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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 20.05.2009
Aktenzeichen: 13 A 2569/06
Rechtsgebiete: LogG, GG
Vorschriften:
LogG § 2 Abs. 1 Nr. 2 | |
LogG § 3 Abs. 2 | |
GG Art. 12 Abs. 1 |
Tatbestand:
Der Kläger ist als Logopäde in eigener Praxis tätig. Nach einer strafrechtlichen Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Mädchens widerrief der Beklagte die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung, weil der Kläger unzuverlässig zur Ausübung des Berufs des Logopäden sei. Die Klage des Klägers dagegen hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung des Klägers hob das OVG nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Wahrscheinlichkeit einer Rückfall- oder Wiederholungsgefahr beim Kläger die Widerrufsbescheide des Beklagten auf, soweit der Widerruf der Erlaubnis die Behandlung männlicher Patienten des Klägers erfasst. Die Revision wurde zugelassen.
Gründe:
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, soweit der Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung "Logopäde" auch die Behandlung männlicher Patienten erfasst (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zwar liegen die Voraussetzungen für den Widerruf der Berechtigung des Klägers zum Führen der Berufsbezeichnung "Logopäde" vor (I), nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit behördlicher Maßnahmen ist aber der uneingeschränkte Widerruf nicht berechtigt und eine Beschränkung des Widerrufs der Erlaubnis auf eine Behandlung weiblicher Personen geboten (II).
(I) Das VG hat mit § 3 Abs. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 2 LogG die Rechtsgrundlagen für den Widerruf der Erlaubnis zutreffend dargelegt. Dabei macht es im Materiellen keinen Unterschied, dass das Gesetz nach dem Erlass der angefochtenen Bescheide und nach dem Urteil des VG geändert wurde und inzwischen in der Änderungsfassung vom 30.9.2008 (BGBl. I S. 1910) gilt. Entscheidend ist die Gesetzesfassung zum maßgebenden Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, die o. a. einschlägigen Bestimmungen sind auch nicht von einer Änderung betroffen.
Auch der Senat ist nach Auswertung des vorliegenden Aktenmaterials, insbesondere der Strafakten, der Ansicht, dass der Kläger sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs des Logopäden ergibt. Ebenso wie es das VG getan hat, wird dabei (nur) der Vorfall, der Gegenstand des gegen den Kläger ergangenen Strafurteils ist, zu Grunde gelegt und als ausreichende Beurteilungs- und Bewertungsgrundlage angesehen, so dass es dahinstehen kann, ob auch ein früherer Vorfall, zu dem ebenfalls ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war, einzubeziehen ist. Ein der Berücksichtigung des letztgenannten Verfahrens entgegenstehendes rechtliches Hindernis bestünde jedenfalls nicht, weil bei der Frage der Zuverlässigkeit einer Person zur Ausübung eines Berufs, bei der es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, das Gericht nicht gehindert, vielmehr sogar gehalten ist, die in einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren oder einem strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung im Hinblick darauf zu unterziehen, ob sich daraus hinreichende Grundlagen für berufsrechtliche Maßnahmen ergeben, und dies uneingeschränkt auch für Akten eines Ermittlungsverfahrens gilt, das nicht zur Anklageerhebung geführt hat.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.1.1991 - 1 BvR 1326/90 -, NJW 1991, 1530; BVerwG, Beschluss vom 28.4.1998 - 3 B 174.97 -, Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 101, die gegen den Beschluss des BVerwG eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG, Beschluss vom 29.7.1998 - 1 BvR 1162/98 -; Bay. VGH, Urteil vom 25.9.1996 - 7 B 95.2642 -, zitiert bei Erdle, Recht der Gesundheitsberufe und Heilpraktiker, Stand: April 2009, 40.1 S. 6
Der Begriff der (berufsrechtlichen) Zuverlässigkeit bezeichnet ein Instrument sicherheits- und ordnungsrechtlicher Gefahrenabwehr. Der Ausschluss unzuverlässiger Erlaubnisbewerber bzw. -inhaber für den Beruf des Logopäden nach den §§ 3 Abs. 2, 2 Abs. 1 Nr. 2 LogG hat demgemäß präventiven Charakter und dient der Abwehr von Gefahren für das Gemeinwohl. Unzuverlässigkeit i. S. d. der Bestimmungen ist dabei - in Anlehnung an entsprechende Begrifflichkeiten in anderen, auch heilberufsrechtlichen Bestimmungen - anzunehmen, wenn bei prognostischer Betrachtung auf Grund einer Würdigung der gesamten Persönlichkeit, des Gesamtverhaltens und der Lebensumstände des Betreffenden unter Berücksichtigung der Eigenart des Berufs nicht die Gewähr besteht, dass dieser in Zukunft seine beruflichen Pflichten zuverlässig erfüllen wird. Für die gebotene Prognose ist dabei abzustellen auf die jeweilige Situation des Betreffenden im maßgeblichen Zeitpunkt, der regelmäßig im Abschluss des behördlichen Verfahrens liegt, sowie auf vor allem durch die Art, Schwere und Zahl der Verstöße gegen die Berufspflichten manifest gewordenen Charakter des Betreffenden.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 26.9.2002 -3 C 37.01 -, NJW 2003, 913 und vom 16.9.1997 - 3 C 12.95 -, NJW 1998, 2756, Beschlüsse vom 9.11.2006 - 3 B 7.06 -, juris, vom 14.4.1998 - 3 B 95.97 -, NJW 1999, 3425, vom 16.7.1996 - 3 B 44.96 -, Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 95, und vom 10.12.1993 - 3 B 38.93 -, Buchholz 418.1 Heilhilfsberufe Nr. 5; OVG NRW, Beschlüsse vom 15.1.2003 - 13 A 2774/01 -, NJW 2003, 1888, und vom 12.11.2002 - 13 A 683/00 -; VG Aachen, Urteil vom 2.2.2009 - 5 K 404/08 -, juris;
Nach den Erkenntnissen aus den Ermittlungs- und Strafakten hat der Kläger bei dem zu Grunde gelegten Vorfall in seinen Praxisräumen sexuell motivierte Handlungen im Beisein und vor einem Kind durchgeführt. Die Initiative zu den sexuellen Handlungen, bezüglich der im Einzelnen auf die Ausführungen im Strafurteil verwiesen wird, ist vom Kläger ausgegangen. Zu Lasten des Klägers fällt auch gravierend ins Gewicht, dass es sich bei dem seinerzeit betroffenen Mädchen um eine wehr- und arglose Patientin gehandelt hat, von der eine Gegenwehr und ein Zurückweisen des sexuellen Begehrens des Klägers nicht zu erwarten war. Der Kläger hat die Ehre und Würde der kindlichen Patientin massiv missachtet und deshalb nicht nur das Vertrauen dieser Patientin, sondern allgemein das für eine erfolgreiche Behandlung durch ihn als Logopäde unerlässliche Vertrauen seiner Patienten und Patientinnen oder deren Eltern und Betreuer verloren, das diese ihm bei der erwarteten Hilfe bei der Bewältigung von Schwächen im sprachlichen Bereich entgegenbringen. Gerade wegen des hauptsächlichen Patientenkreises von Kindern und Jugendlichen und wegen der Besonderheit der logopädischen Tätigkeit in Einzelsitzungen mit den Patienten und Patientinnen muss bei einem Logopäden erwartet werden, dass er sich im sexuellen Bereich jederzeit "in der Gewalt" hat und einem etwaigen Drang zu sexuellen Handlungen in Anwesenheit von Patientinnen, insbesondere Mädchen, nicht nachgibt. Ist dies nicht der Fall und kommt es - wie hier - im Beisein einer wehr- und arglosen Patientin zu sexuellen Entgleisungen, so begründet dies die Unzuverlässigkeit des Betreffenden zur Ausübung des Berufs des Logopäden. Dass es sich, wie der Kläger geltend macht, um einen einmaligen unerklärbaren Vorfall gehandelt habe, steht dem nicht entgegen, weil auch bei einem einmaligen Fehlverhalten und bei einer Sexualstraftat mit singulär-situativem Charakter die Prognose gerechtfertigt ist, der Betreffende werde seine beruflichen Pflichten in Zukunft nicht zuverlässig erfüllen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 3 B 38.93 -, a. a. O.; OVG Bremen, Urteil vom 18.6.2002 - 1 A 216/01 -, NJW 2003, 1887; Bay. VGH, Beschluss vom 20.7.1995 - 21 CS 95.1607 -.
Dies gilt um so mehr, als das Logopädengesetz nur den Begriff der "Unzuverlässigkeit" nennt, nicht aber - wie z. B. die Bundesärzteordnung und das Zahnheilkundegesetz bei Approbationen für die entsprechenden Heilberufe - auch den mit einer eigenständigen Bedeutung versehenen Begriff der "Unwürdigkeit" zur Ausübung des Berufs, und deshalb auch Verhaltensweisen, die - wie hier - eine "Unwürdigkeit" i. S. d. durch die Rechtsprechung erfolgten Auslegung begründen, vom im Logopädengesetz verwendeten Begriff "Unzuverlässigkeit" erfasst werden, und weil die "Unwürdigkeit" zur Ausübung eines Heilberufs regelmäßig auch die "Unzuverlässigkeit" des Betreffenden begründet.
Das Vorbringen des Klägers, die Prognose im Rahmen der Zuverlässigkeitsbewertung sei unvollständig, führt nicht zur Fehlerhaftigkeit derselben und begründet nicht die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide. Im maßgebenden Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides lag der zu Grunde gelegte Vorfall deutlich weniger als zwei Jahre zurück. Dieser kurze Zeitraum reichte angesichts der schwerwiegenden sexuell motivierten Verfehlung des Klägers in Zusammenhang mit einem arglosen Kind nicht aus für die Annahme einer wieder zu bejahenden Zuverlässigkeit für den Logopädenberuf. Hinsichtlich der Umstände, dass er den Vorfall sofort bei seiner ersten richterlichen Vernehmung und auch in der Strafverhandlung zugestanden hat und er kurz nach dem Vorfall eine - im Übrigen ihm schon im Haftverschonungsbeschluss auferlegte - sexualtherapeutische Behandlung begonnen hat, unterscheidet sich der Kläger zwar von einer Vielzahl der dem Senat in vergleichbaren Verfahren bekannt gewordenen Täterpersonen und Gegebenheiten. Diese Umstände sind in dem Strafurteil zu Gunsten des Klägers berücksichtigt worden. Dieser strafrechtlichen Wertung kommt aber keine präjudizielle Wirkung für die nach anderen Kriterien als Strafzumessungserwägungen zu treffende umfassendere Entscheidung zur berufsrechtlichen Zuverlässigkeit zu. Den zu der therapeutischen Behandlung des Klägers seinerzeit abgegebenen Stellungnahmen des ihn behandelnden Diplom-Psychologen kommt angesichts des vom Berufungsgericht eingeholten detaillierteren Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S., das auf den maßgebenden Zeitraum abstellt, keine eigenständige Aussagebedeutung mehr zu. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass dem Kläger im Strafurteil ein Behandlungsverbot für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren weiblichen Geschlechts für die Dauer von 3 Jahren auferlegt worden ist. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger sich in der Folgezeit an dieses Verbot gehalten hat - Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht der Fall war, sind nicht gegeben -, so dass bis zum maßgebenden Zeitpunkt keine von dem Behandlungsverbot erfasste Patientinnen behandelt wurden. Andererseits kann der Kläger diesen Umstand aber auch nicht in der Weise für sich "in Anspruch nehmen", dass sich keine dem entscheidenden Vorfall vergleichbare Vorfälle ergeben hätten, er sich also praktisch in dieser Zeit "bewährt" habe. Im Übrigen bedingt auch die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der letzten Behördenentscheidung für die Beurteilung der Rechtslage, dass nach diesem Zeitpunkt eintretende tatsächliche oder rechtliche Umstände, die zu einer Änderung der Zuverlässigkeits-Prognoseentscheidung Anlass geben könnten, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen der Anfechtung des Erlaubniswiderrufs nicht berücksichtigungsfähig sind und nur in einem Verfahren auf Wiedererteilung der Erlaubnis geltend gemacht werden können.
(II) Der umfassende und uneingeschränkte Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung "Logopäde" ist aber mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem gerade im Bereich der Gefahrenabwehr und insbesondere im Rahmen des die Berufsfreiheit schützenden Art. 12 Abs. 1 GG Bedeutung zukommt, nicht vereinbar. Da die Freiheit der Berufswahl auch die Freiheit der Entscheidung darüber umfasst, ob und wie lange der Beruf fortgesetzt werden soll, vgl. BVerfG, Beschluss vom 2.3.1977 - 1 BvR 124/76 -, NJW 1977, 892, stellt sich der in Frage stehende Widerruf der Erlaubnis als Eingriff in die Berufsfreiheit und zwar auf der Stufe der Berufswahl dar. Einschränkungen der Berufswahl sind aber nur dann verfassungsgemäß, wenn und solange sie zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter notwendig sind und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Zweck und Mittel strikt beachten. Insbesondere darf gerade in diesen Zusammenhängen weder bei den zu Grunde liegenden, die Beschränkung einer Berufserlaubnis ermöglichenden Normen, noch bei der jeweiligen Einzelfallentscheidung außer Acht gelassen werden, dass regelmäßig niemand auch nach einer begangenen Straftat lebenslang von der gewählten Berufstätigkeit ausgeschlossen werden darf, und muss wegen der mit einem Berufsverbot verbundenen tiefgreifenden Auswirkungen auf die private und familiäre Existenz auch in verwaltungsrechtlichen Verfahren die Fähigkeit des Menschen zur Änderung und zur Resozialisierung Berücksichtigung finden.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4.4.1984 - 1 BvR 1287/83 -, NJW 1984, 2341 und vom 3.6.2004 - 2 BvR 1802/02 -, NJW 2004, 2890; BVerwG, Urteil vom 26.9.2002 - 3 C 37.01 -, a. a. O.
Als wichtige Gemeinschaftsgüter, deren Schutz die Vorschriften über den Widerruf einer Erlaubnis bezwecken, kommen allgemein der Schutz der Bevölkerung und im Hinblick auf das Logopädengesetz die sachgerechte Hilfe für Patienten mit Sprachstörungen im weiteren Sinne, die nur bei einem uneingeschränkten Vertrauen des Patienten in die heilberufliche und charakterliche Integrität des behandelnden Logopäden gewährleistet ist, und vor allem der Schutz der körperlichen und seelischen Unversehrtheit der - zum großen Teil minderjährigen - Patienten und Patientinnen in Betracht. Die Maßnahmen, die zur Erreichung dieses Zwecks notwendig und geeignet sind, sind hinzunehmen. Andererseits gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Verwaltungsbehörde gerade auch im Bereich der Gefahrenabwehr, nur solche Maßnahmen zu ergreifen, die zum Schutz der Gemeinschaftsgüter ausreichend sind und von insoweit überschießenden Maßnahmen abzusehen.
Vgl. auch OVG Bremen, Urteil vom 20.12.2005 - 1 A 260 /04 -, NordÖR 2006, 171.
In diesem Bewertungsrahmen ist von Bedeutung, ob der Schutz der Allgemeinheit bzw. der Patienten nur durch einen uneingeschränkten Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung "Logopäde" gewährleistet oder ob dieser Zweck mit gleicher Wirkung auch durch eine weniger belastende Maßnahme erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang kommt im Rahmen der Zuverlässigkeitsprognose der Frage der Wiederholungs- und Rückfallgefahr nach Sexualdelikten entscheidendes Gewicht zu.
Unter Berücksichtigung des im Berufungsverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachtens des Dr. S., dessen schriftlicher Ergänzung und der zusätzlichen Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ist diese nach Auffassung des Senats für den maßgebenden Zeitpunkt differenziert zu beurteilen und erfordert im Rahmen der Gefahrenabwehr der notwendige Patientenschutz nicht den totalen und uneingeschränkten Widerruf der Berufserlaubnis des Klägers. Das Gutachten und die weiteren Erläuterungen des Sachverständigen sind für den Senat nachvollziehbar und überzeugend. Der Sachverständige hat bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung erneut auf die Schwierigkeiten einer psychiatrischen Bewertung in Bezug auf die anstehende Frage der Risikobeurteilung und der Rückfallprognose hingewiesen, die beim Kläger zusätzlich dadurch erschwert worden sei, dass es sich bei dem zu Grunde gelegten Vorfall um einen singulären Vorfall gehandelt habe, der sich nicht in die sonstigen sexuellen Phantasien des Klägers einfüge, und dass die Motivation des Klägers für den Vorfall auch im Nachhinein nicht habe erkannt werden können, was wiederum eine Empfehlung für bestimmte therapeutische Maßnahmen erschwere. Es gehe bei der anstehenden Frage letztlich um eine Art Risikomanagement, in das die Einzelfallwertung des Betroffenen mit risikoerhöhenden und risikomindernden Faktoren eingehe, bei dem aber auch statistische Erkenntnisse zur Rückfallgefahr bei Sexualstraftätern berücksichtigt werden müssten.
Der Sachverständige ist bei der Begutachtung des Klägers, ausgehend von dessen schwergewichtig gewerteter Sexualstraftat, auf Grund einer integrierenden Gesamtbetrachtung verschiedener Aspekte, auch unter Einbeziehung klägerbezogener Komponenten, und unter Berücksichtigung statistischer Werte zur Rückfallgefahr bei Sexualstraftätern zu der Wertung gekommen, dass bei dem Kläger - abgestellt auf den maßgebenden Zeitpunkt - "Hinweise auf eine nicht außerordentlich hohe Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass es in den nächsten Jahren erneut zu einem sexuellen Missbrauch im beruflichen Kontext kommen wird". Der Sachverständige hat aber zugleich die Aussage getätigt, eine verlässliche Schlussfolgerung, dass die Wahrscheinlichkeit weiterer sexuell motivierter Handlungen bei der Berufsausübung des Klägers nahe Null oder gering sei, sei nicht möglich. Diese Wertung entspricht, weil eine absolute Aussage zur Rückfallwahrscheinlichkeit bei Sexualstraftätern nicht erwartet werden kann, einer seriösen Behandlung des Gutachtenauftrags. Der Sachverständige hat beim Kläger keine Hinweise für eine homosexuelle pädöphile Deviation im Sinne der Internationalen Klassifikation der Krankheiten - ICD-10 - und auch keine Anhaltspunkte für eine homosexuelle Orientierung festgestellt und hat eine im Verhältnis zu allen Männern mit vergleichbaren Angaben erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit homopädophiler Handlungen oder homosexueller Handlungen an abhängigen männlichen Erwachsenen verneint. In Bezug auf Frauen und Mädchen wertet der Senat die Ausführungen des Sachverständigen dahin, dass insoweit das Risiko eines Rückfalls des Klägers bestehen könnte, wobei dies wesentlich von situativ-konstellativen Faktoren und insbesondere davon abhängig ist, ob der Kläger weiterhin ungestörten Kontakt zu widerstandseingeschränkten bzw. -unfähigen Mädchen und/oder Frauen haben wird. Nach den Wertungen des Sachverständigen kann insoweit aber eine ganz erhebliche Risikoverringerung für sexuell motivierte Handlungen dadurch erreicht werden, dass der Kläger von deren Behandlung ausgeschlossen wird. Die Kernaussage und -wertung des Sachverständigen besteht demnach darin, dass es aus psychiatrischer Sicht vertretbar ist, dem Kläger die Behandlung von Jungen und Männern zuzugestehen, die Behandlung von Mädchen und Frauen hingegen nicht.
Dem schließt sich der Senat, dem keine über die Feststellungen des Sachverständigen hinausgehende und dessen Schlussfolgerungen in Frage stellende Erkenntnisse zur Verfügung stehen, an. Das - von unterschiedlichen Interessen getragene - Vorbringen der Beteiligten zum Gutachten des Sachverständigen ist nicht geeignet, dessen Wertungen entscheidend in Frage zu stellen. Die Befragung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung durch den Bevollmächtigten des Klägers hat eine Lückenhaftigkeit und Widersprüchlichkeit der gutachterlichen Feststellungen mit der Folge, dass diese als nicht nachvollziehbar anzusehen sind und das Gutachten nicht verwertbar ist, nicht ergeben. Die Stellungnahmen des Beklagten zu den Ausführungen des Sachverständigen lassen die im Rahmen der Gefahrenabwehr notwendige differenzierte Sichtweise zu der Rückfallgefahr beim Kläger und zur Gefährdungswahrscheinlichkeit für die unterschiedlichen Patientengruppen nicht erkennen und sind offenbar von der nicht gerechtfertigten Vorstellung getragen, den Kläger für immer von logopädischen Behandlungstätigkeiten fernhalten zu müssen.
In der Konsequenz der Ausführungen und Bewertungen des Sachverständigen und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der im Bereich der Gefahrenabwehr eine Beschränkung behördlicher Maßnahmen auf das zum Schutz der betreffenden Rechtsgüter unbedingt notwendige Maß bedingt, ergibt sich somit, dass zum maßgebenden Zeitpunkt ein uneingeschränkter Widerruf der Erlaubnis des Klägers zum Schutz der Patienten nicht zwingend geboten war und dass zur Erreichung hinreichenden Patientenschutzes eine Beschränkung des Widerrufs auf die Behandlung weiblicher Personen ausreichend ist.
Einer in diesem Sinne nach Geschlechtern orientierten Beschränkung des Widerrufs der Erlaubnis steht nicht entgegen, dass das BVerwG in Bezug auf Approbationen bei Heilberuflern entschieden hat, diese seien nicht teilbar und könnten auch nicht mit Nebenbestimmungen versehen werden.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 26.9.2002 - 3 C 37.01 -, a. a. O., vom 9.12.1998 - 3 C 4.98 -, NJW 1999, 1798, und vom 16.9.1997 - 3 C 12.95- , a. a. O.
Schon im Ansatz steht hier nicht die Frage der Teilbarkeit der Logopädenerlaubnis im Raum, sondern die, welche Maßnahmen im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu einem ausreichenden Schutz für die tangierten Rechtsgüter erforderlich/notwendig sind. Das BVerwG hat zudem in der Entscheidung vom 9.12.1998 - 3 C 4.98 - die Folgerung einer fehlenden Einschränkung einer Approbation (nach der Bundesärzteordnung) entscheidend daraus abgeleitet, dass die Bundesärzteordnung außer einer Approbation eine Berufserlaubnis benennt und zeitliche und sachliche Beschränkungen in der Ausübung der Heilkunde nur der Berufserlaubnis, nicht aber (auch) der Approbation zuordnet. Ein derartiges Nebeneinander von Approbation und (Berufs-)Erlaubnis gibt es aber nach dem Logopädengesetz nicht, so dass eine differenzierende Betrachtungsweise der Wirkungen und Geltungsbereiche beider Berechtigungen für die Heilkundeausübung nicht möglich ist und die allein mögliche Erlaubnis für die Logopädentätigkeit (§ 1 LogG) nach den allgemein für berufsrechtliche Erlaubnisse geltenden Regelungen zu beurteilen ist. Die Gesetzesmaterialien zum Logopädengesetz (BT-Drucks. 7/3852, 8/741) bieten insoweit keine entscheidende Auslegungshilfe, weil darin - ohne weitere Konkretisierung - nur vorgesehen ist, dass der Gesetzesentwurf Vorschriften über Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis enthält und § 3 diese Möglichkeiten regelt.
Zudem unterliegt die Berufszulassung auch in anderen Fällen einer Beschränkung, die sich an den von der Tätigkeit betroffenen Zielgruppen orientiert. Diesbezüglich erfolgt eine differenzierende Betrachtung, wobei dies im heilberuflichen Bereich teilweise bereits "von Gesetzes wegen" durch auf bestimmte Patienten-/Zielgruppen abstellende fixierte Berufsbilder geschieht (beispielsweise Altenpfleger, Kinderkrankenpfleger; Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut). Bei Berufserlaubnissen, bei denen eine derartige gesetzliche Begrenzung der erlaubten Tätigkeit auf bestimmte Patientengruppen nicht besteht, muss dies - gerade unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und einer gebotenen Beschränkung der Maßnahmen gegen einen Erlaubnisinhaber auf diejenigen, die zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung unbedingt notwendig, aber auch ausreichend sind - ebenfalls möglich sein. Hinzu kommt, dass im Falle der Erteilung einer Erlaubnis nach § 1 LogG grundsätzlich eine die Beschränkung der Tätigkeit auf bestimmte Patientengruppen sicherstellende Auflage oder sonstige Nebenbestimmung nach § 36 VwVfG bzw. § 36 VwVfG NRW zulässig erscheint. Dieser Möglichkeit kann im Falle eines anstehenden Widerrufs einer Berufserlaubnis durch eine Beschränkung auf die Patientengruppen, hinsichtlich derer eine Gefährdung i. S. d. öffentlichen Sicherheit und Ordnung angenommen werden muss, und durch eine entsprechende Teilaufhebung des Erlaubniswiderrufs hinreichend Rechnung getragen werden. Dabei erfolgt in Bezug auf die Patientengruppe der Mädchen/ Frauen, bei der eine Behandlung durch den Kläger nicht erfolgen soll, keine weitere Differenzierung nach Alter oder Art der Erkrankung der Patientinnen, weil sich auch der Sachverständige in seinem Gutachten nicht zu einer solchen in der Lage gesehen hat und außerdem eine zu starke Zersplitterung der Erlaubnis nicht praktikabel und daher nicht zweckmäßig ist. Die nach dem Alter der Patientinnen differenzierende "Prognose" im Strafurteil ist angesichts der Bemerkung des Sachverständigen Dr. S., diese sei "kritisch zu hinterfragen", insoweit nicht ergiebig.
Die Frage der Kontrollierbarkeit und Überwachung der Tätigkeit des Klägers als Logopäde steht einer Teilaufhebung des Erlaubniswiderrufs nicht entscheidend entgegen. Dass dies nicht hinreichend durch Vorlage des Terminkalenders und von Behandlungs- und Abrechnungsunterlagen des Klägers erfolgen kann oder dies einen aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität nicht hinnehmbaren Aufwand für den Beklagten bedeuten würde, ist nicht erkennbar. Zudem ist angesichts dessen, dass seinerzeit intensiv in der Presse von dem Strafverfahren gegen den Kläger berichtet wurde und sein damaliges schwerwiegendes Fehlverhalten in seinem beruflichen und privaten Umfeld bekannt sein wird, davon auszugehen, dass der Kläger schon im eigenen Interesse die Grenzen für seine logopädische Behandlungstätigkeit einhalten wird. Ob diese beispielsweise auch auf dem Praxisschild oder bei sonstigen Angaben kenntlich gemacht werden müssen, kann dahinstehen.
Ende der Entscheidung
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