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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 18.12.2008
Aktenzeichen: 13 A 1066/06
Rechtsgebiete: VwGO, GKG


Vorschriften:

VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4
VwGO § 130a
VwGO § 154 Abs. 1
GKG § 13 Abs. 1
GKG § 14 Abs. 1 a. F.
GKG § 47 Abs. 1
GKG § 52 Abs. 1
GKG § 72 Nr. 1
Prozessuale Folgen einer einseitigen Erledigungserklärung durch den Kläger im Berufungsverfahren.

Zum Streitwert bei einseitiger Erledigungserklärung des Klägers.


Tatbestand:

Der Kläger ist niedergelassener Orthopäde. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erbringt er seit Jahren kernspintomographische Leistungen, die die Beklagte in der Vergangenheit unter Hinweis auf ihre früher geltende Weiterbildungsordnung nicht als zum Fachgebiet Orthopädie gehörig ansah. Der Klage des Klägers, festzustellen, dass die Erbringung von kernspintomographischen Leistungen, bezogen auf in das Fachgebiet eines Orthopäden fallende Indikationen, zum Fachgebiet eines Facharztes für Orthopädie gehören, gab das VG statt. Die Beklagte legte hat dagegen Berufung ein.

Während des Berufungsverfahrens beschloss die Beklagte eine neue Weiterbildungsordnung, nach der es eine Zusatz-Weiterbildung "Magnetresonanztomographie - fachgebunden -" gibt und diese u. a. in Ergänzung zu einer Facharztkompetenz die Durchführung und Befundung gebietsbezogener Bildgebungsverfahren mittels Magnetresonanztomographie (MRT) umfasst.

Der Kläger erklärte im Hinblick auf diese Bestimmungen den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt; die Beklagte widersprach der Erledigungserklärung des Klägers.

Das OVG stellte durch Beschluss nach § 130a VwGO fest, dass sich der Rechtstreit in der Hauptsache erledigt hat.

Gründe:

Auch die Frage, ob sich ein Rechtsstreit erledigt hat oder nicht, ist grundsätzlich einer Entscheidung nach § 130a VwGO zugänglich.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.11.1993 - 2 B 151/93 -, NVwZ-RR 1994, 362; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: März 2008, § 130a Rdn. 3; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 130a Rdn. 4.

Wenn eine Erledigungserklärung des Klägers gegeben ist, die Beklagte sich der Erledigungserklärung aber nicht angeschlossen hat, wandelt sich der Rechtsstreit um die Zulässigkeit und Begründetheit des bislang geltend gemachten Klagebegehrens um in einen Streit über die Frage, ob sich die Hauptsache des Rechtsstreits erledigt hat. Dies gilt auch, wenn sich - wie hier - eine einseitige Erledigungserklärung in der Rechtsmittelinstanz ergibt. Der Umwandlung des Rechtsstreits und der Änderung des Streitgegenstands ist auch im Entscheidungstenor Rechnung zu tragen, insbesondere bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3.7.2006 - 7 B 18.06 -, juris, und 17.12.1993 - 3 B 134.92 -, juris; Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. § 161 Rdnrn. 117 ff.; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a. a. O., § 161 Rdnrn. 27 ff; Kopp/Schenke, a. a. O., § 161 Rdnrn. 20 ff.

Bezogen auf den insoweit maßgebenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, vgl. BVerwG, Urteil vom 3.11.1998 - 9 C 51.97 -, NVwZ-RR 1999, 277; Sodan/Ziekow, a. a. 0., § 161 Rdn. 136, der auch für das materielle Klagebegehren im Rahmen der ursprünglichen Feststellungsklage des Klägers galt, vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., § 108 Rdn. 26, hat sich das vom Kläger zunächst geltend gemachte Klagebegehren zwischenzeitlich erledigt. Der Kläger hatte mit seiner Klage beantragt, festzustellen, dass die Durchführung und Befundung von MRT-Untersuchungen, bezogen auf in das Fachgebiet eines Orthopäden fallende Indikationen, zum Fachgebiet eines Facharztes für Orthopädie gehören. Dieses auf einen entsprechenden gerichtlichen Feststellungsausspruch gerichtete abstrakte Begehren, das kein konkret auf den Kläger bezogenes Element aufweist, muss der Kläger nach dem Inkrafttreten der Weiterbildungsordnung der Beklagten von 2005 mit der im Verhältnis zu der Vorgängerfassung der Weiterbildungsordnung klarstellenden Formulierung, dass die Zusatz-Weiterbildung fachgebundener Magnetresonanztomographie (MRT) in Ergänzung zu einer Facharztkompetenz die Durchführung und Befundung gebietsbezogener Bildgebungsverfahren mittels Magnetresonanztomographie umfasst, nicht mehr weiter verfolgen. Auf Grund dieser Bestimmung geht nunmehr auch die Beklagte - ebenso wie der Kläger - davon aus, dass MRT-Leistungen für Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie nicht mehr fachfremd sind und zum Fachgebiet gehören. Eines entsprechenden gerichtlichen Ausspruchs bedarf es demzufolge nicht mehr, weil Zweifel über die Gebietsgrenzen eines Facharztes für Orthopädie nicht mehr bestehen. Dementsprechend ist es konsequent, dass der Kläger (auch) als Rechtsmittelbeklagter sein ursprüngliches Klagebegehren aufgegeben hat und eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache annimmt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.1969 - VIII C 149.67 -, DÖV 1970, 261 (bezüglich einer ähnlichen Konstellation bei einer Verpflichtungsklage).

Um dem Verfahrensverlauf und der Erledigung der Hauptsache Rechnung zu tragen und zwecks Vermeidung einer für sie ungünstigen Kostenentscheidung im Erledigungsstreit hätte sich die Beklagte der Erledigungserklärung anschließen können. Das ist nicht geschehen.

Ein weiterhin bestehendes Interesse der Beklagten an einer gerichtlichen Entscheidung in der Sache ist nicht erkennbar. Ein derartiges Interesse an einer Sachentscheidung trotz Erledigung der Hauptsache kann sich aus einer analogen Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ergeben (sog. Feststellungsinteresse). Ein solches Feststellungsinteresse ist aber bei der Beklagten nicht zu bejahen.

Die erstinstanzliche Entscheidung ist zwar zu ihren Lasten ausgegangen, das Urteil des VG ist aber als Folge der mit dieser Entscheidung erfolgenden Feststellung der Erledigung der Hauptsache unwirksam (§ 173 VwGO, 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog), vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.12.1993 - 3 B 134.92 -; Urteil vom 22.8.2007 - 6 C 28.06 -, NVwZ-RR 2008, 39. und hat demzufolge keine Rechtswirkungen mehr. Dass eine Sachentscheidung über das ursprüngliche Klagebegehren etwa aus Gründen der einheitlichen Verwaltungshandhabung gegenüber dem Kläger oder anderen Mitgliedern der Ärztekammer erforderlich ist, hat die Beklagte nicht dargelegt und ist angesichts dessen, dass die Rechtslage vor Inkrafttreten der Weiterbildungsordnung 2005 nicht mehr relevant ist, auch nicht ersichtlich. Dementsprechend ist wegen der inzwischen veränderten Rechtslage auch eine Wiederholungsgefahr, die grundsätzlich ebenfalls ein Feststellungsinteresse begründen kann, nicht relevant. Ein Rehabilitationsinteresse steht für die Beklagte nicht in Frage, weil ihr gegenüber keine konkreten Vorwürfe des Klägers im Raum stehen, fehlerhaft gehandelt und die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit unzulässig beeinträchtigt bzw. behindert zu haben. Entschädigungsansprüche des Klägers, der in den zurückliegenden Jahren die kernspintomographischen Leistungen durchgängig erbracht hat, gegen die Beklagte stehen ebenfalls nicht an, so dass auch im Hinblick auf deren Abwehr kein Feststellungsinteresse der Beklagten besteht.

Das Vorbringen der Beklagten, die neue Weiterbildungsordnung von 2005 könne nicht rückwirkend die Gebietsfremdheit der vorherigen Tätigkeit des Klägers beseitigen und es sei zumindest über den Zeitraum bis zum Jahre 2005 eine Sachentscheidung zu treffen, begründet ein berechtigtes Interesse an einer solchen Entscheidung ebenfalls nicht. Es ist von der Beklagten nicht dargelegt worden, den Kläger noch in irgendeiner Art und Weise für die von ihm vor dem Inkrafttreten der Weiterbildungsordnung 2005 durchgeführten kernspintomographischen Leistungen in Anspruch nehmen zu wollen; eine solche Maßnahme ist schlechterdings auch nicht mehr angezeigt. Das Vorbringen der Beklagten, dessen Bedeutung im Sinne eines weiterhin bestehenden Sachbescheidungsinteresses von ihr nicht substantiiert dargetan wurde, läuft darauf hinaus, für die Zeit vor dem Inkrafttreten der neuen Weiterbildungsordnung 2005 bescheinigt zu bekommen, seinerzeit in der Beurteilung der Fachgebietsgrenzen für einen Facharzt für Orthopädie "richtig gelegen" zu haben. Eine auch derzeit noch bestehende Relevanz dieser Frage ist nicht erkennbar. Ein allgemeines Interesse an der Klärung offener Rechtsfragen reicht für ein Feststellungsinteresse im Rahmen einer analogen Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht aus.

Vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a. a. 0., § 161 Rdnr. 29.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. In dem (nur noch) anhängigen kontradiktorischen Verfahren um die Feststellung der Erledigung der Hauptsache ist die Beklagte unterlegen, so dass sie die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.12.1993 - 3 B 134.92 -; Sodan/Ziekow, a. a. 0., § 161 Rdnr. 192; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a. a. 0., § 161 Rdnr. 34.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 72 Nr. 1 GKG, §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 GKG a. F. und erfolgt, wie aus dem Tenor ersichtlich, in unterschiedlicher Höhe in Anlehnung an das unterschiedliche Interesse des Klägers. Für die zunächst geltend gemachte Feststellungsklage folgt die Wertfestsetzung mit der entsprechenden Währungsumrechnung der Streitwertfestsetzung des VG. Für den (nur noch) anhängigen Erledigungsfeststellungsantrag kann, da der Kläger keine Entscheidung über den ursprünglichen Klageantrag mehr begehrt, für den Streitwert nur das Interesse des Klägers daran zu Grunde gelegt werden, eine aus der Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Begehrens folgende Kostenentscheidung zu seinen Lasten zu verhindern; entscheidend ist deshalb insoweit nur das Kosteninteresse.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3.7.2006 - 7 B 18.06 -, juris; OVG S. - A., Beschluss vom 3.12.2002 - 1 O 513/02 -, juris; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a. a. O., § 161 Rdnr. 34; Sodan/ Ziekow, a. a. O., § 161 Rdnr. 193; a. A.: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.11.1992 - 10 W 61/92 -, NJW-RR 1993, 510.

Eine einheitliche Festsetzung dieses niedrigeren Streitwerts oder des ursprünglich höheren Streitwerts für das gesamte Verfahren ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Streitgegenstände, die sich im Laufe des Verfahrens ergeben haben, so Sodan/Ziekow, a. a. O., § 161 Rdnr. 194, hält der Senat nicht für angezeigt, weil dies dem Prozessverlauf sowie dem zunächst und jetzt (nur) noch verfolgten Klagebegehren und dem daran orientierten Streitwertinteresse des Klägers nicht hinreichend gerecht wird und das Kosteninteresse der Beteiligten nur den Erledigungsstreit betrifft.

Vgl. OVG S. - A., Beschluss vom 3.12.2002 - 1 O 513/02 -, juris.

Ende der Entscheidung

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