrig gehandelt und dadurch in eigener Person die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erfüllt.
Vgl. Pickel/Marschner, SGB X, Bd. 1, Stand: Juni 2009, § 45 Rn. 37; Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 6. Auflage 2008, § 45 Rn. 51; Vogelgesang, in: Hauck/Noftz, SGB X, Bd. 1, Stand: Juni 2009, § 45 Rn. 43; Wahrendorf, in: Giese/Krahmer, SGB I und X, Bd. X/1, § 45 SGB X Rn. 12.3; zu § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW: OVG NRW, Urteil vom 14.7.2004 - 10 A 4471/01 -, NWVBl. 2005, 71 ff.
Unabhängig davon, ob die Heimbewohnerin bzw. ihr Sohn im Zusammenhang mit der Beantragung von Pflegewohngeld als (weitere) Begünstigte i. S. v. § 45 SGB X sowie im Verhältnis zur Klägerin als Dritte anzusehen sind, sind sie jedenfalls nicht als Vertreter der Klägerin tätig geworden. Es ist weder ersichtlich, dass sie von der Klägerin bevollmächtigt gewesen sein könnten (vgl. §§ 166, 167 BGB) noch ergibt sich ein solches Vertretungsverhältnis aus Vorschriften des Landespflegegesetzes oder der Pflegeeinrichtungsförderverordnung.
Eine Zurechnung kommt auch nicht durch die analoge Anwendung des § 278 BGB in Betracht. Im Rahmen der Stellung eines Antrags auf Bewilligung von Pflegewohngeld durch den Heimträger ist der Heimbewohner, der Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen macht, nicht Erfüllungsgehilfe des Heimträgers. Dies würde voraussetzen, dass sich der Heimträger zur Erfüllung einer ihm obliegenden Verbindlichkeit des Heimbewohners bedient hat.
Vgl. zur Anerkennung der analogen Anwendbarkeit des § 278 BGB hinsichtlich verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse: BVerwG, Urteil vom 29.4.2004 - 2 C 2.03 -, BVerwGE 120, 370 ff.; Urteil vom 19.3.1998 - 2 C 6.97 -, BVerwGE 106, 272 ff.
Die Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Ermittlung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse trifft jedoch nicht den Heimträger, sondern den Heimbewohner. Zwar steht der Anspruch auf Gewährung von Pflegewohngeld zur Finanzierung der betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen gemäß § 12 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 PfG NRW den vollstationären Dauerpflegeeinrichtungen zu und das Pflegewohngeld wird nach § 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Förderung der Investitionen von Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen sowie über den bewohner-orientierten Aufwendungszuschuss vollstationärer Dauerpflegeeinrichtungen (Pflegewohngeld) - Pflegeeinrichtungsförderverordnung (PflFEinrVO) vom 15.10.2003 (GV. NRW. S. 613) auf Antrag der Einrichtungsträger gewährt. Die öffentliche Förderung der Investitionskosten vollstationärer Pflegeeinrichtungen dient aber nicht nur den anspruchsberechtigten Pflegeeinrichtungen und dem öffentlichen Interesse an der Vorhaltung einer leistungsfähigen Versorgungsstruktur, sondern auch den Interessen des Heimbewohners, der finanziell entlastet werden soll.
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 14.10.2008 - 16 A 1409/07 -, NWVBl. 2009, 194 ff. und vom 9.5.2003 - 16 A 2789/02 -, NWVBl. 2003, 440 ff.
Der Anspruch auf die Bewilligung von Pflegewohngeld stellt zwar keine sozialhilferechtliche, wohl aber eine sozialrechtliche Position des Heimbewohners dar.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9.5.2003, a. a. O.
Dementsprechend ist dem Heimbewohner gemäß § 6 Abs. 2 PflFEinrVO ein eigenes Antragsrecht für den Fall eingeräumt, dass der Einrichtungsträger in den Fällen, in denen Pflegebedürftige Leistungen im Sinne des § 4 Abs. 2 dieser Verordnung erhalten würden, keinen Antrag stellt. Die Mitwirkungspflichten gegenüber der zuständigen Behörde treffen aber gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 PflFEinrVO allein den Pflegebedürftigen, unabhängig davon, ob die Pflegeeinrichtung den Antrag auf Gewährung von Pflegewohngeld stellt oder er selbst. Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 PflFEinrVO gelten die §§ 60 und 66 f. SGB I entsprechend. Daraus folgt, dass es zu den Pflichten des Pflegebedürftigen gehört, etwa die Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I). Diese Pflichten kann regelmäßig nur der Pflegebedürftige bzw. sein Vertreter oder ein Angehöriger erfüllen, denn der Einrichtungsträger kann eigene Angaben zum Vermögen und Einkommen des Pflegebe-dürftigen mangels Kenntnis in der Regel nicht machen und seine entsprechenden Einwirkungsmöglichkeiten auf den Heimbewohner sind gering. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf die Vereinbarung einer diesbezüglichen vertraglichen Verpflichtung des Heimbewohners im zivilrechtlichen Heimvertrag und deren - unter Umständen gerichtliche - Geltendmachung. Selbst wenn den Einrichtungsträger auch eine Mitwirkungspflicht i. S. d. § 60 SGB I treffen sollte, so erstreckt sich diese nur auf Tatsachen, die ihm selbst bekannt sind. Eine Ermittlungspflicht über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse Dritter lässt sich aus dieser Pflicht nicht ableiten.
Vgl. zur Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I: BVerwG, Urteil vom 17.5.1995 - 5 C 16.93 -, BVerwGE 98, 195 ff.; zur Mitwirkungspflicht des Heimträgers bei der Angabe der Vermögensverhältnisse der Heimbewohner: VG Köln, Urteil vom 14.2.2008 - 26 K 1644/07 -, juris.
Die Behörde hat dagegen die Möglichkeit, vom Heimbewohner zu verlangen, seiner Mitwirkungspflicht nachzukommen. Bei mangelnder Mitwirkung kann die Behörde nach § 66 SGB I die Leistung versagen. Dafür, dass es sich bei der Angabe der Einkommens- und Vermögensverhältnisse um eine Pflicht des Pflegebedürftigen und nicht des Heimträgers handelt, spricht auch, dass die Folgen einer fehlenden Mitwirkung des Pflegebedürftigen letztlich diesen treffen. Versagt die zuständige Behörde die Bewilligung von Pflegewohngeld, stellt regelmäßig die Pflegeeinrichtung dem Pflegebedürftigen die betriebsnotwendigen Investitionskosten in Rechnung, die dieser dann aus eigenen Mitteln zu finanzieren hat. Dass der Einrichtungsträger darauf verzichten kann, ändert nichts daran, dass der Investitionskostenanteil grundsätzlich vom Pflegebedürftigen geschuldet wird (vgl. §§ 5 Abs. 5, 7 Abs. 1 des Heimgesetzes - HeimG vom 1.1.1975 in der Fassung vom 5.11.2001, BGBl. I S. 2970, i. V. m. § 23 Abs. 2 Satz 1 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über das Wohnen mit Assistenz und Pflege in Einrichtungen - Wohn- und Teilhabegesetz - WTG - vom 18.11.2008, GV. NRW. S. 738 ff.).
Vgl. auch: OVG NRW, Urteil vom 9.5.2003, a. a. O.
Mangels Erfüllung einer Pflicht der Klägerin war der Sohn der Heimbewohnerin bei Beantragung des Pflegewohngelds nicht Erfüllungsgehilfe der Klägerin. Er kam hinsichtlich der Angabe der Einkommens- und Vermögensverhältnisse seiner Mutter als ihr Vertreter ihrer Mitwirkungspflicht und nicht einer Verpflichtung der Klägerin nach.
Dass eine Zurechnung aus anderen Gründen in Betracht kommen könnte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere wegen der mangelnden Einwirkungsmöglichkeit der Klägerin auf die Heimbewohnerin, den fehlenden Kenntnissen der Klägerin über die Richtigkeit der von der Heimbewohnerin gemachten Angaben zu ihrem Einkommen und Vermögen und des verfolgten eigenen Interesses der Heimbewohnerin im Zusammenhang mit der Stellung eines Antrags auf Gewährung von Pflegewohngeld (selbst bei Stellung des Antrags durch den Einrichtungsträger) scheidet es auch aus, der Klägerin die Angaben des Sohns der Heimbewohnerin wegen einer Zugehörigkeit zu ihrer Sphäre zuzurechnen.
Vgl. zu einer solchen Zurechnung: BVerwG, Urteil vom 7.7.1966 - III C 219.64 -, BVerwGE 24, 294 ff.; OVG NRW, Urteil vom 2.5.1994 - 8 A 3885/93 -, NVwZ 1996, 610 ff.
Eine Heilung dieses Ermessensfehlers i. S. v. § 114 Satz 2 VwGO kam schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beklagte, wollte er nicht mehr an dieser Zurechnung festhalten, seine Erwägungen nicht ergänzen, sondern auswechseln müsste.
Vgl. zur Ergänzung von Ermessenserwägungen: BVerwG, Beschluss vom 14.1.1999 - 6 B 133.98 -, NJW 1999, 2912 ff.; OVG NRW, Urteil vom 18.6.2002 - 15 A 1958/01 -, OVGE MüLü 49, 8 ff., jeweils m. w. N.; Kopp/Schenke, a. a. O., § 114 Rn. 50.
Ende der Entscheidung
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