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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 09.06.2009
Aktenzeichen: 13 A 1364/08
Rechtsgebiete: AMG


Vorschriften:

AMG § 22 Abs. 3
Eine Bezugnahme nach § 22 Abs. 3 AMG auf anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial kommt nur in Betracht, wenn der Wirkstoff allgemein, das heißt nicht nur in dem in Rede stehenden Arzneimittel, medizinisch oder tiermedizinisch (etwa aufgrund einer fiktiven Zulassung) verwendet wird.
Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Nachzulassung für das fiktiv zugelassene Arzneimittel "AB". Zuletzt beanspruchte die Klägerin das Anwendungsgebiet "Kreislaufregulationsstörungen mit Hypotonie, die im Stehtest mit Beschwerden wie Schwindel, Schwächegefühl, Blässe, Schweißausbruch, Flimmern oder Schwarzwerden vor den Augen sowie mit einem deutlichen Blutdruckabfall ohne einen Anstieg der Herzschlagrate einhergeht". Im November 2003 gab das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) der Klägerin Gelegenheit, Mängel, die in der klinischen Wirksamkeit des Arzneimittels lägen, binnen 12 Monaten zu beheben. Die Klägerin legte ergänzende gutachtliche Stellungnahmen zur Medizin vor, die vom BfArM dahingehend gewürdigt wurden, die Klägerin habe die aufgezeigten Mängel nur zum Teil behoben. Mit Bescheid vom 31.8.2005 lehnte das BfArM den Antrag der Klägerin wegen noch fortbestehender klinischer Mängel ab. Nach Ergehen des Versagungsbescheids erhob die Klägerin Klage und beantragte Neubescheidung. Das VG wies die Klage ab. Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das VG von einem zutreffenden rechtlichen Prüfungsmaßstab ausgegangen.

Gemäß § 105 Abs. 4a Satz 1, § 22 Abs. 2 Satz 1 AMG sind im Rahmen des Nachzulassungsantrags die Ergebnisse der pharmakologischen und toxikologischen Versuche (Nr. 2) und die Ergebnisse der klinischen Prüfungen oder sonstigen ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Erprobung (Nr. 3) vorzulegen. An Stelle der Ergebnisse nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG kann der Antragsteller den Nachweis mit "anderem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial" i. S. v. § 22 Abs. 3 AMG erbringen ("bibliographischer Zulassungsantrag"). Auch Altarzneimitteln können die Erleichterungen des § 22 Abs. 3 AMG zugute kommen (§ 105 Abs. 4a Satz 1 Hs. 2 AMG).

Vgl. BVerwG, Urteile vom 16.10.2008 - 3 C 23.07 und 3 C 24.07 -, jeweils juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 16.12.2008 - 13 A 2085/07 -, vom 20.1.2009 - 13 A 4306/06, vom 24.2.2009 - 13 A 813/08 -, und vom 19.3.2009 - 13 A 1022/08 -, jeweils juris.

An Stelle der Ergebnisse nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG kann daher anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt werden, und zwar bei einem Arzneimittel, dessen Wirkstoffe seit mindestens zehn Jahren in der Europäischen Union allgemein medizinisch oder tiermedizinisch verwendet wurden, deren Wirkungen und Nebenwirkungen bekannt und aus dem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial ersichtlich sind (Nr. 1). § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG ist durch Art. 1 Nr. 15 lit. c des 14. AMG-Änderungsgesetzes neu gefasst worden. Die Zulassungsvorschrift wird nunmehr für Arzneimittel mit bekannten Wirkungen und Nebenwirkungen ("well established use") i. S. v. Art. 10a der Richtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001 i. d. F. der Richtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 konkretisiert. Der Senat hat zur Auslegung und Anwendung von § 22 Abs. 3 AMG bereits mehrfach entschieden, dass das Erkenntnismaterial nach Sinn und Zweck der Vorschrift sowie nach Art. 10a Satz 2 der Richtlinie 2001/83/EG dergestalt beschaffen sein muss, das es in etwa den Ergebnissen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG entspricht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.5.2007 - 13 A 328/04, juris, und Beschluss vom 19.3.2009 - 13 A 1022/08 -, a. a. O., m. w. N.

Eine derartige Bezugnahme auf anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial kommt indessen nur in Betracht, wenn der Wirkstoff allgemein, das heißt nicht nur in dem in Rede stehenden Arzneimittel medizinisch oder tiermedizinisch (etwa aufgrund einer fiktiven Zulassung) verwendet wird. So liegt es hier aber nicht, da der Wirkstoff Oxilofrin nach den nicht bestrittenen Feststellungen des VG allein in dem von der Klägerin und ihren Rechtsvorgängern in den Verkehr gebrachten Arzneimittel verwendet worden ist. Wäre die Verwendung in dem streitbefangenen Arzneimittel bereits ausreichend, fehlte die Vergleichsgrundlage für die Verwendung des Wirkstoffs, die Voraussetzung dafür ist, dass im Rahmen eines bibliographischen Antrags von den Prüfungsergebnissen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG abgesehen werden kann. Entscheidend ist daher die Verwendung des Wirkstoffs in einem anderem Arzneimittel, für das die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind. Für dieses Ergebnis spricht bereits der Wortlaut von § 22 Abs. 3 Satz 1 AMG. Eine allgemeine Verwendung eines Wirkstoffs in einem Arzneimittel kann in der Regel allein auf der Grundlage einer arzneimittelrechtlichen Zulassung erfolgen (vgl. § 21 Abs. 1 AMG sowie Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG). Auch die systematische Stellung von § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG und Art. 10a der Richtlinie bestätigt, dass Bezugspunkt nur der Wirkstoff sein kann, der im Rahmen einer arzneimittelrechtlichen Zulassung Verwendung findet. Denn dieser Abschnitt im Arzneimittelgesetz und das entsprechende Kapitel in der Richtlinie behandeln die Zulassungsvoraussetzungen und lassen - bezogen auf grundsätzlich einzureichende Unterlagen - Ausnahmen hiervon nur insoweit zu, als eine Bezugnahme auf bereits zugelassene Referenzarzneimittel in Frage kommt (vgl. etwa § 24b AMG sowie Art. 10 und Art. 10b der Richtlinie). Erkennbarer Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift ist es daher, erforderliche Prüfungen und Studien ausnahmsweise dann als entbehrlich zu betrachten, wenn verlässliche Ergebnisse schon vorliegen. Dies verlangt allerdings eine Überprüfung des Wirkstoffs in einem arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren. Demnach wird auch die Bezugnahme auf ein im Bundesgebiet fiktiv zugelassenes Arzneimittel als Anwendungsfall des § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG nicht in Betracht kommen; es ist insofern kein geeignetes "Referenzarzneimittel".

Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 26.6.2008 - 13 B 345/08 -, PharmR 2008, 498.

Das VG hat im Übrigen zu der Frage, welchen Anforderungen das wissenschaftliche Erkenntnismaterial zu genügen hat, zu Recht auf die einschlägigen Arzneimittelprüfrichtlinien i. S. v. § 26 AMG und insbesondere auf die Arzneimittelprüfrichtlinien vom 5.5.1995 (BAnz. Nr. 96a vom 20.5.1995) und vom 11.10.2004 (BAnz. Nr. 197 vom 16.10.2004) hingewiesen, die im Hinblick auf eine "allgemeine medizinische Verwendung" im Wesentlichen dem Anhang 1 Teil II Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/EG i. d. F. der Richtlinie 2003/63/EG vom 25.6.2003 entspricht. Nach Teil II Nr. 1 lit. d des Anhangs 1 dieser Richtlinie muss im Rahmen eines bibliographischen Antrags gezeigt werden, inwiefern vorgelegte Daten, die ein anderes als das in den Verkehr zu bringende Arzneimittel betreffen, für die Beurteilung des zuzulassenden Arzneimittels relevant sind. Das anderweitige Erkenntnismaterial muss demnach die allgemeine medizinische Verwendung des Wirkstoffs oder einer Wirkstoffkombination belegen und damit regelmäßig andere als das zur Überprüfung anstehende Arzneimittel betreffen. Dies ist hier nicht der Fall. Dass das von der Klägerin vorgelegte wissenschaftliche Erkenntnismaterial den rechtlichen Anforderungen entspricht, kann - im Übrigen - auch der Senat nicht erkennen. Eine ausreichende Beurteilung der therapeutischen Wirksamkeit des Arzneimittels in der angegebenen Dosierung wird durch die vorgelegten klinischen Dokumente nicht ermöglicht.

Obgleich die in der klinischen Dokumentation unter den Ziffern 7601, 7801, 7903, 8004, 8005, 8006, 8102 und 7901 geführten Berichte zwar die Wirksamkeit des Wirkstoffs Oxilofrin betreffen, behandeln sie nach der vertretbaren Auffassung des VG nur durchgeführte offene Anwendungsbeobachtungen, die den Anforderungen der Leitlinie zur Guten Klinischen Praxis (CPMP/ICH/135/95) oder den Anforderungen der Arzneimittelprüfrichtlinie an klinische Studien nicht genügen. Diese Bewertung hat die Klägerin mit ihrer Zulassungsbegründung nicht substantiiert in Frage gestellt. Auch die weiteren Studien 9101 und 9102 sind zum Beleg der Wirksamkeit nicht geeignet. Die Studie 9102 erfasst nicht das von der Klägerin beanspruchte Anwendungsgebiet. Diese Indikation, nämlich die asympathikotone Orthostasestörung ist in bestimmten Belastungssituationen - hier dem Stehtest - durch einen deutlichen Blutdruckabfall bei gleichbleibender Herzschlagfrequenz charakterisiert. Dass die Studienergebnisse zur sympathikotonen Fehlregulation (etwa beim Aufstehen) auf die von der Klägerin beanspruchten Indikationen übertragbar sind, hat die Klägerin bis zum Ablauf der Mängelbeseitigungsfrist nicht in einer näheren Aufarbeitung in dem nach § 24 Abs. 1 Satz 1 AMG anzufertigenden Sachverständigengutachten oder einer wissenschaftlich begründeten Erwiderung im Mängelbeseitigungsverfahren dargelegt. Zutreffend hat das VG daher darauf hingewiesen, dass die in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente diese im Verwaltungsverfahren unterbliebenen Handlungen nicht ersetzen können. Mit weiteren Mängelbeseitigungsversuchen ist der pharmazeutische Unternehmer allerdings sowohl im weiteren Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren ausgeschlossen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.4.2008 - 13 A 4996/04 -, juris.

Die Studie 9101 ist ebenfalls kein geeigneter Beleg. Das VG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die beanspruchte und die von der Studie erfasste Indikation nicht im Wesentlichen deckungsgleich seien, da der einbezogene Patientenkreis nämlich sympathikotone und asympathikotone Orthostasestörungen aufgewiesen habe. Die Studie kann demnach bei asympathikotonen Orthostasestörungen nicht unmittelbar als Wirksamkeitsbeleg dienen, da sie eine nach den jeweiligen Gesundheitsstörungen getrennte Auswertung die Studie nicht enthält. Diese Bewertung stellt die Klägerin in ihrer Zulassungsbegründung nicht in Abrede.

Ende der Entscheidung

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