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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 07.11.2003
Aktenzeichen: 12 A 3187/01
Rechtsgebiete: BSHG, SGB I, BGB


Vorschriften:

BSHG § 107
SGB I § 30
SGB I § 30 Abs. 3 Satz 2
BGB § 291
1. Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts i.S.v. § 107 BSHG steht eine schon bei Beginn des Aufenthalts bestehende Absicht des Betroffenen, demnächst in eine andere Gemeinde umzuziehen, nicht entgegen, wenn der Zeitpunkt des Umzugs nicht gewiss war und sich der Aufenthalt auf Grund einer längeren Dauer (hier 2 1/2 Monate) und sonstiger Umstände in einer solchen Weise verfestigt hat, dass der Betroffene am Aufenthaltsort seinen Lebensmittelpunkt hatte.

2. Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Prozesszinsen in einem mit dem Ziel geführten Rechtsstreit, eine Feststellung über das Bestehen eines Kostenerstattungsanspruchs dem Grunde nach herbeizuführen.


Tatbestand:

Die Klägerin, die Stadt B., begehrte vom Beklagten die Erstattung von Kosten der Sozialhilfe, die sie für Frau L. und deren minderjährige Tochter T. in näher bestimmten Zeiträumen nach dem 1.10.1996 aufgewandt hatte.

Die Hilfeempfängerinnen reisten nach eigenen Angaben im März 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie wurden durch Bescheid vom 18.6.1996 als Asylberechtigte anerkannt. Nachdem sie eine bis zum 7.8.1996 befristete Aufenthaltsgestattung erhalten hatten, wurden sie durch Bescheid der Bezirksregierung B. vom 2.7.1996 der Gemeinde O. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten zugewiesen. Bei ihrer erstmaligen Vorsprache im Sozialamt der Gemeinde am 9.7.1996 erklärte Frau L. unter anderem, dass sie nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides über ihre Asylberechtigung versuchen wollten, eine Wohnung in B. zu finden, weil dort ein Cousin von ihr lebe.

Das Sozialamt der Gemeinde O. brachte die Hilfeempfängerinnen in einer 35 qm großen Wohnung in einem Übergangsheim für Asylbewerber unter, die aus Wohnraum, Küche und Bad bestand und mit Küchen- und Badeeinrichtung sowie einem Stahlschrank und zwei Betten ausgestattet war. Außerdem bewilligte es ihnen mit Wirkung vom 9.7.1996 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt sowie einmalige Leistungen in Form von Matratzen, Bettwäsche und einem Warengutschein für Hausrat im Werte von 100,-- DM.

Am 31.7.1996 erhielt das Sozialamt vom Beklagten die Mitteilung, dass der Bescheid über die Asylberechtigung der Hilfeempfänger am 10.7.1996 bestandskräftig geworden sei.

Nachdem ein von Frau L. am 26.9.1996 abgeschlossener Vertrag über die Anmietung einer Wohnung in B. zu den Akten gelangt war, stellte das Sozialamt der Gemeinde O. die Sozialhilfeleistungen zum 1.10.1996 ein.

Am 30.9.1996 zogen die Hilfeempfängerinnen von O. nach B. und erhielten von der Klägerin ab 1.10.1996 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe zur Krankheit. In dem zu Grunde liegenden Antrag auf Bewilligung von Sozialhilfeleistungen gaben die Hilfeempfänger als Grund für ihren Umzug "Zuzug zu Verwandten" an.

Nachdem die Beteiligten sich nicht darüber verständigen konnten, ob die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach Umzug gemäß § 107 BSHG vorgelegen haben, erhob die Klägerin gegen den Beklagten als örtlichen Träger der Sozialhilfe Klage und beantragte die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, die den Hilfeempfängern für die Zeit vom 1.10.1996 bis zum 30.9.1998 bewilligte Sozialhilfe zu erstatten. Die Klage wurde vom VG abgewiesen, hatte jedoch in II. Instanz mit dem erstinstanzlichen Klagebegehren Erfolg. Die weitergehende Berufung der Klägerin mit dem Begehren, den Erstattungsbetrag ab 4 % ab Rechtshängigkeit zu verzinsen, wies das OVG zurück.

Gründe:

Die Klage ist, soweit sie den Hauptanspruch zum Gegenstand hat, auch begründet, denn der Klägerin steht der von ihr geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch gemäß § 107 BSHG dem Grunde nach zu. Streitig ist zwischen den Parteien allein die Frage, ob die Hilfeempfängerinnen vor ihrem Umzug in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin an ihrem vorherigen Wohnort im Zuständigkeitsbereich des Beklagten einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatten. Diese Frage ist entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung zu bejahen.

Wie schon das VG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG ausgeführt hat, ist mangels einer näheren Regelung im Bundessozialhilfegesetz zur Bestimmung des Rechtsbegriffs des gewöhnlichen Aufenthalts gemäß § 37 Satz 1 SGB I die Legaldefinition in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I heranzuziehen, mit der Maßgabe, dass der unbestimmte Rechtsbegriff unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowie Regelungsgehalt der jeweiligen Norm auszulegen ist. Auf dieser Grundlage hat das VG im Zusammenhang mit § 107 BSHG zutreffend dargelegt, dass zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich ist, es vielmehr genügt, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf Weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat.

Vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 27/99 - FEVS 51, 546 (548), sowie das Urteil des erkennenden Senats vom 12.9.2002 - 12 A 4625/99 - NDV-RD 2003, 21, jeweils m.w.N.

Diese Voraussetzungen sind bei dem Aufenthalt der Hilfeempfängerinnen in der Gemeinde O. erfüllt.

Dieser Aufenthalt ist als zukunftsoffen zu bewerten. Die Hilfeempfängerinnen waren zwar - wie im angefochtenen Urteil dargelegt - jedenfalls nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides über die Anerkennung ihrer Asylberechtigung nicht gehindert, ihren auf die Zuweisung durch die Bezirksregierung B. zurückzuführenden Aufenthalt in O. zu beenden und nach B. überzusiedeln, wie dies die Hilfeempfängerin L. nach ihrem Bekunden gegenüber dem Sozialamt der Gemeinde O. von Anfang an anstrebte. Ihr auf eine Veränderung des Aufenthaltsortes gerichteter Wille war jedoch im Ergebnis nicht maßgebend, weil seiner Verwirklichung objektive Umstände entgegenstanden. Diese lassen den Aufenthalt der Hilfeempfängerinnen in O. nicht als einen nur vorübergehenden erscheinen. Insbesondere handelte es sich nicht um einen von vornherein kurz befristeten oder zeitlich unbedeutenden Aufenthalt auf der Durchreise oder zu Besuchszwecken.

Vgl. auch in diesem Zusammenhang OVG NRW, Urteil vom 12.9.2002, a.a.O.

Ein Zeitpunkt für die von den Hilfeempfängerinnen beabsichtigte Übersiedelung nach B. stand nicht fest und war auch nicht hinreichend verlässlich zu bestimmen. Ein alsbaldiger Erfolg der Suche nach einer Wohnung in B., die dem sozialhilferechtlichen Bedarf der Hilfeempfängerinnen entsprach und ihnen auch tatsächlich zur Verfügung stand, war nicht gewiss. Die Bemühungen um eine Wohnung konnten vielmehr - wie die tatsächliche Entwicklung gezeigt hat - einen nicht unerheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen, so dass die Dauer des Aufenthalts der Hilfeempfängerinnen in O. sich als offen darstellte.

Dieser Aufenthalt hatte sich nicht zuletzt auf Grund der Dauer von mehr als 2 1/2 Monaten, vgl. hierzu Sächs. OVG, Beschluss vom 22.9.1999 - 1 S 761/98 - FEVS 52, 112, und OVG Rh.-P., Urteil vom 25.7.2003 - 12 A 10656/03 - ZFSH/SGB 2003, 538, aber auch in Anbetracht der sonstigen Umstände in einer solchen Weise verfestigt, dass die Hilfeempfängerinnen ungeachtet der von Anfang an bekundeten Absicht, nach B. umzuziehen, in O. ihren Lebensmittelpunkt hatten. Sie waren nicht nur durch die von ihnen auf mietvertraglicher Grundlage bewohnte Wohnung in einem Übergangsheim der Gemeinde O. und die auf Grund des Bezugs von Hilfe zum Lebensunterhalt begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten weitgehend an einen Aufenthalt in O. gebunden. Sie gestalteten ihr Leben auch absichtsvoll im Bereich dieser Gemeinde. Dies wird dadurch deutlich, dass die Hilfeempfängerin L. ihre Tochter T. in den Kindergarten "N." in O. gegeben und diese in der Zeit vom 16.8. bis 27.9.1996 mit Ausnahme eines entschuldigten Fehlens vom 23. bis zum 26.9.1996 den Kindergarten regelmäßig besucht hat. Demgegenüber fällt nicht entscheidend ins Gewicht, dass die Hilfeempfängerinnen während ihres Aufenthalts in O. in einem Übergangsheim wohnten und Frau L. ausweislich einer von der Klägerin vorgelegten Verhandlungsniederschrift vom 25.7.2001 erklärt hat, sie habe von der Anmietung einer (anderen) Wohnung in O. Abstand genommen und auf einen baldigen Umzug nach B. gehofft. Dies ändert nämlich nichts daran, dass die Hilfeempfängerinnen - wenn auch unter bescheidenen Wohnverhältnissen - zeitweilig ihren Lebensmittelpunkt in O. hatten. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, wie sich dies aus der Sicht des Sozialamtes der Gemeinde O. darstellte und ob die den Hilfeempfängerinnen vor Bekanntwerden der Bestandskraft des Bescheides über die Anerkennung der Asylberechtigung gewährten Hilfeleistungen in Form von Warengutscheinen und Sachleistungen in allem den gesetzlichen Ansprüchen gerecht wurden.

Entgegen der vom VG vertretenen Auffassung kommt auch der Regelung des § 10a Abs. 3 Satz 2 AsylbLG zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes im vorliegenden Fall keine Bedeutung zu. Das ergibt sich schon daraus, dass der Begriff - wie bereits erwähnt - unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowie Regelungsgehalt der jeweiligen Norm auszulegen ist und das Asylbewerberleistungsgesetz mit seinen Sonderregelungen auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht anzuwenden ist.

Schließlich lässt sich aus Sinn und Zweck des § 107 BSHG nichts gegen eine Kostenerstattungspflicht des Beklagten, als dem für den "bisherigen" Aufenthalt der Hilfeempfängerinnen zuständigen Träger der Sozialhilfe herleiten. Wenn - wie im vorliegenden Fall - die im Gesetz genannten Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind, ist die Kostenerstattungspflicht nicht im Weiteren von den näheren Umständen des Aufenthalts der Hilfeempfängerinnen am bisherigen Aufenthaltsort und ihren gegenüber dem dortigen Sozialamt abgegebenen Erklärungen abhängig. Sie steht auch nicht unter dem Vorbehalt, dass die Dauer des Aufenthalts am bisherigen Aufenthaltsort in einem bestimmten Verhältnis zu dem Zeitraum steht, für den das Gesetz eine Kostenerstattungspflicht begründet.

Hinsichtlich des Zinsanspruchs der Klägerin ist die Berufung hingegen unbegründet.

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zinsen ab Rechtshängigkeit der Streitsache (vgl. § 90 VwGO), der aus § 291 BGB in sinngemäßer Anwendung herzuleiten wäre, sind nicht erfüllt. Bei einer Feststellungsklage, die - wie im vorliegenden Fall - eine dem Grunde nach streitige Geldschuld zum Gegenstand hat, besteht eine Prozesszinspflicht allenfalls dann, wenn die Höhe der Geldschuld, sofern sie - wie hier - nicht rechtsverbindlich feststeht, unstreitig ist. Da der Zinsanspruch von der Höhe der Geldschuld abhängt und deren Höhe durch eine Feststellung allein über den Anspruchsgrund nicht geklärt wird, kann die Prozesssituation eine Zuerkennung von Prozesszinsen nach § 291 BGB nämlich nur dann rechtfertigen, wenn die Höhe der Geldschuld außer Streit steht. Vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 22.2.2001 - 5 C 34.00 - FEVS 52, 433, m.w.N.

Hier lässt sich jedoch nicht feststellen, dass der dem Grunde nach streitige Kostenerstattungsanspruch der Höhe nach unstreitig ist. Die Klägerin hat diesen Anspruch erstmals durch die ihrem Schriftsatz vom 20.12.2001 beigefügten Kostenaufstellungen mit Ausnahme der darin nicht aufgeführten Krankenhilfekosten, die nach ihrem Vorbringen noch nicht beziffert werden konnten, konkretisiert. Der sich daraus ergebende Teilbetrag des Kostenerstattungsanspruchs ist entgegen der Auffassung der Klägerin durch die schriftsätzliche Stellungnahme des Beklagten vom 31.1.2002 nicht unstreitig geworden. Darin hat der Beklagte vielmehr Vorbehalte gegen eine nur anteilige Berücksichtigung von Einkommen der Mutter bzw. des Vaters bei der Hilfeempfängerin L. angemeldet. Denn er hat ausgeführt, nach den Angaben der Klägerin sei anzunehmen, dass weitere unterhaltspflichtige Kinder vorhanden seien; ihm sei nicht bekannt, dass Frau L. weitere Kinder oder sonstige gleichrangige Unterhaltsverpflichtungen habe. Bei dieser Sachlage rechtfertigt die sich daran anschließende Erklärung, "im Übrigen" gehe er davon aus, dass die Klägerin die Sozialhilfe zutreffend ermittelt habe, nicht die Feststellung, er habe die Forderung in Höhe eines bestimmten Betrages anerkennen und sich eine nähere Prüfung nicht mehr vorbehalten wollen. Entsprechendes gilt für den Sachstand bei Abschluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, in deren Verlauf die Vertreterin der Klägerin erklärt hat, eine Vervollständigung der vorgelegten Kostenaufstellungen sei nicht möglich gewesen, weil die Unterlagen über die erbrachten Leistungen nicht verfügbar seien.

Ende der Entscheidung

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