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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.11.2008
Aktenzeichen: 13 A 2659/06
Rechtsgebiete: AMG


Vorschriften:

AMG § 109a Abs. 3
Stoffe, deren abschließende Bewertung im Sinne einer Nutzen-Risiko-Abschätzung näherer Prüfung bedarf, sind nicht in die sog. Traditionsliste (§ 109a Abs. 3 AMG) aufzunehmen.
Tatbestand:

Die Klägerin begehrt im arzneimittelrechtlichen Nachzulassungsverfahren die Aufnahme des in dem streitbefangenem Arzneimittel enthaltenen Stoffs "Bioaktiv-fermentativ aufgeschlossene Bienenpollen, standardisiert auf das Pollenspektrum einer Vegetationsperiode" in die Aufstellung der Stoffe und Stoffkombinationen nach § 109a Abs. 3 AMG (sog. Traditionsliste). Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnte den Antrag auf Nachzulassung ab. Die auf Neubescheidung gerichtete Klage wies das VG ab, weil sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis im Rahmen der nach § 109a Abs. 3 AMG nur möglichen Prüfung als ungünstig erweise und eine Abklärung dem regulären Nachzulassungsverfahren oder einer Neuzulassung vorbehalten sei. Auch der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Die Klägerin macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend und trägt hierzu vor, das VG habe im Zuge der Anwendung des § 109a Abs. 3 AMG eine negative Risiko-Nutzen-Bewertung nicht ohne weitere Sachverhaltsermittlung bejahen dürfen. Zudem habe das VG diese Norm unzutreffend ausgelegt, da es nicht die wissenschaftliche Erhärtung etwaiger Verdachtsmomente gefordert habe.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus diesem Vortrag nicht. Das VG hat vielmehr zutreffend entschieden, dass die Aufnahme des in dem streitbefangenem Arzneimittel enthaltenen Stoffs "Bioaktiv-fermentativ aufgeschlossene Bienenpollen, standardisiert auf das Pollenspektrum einer Vegetationsperiode" in die Aufstellung der Stoffe und Stoffkombinationen nach § 109a Abs. 3 AMG (sog. Traditionsliste) ausscheidet, weil die Einnahme von Pollenzubereitungen bei entsprechend sensibilisierten Patienten mit dem Risiko von allergischen Typ I-Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock einhergeht.

Bei der Aufstellung der Traditionsliste nach § 109a Abs. 3 AMG befindet ("anerkennt") die Behörde über die Zuordnung von Stoffen/Stoffkombinationen und Anwendungsgebieten. Die Behörde legt fest, welche Stoffe/Stoffkombinationen zu welchen Anwendungsgebieten "passen" in dem Sinne, welche Stoffe/Stoffkombinationen für welche Anwendungsbereiche therapeutisch wirksam sind. § 109a Abs. 3 AMG schreibt ohne jede Einschränkung fest, dass die Anforderungen an die therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels "erfüllt" sind, wenn es Anwendungsgebiete beansprucht, die Aufnahme in die Traditionsliste gefunden haben. Die Aufnahme ist nicht präparate-, sondern stoffbezogen. Sie gilt nicht wie die Wirksamkeitsüberprüfung im herkömmlichen Nachzulassungsverfahren für ein einziges Arzneimittel. Auf diese Weise können mehrfache Prüfungen desselben Sachverhalts vermieden und dadurch der mit der entsprechenden Gesetzesänderung ebenfalls verfolgte Beschleunigungseffekt erreicht werden. Die Behörde hat in einem solchen Fall lediglich zu prüfen, ob eine entsprechende Listeneintragung vorliegt. Die Traditionsliste "schichtet" sozusagen einen Prüfungspunkt ab. Eine Listenposition erlaubt dem pharmazeutischen Unternehmer Abstand zu nehmen von der sonst auch im Nachzulassungsverfahren bestehenden Verpflichtung, die therapeutische Wirksamkeit seines Arzneimittels durch Vorlage der erforderlichen Unterlagen nachzuweisen. Diese verfahrensrechtliche Erleichterung für die von § 109a AMG erfassten Arzneimittel war das Motiv für die Einfügung dieser Bestimmung in das Gesetz; es ist durch § 109a AMG ein Auffangbecken für traditionelle Arzneimittel geschaffen worden, weil die Befürchtung bestand, diese Arzneimittel würden den strengen Anforderungen eines schulmedizinischen Wirksamkeitsnachweises nicht entsprechen können.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.2003 - 3 C 29.02 -, NVwZ 2004, 349, 350.

Der Senat hat bereits entschieden, dass bei der Entscheidung über die Aufnahme in die Traditionsliste auch die Unbedenklichkeit des Stoffes oder der Stoffkombination zu berücksichtigen ist. Dieses Erfordernis ist im Gesetz nicht ausdrücklich bestimmt. Insoweit handelt es sich um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, dessen fehlende Erwähnung als schlichtes Redaktionsversehen zu betrachten ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27.9.2005 - 13 A 4090/03 -, Pharma Recht 2005, 497; nachfolgend BVerwG, Beschluss vom 27.6.2007 - 3 B 187.05 -, juris; vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 4.9.2008 - 13 A 4850/05 -, und vom 13.11.2008 - 13 A 1355/06 -, juris.

Das BVerwG vertritt nunmehr auch diese Auffassung: Von der Unbedenklichkeit des Arzneimittels sei in § 109a Abs. 3 AMG zwar nicht die Rede, aber der Zweck des § 109a Abs. 3 AMG, freiverkäufliche traditionell angewendete Arzneimittel von der Durchführung der in § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG vorgeschriebenen pharmakologisch-toxikologischen und der klinischen Prüfung freizustellen, spreche für diese Ansicht.

So BVerwG, Urteil vom 26.4.2007 - 3 C 36.06 -, NVwZ-RR 2007, 774, 775.

Unbedenklichkeit und Wirksamkeit können daher im Rahmen des § 109a Abs. 3 AMG nicht getrennt werden. Dies wird auch an der Regelung des § 109a Abs. 2 AMG deutlich, wonach das in § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AMG geforderte analytische Gutachten vorliegen muss. Demgegenüber haben die pharmakologisch-toxikologischen und klinischen Prüfungen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG), die nach § 109a Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 105 Abs. 4 a Satz 1 AMG nicht vorzunehmen sind, nicht nur die therapeutische Wirksamkeit, sondern auch die Unbedenklichkeit des Arzneimittels zum Gegenstand. Bezöge sich § 109a Abs. 3 AMG nur auf die Wirksamkeit, nicht aber auf die Unbedenklichkeit, die nach § 5 AMG alle Arzneimittel einschließlich der traditionellen aufweisen müssen, so wäre der erstrebte Entlastungseffekt nicht erreicht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2007 - 3 C 36.06 -, a. a. O.

Die Unbedenklichkeit ist im Verhältnis zum therapeutischen Nutzen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft zu bewerten. Diese inhaltliche Verknüpfung wird seit dem am 6.9.2005 in Kraft getretenen 14. AMG-Änderungsgesetz als Nutzen-Risiko-Verhältnis bezeichnet und als Bewertung der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu seinen Risiken definiert (§ 4 Abs. 28 AMG). Liegt der begründete Verdacht vor, dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen, scheidet die Aufnahme in die sog. Traditionsliste aus.

Zur Streichung traditionell angewendeter Arzneimittel aus der sog. Traditionsliste vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2007 - 3 C 36.06 -, a. a. O.

Hieraus folgt unter Berücksichtigung des mit der Einführung des § 109a Abs. 3 AMG verfolgten Beschleunigungseffekts, dass solche Stoffe nicht in die sog. Traditionsliste aufzunehmen sind, deren abschließende Bewertung im Sinne einer Nutzen-Risiko-Abschätzung näherer Prüfung bedarf.

Hiervon ausgehend hat die Beklagte wegen des Risikopotentials bei der Einnahme von Pollenzubereitungen bei entsprechend sensibilisierten Patienten und des Risikos gastrointestinaler Beschwerden nach Einnahme des Referenzpräparats die Einrichtung der begehrten Listenposition zu Recht versagt. Insoweit kann insbesondere auf den Erfahrungsbericht der Klägerin vom 5.5.2000 und die Ausführungen des VG hierzu verwiesen werden. Das von der Klägerin vorgelegte Gutachten des Dr. E. befürwortet zudem die Anwendung des Referenzpräparats bei Patienten mit pollenallergisch bedingtem Asthma nur im Rahmen einer ärztlichen Behandlung. All dies weist auf ein mit den Besonderheiten traditioneller Arzneimittel nicht vereinbares Risikopotential hin. Deshalb durfte das VG zu dem Ergebnis gelangen, dass der therapeutische Nutzen in keinem angemessenen Verhältnis zu den aufgezeigten Risiken steht. Einer weitergehenden Abklärung bedurfte es wegen des eingeschränkten Prüfungsumfangs im Verfahren nach § 109a Abs. 3 AMG nicht. Es kommt auch nicht darauf an, dass die Beklagte andere potentiell allergene Stoffe in die Traditionsliste aufgenommen hat und für den mit dem hier streitgegenständlichen Stoff teilidentischen Stoff "Pollen" eine Listenposition existiert. Die Anwendungsgebiete dieser Stoffe richten sich nicht an den Kreis derjenigen Patienten, die gegen den betreffenden Wirkstoff Allergien ausgebildet haben. In der betreffenden Monographie "Pollen" vom 17.1.1991 ist dem potentiell bestehenden Allergierisiko durch die Aufnahme einer entsprechenden Gegenanzeige Rechnung getragen worden. Dies hätte aber für den hier in Rede stehenden Patientenkreis zur Folge, dass er vollständig von der Anwendung des Präparats ausgeschlossen wäre.

Die Rechtssache weist, weil die aufgeworfenen Fragen bereits höchstrichterlich geklärt sind, auch keine besondere rechtlichen Schwierigkeiten auf (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Eine grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kommt der Rechtssache deshalb auch nicht zu. Schließlich hat die Klägerin keinen Verfahrensmangel i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO aufgezeigt. Einer weitergehenden Aufklärung des Sachverhalts bedurfte es nach den obigen Ausführungen nicht. Abgesehen hiervon wäre es Sache der Klägerin gewesen, vor dem Verwaltungsgericht einen entsprechenden Beweisantrag nach § 86 Abs. 2 VwGO zu stellen. Das Verwaltungsgericht ist zwar grundsätzlich verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Gleichwohl kann eine Verletzung der Pflicht des Gerichts zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung durch Nichterhebung von Beweisen nicht geltend gemacht werden, wenn ein durch einen Rechtsanwalt vertretener Beteiligter von einem förmlichen Beweisantrag abgesehen hat,

vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.11.2006 - 7 LA 45/06 -, NJW 2007, 1079; Roth, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 124 Rn. 90,

es sei denn, dem Gericht musste sich eine bestimmte Sachverhaltsermittlung auch ohne einen solchen Beweisantrag aufdrängen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 2.11.2007 - 3 B 58.07 -, NVwZ 2008, 230.

So lag es hier aber nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertänderung und -festsetzung für das Berufungszulassungsverfahren beruht auf § 72 Nr. 1 Hs. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 5 ZPO. Soweit nichts anderes bestimmt ist, ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Der Senat entscheidet regelmäßig, dass die Festsetzung auf 50.000,-- Euro typischerweise den Jahresgewinn für eine Arzneimittelzulassung erfasst und setzt den Streitwert in Hauptsacheverfahren entsprechend fest.

Vgl. etwa Beschluss vom 27. August 2008 - 13 A 4034/05 -.

Die kumulative Klagehäufung hinsichtlich des Antrags auf Einräumung einer Listenposition und auf Erteilung einer Zulassung nach § 105 Abs. 4f, § 109a AMG gebietet hier keine Werteaddition nach § 5 ZPO, weil die Klagebegehren letztlich auf dasselbe Ziel, nämlich die Nachzulassung, gerichtet sind.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6.8.2007 - 13 A 598/07 -, juris, und vom 4.9.2008 - 13 A 4850/05 -.

Ende der Entscheidung

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