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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 12.06.2003
Aktenzeichen: 12 E 144/01
Rechtsgebiete: VwGO, VwZG, BSHG


Vorschriften:

VwGO § 73 Abs. 3 Satz 2
VwGO § 56 Abs. 2
VwZG § 5 Abs. 2
BSHG § 5
BSHG § 12
1.In den Fällen der Zustellung an einen Rechtsanwalt gegen Empfangsbekenntnis ist die Zustellung erst dann bewirkt, wenn der als Zustellungsadressat bezeichnete Rechtsanwalt das zuzustellende Schriftstück persönlich als zugestellt annimmt.

2. Zu der Erwägung, die sozialhilferechtlich zu berücksichtigenden Unterkunftskosten seien deshalb zu reduzieren, weil der Hilfe Suchende die Möglichkeit gehabt habe, wegen der baurechtlichen Illegalität der Nutzung seiner Unterkunft die Miete zu mindern.

3. Zum Bekanntwerden eines fortlaufenden Hilfebedarfs.


Tatbestand:

Der Kläger, dem eine geringe Arbeitslosenhilfe bewilligt worden war, sprach am 6. und 21.1.1999 beim Beklagten wegen der Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt vor und erhielt jeweils per Scheck eine so genannte Überbrückungshilfe. Weitere Hilfe gewährte der Beklagte in der Folgezeit nicht. Der Kläger erhob deswegen im Juni 1999 Widerspruch, den der Beklagte u.a. unter Hinweis auf die baurechtliche Illegalität der vom Kläger angemieteten Wohnung mit Widerspruchsbescheid vom 21.3.2000 zurückwies. Der Empfänger dieses Bescheids, der vom Kläger zum Verfahrensbevollmächtigten bestellte Rechtsanwalt L., trug den 8.5.2000 als Datum des Empfangs ein. Der Beklagte argumentierte, nach dem rekonstruierbaren Geschehensablauf müsse der Rechtsanwalt den Widerspruchsbescheid früher erhalten haben. Der Kläger erhob am 8.6.2000 Klage und beantragte Prozesskostenhilfe. Das VG lehnte den PKH-Antrag ab, weil die Klage verfristet sei. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte teilweise Erfolg.

Gründe:

Die erhobene Klage hat teilweise hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.d. § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.

Die am 8.6.2000 erhobene Klage erweist sich bei summarischer Prüfung entgegen der Beurteilung durch die Vorinstanz insgesamt als zulässig. Die Klagefrist dürfte nicht versäumt sein. Unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze kann nach bisherigem Sach- und Streitstand kein früherer Tag als der 8.5.2000 als Tag der Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2000 angenommen werden. Die Zustellung erfolgte gemäß §§ 73 Abs. 3 Satz 1, 56 Abs. 2 VwGO i.d.F. der Bekanntmachung vom 19.3.1991 (BGBl. I S. 686) i.V.m. § 5 Abs. 2 VwZG in der durch Art. 8 des Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom 31.8.1998 (BGBl. I S. 2585) geänderten Fassung durch Empfangsbekenntnis an den damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Klägers. Dieser hat den 8.5.2000 als den Tag eingetragen, an dem er den Widerspruchsbescheid als zugestellt angenommen hat.

In den Fällen der Zustellung an einen Rechtsanwalt gegen Empfangsbekenntnis ist die Zustellung erst dann bewirkt, wenn der als Zustellungsadressat bezeichnete Rechtsanwalt das zuzustellende Schriftstück persönlich als zugestellt annimmt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.5.1979 - 2 C 1.79 -, BVerwGE 58, 107, und Beschluss vom 30.11.1993 - 7 B 91.93 -, Buchholz 340 § 5 VwZG Nr. 15.

Ein Empfangsbekenntnis erbringt dabei als öffentliche Urkunde vollen Beweis dafür, dass der darin angegebene Zustellungszeitpunkt der Wirklichkeit entspricht. Wer diese Urkunde nicht gegen sich gelten lassen will, muss sie durch Gegenbeweis entkräften. Der Gegenbeweis wird noch nicht dadurch geführt, dass nur die Möglichkeit eines - vielleicht sogar naheliegenden - anderen Geschehensablaufs dargetan wird.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18.12.1996 - 2 B 161.96 - und vom 7.10.1993 - 4 B 166.93 -, NJW 1994, 535; Thür. OVG, Beschluss vom 12.5.1999 - 3 ZKO 196/99 -, ThürVBl. 1999, 236.

Hier ist mit den Ausführungen im angefochtenen Beschluss allenfalls ein naheliegender anderer Geschehensablauf als der durch das Empfangsbekenntnis beurkundete dargetan. Eine tatsächliche Grundlage, die die Annahme rechtfertigen könnte, ein Gegenbeweis werde geführt werden können, besteht hingegen nicht.

Hinsichtlich der Begründetheit der Klage ergibt die summarische Prüfung, dass in Bezug auf die Monate Januar und November 1999 die Klage eine nicht mehr als nur entfernte Erfolgschance hat, während für den übrigen Klagezeitraum hinreichende Begründetheitsaussichten bestehen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht viel dafür, dass bereits mit der Vorsprache des Klägers am 6.1.1999 die fortlaufende Notlage des Klägers i.S.d. § 5 Abs. 1 BSHG bekannt wurde und damit Sozialhilfe einsetzte. Er erhielt zwar an diesem Tag und bei seiner weiteren Vorsprache am 21.1.1999 jeweils per Scheck eine sog. Überbrückungshilfe. Es lässt sich aber nicht feststellen, dass der Kläger damit die geltend gemachte Notlage als beseitigt ansah und nicht etwa fortlaufenden Hilfebedarf geltend machen wollte. Die Erklärung des Klägers am 6.1.1999 dazu, wie er die Februar-Miete aufbringen bzw. deren Zahlung sicherstellen wollte, und sein Zusatz in der Niederschrift vom 21.1.1999 legen vielmehr nahe, dass der Kläger nur deshalb nicht unverzüglich ein weiteres Mal vorgesprochen hat, weil ihm bei der Vorsprache am 21.1.1999 mitgeteilt worden war, dass er weitere Hilfe zum Lebensunterhalt nicht erhalte. Sollte sich der Sachverhalt so herausstellen, was letztlich der Klärung im Hauptsacheverfahren zu überlassen ist, wäre die Geltendmachung des Bedarfs nicht wegen einer "Säumigkeit" bei der Verfolgung des Sozialhilfeanspruchs ausgeschlossen. Hätte er nämlich einen Sozialhilfeanspruch gehabt, was, wie noch darzulegen sein wird, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Fall ist, wäre der Kläger nur deshalb zunächst untätig geblieben, weil ihm durch den i.S.d. § 5 BSHG über den Sozialhilfefall informierten Sozialhilfeträger eine falsche Rechtsauskunft erteilt worden wäre.

Vgl. zu einem vergleichbaren Sachverhalt OVG NRW, Urteil vom 20.6.2001 - 12 A 3386/98 -, FEVS 53, 84.

Für Januar 1999 und November 1999 ist nach Aktenlage der geltend gemachte Bedarf indessen gedeckt worden. (wird ausgeführt)

Hinsichtlich der übrigen Monate des Klagezeitraums wird sich voraussichtlich jeweils ein Anspruch auf Gewährung laufender Hilfe herausstellen. (...)

Die Erwägung der Beklagten, die zu berücksichtigenden Unterkunftskosten seien deshalb zu reduzieren, weil der Kläger die Möglichkeit gehabt habe, der baurechtlichen Illegalität der Nutzung seiner Unterkunft wegen die Miete zu mindern, dürfte nicht verfangen. Das Fehlen der erforderlichen behördlichen Genehmigung zur vertragsgemäßen Nutzung von Mieträumen stellt zwar einen Fehler dar. Dieser berechtigt den Mieter aber nicht zur Minderung des Mietzinses oder zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses, solange die zuständige Behörde die unzulässige Nutzung duldet.

Vgl. OLG Köln., Beschluss vom 10.11.1997 - 19 W 48/97 -, MDR 1998, 709.

Es ist nicht ersichtlich, dass die Bauaufsichtsbehörde wegen der Nutzung der vom Kläger angemieteten Wohnung schon mit Wirkung für den streitbefangenen Zeitraum durch eine Nutzungsuntersagung eingeschritten wäre.

Ende der Entscheidung

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