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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 09.01.2009
Aktenzeichen: 13 A 2023/08
Rechtsgebiete: 26. BImSchV


Vorschriften:

26. BImSchV
Es liegen keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über Gefahren von Mobilfunkanlagen vor, die das derzeitige Schutzniveau gemäß der 26. BImSchV als unzureichend erscheinen lassen.
Tatbestand:

Die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA) erteilte der Beigeladenen mit Bescheid vom 9.3.2006 gemäß § 5 Abs. 2 der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMFV) eine Standortbescheinigung für eine ortsfeste Sendeanlage auf einem 40 m hohen Gittermast. Der gegen den Bescheid von den Klägern erhobene Drittwiderspruch blieb ohne Erfolg. Ihre Klage wurde vom VG abgewiesen. Auch der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Der Zulassungsgrund eines relevanten Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor. Das VG hat prozessuale Vorschriften nicht unrichtig angewendet oder die Anwendung solcher Bestimmungen nicht fehlerhaft unterlassen. Entgegen der Ansicht der Kläger bedurfte es insbesondere nicht einer weitergehenden Aufklärung des Sachverhalts.

Die von den Klägern schriftsätzlich beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens war bereits kein Beweisantrag, über den vor Ergehen der Entscheidung vorab durch Beschluss hätte entschieden werden müssen (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO). Allerdings ist im schriftlichen Verfahren (§ 101 Abs. 2 VwGO) ein nach dem Verzicht auf mündliche Verhandlung schriftsätzlich gestellter Beweisantrag wie ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag zu behandeln, obgleich diese Vorschrift nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut nicht in Verfahren gilt, in denen keine mündliche Verhandlung stattfindet. Über einen solchen Beweisantrag muss also in entsprechender Anwendung von § 86 Abs. 2 VwGO vorab durch Beschluss entschieden werden.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 30.5.1989 - 1 C 57.87 -, NVwZ 1989, 1078; und vom 16.3.1994 - 11 C 48.92 -, NVwZ 1994, 1095.

Hat der Beteiligte den Beweisantrag aber vor der nachfolgenden Einverständniserklärung nach § 101 Abs. 2 VwGO gestellt, so ist eine Vorabentscheidung nach § 86 Abs. 2 VwGO in entsprechender Anwendung nicht erforderlich, weil er sich mit dem nachträglichen oder gleichzeitigen Verzicht auf mündliche Verhandlung dieses Rechts begeben hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.5.1989 - 1 C 57.87 -, a. a. O.; Bräuning, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 86 RdNr. 91, m. w. N.

Demnach durfte das Gericht in seinem Urteil vom 30.5.2008 über den Beweisantrag befinden. Die Kläger haben den Verzicht auf mündliche Verhandlung nämlich erst mit Schriftsatz vom 3.4.2008 erklärt, nachdem sie bereits in den Schriftsätzen vom 15.3.2007 und vom 5.7.2007 die Beweiserhebung durch Einholung von Sachverständigengutachten beantragt hatten. Es kann demnach dahinstehen, ob der Beweisantrag der Kläger, die Grenzwerte der Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV) gewährleisteten keinen hinreichenden Gesundheitsschutz und bei Belastungen durch elektromagnetische Strahlenfelder seien Gesundheitsgefährdungen nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, zudem als Ausforschungsbeweisantrag unsubstantiiert ist und das Gericht auch deshalb von der Pflicht zur Vorabentscheidung nach § 86 Abs. 2 VwGO befreit war.

Allerdings war das VG verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Eine Verletzung der Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung durch Nichterhebung von Beweisen kann aber nur dann vorliegen, wenn sich dem Gericht eine Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 2.11.2007 - 3 B 58.07 -, NVwZ 2008, 230.

Die Voraussetzungen sind nicht gegeben. Eine Beweiserhebung durch Einholung von Sachverständigengutachten oder die Einvernahme von Sachverständigen war nicht geboten. Ausgehend von der vom VG zutreffend angenommenen Rechtsgrundlage des § 4 Abs. 1 BEMFV i. V. m. § 12 des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationseinrichtungen (FTEG) bedarf die Beigeladene für ihre ortsfeste Funkanlage einer gültigen Standortbescheinigung. Die BNetzA hat mit Bescheid vom 9. 3. 2006 gemäß § 5 Abs. 2 BEMFV der Beigeladenen diese Standortbescheinigung erteilt. Die hierbei einzuhaltenden Anforderungen sind beachtet worden. Nach § 5 Abs. 1 BEMFV ermittelt die BNetzA zur Erteilung der Standortbescheinigung auf der Grundlage der systembezogenen Sicherheitsabstände den zur Einhaltung der Grenzwerte nach § 3 BEMFV erforderlichen standortbezogenen Sicherheitsabstand. § 3 Satz 1 Nr. 1 BEMFV bestimmt, dass zur Begrenzung der Elektromagnetischen Felder von ortsfesten Funkanlagen für den Frequenzbereich 9 kHz bis 300 GHz die in der 26. BImSchV festgesetzten Grenzwerte einzuhalten sind. Diesen Erfordernissen entspricht die streitbefangene Standortbescheinigung. Unstreitig sind auch die Grenzwerte nach der 26. BImSchV eingehalten.

Entgegen der Auffassung der Kläger ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das VG die in der 26. BImSchV vorgesehenen Grenzwerte als ausreichend angesehen hat, um vor schädlichen Auswirkungen der von den Antennen ausgehenden elektromagnetischen Felder zu schützen. Das VG hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG und der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, nach der dem Gesetz- und Verordnungsgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum bei der Festsetzung der Grenzwerte zusteht, eine weitergehende Sachverhaltsermittlung nicht für erforderlich erachtet.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 - 1 BvR 1676/01 -, NJW 2002, 1638, 1639, und nachfolgend EGMR, Entscheidung vom 3.7.2007 - 32015/02 -, juris, NVwZ 2008, 1215 (Unzulässigkeit der Beschwerde); ferner Beschlüsse des BVerfG vom 8.12.2004 - 1 BvR 1238/04 -, NVwZ-RR 2005, 227, 228, und vom 24.1.2007 - 1 BvR 382/05 -, NVwZ 2007, 805; BVerwG, Urteil vom 10.12.2003 - 9 A 73.02 -, NVwZ 2004, 613; OVG NRW, Beschluss vom 19.7.2007 - 13 A 641/07 -.

Wenn noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse über komplexe Gefährdungslagen vorliegen, verlangt die staatliche Schutzpflicht von den Gerichten nicht, ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Hilfe des Prozessrechts durch Beweisaufnahme zur Durchsetzung zu verhelfen oder die Vorsorgeentscheidung des Verordnungsgebers unter Kontrolle zu halten und die Schutzeignung der Grenzwerte jeweils nach dem aktuellen Stand der Forschung zu beurteilen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.1.2007 - 1 BvR 382/05 -, a. a. O.

Es ist vielmehr Sache des Verordnungsgebers, den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft mit geeigneten Mitteln nach allen Seiten zu beobachten und zu bewerten, um ggf. weitergehende Schutzmaßnahmen treffen zu können. Eine Verletzung der Nachbesserungspflicht durch den Verordnungsgeber kann gerichtlich erst festgestellt werden, wenn evident ist, dass eine ursprünglich rechtmäßige Regelung zum Schutz der Gesundheit auf Grund neuer Erkenntnisse unter einer veränderten Situation verfassungsrechtlich untragbar geworden ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 - 1 BvR 1676/01 -, a. a. O.

Es liegen keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über Gefahren von Mobilfunkanlagen vor, die das derzeitige Schutzniveau als unzureichend erscheinen lassen. Die Kläger haben auch nicht schlüssig aufgezeigt oder gar den Nachweis erbracht, dass von Mobilfunkanlagen Gesundheitsgefahren ausgehen, wenn das Grenzwertkonzept der 26. BImSchV eingehalten ist. Die 26. BImSchV unterscheidet im Übrigen nicht zwischen den verschiedene Arten der Auswirkung von Mobilfunkstrahlung, sondern stellt nach § 1 Abs. 1 generelle Anforderungen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft durch elektromagnetische Felder auf. Die in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte berücksichtigen daher sowohl die thermischen wie die athermischen Effekte elektromagnetischer Felder.

Vgl. BGH, Urteil vom 13.2.2004 - V ZR 217/03 -, NJW 2004, 1317, 1318.

Im Übrigen verweist der Senat im Hinblick auf die von den Klägern angeführten Studien auf die Ausführungen des VG in dem angefochtenen Urteil, gegen die rechtlich nichts zu erinnern ist. Soweit die Kläger in ihrem Zulassungsantrag auf eine aktuelle Studie von Adlkofer/Kundi/Rüdiger Bezug nehmen (umwelt medizin gesellschaft, Heft 2/2008, Seite 112 ff.), besteht kein Anlass zu einer anderen Beurteilung. Verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse über die geltend gemachten komplexen Gefährdungslagen ergeben sich aus dieser Ausarbeitung nicht. Ihr ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass die derzeitige Erkenntnislage äußerst umstritten sei, aber nicht, dass das derzeitige Schutzniveau als unzureichend zu bezeichnen sei.



Ende der Entscheidung

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