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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 12.09.2002
Aktenzeichen: 12 A 4352/01
Rechtsgebiete: SGB VIII 1993


Vorschriften:

SGB VIII 1993 § 27
SGB VIII 1993 § 33
SGB VIII 1993 § 89 a
SGB VIII 1993 § 89 f
Die Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII setzt zumindest das Einverständnis des Personensorgeberechtigten voraus.

Aus der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt folgt nicht, dass dessen Wille zur Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII das fehlende Einverständnis des Personensorgeberechtigten mit der Vollzeitpflege seines Kindes in einer anderen Familie ersetzt (wie BVerwG, Urteil vom 21. 6. 2001 - 5 C 6.00 -).

Ob die jugendhilferechtlichen Maßnahmen, die zu den streitbefangenen Kosten geführt haben, rechtmäßig waren, unterliegt auch im Erstattungsstreit grundsätzlich der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle.

Eine Zurücknahme gerichtlicher Kontrolle könnte nur anzunehmen sein, wenn der tätig gewordene Jugendhilfeträger auf Grund einer rechtskräftig gewordenen verwaltungsgerichtlichen Verurteilung oder im Einklang mit einer bestimmten, erst nach Abwicklung des Jugendhilfefalles aufgegebenen höchstrichterlichen Rechtsprechung gehandelt hat oder wenn die zur Erstattung angemeldeten Kosten nicht im untrennbaren Zusammenhang mit der Rechtswidrigkeit der gewählten Verfahrensweise stehen, weil rechtmäßiges Handeln ohne Weiteres ebenfalls zu diesen Kosten geführt hätte.


Tatbestand:

Die Klägerin begehrte von dem Beklagten Kostenerstattung für Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, die sie für M. im Zeitraum vom 31. 8. 1995 bis 8. 12. 1998 gewährt hatte. Der am 1983 nicht ehelich geborene M. lebte bis zum 21. 1. 1992 im Haushalt seiner für ihn allein sorgeberechtigten Mutter, Frau C., in D. Sein Vater hatte die Vaterschaft anerkannt und lebt in E. Am 22. 1. 1992 wurde Frau C. zur Alkoholentgiftung in ein Krankenhaus eingewiesen. Daraufhin brachte die Klägerin M. in eine Bereitschaftspflegefamilie in D. unter. Nach ihrer Entlassung aus der Klinik erklärte Frau C. gegenüber der Klägerin, sie sei mit der Fremdunterbringung ihres Sohnes nicht einverstanden und möchte ihn umgehend wieder in ihren Haushalt aufnehmen. Daraufhin regte die Klägerin gegenüber dem Amtsgericht D. an, Frau C. das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen und es auf das Jugendamt als Pfleger zu übertragen. Im daraufhin anberaumten Termin erklärte sich Frau C. zunächst damit einverstanden, dass M. nicht bei ihr sei. Am 23. 3. 1992 unterzeichnete Frau C. einen Antragsvordruck, mit dem sie das Jugendamt u.a. bat, einen geeigneten Unterbringungsplatz für ihren Sohn zu benennen. In der Folgezeit beharrte sie jedoch darauf, dass M. wieder in ihren Haushalt zurückgeführt wird. Nachdem es bei Besuchsaufenthalten des M. bei seiner Mutter u.a. wegen ihres Alkoholkonsums zu erheblichen Problemen gekommen war, ordnete das Amtsgericht D. zunächst den einstweiligen Verbleib des M. bei den Pflegeeltern an und übertrug später das Aufenthaltsbestimmungsrecht für M. dem Jugendamt der Klägerin als Pfleger. Am 31. 8. 1995 verzog Frau C. in den Bereich des Beklagten. Den Antrag der Klägerin auf Kostenerstattung lehnte er ab, da die Hilfegewährung nicht rechtmäßig erfolgt sei. Es sei nicht ersichtlich, dass die Kindesmutter einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung gestellt habe. Vielmehr habe sie immer wieder darauf gedrängt, M. zu sich zu nehmen. Da im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren nicht zusätzlich das Antragsrecht nach §§ 27 ff SGB VIII der Klägerin übertragen worden sei, habe diese die Familienvollzeitpflege ohne Antrag der Personensorgeberechtigten geleistet.

Das VG verurteilte den Beklagten antragsgemäß zur Kostenerstattung. Dessen Berufung hatte Erfolg.

Gründe:

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII in der jeweils für den Zeitraum geltenden Fassung, auf den sich die Erstattungsforderung bezieht, mithin in der bis zum 31. 12. 1995 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 3. 5. 1993, BGBl. I S. 637 (SGB VIII 1993) hinsichtlich der von der Klägerin im Zeitraum vom 31. 8. 1995 bis zum 31.12.1995 erbrachten Leistungen und in der seit dem 1. 1. 1996 geltenden Fassung vom 15. 12. 1995, BGBl. I S. 1775 (SGB VIII 1996) hinsichtlich der in der Zeit vom 1. 1. 1996 bis zum 8. 12. 1998 erbrachten Leistungen.

I. Der Kostenerstattungstatbestand des § 89 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII 1993 bzw. 1996 liegt vor. (Wird ausgeführt).

II. Dem Kostenerstattungsanspruch steht indessen § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (in der seit dem 1. 4. 1993 - unverändert - geltenden Fassung 1993) entgegen. Die Erstattungspflicht besteht danach nur, soweit die zugrundeliegende Maßnahme den materiell-rechtlichen Vorschriften entspricht. Im Übrigen besteht kein Kostenerstattungsanspruch des tätig gewordenen Trägers (vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. 8. 1998 - 16 A 3477/97 -, NWVBl. 1999, 144, 145 f.; Wiesner, in: Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, 2. Auflage 2000, § 89 f Rdnr. 4).

1. Die Gewährung der Kinder- und Jugendhilfeleistungen in Form der Hilfe zur Erziehung sowie ergänzender Leistungen (§§ 27, 33 ff SGB VIII, jeweils in der seit dem 1. 4. 1993 geltenden Fassung 1993) für M. erweist sich als rechtswidrig.

a. Die Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII 1993 erfolgt nur dann rechtmäßig, wenn der Personensorgeberechtigte die Hilfegewährung beantragt oder jedenfalls mit ihr einverstanden ist. Der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII - einschließlich des Anspruchs auf diese Hilfe ergänzende Leistungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. 9. 1996 - 5 C 31.95 -, FEVS 47, 433, 435) - steht nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 27 Abs. 1 SGB VIII 1993 dem Personensorgeberechtigten zu (vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.4.2001 - 12 A 924/99 -, FEVS 53, 251, 252 f; Beschluss vom 17. 5. 2001 - 12 E 460/00 -), also in der Regel den Eltern oder einem Elternteil (vgl. § 1626 BGB). Der Anspruch besteht, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Zu den gemäß § 27 Abs. 2 SGB VIII 1993 zu gewährenden Hilfen zählt auch die Vollzeitpflege gemäß § 33 Satz 1 SGB VIII 1993 in einer anderen Familie. In den Formulierungen des § 27 Abs. 1 SGB VIII 1993 kommt zum Ausdruck, dass es sich bei der Hilfe zur Erziehung um eine die elterliche Erziehung ergänzende und unterstützende Hilfe handelt. Damit orientiert sich die Regelung daran, dass Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, § 1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) und basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und Zusammenarbeit. Entgegen früherer Regelungen ist ein orginär öffentliches Erziehungsrecht im Kinder- und Jugendhilferecht nicht mehr vorgesehen. Eine Befugnis zu staatlichen Eingriffen in die Erziehungsverantwortung der Eltern besteht - abgesehen von den Fällen der §§ 42, 43 SGB VIII - nur in den Fällen, in denen zur Abwehr konkreter Gefährdungen des Kindeswohls Maßnahmen nach § 1666 BGB erforderlich sind. Unterhalb dieser Schwelle leitet sich die Legitimation zu Erziehungsleistungen daher ausschließlich von den Willenserklärungen des Personensorgeberechtigten ab (vgl. Stähr, in: Hauck/ Haines, SGB VIII, 27. Lfg., Stand April 2002, K § 27 Rdnr. 5; Schellhorn in Schellhorn, in: SGB VIII/KJHG, 2. Aufl. 2000, § 27 Rdnrn. 2, 15, 16, 18, 19; Wiesner, a.a.O., Vor § 27 Rdnr. 21, § 27 Rdnrn. 3, 4; Münder u.a., Frankfurter Lehr- und Praxiskommentar zum SGB VIII/KJHG, 3. Aufl. 1999, § 27 Rdnrn. 10, 17, 22; Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 22. Lfg., Stand: November 2001, KJHG Art. 1, Vorbem. §§ 27-35; Rdnr. 27; Steffan, in: Lehr- und Praxiskommentar, - SGB VIII, § 1 Rdnrn. 11 f). Die Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII setzt deshalb zumindest das Einverständnis des Personensorgeberechtigten voraus (vgl. Schellhorn, a.a.O., § 27 Rdnr. 16; Stähr, a.a.O., K § 27 Rdnr. 17; Kunkel, in: Lehr- und Praxiskommentar - SGB VIII, § 27 Rdnr. 1; Jans/Happe/Saurbier/Maas, a.a.O., Erl. Art. 1 § 27 Rdnrn. 23, 24; Menzel/ Ziegler, Jugendhilferecht, Rdnr. 91). Ein solches Einverständnis dürfte auch dem Antragserfordernis im Jugendhilferecht genügen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.9.2000 - 5 C 29.99 -, FEVS 52, 532).

b. Das nach dem Vorstehenden erforderliche Einverständnis der Frau C. mit der von der Klägerin im Zeitraum vom 31. 8. 1995 bis 8. 12. 1998 gewährten Hilfe zur Erziehung liegt nicht vor. Es kann offen bleiben, ob in dem von Frau C. am 23.3.1992 unterzeichneten Formular ein Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung, insbesondere in Form der Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII 1993), gesehen werden kann. Da sie sich in der Folgezeit wiederholt mit der Unter-bringung ihres Sohnes bei den Pflegeeltern nicht einverstanden erklärt, vielmehr auf seine Rückkehr in ihren Haushalt bestanden hat, hat sie ein möglicherweise ursprünglich gegebenes Einverständnis mit seiner Fremdunterbringung jedenfalls nicht weiter aufrecht erhalten.

c. Das Einverständnis der Frau C. mit der gewährten Hilfe zur Erziehung im streitgegenständlichen Zeitraum war nicht dadurch entbehrlich, dass das AG D. Frau C. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren Sohn entzogen und dem Jugendamt der Klägerin als Pfleger übertragen hat. Aus der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt folgt nicht, dass dessen Wille zur Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII 1993 das fehlende Einverständnis des Personensorgeberechtigten mit der Vollzeitpflege seines Kindes in einer anderen Familie ersetzt. Das Recht zur Bestimmung des Aufenthalts eines Kindes nach § 1631 Abs. 1 BGB ist Teil der alle persönlichen Angelegenheiten des Kindes umfassenden Personensorge (vgl. § 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB). Es betrifft die Wahl von Wohnort und Wohnung des Kindes (vgl. Palandt-Diederichsen, BGB, 60. Aufl. 2002, § 1631 Rdnr. 8; Hinz, in Münchener Kommentar, BGB, Band 5, 2. Halbband, Familienrecht, 2. Aufl. 1987, § 1631 Rdnr. 18). Neben diesem Recht umfasst die Personensorge nach § 1631 Abs. 1 BGB insbesondere das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen und zu beaufsichtigen. Auch wenn das Recht zur Bestimmung des Kindesaufenthalts weiterhin die notwendige Voraussetzung für die - tatsächliche - Wahrnehmung von Pflege und Erziehung und der Beaufsichtigung darstellt (vgl. Hinz a.a.O.), sind die zuletzt genannten Bereiche nicht als bloßer Annex des Aufenthaltsbestimmungsrechts anzusehen (so aber: OVG Rh.-Pf., Urteil vom 13. 4. 2000 - 12 A 11123/99 -, FamRZ 2001, 1184; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.2.1996 - 25 Wx 63/95 -, FamRZ 1997, 105; LG Darmstadt, Beschluss vom 16. 2. 1995 - 5 T 1414/94 -, FamRZ 1995, 1435, 1436; Schellhorn, a.a.O., § 27 Rdnr. 15). Vielmehr ändert der in tatsächlicher Hinsicht bestehende Zusammenhang zwischen den in § 1631 Abs. 1 BGB genannten Bestandteilen der Personensorge nichts daran, dass es rechtlich betrachtet jeweils Teilbereiche der Personensorge und damit voneinander zu trennende Bestandteile sind. Dabei ist zu beachten, dass die in § 1631 Abs. 1 BGB nicht abschließend umschriebene ("insbesondere") Personensorge inhaltlich auch durch Regelungen des Kinder- und Jugendhilferechts bestimmt wird (vgl. hierzu: Fricke, ZfJ 1993, 284, 285, 287; Palandt-Diederichsen, a.a.O., Einf. vor § 1626, Rdnr. 17 ff). So wird das elterliche Erziehungsrecht nach § 1631 Abs. 1 BGB insbesondere durch das Recht auf Beteiligung an der Ausgestaltung der Hilfe zur Erziehung nach §§ 36, 37 SGB VIII konkretisiert (vgl. Wiesner, a.a.O., § 36 Rdnr. 13; Fricke, a.a.O., 287). Die differenzierte Ausgestaltung der Personensorge durch privatrechtliche Regelungen einerseits und öffentlich-rechtliche Normen andererseits zeigt, dass im Fall der Übertragung allein des Aufenthaltsbestimmungsrechts dem Aufenthaltspfleger lediglich die privatrechtliche Befugnis zukommt, Wohnort und Wohnung des Kindes zu bestimmen, die Befugnis etwa zur Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Rechte und Pflichten der Personensorge davon aber nicht umfasst ist (vgl. DV, Gutachten vom 26. 4. 1994 - G 100/92 -, NDV 1995, 168, 169; Fricke, a.a.O.; Jans/Happe/Saurbier/Maas, a.a.O., Art. 1 KJHG, Erl. § 89 f Rdnr. 19, m.w.N.; VG Arnsberg, Urteil vom 23. 10. 1995 - 11 K 3211/94 -, FamRZ 1997, 1373, 1374). Vielmehr verbleibt insbesondere das Recht, Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff SGB VIII in Anspruch zu nehmen, bei dem Erziehungsverantwortlichen. Soll auch dieses Recht übergehen, ist es erforderlich, eine Entscheidung des Familiengerichts über die Entziehung und Übertragung der Erziehungsverantwortung herbeizuführen. Ist dem Sorgeberechtigten das Recht auf Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung nicht entzogen worden, so ist die Gewährung von Jugendhilfe gegen seinen erklärten Willen rechtswidrig und verletzt das Elternrecht i.S.d. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. 6. 2001, a.a.O.).

2. Für die Anwendung des § 89 f Abs. 1 Satz 2 SGB VIII 1993 ist es unerheblich, dass die Auffassung der Klägerin, die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt allein reiche aus, um seine Befugnis zur Hilfegewährung nach §§ 27, 33 SGB VIII 1993 zu begründen, teilweise auch in Rechtsprechung und Rechtslehre vertreten wird (vgl. hierzu die oben angeführten Nachweise), und erst das Urteil des BVerwG vom 21.6.2001 - 5 C 6.00 - (a.a.O.) insoweit eine höchstrichterliche Klärung herbeigeführt hat. Ob die jugendhilferechtlichen Maßnahmen, die zu den streitbefangenen Kosten geführt haben, rechtmäßig waren, unterliegt auch im Erstattungsstreit grundsätzlich der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Steht die Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns in Frage, haben die Gerichte dieses Handeln in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht grundsätzlich vollständig nachzuprüfen, ohne an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Wertungen gebunden zu sein. Nur wenn den jeweiligen Rechtsvorschriften die Einräumung eines gerichtlich nur beschränkt kontrollierbaren Entscheidungsspielraums ihrer Art und ihrem Umfang nach zumindest konkludent entnommen werden kann, hat das Gericht die Prüfungsdichte zu reduzieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.12.1995 - 3 C 24.94 -, BVerwGE 100, 221, 225; BVerfG, Beschluss vom 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 und 213/83 -, BVerfGE 84, 34, 50f). Dieser für das Verhältnis Bürger - Staat aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende Grundsatz beansprucht auch Geltung, wenn, wie im Fall des § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, die Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns gegenüber einem Bürger in einem Rechtsstreit zwischen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern zu prüfen ist, ohne dass sich in dieser Vorschrift oder im Zusammenhang stehenden Regelungen zumindest Anhaltspunkte für eine eingeschränkte gerichtliche Prüfung finden. § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII selbst gibt keinen irgendwie gearteten Hinweis auf eine eingeschränkte Rechtmäßigkeitsprüfung. Ein Anhaltspunkt für einen unter bestimmten Voraussetzungen zu akzeptierenden Vorrang der Auslegung, die der Kostenerstattung begehrende Jugendhilfeträger einer Vorschrift im Jugendhilfefall gegeben hat, ist nicht aus § 89 f Abs. 1 Satz 2 SGB VIII 1993 herzuleiten, wonach hinsichtlich der Frage, ob die Erfüllung der Aufgaben i.S. des Satzes 1 den Vorschriften des SGB VIII entspricht, die Grundsätze gelten, die im Bereich des tätig gewordenen Trägers zur Zeit des Tätigwerdens angewandt werden. Diese Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass Gegenstand von Kostenerstattungsbegehren Leistungen sein können, die einem Ermessens- oder Beurteilungsspielraum des Hilfe gewährenden Trägers der Jugendhilfe unterliegen, und deshalb im Erstattungsverfahren zwischen den beteiligten Trägern möglicherweise unterschiedliche Auffassungen etwa über die Erforderlichkeit und Höhe der aufgewendeten Kosten entstehen. Für derartige Meinungsverschiedenheiten enthält die Regelung einen Orientierungsrahmen, indem die für den leistenden Träger für die Ausübung seines Ermessens bzw. die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe geltenden Richtlinien, Dienstanweisungen oder Vereinbarungen mit Dritten als ausschlaggebend bestimmt werden. Der erstattungspflichtige Träger kann sich daher nicht etwa darauf berufen, in seinem Bereich bestünden andere Bestimmungen oder er halte eine andere Handhabung von Ermessensvorschriften für zweckmäßig (vgl. Stähr, a.a.O., K § 89 f Rdnr. 1, 4; Wiesner, a.a.O., § 89 f Rdnr. 8; Jans/Happe/ Saurbier/Maas, a.a.O., Erl. § 89 f Rdnr. 4; zur vergleichbaren Vorschrift des § 111 Abs. 1 Satz 2 BSHG: Mergler/Zink, Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, 31. Lfg., Stand Januar 2002, § 111 Rdnrn. 5, 10; Schoch, in: Lehr- und Praxiskommentar - BSHG, 5. Aufl. 1998, § 111 Rdnr. 15; Gottschick/Giese, Das Bundessozialhilfegesetz, 9. Aufl. 1985, § 111 Rdnr. 2). Auch die Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander geben keinen Anhaltspunkt für eine eingeschränkte gerichtliche Prüfung. Ob sich der allgemein im öffentlichen Recht und speziell auch für das Verhältnis der Leistungsträger untereinander geltende Grundsatz von Treu und Glauben ausnahmsweise im Sinne einer Zurücknahme gerichtlicher Kontrolle auswirken kann, bedarf keiner Entscheidung. Solches könnte nur anzunehmen sein, wenn der Kostenerstattung begehrende Jugendhilfeträger vernünftigerweise nicht anders als tatsächlich geschehen handeln konnte. Das kommt in Betracht, wenn der tätig gewordene Jugendhilfeträger auf Grund einer rechtskräftig gewordenen verwaltungsgerichtlichen Verurteilung oder im Einklang mit einer bestimmten, erst nach Abwicklung des Jugendhilfefalles aufgegebenen höchstrichterlichen Rechtsprechung gehandelt hat. Eine Ausnahme ist auch für den Fall zu erwägen, in dem die zur Erstattung angemeldeten Kosten nicht im untrennbaren Zusammenhang mit der Rechtswidrigkeit der gewählten Verfahrensweise stehen, weil rechtmäßiges Handeln ohne Weiteres ebenfalls zu diesen Kosten geführt hätte (vgl. zu einem solchen Fall im Sozialhilferecht: OVG NRW, Urteil vom 29. 5. 2001 - 16 A 455/01 -, FEVS 53, 273, 278 f). Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Weder hat die Klägerin auf der Grundlage eines bestimmten Rechtssatzes aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Reichweite der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder einer verwaltungsgerichtlichen Verurteilung gehandelt noch wären, wenn die Klägerin das fehlende Einverständnis von Frau C. mit der Fremdunterbringung beachtet hätte, ohne Weiteres die streitbefangenen Kosten entstanden. Es hätte im letztgenannten Fall vielmehr zunächst besonderer Bemühungen bedurft, Frau C. zu überzeugen. Wäre das nicht gelungen, hätte das Jugendamt der Klägerin beim Vormundschaftsgericht einen Antrag auch auf Übertragung des Rechts, Hilfe zur Erziehung zu beantragen, stellen müssen.

3. Die Klägerin kann sich schließlich nicht etwa darauf berufen, sie habe die Rechtswidrigkeit der von ihr geleisteten Hilfe zur Erziehung auf Grund des in Rechtsprechung und Rechtslehre jedenfalls im Zeitraum der Hilfegewährung bestehenden Streits darüber, ob die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt allein für seine Befugnis zur Hilfegewährung nach §§ 27, 33 SGB VIII 1993 ausreicht, nicht erkennen können. Für die Frage nach der rechtmäßigen Anwendung der Vorschriften des SGB VIII nach § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1993 kommt es auf ein Verschulden des kostenerstattungsbegehrenden Trägers der Jugendhilfe nicht an. Die Rechtmäßigkeit der Hilfegewährung richtet sich allein nach objektiven Maßstäben.



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