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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 26.04.2004
Aktenzeichen: 12 A 2434/02
Rechtsgebiete: SGB VIII
Vorschriften:
SGB VIII § 19 | |
SGB VIII § 27 | |
SGB VIII § 34 | |
SGB VIII § 86b Abs. 3 |
Tatbestand:
Der Kläger und die Beklagte sind örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Der Kläger macht mit der vorliegenden Klage gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung von Kosten der Jugendhilfe geltend, die er im Zeitraum vom 13.9.1997 bis 31.3.2002 zugunsten des am 8.9.1997 geborenen Kindes E. aufgewendet hat.
E. ist das nichteheliche Kind der am 18.11.1981 geborenen T.. Für diese wurde seit dem 3.10.1996 Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung gemäß §§ 27, 34 SGB VIII im I.-Haus in C. gewährt. Die Hilfe wurde durch den Bürgermeister der Stadt D. gewährt, weil T.'s Mutter, der nach der Scheidung ihrer Ehe die elterliche Sorge für T. übertragen worden war, seinerzeit im Bereich der Stadt D. wohnte. Nachdem sie am 25.2.1997 von D. in den Bereich der Beklagten verzogen war, bat der Bürgermeister der Stadt D. diese um Übernahme des Hilfefalles.
Wegen ihrer im Januar 1997 bekannt gewordenen Schwangerschaft wechselte T. am 7.7.1997 in die im Bereich des Klägers gelegene Mutter-Kind-Einrichtung "Haus S." des I.-Hauses. Ab diesem Zeitpunkt übernahm die Beklagte den Hilfefall und gewährte T.'s Mutter Hilfe zur Erziehung ihrer Tochter durch Übernahme der Kosten von T.'s Unterbringung im Haus S. gemäß §§ 27, 34, 39 SGB VIII.
Am 13.9.1997 wurde das Kind E. ebenfalls in das Haus S. aufgenommen. Am 20.11.1997 beantragte das Jugendamt des Klägers als Amtsvormund beim Kläger für das Kind E. Jugendhilfe in Form von Übernahme der Heimkosten und Sicherstellung des Krankenversicherungsschutzes. Dabei wies der Amtsvormund auf die Verpflichtung des Klägers zum vorläufigen Tätigwerden gemäß § 86d SGB VIII hin, da die Zuständigkeit noch nicht abschließend geklärt sei. Ausweislich eines Vermerks vom 12.1.1998 übernahm der Kläger "auf Grund noch nicht geklärter Zuständigkeiten und unterschiedlicher fachlicher Einschätzungen der beteiligten Jugendämter" unter Annahme einer vorläufigen Zuständigkeit die Pflegekosten für E. Mit Schreiben vom gleichen Tag teilte das Jugendamt des Klägers dem I.-Haus mit, dass die Kosten der Unterbringung von E. im Haus S. ab dem 13.9.1997 im Rahmen der Bestimmungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes von ihm übernommen würden.
Am 1.12.1997 war T.'s Mutter aus dem Bereich der Beklagten nach Q. verzogen. Das Jugendamt der Stadt Q. nahm die Gewährung von Hilfe zur Erziehung für T. ab dem 1.7.1998 auf und erstattete der Beklagten die Kosten der Jugendhilfe, die diese im Zeitraum vom 1.12.1997 bis 30.6.1998 für T. geleistet hatte.
Mit Schreiben vom 27.1.1998 beantragte das Jugendamt des Klägers als Amtsvormund des Kindes E. bei der Beklagten die Übernahme der Heimkosten und der Krankenversicherung. Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, für die Gewährung von Leistungen für das Kind, gleichgültig auf welcher Rechtsgrundlage, sei sie örtlich nicht zuständig.
Daraufhin erhob der Kläger Klage gegen die Beklagte auf Feststellung, diese sei zur Erstattung der Kosten der Jugendhilfe für das Kind E. im streitigen Zeitraum verpflichtet.
Im Juli 1999 bezog T. mit ihrem Kind eine vom I.-Haus angemietete und sozialpädagogisch betreute eigene Wohnung in C., in der sie bis Ende September 2002 wohnte. Die Kosten der Unterbringung und Betreuung wurden in Höhe eines vom I.-Haus berechneten Tagessatzes vom Kläger und im Übrigen nach §§ 27, 34 SGB VIII bzw. ab November 1999 nach § 41 SGB VIII von der Stadt Q. übernommen.
Das VG stellte mit dem angefochtenen Urteil fest, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger die von ihm in der Zeit vom 13.9.1997 bis 30.11.1997 aufgewendeten Jugendhilfekosten für E. zu erstatten. Im Übrigen wies es die Klage ab.
Auf die Berufung des Klägers gab das OVG der Klage in vollem Umfang statt, während es die Berufung der Beklagten zurückwies.
Gründe:
Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Kosten der Jugendhilfe zu erstatten, die dieser im Zeitraum vom 13.9.1997 bis 31.3.2002 für das Kind E. aufgewendet hat. Die Erstattungspflicht der Beklagten ergibt sich allerdings nicht aus § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII, sondern aus § 102 Abs. 1 SGB X.
Diese Vorschrift begründet eine Erstattungspflicht des zur Leistung verpflichteten Leistungsträgers, wenn ein anderer Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat.
I. § 102 Abs. 1 SGB X ist im vorliegenden Fall anwendbar.
1. Die Bestimmungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch über Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander (§§ 102 ff.) finden grundsätzlich neben den Kostenerstattungsvorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch (§§ 89 ff.) Anwendung, weil sich aus den zuletzt genannten Normen nichts Abweichendes im Sinne des § 37 Satz 1 SGB I ergibt. Mit den Vorschriften der §§ 89 ff. SGB VIII hat der Gesetzgeber die Kostenerstattung im Bereich der Jugendhilfe nicht dergestalt eigenständig geregelt, dass in den Fällen, die von diesen Vorschriften nicht erfasst werden, eine Kostenerstattung ausgeschlossen sein soll. Vielmehr sind daneben die §§ 102 ff. SGB X anwendbar.
Vgl. BayVGH, Urteil vom 13.8.1999 - 12 B 97.2814 -, FEVS 51, S. 370 (374); Heilemann/Kunkel, in LPK - SGB VIII, 2. Aufl. 2003, § 89 Rn. 3; Wiesner, SGB VIII, 2. Aufl. 2000, Rn. 12 f. vor § 89; Schellhorn, SGB VIII/KJHG, 2. Aufl., 2000, § 89 Rn. 12; Reisch, in Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht (Stand: 8/2003), KJHG Vorbem. §§ 89-89h, Rn. 8, 10 ff.; einschränkend Stähr in Hauck/Noftz, SGB VIII (Stand: 8/2003), K § 89 Rn. 8; a.A. Mergler/Zink, BSHG (Stand: 5/2003), Einf. Abschn. 9, Rn. 26.
Das ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der §§ 89 ff. SGB VIII. Das bis zum In-Kraft-Treten des SGB VIII geltende Jugendwohlfahrtsgesetz enthielt keine eigenständige jugendhilferechtliche Erstattungsvorschrift, sondern in § 83 Abs. 1 lediglich eine Verweisung auf Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes. § 83 Abs. 1 JWG schloss die Anwendung der §§ 102 ff. SGB X nicht aus. Mit der Normierung eigenständiger jugendhilferechtlicher Erstattungsvorschriften beabsichtigte der Gesetzgeber keine abschließende Kodifikation. Bestimmendes Motiv war eine Beendigung der Rechtsunsicherheit, die sich aus der uneinheitlichen Praxis bei der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes auf die Jugendhilfe ergeben hatte. Das trägt eine ergänzende Anwendung der §§ 102 ff. SGB X, nicht aber die Annahme, die Kostenerstattung im Bereich der Jugendhilfe sei in den §§ 89 ff. SGB VIII abschließend geregelt.
So BayVGH, Urteil vom 13.8.1999 - 12 B 97.2814 -, a.a.O., m. w. N.
2. Es greift hier auch keine vorrangige jugendhilferechtliche Erstattungsvorschrift ein. Der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch findet nämlich nicht in § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII eine rechtliche Grundlage. Keiner der beiden Fälle des § 86d SGB VIII, an den diese Vorschrift anknüpft, hat vorgelegen. Für beide Fälle ist Voraussetzung, dass die Art der Hilfe bei Leistungserbringung zweifelsfrei feststeht. Diese Voraussetzung war nicht erfüllt, weil der Streit zwischen dem Kläger und der Beklagten nicht die Frage, welcher Jugendhilfeträger für eine bestimmte Hilfeart örtlich zuständig war, betraf, sondern die - vorgelagerte - Frage, wie die dem Kind E. zu gewährende Hilfe rechtlich einzuordnen war. Die Unanwendbarkeit des § 86d SGB VIII in der vorliegenden Fallkonstellation wird dadurch bestätigt, dass auch der zum vorläufigen Tätigwerden verpflichtete örtliche Träger in solchen Fällen nicht eindeutig bestimmt werden könnte. Welcher Träger gemäß § 86d SGB VIII verpflichtet ist, richtet sich nämlich nach der Art der Leistung. Während es in der Regel, beispielsweise bei der Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII, auf den tatsächlichen Aufenthaltsort des Kindes oder Jugendlichen ankommt, ist bei Leistungen nach § 19 SGB VIII der tatsächliche Aufenthaltsort des Leistungsberechtigten, d.h. der Mutter oder des Vaters, ausschlaggebend. § 86d SGB VIII geht also ersichtlich davon aus, dass feststeht, ob eine Leistung nach § 19 SGB VIII oder eine andere Jugendhilfeleistung zu gewähren ist, und daher entweder der örtliche Träger, in dessen Bereich sich der Elternteil vor Beginn der Leistung tatsächlich aufhält, oder der Träger, in dessen Bereich sich das Kind vor Beginn der Leistung tatsächlich aufhält, vorläufig zum Tätigwerden verpflichtet ist. Anderenfalls könnte § 86d SGB VIII seine Funktion, bei ungeklärter örtlicher Zuständigkeit oder Untätigkeit des zuständigen Trägers eine schnelle Hilfegewährung durch einen eindeutig zu bestimmenden Träger zu gewährleisten, vgl. Reisch, a.a.O., KJHG § 86d Rn. 1, und Schellhorn, a.a.O., § 86d Rn. 1, nicht erfüllen.
II. Die Voraussetzungen des somit anwendbaren § 102 Abs. 1 SGB X sind hier erfüllt.
1. Der Kläger hat auf Grund gesetzlicher Vorschriften, nämlich auf Grund des § 43 Abs. 1 SGB I, vorläufig Sozialleistungen erbracht, indem er für die Unterbringung und Betreuung des Kindes E. vorläufig Jugendhilfeleistungen gewährt hat.
a) Die Vorschrift des § 43 Abs. 1 SGB I ist auf den vorliegenden Kompetenzkonflikt zwischen dem Kläger und der Beklagten anwendbar. Sie wird hier nicht durch § 86d SGB VIII verdrängt, dessen Voraussetzungen, wie ausgeführt, nicht erfüllt waren. Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 SGB I sind auch erfüllt, wenn über das Bestehen eines Anspruchs auf öffentliche Jugendhilfe an sich kein Streit besteht, sondern nur über die Intensität des erzieherischen Bedarfs und die davon abhängige konkrete rechtliche Einkleidung des Anspruchs. Ist hiervon die sachliche Zuständigkeit des einen oder des anderen Sozialleistungsträgers abhängig, die Intensität des erzieherischen Bedarfs aber in Streit, dann wird nicht nur über das materiellrechtliche Bestehen des Anspruchs gestritten, sondern notwendigerweise auch über die Zuständigkeit des einen oder des anderen Leistungsträgers. Derartige Streitigkeiten durch Vorleistung des zuerst angegangenen Leistungsträgers zu überbrücken, entspricht gerade dem Sinn des § 43 SGB I.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.1992 - 5 C 33.90 -, BVerwGE 91, S. 177 (181, 183).
Da diese Überlegungen nicht nur zutreffen, wenn für verschiedene Hilfearten unterschiedliche sachliche Zuständigkeiten bestehen, sondern auch dann, wenn die rechtliche Einkleidung des Anspruchs Auswirkungen auf die örtliche Zuständigkeit hat, findet in allen Fällen, in denen Streit über die rechtliche Qualifizierung der zu gewährenden (Jugend-)Hilfe besteht, § 43 Abs. 1 SGB I Anwendung.
Vgl. Reisch, a.a.O., KJHG § 86d Rn. 3; Schellhorn, a.a.O., § 86d Rn. 9; Giese, in Giese/Krahmer, SGB I (Stand: 11/2000), § 43 Rn. 8.3.
b) Besteht ein Anspruch auf Sozialleistungen und ist zwischen mehreren Leistungsträgern streitig, wer zur Leistung verpflichtet ist, kann nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB I der unter ihnen zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
aa) Bezüglich der Unterbringung und Betreuung des Kindes E. zusammen mit seiner Mutter - zunächst im Haus S. und seit Juli 1999 in einer vom I.-Haus angemieteten Wohnung - bestand ein Anspruch auf Sozialleistungen, nämlich ein Anspruch seiner Mutter T. gegen die Beklagte gemäß § 19 SGB VIII. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift sollen Mütter oder Väter, die allein für ein Kind unter sechs Jahren zu sorgen haben, gemeinsam mit dem Kind in einer geeigneten Wohnform betreut werden, wenn und solange sie auf Grund ihrer Persönlichkeitsentwicklung dieser Form der Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes bedürfen. Die Leistung soll auch den notwendigen Unterhalt der betreuten Personen sowie die Krankenhilfe nach Maßgabe des § 40 umfassen (§ 19 Abs. 3 SGB VIII).
(1) Die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben im Zeitraum vom 13.9.1997 bis 31.3.2002 vorgelegen.
T. hatte allein für ein Kind unter sechs Jahren, nämlich ihren am 8.9.1997 geborenen Sohn E., zu sorgen. Insoweit kann dahinstehen, ob mit "Sorge" in diesem Sinne die Personensorge nach § 1626 Abs. 1 BGB, also die rechtliche Alleinsorge gemeint ist, so Kunkel in LPK-SGB VIII, § 19 Rn. 1; Fischer, in Schellhorn, a.a.O., § 19 Rn. 13; Jans/Happe/Saurbier/Maas, a.a.O., KJHG § 19 Rn. 9, oder ob es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, mit der Folge, dass § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auch dann eingreift, wenn die Personensorge den Eltern gemeinsam zusteht, aber ein Elternteil tatsächlich allein für das Kind sorgt.
So Wiesner/Struck, a.a.O., § 19 Rn. 5; Grube, in Hauck/Noftz, a.a.O., K § 19 Rn. 11; Fieseler/ Schleicher, Kinder- und Jugendhilferecht, Gemeinschaftskommentar zum SGB VIII (Stand: 9/2001), § 19 Rn. 8; Wiesner, § 19 SGB VIII als Grundlage für die Hilfegewährung in gemeinsamen Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder aus der Sicht des Gesetzgebers, NDV 1998, S. 225 (226); Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder (§ 19 SGB VIII) - ein Hilfeangebot für zwei Generationen, NDV 1999, S. 281 (284).
Denn auch nach der Meinung, die auf das Sorgerecht abstellt, ist ein beschränkt geschäftsfähiger alleinsorgender Elternteil (insbesondere eine minderjährige nicht verheiratete Mutter) in die Leistungsberechtigung nach § 19 SGB VIII einzubeziehen, da ihm neben einem Vormund oder Pfleger nach § 1673 Abs. 2 BGB die tatsächliche Sorge vorrangig zusteht.
Vgl. Kunkel und Jans/Happe/Saurbier/Maas, jeweils a.a.O.
Das trifft auf T. zu, der bis zum Erreichen der Volljährigkeit nach § 1673 Abs. 2 Satz 2 BGB die Personensorge für E. neben dem Amtsvormund zugestanden hat. Sie hat auch tatsächlich allein für ihr Kind gesorgt, nachdem dessen Vater bereits im Juni 1997 das I.-Haus verlassen hatte und in einer anderen Einrichtung untergebracht worden war.
Bei der Pflege und Erziehung des Kindes bedurfte sie auf Grund ihrer Persönlichkeitsentwicklung der Unterstützung durch Betreuung in einer gemeinsamen Wohnform.
Einen ersten Hinweis auf die Notwendigkeit dieser Hilfeform enthält bereits der Hilfeplan vom 12.3.1997, in dem es heißt, auf Grund der neuen Situation, die die Schwangerschaft darstelle, werde vorerst die Umsiedlung in ein Mutter-Kind-Heim geplant. Dass für T. die Unterstützung durch Betreuung in einer gemeinsamen Wohnform für Mütter und Kinder erforderlich war, ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der unter dem 27.8.1997 erfolgten Fortschreibung des Hilfeplans, in der unter anderem ausgeführt wird: Seit dem letzten Hilfeplan sei als entscheidende Veränderung die Schwangerschaft und T.'s Bereitschaft, dieses Kind groß zu ziehen, eingetreten. Mit der Schwangerschaft sei auch ein Wechsel der Betreuungsgruppe notwendig geworden. T. benötige Unterstützung bei der Versorgung und Erziehung des erwarteten Kindes und zusätzlich Unterstützung bei ihrer Schulausbildung.
In der auf Grund des Hilfeplangesprächs am 17.12.1997 erfolgten Fortschreibung des Hilfeplans durch die Beklagte vom 26.3.1998 wird zur Begründung der weiteren Notwendigkeit von Hilfe zur Erziehung ausgeführt: T. wäre auf Grund ihres Alters und der an sie gestellten Anforderungen derzeit nicht in der Lage, alleine zu leben. Eine Rückkehr in den Haushalt der Mutter sei wegen der bekannten Problematik und erst recht wegen der veränderten Umstände durch die Geburt des Kindes nach wie vor ausgeschlossen. Die Unterbringung im Haus S. ermögliche es der Jugendlichen, sowohl ihre Schulausbildung abzuschließen wie auch mit ihrem Kind zusammen zu sein. T. benötige und erhalte im Haus S. Unterstützung für die Schule, im Umgang mit dem Kind sowie für sich persönlich.
Aus dieser Begründung geht hervor, dass T. wegen ihres Entwicklungsdefizits, das durch ihr jugendliches Alter von damals 16 Jahren noch verschärft wurde, der Unterstützung bei der Pflege und Erziehung ihres Sohnes bedurfte, dass also zumindest auch die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorlagen. In diesem Zusammenhang ist gleichfalls bedeutsam, dass die Unterbringung im Haus S. und später in einer betreuten Wohnform es T. ermöglicht hat, ihre Schulausbildung weiterzuführen. Denn nach § 19 Abs. 2 SGB VIII soll während der Zeit der Betreuung in einer gemeinsamen Wohnform darauf hingewirkt werden, dass die Mutter eine schulische oder berufliche Ausbildung beginnt oder fortführt. Gerade die Formulierung im Hilfeplan, dass T. Unterstützung für die Schule, im Umgang mit dem Kind sowie für sich persönlich benötige, macht deutlich, dass T. - zumindest auch - der Hilfe nach § 19 SGB VIII bedurfte.
Das wird bestätigt durch den vom Mitarbeiter des Jugendamtes des Klägers angefertigten Vermerk vom 7.1.1998 über das am 17.12.1997 durchgeführte Hilfeplangespräch. Diesem Vermerk zufolge besuchte T. seinerzeit von 7 Uhr bis 14 Uhr die Schule und befand sich nachmittags noch einmal für zwei Stunden in der Hausaufgabenbetreuung; anschließend übernahm sie selbst bis Mitternacht die Versorgung und Betreuung ihres Kindes in Absprache mit dem Personal des Hauses S.; nach Angaben der Leiterin der Außenwohngruppe übernahm T. in dem erforderlichen Maße auch die Verantwortung für ihr Kind. Danach konnte T. zwar ihr Kind nicht alleine pflegen und erziehen, weil ihre Persönlichkeit altersbedingt und wegen der in ihrer eigenen Erziehung aufgetretenen Defizite noch nicht ausreichend entwickelt war. Sie konnte jedoch teilweise Versorgungs- und Erziehungsaufgaben wahrnehmen, wenn sie dabei fachkundige Unterstützung erhielt und ihr diese Aufgaben in der Zeit des Schulbesuchs abgenommen wurden. Damit befand sie sich genau in der Situation, auf die § 19 SGB VIII zugeschnitten ist.
Vgl. Wiesner, NDV 1998, S. 225 f.; Empfehlungen des Deutschen Vereins, NDV 1999, S. 281 (285); Kunkel, a.a.O., § 19 Rn. 3; Fieseler/Schleicher, a.a.O., § 19 Rn. 10.
Auch nach dem Verlassen des Hauses S. und dem Bezug einer eigenen Wohnung (bei weiterer Betreuung durch das I.-Haus) haben die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII weiterhin vorgelegen. Das ergibt sich aus den zahlreichen Hilfeplan-Kontrollberichten des Jugendamtes der Stadt Q., beispielsweise aus dem Bericht vom 6.12.1999 ("Obwohl sie [T.] nicht mehr 24 Stunden am Tag von einem Helfersystem umgeben ist, ist sie in der Lage, tragfähige Entscheidungen für sich und ihren Sohn zu treffen, und lernt, mit Schwierigkeiten des Alltags eigenverantwortlich umzugehen. Um diese positive Entwicklung weiterhin zu gewährleisten, benötigt T. pädagogische Hilfestellung, besonders im Hinblick auf Fragen der Kindererziehung und der Unterstützung bei der Regelung wirtschaftlicher Dinge.") und dem Bericht vom 17.7.2000 ("T. benötigt weiterhin Unterstützung bei der Suche nach einer geeigneten Lehrstelle sowie bei der Erziehung und Betreuung von E.").
Waren danach die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt, so hatte T. einen Anspruch auf gemeinsame Betreuung mit ihrem Kind in einer geeigneten Wohnform, wie sie sowohl das Wohnen im Haus S. als auch das betreute Einzelwohnen in der über das I.-Haus angemieteten Wohnung darstellt.
Vgl. dazu etwa Wiesner/Struck, a.a.O., § 19 Rn. 11 f., und Empfehlungen des Deutschen Vereins, NDV 1999, S. 281 (284).
Wenn die genannte Vorschrift bestimmt, dass allein erziehende Mütter oder Väter gemeinsam mit dem Kind betreut werden sollen, bedeutet das, dass die Leistung gewährt werden muss, also ein Rechtsanspruch darauf besteht, sofern nicht im Einzelfall atypische, von der Behörde zu beweisende Umstände vorliegen, die zu einer Herabstufung der Muss-Leistung zu einer Kann-Leistung führen.
Vgl. Kunkel, a.a.O., § 19 Rn. 5; Wiesner, NDV 1998, S. 226; Fischer, in Schellhorn, a.a.O., § 19 Rn. 12; Fieseler/Schleicher, a.a.O., § 19 Rn. 17; VG Düsseldorf, Urteil vom 31.8.1997 - 19 K 4705/95 -, ZFSH/SGB 1999, S. 84 (86) = NDV-RD 1999, S. 86; einschränkend Jans/Happe/Saurbier/Maas, a.a.O., KJHG § 19 Rn. 6 und 28, sowie Grube, in Hauck/Noftz, a.a.O., K § 19 Rn. 4.
Derartige atypische Umstände sind hier weder von der Beklagten aufgezeigt worden noch aus den Akten ersichtlich.
(2) Der Anspruch der T. auf gemeinsame Betreuung mit ihrem Kind in einer geeigneten Wohnform für Mütter und Kinder, d.h. konkret der Anspruch auf Übernahme der Kosten ihrer und ihres Kindes Betreuung im Haus S. und seit Juli 1999 in der eigenen Wohnung, wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass während des streitgegenständlichen Zeitraums in Bezug auf T. ausweislich der Hilfeplanfortschreibungen und Kontrollberichte auch die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII (ab Eintritt der Volljährigkeit in Verbindung mit § 41 SGB VIII) vorgelegen haben und die Beklagte (sowie ab 7/1998 die Stadt Q.) die für T. gewährte Hilfe als Hilfe zur Erziehung deklariert hat. Denn der Anspruch der T. aus § 19 SGB VIII auf Betreuung für sich und ihr Kind verdrängt den Anspruch ihrer Mutter aus §§ 27, 34 SGB VIII auf Hilfe zu ihrer, T.'s, Erziehung und den Anspruch aus § 41 SGB VIII.
Wird eine Jugendliche, für die Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) gewährt wird, in dieser Einrichtung schwanger und wird sie nach der Geburt des Kindes gemeinsam mit diesem untergebracht und betreut - sei es in dem Heim, in dem sie bisher gelebt hat, sei es in einer anderen Einrichtung oder Wohnform, in die sie vor oder nach der Geburt aufgenommen worden ist -, dann sind die Leistungen, die der Jugendlichen (und ihrem Kind) gewährt werden, als Hilfe nach § 19 SGB VIII zu qualifizieren, weil diese Vorschrift im Hinblick auf den zu deckenden Bedarf gegenüber §§ 27, 34 SGB VIII die speziellere Rechtsgrundlage darstellt. § 19 SGB VIII ermöglicht es nämlich, nicht nur den Hilfebedarf zu decken, der durch die Geburt und den dadurch entstehenden Erziehungsanspruch des Kindes auftritt, sondern auch den aus dem Erziehungsdefizit in der Person der Mutter resultierenden Bedarf, der zuvor nach §§ 27, 34 SGB VIII gedeckt worden ist. Die Betreuung nach § 19 SGB VIII steht zwar im Dienst der Pflege und Erziehung des Kindes, indem sie eine der Entstehung eines Erziehungsdefizits beim Kind vorbeugende Art des Zusammenlebens sicherstellen soll. Sie setzt aber bei einem Persönlichkeitsdefizit der Mutter oder des Vaters an und ist Hilfe zu deren Persönlichkeitsentwicklung.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.11.2000 - 22 B 762/00 -, FEVS 53, S. 265 (269) = ZfJ 2001, S. 353; VG Düsseldorf, Urteil vom 31.8.1997 - 19 K 4705/95 -, a.a.O.; Wiesner, NDV 1998, S. 225 (226); Jans/Happe/Saurbier/Maas, a.a.O., KJHG § 19 Rn. 15.
Da Defizite in der Persönlichkeitsentwicklung der Mutter, die vor der Geburt des Kindes eine Heimerziehung notwendig gemacht haben, regelmäßig auch ihre Fähigkeit, die Erziehungsverantwortung für ein Kind zu übernehmen, beeinträchtigen, kann durch die Gewährung von Hilfe nach § 19 SGB VIII zugleich der von §§ 27, 34 SGB VIII erfasste Bedarf in der Person der Mutter gedeckt werden. Auch wenn § 19 SGB VIII systematisch in den Zweiten Abschnitt (Förderung der Erziehung in der Familie) eingeordnet ist, ähnelt die Anwendung und Ausgestaltung der (individualisierten) Leistung nach dieser Vorschrift eher den Hilfen des Vierten Abschnitts (Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche, Hilfe für junge Volljährige).
Vgl. Empfehlungen des Deutschen Vereins, NDV 1999, S. 281 (283).
Für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung für die Mutter neben der Betreuung von Mutter und Kind in einer gemeinsamen Wohnform ist kein Raum. Vielmehr ist die Hilfe nach § 19 SGB VIII in diesen Fällen so auszugestalten, dass auch ein (weiter bestehender) Bedarf nach §§ 27 ff. oder § 41 SGB VIII mit abgedeckt und eine Aufspaltung in Hilfe für die Mutter einerseits sowie Hilfe für das Kind andererseits vermieden wird. Die Leistungen, die der Mutter und ihrem - gemeinsam mit ihr betreuten - Kind gewährt werden, sind kraft Gesetzes insgesamt solche nach § 19 SGB VIII. Hierfür spricht nicht zuletzt die Regelung des § 86b Abs. 3 SGB VIII. Danach bleibt der örtliche Träger zuständig, der bisher zuständig war, wenn der Leistung nach § 19 SGB VIII Hilfe nach den §§ 27 bis 35a oder eine Leistung nach § 13 Abs. 3, § 21 oder § 41 vorausgeht. Die Formulierung, dass der Leistung nach § 19 SGB VIII eine andere Hilfe "vorausgeht", lässt die Vorstellung des Gesetzgebers erkennen, dass mit der Schwangerschaft bzw. Geburt die bisher gewährte Hilfe nach den genannten Vorschriften endet und die Betreuung in einer gemeinsamen Wohnform an deren Stelle tritt, auch wenn die Voraussetzungen für die bisherige Hilfeart immer noch vorliegen mögen. Das bedeutet, dass § 19 SGB VIII die speziellere und vorrangige Rechtsgrundlage darstellt und eine Weitergewährung der bisher geleisteten Hilfe (z.B. Hilfe zur Erziehung) ausschließt. Anderenfalls hätte es nahegelegen, in § 86b Abs. 3 SGB VIII eine Regelung auch für den Fall zu treffen, dass die bisher gewährte Hilfe für die Mutter weitergeführt wird und daneben eine Leistung nach § 19 SGB VIII nur für das Kind erfolgt. Das ist indessen nicht geschehen.
Die Auffassung der Beklagten, die Unterbringung und Betreuung der minderjährigen Mutter erfolge auf der Grundlage der §§ 27, 34 SGB VIII, während Leistungen für das Kind nach anderen Vorschriften zu gewähren seien, hält einer Überprüfung nicht stand. Für die im Schreiben vom 20.2.1998 in Betracht gezogene Möglichkeit, Unterhalt und Unterkunft des Kindes - ergänzend zur Hilfe zur Erziehung für die Mutter - nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes über die Hilfe zum Lebensunterhalt sicherzustellen, in diesem Sinne auch Kunkel, a.a.O., § 19 Rn. 17, gibt es keine ausdrückliche Rechtsgrundlage.
Vgl. Wiesner, NDV 1998, S. 225 (228).
Im Übrigen steht einer solchen Lösung der Vorrang von Jugendhilfeleistungen gegenüber Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (§ 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) entgegen. Wenn die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorliegen, besteht ein Anspruch auf gemeinsame Betreuung von Mutter/Vater und Kind, die nach § 19 Abs. 3 SGB VIII auch den notwendigen Unterhalt der betreuten Personen umfassen soll, also unter anderem den Bedarf, der nach dem Bundessozialhilfegesetz durch die Regelsätze und Leistungen für die Unterkunft gedeckt wird. Sind aber nach § 19 SGB VIII Jugendhilfeleistungen für den notwendigen (Lebens-) Unterhalt des Kindes zu gewähren, so scheiden Sozialhilfeleistungen aus.
Die von der Beklagten insbesondere im Klageverfahren vertretene Ansicht, für die Unterbringung und Betreuung des Kindes E. könnten Leistungen nach §§ 27 ff. SGB VIII an seine Mutter gewährt werden, findet im Gesetz ebenfalls keine Grundlage. Abgesehen von der Frage, ob in Bezug auf E. die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 SGB VIII vorliegen, umfasst die Hilfe zur Erziehung die Sicherstellung des notwendigen Unterhalts des Kindes, um die es hier in erster Linie geht, regelmäßig nur dann, wenn das Kind außerhalb des Elternhauses, d.h. getrennt von seinen Eltern, untergebracht wird (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). E. ist aber gemeinsam mit seiner Mutter zunächst im Haus S. und dann in einer eigenen Wohnung untergebracht und betreut worden. In einem solchen Fall ist die Übernahme der Unterbringungskosten für das Kind im Rahmen der Hilfe zur Erziehung im Gesetz grundsätzlich nicht vorgesehen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt nur dann in Betracht, wenn das Kind gemeinsam mit einem Elternteil außerhalb des Elternhauses untergebracht ist und die Voraussetzung des § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht vorliegt, wenn also der Elternteil einer Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes nicht auf Grund seiner Persönlichkeitsentwicklung, sondern auf Grund anderer Umstände bedarf.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.12.2002 - 5 C 48.01 -, FEVS 54, S. 311 (317) betreffend Mutter-und-Kind-Einrichtungen des Strafvollzugs.
Auch die von der Beklagten angeführten Entscheidungen des Hess.VGH, Beschluss vom 12.12.2000 - 1 TG 3694/00 -, FEVS 52, S. 462, und des VG Hamburg, Urteil vom 18.12.2001 - 13 VG 569/01 -, ZfJ 2002, S. 241, wonach die gemeinsame Unterbringung eines Kindes mit seinen (drogenkranken) Eltern in einer Therapieeinrichtung als eine - im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte - Form der Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 39 SGB VIII eingestuft wird, betreffen Sachverhalte, in denen eine wesentliche Voraussetzung des § 19 SGB VIII, nämlich die alleinige Sorge eines Elternteils für das Kind, nicht vorgelegen hat.
Abzulehnen ist schließlich die vom VG befürwortete Konzeption, wonach hinsichtlich der Unterbringung und Betreuung der T. zwei jugendhilferechtliche Ansprüche nebeneinander bestehen, nämlich der Anspruch ihrer Mutter nach §§ 27, 34 SGB VIII (bzw. nach Erreichen der Volljährigkeit ein eigener Anspruch aus § 41 SGB VIII) und der ihr, T., zustehende Anspruch gemäß § 19 SGB VIII. Sie ist nicht mit dem Grundsatz zu vereinbaren, dass ein bestimmter Hilfebedarf einer konkreten Hilfeart zugeordnet werden muss. Hinsichtlich der Rechtsgrundlage für die Hilfegewährung besteht kein Wahlrecht des Jugendhilfeträgers; vielmehr muss das Verhältnis konkurrierender Rechtsgrundlagen zueinander eindeutig geklärt werden.
Vgl. dazu auch Jans/Happe/Saurbier/Maas, a.a.O., KJHG § 19 Rn. 38 ff.
(3) Der Anspruch der T. auf Übernahme der Unterbringungs- und Betreuungskosten für sich und ihr Kind nach § 19 SGB VIII richtet sich für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum gegen die Beklagte. Das folgt aus der bereits zitierten Vorschrift des § 86b Abs. 3 SGB VIII, weil der Leistung nach § 19 SGB VIII Hilfe zur Erziehung für T. nach §§ 27, 34 SGB VIII vorausgegangen ist, für die bei Beginn der Betreuung in einer gemeinsamen Wohnform die Beklagte gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständig war. Diese Zuständigkeit der Beklagten ist durch den Umzug von T.'s Mutter am 1.12.1997 nicht berührt worden. Denn die Hilfe, die zunächst die Beklagte und sodann die Stadt Q. für T. geleistet hat, ist aus den oben dargelegten Gründen rechtlich als Leistung nach § 19 SGB VIII zu qualifizieren, auch wenn die Beklagte und die Stadt Q. sie anders deklariert haben. Insoweit handelt es sich um eine unzutreffende Rechtsauffassung, die an der gesetzlich vorgegebenen Zuordnung nichts zu ändern vermag. Sind aber Leistungen nach § 19 SGB VIII gewährt worden, so bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nicht nach § 86, sondern nach § 86b SGB VIII, hier nach dessen Absatz 3.
bb) Die weiteren Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB I für eine vorläufige Leistungserbringung durch den Kläger sind ebenfalls erfüllt. Zwischen ihm und der Beklagten war und ist streitig, wer zur Leistung für E. verpflichtet ist.
Außerdem ist der Kläger zuerst angegangen worden. Zuerst angegangen im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB I ist der Leistungsträger, der von dem Berechtigten oder seinem Vertreter mündlich oder schriftlich zuerst mit dem Leistungsbegehren befasst wird.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.1992 - 5 C 33.90 -, BVerwGE 91, S. 177 (179).
Das ist der Kläger, bei dem der Amtsvormund des Kindes E. am 20.11.1997 Jugendhilfe in Form von Übernahme der Heimkosten und Sicherstellung des Krankenversicherungsschutzes beantragt hat. Zwar war das Kind bzw. dessen Amtsvormund nicht Berechtigter hinsichtlich der Leistung nach § 19 SGB VIII. Vielmehr steht dieser Anspruch der Kindesmutter T. zu, die seinerzeit bereits handlungsfähig gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB I war. War nach den Umständen die Kindesmutter einverstanden mit der Unterbringung ihres Kindes zusammen mit ihr ab dem 13.9.1997 im Haus S., so bestehen - auch im Hinblick auf § 1673 Abs. 2 BGB, für dessen Nichtbeachtung durch den Amtsvormund nichts spricht - keine Zweifel, dass dieser den Antrag beim Kläger im Einverständnis mit T. gestellt hat.
2. § 102 SGB X setzt weiter voraus, dass der vorläufig eintretende Sozialleistungsträger erkennbar in der Vorstellung gehandelt hat, dass er für die Gewährung der Sozialleistung unzuständig ist, lediglich auf Grund besonderer Verpflichtung eintritt und dass seine vorläufige Leistungserbringung den bestehenden Anspruch des Leistungsberechtigten gegen den verpflichteten Leistungsträger nicht regelt.
Vgl. Giese, in Giese/Krahmer, SGB X (Stand: 11/2000), § 102 Rn. 9.
Auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Dass der Kläger in der Vorstellung gehandelt hat, für die Gewährung von Jugendhilfe für E. unzuständig zu sein, und dass er die Unterbringungskosten nur vorläufig übernommen hat, war auf Grund des von Anfang an mit der Beklagten ausgetragenen Streits über die richtige Hilfeart und die daraus resultierenden unterschiedlichen Zuständigkeiten mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen. Da der Zuständigkeitsstreit bei lebensnaher Betrachtung weder der Leistungsberechtigten T. noch dem Einrichtungsträger verborgen geblieben sein wird, bedurfte es auch keines ausdrücklichen Hinweises auf die Vorläufigkeit der Kostenübernahme in der Kostenzusage an das I.-Haus vom 12.1.1998.
3. Die Beklagte ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger. Sie ist - wie oben dargelegt - nach §§ 19, 86b Abs. 3 SGB VIII verpflichtet, die Kosten der Unterbringung und Betreuung von E. im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum zu übernehmen.
Ende der Entscheidung
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