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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 29.04.2008
Aktenzeichen: 13 A 3183/05
Rechtsgebiete: AMG-EV, AMG


Vorschriften:

AMG-EV § 1
AMG-EV § 2
AMG-EV § 3
AMG § 105 Abs. 4a
Soweit zwecks Vermeidung des Erlöschens der fiktiven Zulassung nach §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 4 Abs. 2 der am 1.1.2001 in Kraft getretenen Arzneimittel-Einreichungsverordnung (AMG-EV) für das Nachzulassungsverfahren zwingend auch die Vorlage von Unterlagen auf elektronischen Speichermedien bis zum 1.2.2001 erforderlich ist, fehlt es an einer verfassungsrechtlich unbedenklichen verfahrensadäquaten Ausgestaltung des § 105 Abs. 4a Satz 4 AMG.

§§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 4 Abs. 2 AMG-EV können für das Nachzulassungsverfahren gleichwohl hingenommen werden, weil eine sachgerechte und an verfassungsrechtlichen Grundsätzen orientierte Anwendung wegen der in § 3 AMG-EV eingeräumten Dispensregelung möglich ist.


Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Nachzulassung für drei Arzneimittel. Die Beklagte ist der Auffassung, die fiktiven Zulassungen seien nach § 105 Abs. 4a Satz 4 AMG erloschen, weil die Klägerin die für die Nachzulassung nach § 105 Abs. 4a Satz 1 AMG erforderlichen Unterlagen rechtzeitig bis zum 1.2.2001 nur in Schriftform, nicht aber wie nach der am 1.1.2001 in Kraft getretenen Arzneimittel-Einreichungsverordnung vorgesehen, auch in elektronischer Form eingereicht habe.

Das VG gab der Klage der Klägerin auf Verpflichtung der Beklagten, über den Antrag auf Verlängerung der Zulassung für die drei Arzneimittel zu entscheiden, mit der Begründung statt, die fiktiven Zulassungen seien nicht erloschen. Die gegen das Urteil gerichtete Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Gründe:

Die Klage ist begründet, weil die Beklagte verpflichtet ist, die Verlängerungsanträge der Klägerin betreffend die Arzneimittel K.-N., K. Lactat und K. C. mit Glucose in der Sache zu bescheiden. Anders als die Beklagte meint, sind die fiktiven Zulassungen nicht erloschen.

Für die streitgegenständlichen Arzneimittel ist gemäß Art. 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 AMNG in der Fassung vom 24.8.1976 (BGBl. I S. 2445, 2477) eine fiktive Zulassung entstanden, nachdem die sich im Verkehr befindlichen Arzneimittel in einer den Anforderungen des Art. 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 AMNG genügenden Weise dem Bundesgesundheitsamt am 18.5.1978 (K.-N., K. Lactat) und am 9.6.1978 (Basis-Elektrolytlösung mit 5 %) angezeigt worden waren. Die fiktiven Zulassungen gelten nach Art. 3 § 7 Satz 3 Satz 1 AMNG fort, da die Klägerin vor dem 30.12.1989 und damit vor dem Erlöschen der fiktiven Zulassungen entsprechend Art. 3 § 7 Abs. 3 Satz 1 AMNG in der Fassung des Gesetzes vom 24.2.1983 (BGBl. I S. 169) fristgemäß für alle drei Arzneimittel den Kurzantrag und bis Juli 1993 entsprechend Art. 3 § 7 Abs. 4 Satz 4 AMNG in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 11.4.1990 (BGBl. I S. 717, 724 f.) den sog. Langantrag gestellt hat.

Die fiktiven Zulassungen sind auch nicht gemäß § 105 Abs. 4a Satz 4 AMG in der Fassung des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 4.7.2000 (BGBl. I S. 1002) erloschen. Danach erlischt ausgenommen in den Fällen des § 109a AMG, ein solcher Fall liegt hier nicht vor, die Zulassung, wenn die in § 105 Abs. 4a Satz 1 bis 3 AMG genannten Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht werden. Gemäß § 105 Abs. 4a Satz 1 1. Halbsatz AMG sind dem Antrag auf Verlängerung der Zulassung nach § 105 Abs. 3 AMG die Unterlagen nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AMG sowie die Gutachten nach § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 AMG bis zum 1.2.2001 nachzureichen, soweit diese Unterlagen nicht bereits vom Antragsteller vorgelegt worden sind. Zu den nach § 22 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 AMG vorzulegenden Unterlagen gehören die Ergebnisse der pharmakologischen und toxikologischen Versuche sowie die Ergebnisse der klinischen Prüfungen. In welcher Form die Unterlagen nachzureichen sind, bestimmt § 105 Abs. 4a Satz 1 1. Halbsatz AMG nicht. Dies ergibt sich aus § 35 Abs. 1 Nr. 1 AMG in der bis zum 5.8.2004 geltenden Fassung des Achten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 7.9.1998 (BGBl. I S. 2649) i.V.m. §§ 2, 4 Abs. 2 AMG-EV vom 21.12.2000 (BGBl. I S. 2036). Danach besteht neben der Verpflichtung, die in § 2 Abs. 1 AMG-EV benannten Unterlagen unter Verwendung elektronischer Speichermedien einzureichen, zusätzlich die Verpflichtung, diese in der Übergangszeit bis zur Herstellung der Voraussetzungen für eine qualifizierte Signatur in Schriftform einzureichen.

Vgl. hierzu BT-Drucks. 745/00 zu § 4 AMG-EV.

Etwas anderes gilt gemäß § 4 Abs. 1 AMG-EV lediglich in Fällen, in denen die Unterlagen vor dem Inkrafttreten der AMG-EV am 1.1.2001 (vgl. § 5 Abs. 1 AMG-EV) eingereicht wurden. Eine solche Ausnahme liegt nicht vor. Zwar hatte die Klägerin die Unterlagen am 29.12.2000 per Expresspaket abgesandt, diese gingen jedoch erst am 2.1.2001 bei der DMI ein.

Die Klägerin hat zwar gegen die Verpflichtung, die Unterlagen in elektronischer Form rechtzeitig bis zum 1.1.2001 einzureichen, verstoßen. Der Verstoß gegen die zwingenden Verfahrensvorschriften ist auch nicht unbeachtlich. In Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 3 AMG-EV ist der Klägerin jedoch fristwahrend die ausschließlich schriftliche Einreichung der Unterlagen zu gestatten.

Der Verstoß gegen die in §§ 1, 2 AMG-EV vorgesehene Nutzung elektronischer Speichermedien ist beachtlich, weil es sich hierbei um zwingende Verfahrensvorschriften handelt, deren Nichtbeachtung grundsätzlich zur Unwirksamkeit der nach § 105 Abs. 4a Satz 1 AMG erforderlichen Verfahrenshandlung führt.

Zu Formvorschriften als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verfahrenshandlung vgl. BVerwG, Urteil vom 5.3.1998 - 7 C 21.97 -, Buchholz 428 § 30 VermG Nr 8; Hamb. OVG, Beschluss vom 31.5.2002 - 3 Bs 156/02 -, juris -; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 9.10.2001 - 10 S 519/00 -, RdL 2002, 99.

Allein dieses Verständnis entspricht der Absicht des Verordnungsgebers, wie sie auch im Wortlaut der AMG-EV eindeutig und klar zum Ausdruck kommt. Die Formulierung in § 1 Abs. 1 Satz 1 AMG, wonach Unterlagen "einzureichen sind", die Überschrift des § 2 AMG-EV, in der es "Pflicht zur Verwendung elektronischer Speichermedien für die Einreichung von Unterlagen" heißt, sowie die Regelung in § 3 AMG-EV, nach der abweichend von § 2 AMG-EV in Ausnahmefällen das ausschließlich schriftliche Einreichen von Unterlagen gestatten werden kann, lassen keinen Raum für die Annahme, es handele sich bei der Regelung über das Einreichen von Unterlagen unter Verwendung elektronischer Speichermedien lediglich um eine (unverbindliche) Ordnungsvorschrift. Entsprechendes ergibt sich auch aus der amtlichen Begründung der Verordnung, in der darauf verwiesen wird, dass von der in § 2 AMG-EV normierten Pflicht nur in den Fällen des § 3 AMG-EV abgewichen werden kann.

Vgl. BR-Drucks. 745/00, S. 5.

Die Verpflichtung, elektronische Speichermedien zu verwenden, ist von der zu Grunde liegenden gesetzlichen Ermächtigung des § 35 AMG a.F. gedeckt. Durch das Achte Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 7.9.1998 ergänzte der Bundesgesetzgeber die Regelung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 AMG a.F. zwecks weiterer Erleichterung des Verfahrens dahingehend, vgl. BT-Drucks. 13/9996, S. 15, den Verordnungsgeber zu ermächtigen, zu erlauben, aber auch verpflichtend vorzuschreiben, dass Unterlagen auf elektronischen oder optischen Speichermedien eingereicht werden.

Der Verstoß gegen die Verpflichtung zur elektronischen Einreichung der Unterlagen ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil die Regelungen der AMG-EV in unzulässiger Weise Geltung für das Nachzulassungsverfahren beanspruchen.

Die AMG-EV findet insoweit zunächst eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage in der Verordnungsermächtigung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AMG a. F. Die Vorschrift spricht zwar nur vom Verfahren "bei der Zulassung" und benennt damit nicht ausdrücklich die Verlängerung der Zulassung nach § 31 oder nach § 105 AMG. Verlängerungen der fiktiven Arzneimittelzulassungen sind aber begrifflich ebenso unter die "Zulassung" zu subsumieren, wie Verlängerungen derselben, weil der Gesetzgeber begrifflich nicht zwischen Nachzulassung und Zulassung differenziert.

Vgl. Brixius, Rechtmäßigkeit der AMG-Einreichungsverordnung unter besonderer Berücksichtigung von Nachzulassung und Registrierung traditioneller pflanzlicher Arzneimittel, PharmaR 2005, 173 (174); Brixius/Schneider, Nachzulassung und AMG-Einreichungs-verordnung, 2004, 249; Linse/Porstner/Weidner, Die elektronische Einreichung von Unterlagen/elektronische Anzeige von Nebenwirkungen, PharmaR 2005, 452; kritisch: Denninger, Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Einreichungsverordnung (AMG-EV), Pharm.Ind. 2001, 259.

Dies bestätigt die Formulierung in § 105 Abs. 5 Satz 2 AMG, wonach "die Zulassung" bei nicht fristgerechter Mängelbeseitigung zu versagen ist.

Auch die systematische Stellung des § 35 AMG a. F. im 4. Abschnitt steht einer Anwendung in Fällen des § 105 AMG nicht entgegen. Zwar ist die Nachzulassung nicht explizit benannt. Dies erklärt sich indes damit, dass es sich bei der Nachzulassung um einen Sonderfall der arzneimittelrechtlichen Zulassung für Altarzneimittel handelt und sich die diese betreffenden besonderen Vorschriften im 18. Abschnitt des AMG finden. Die speziellen Übergangsvorschriften modifizieren die allgemeinen Regelungen über die Zulassung im 4. Abschnitt des AMG (§§ 21-37 AMG). Hiermit erklärt sich ebenfalls, dass § 35 a. F. AMG als allgemeine Regelung im Zusammenhang mit § 105 AMG keine Erwähnung fand.

Letztlich rechtfertigen auch Sinn und Zweck der Regelung des § 35 AMG a. F. nicht den Ausschluss von Verfahren nach § 105 AMG, denn die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verfahrensvereinfachung, vgl. BT-Drucks. 13/9996, S. 15, ist auch im Nachzulassungsverfahren durch das Einreichen von Unterlagen auf elektronischen oder optischen Speichermedien zu erreichen.

Für die Anwendung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 AMG a. F. auf das Verfahren nach § 105 AMG spricht letztlich, dass auch § 1 der Verordnung zur Festlegung von Anforderungen an den Antrag auf Zulassung, Verlängerung der Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln vom 21.12.1989 (BGBl. I S. 2547) Geltung für das Nachzulassungsverfahren nach Art. 3 § 7 Abs. 3 Satz 1 AMNG beanspruchte. Gleichwohl nahm der Gesetzgeber dies weder zum Anlass für eine Änderung noch für eine Klarstellung des § 35 AMG a.F. Vielmehr wurde erstmals durch § 80 Abs. 1 Nr. 1 AMG in der Fassung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 30.7.2004 (BGBl. I S. 2031) klargestellt, dass die Verordnungsermächtigung das Verfahren der Verlängerung der Zulassung erfasst. Dieser ermächtigt das Bundesministerium nunmehr ausdrücklich dazu, die weiteren Einzelheiten über das Verfahren bei der Zulassung einschließlich der Verlängerung der Zulassung zu regeln. In der Begründung des Gesetzesentwurfs heißt es, die Ermächtigung zum Erlass von Verfahrensregelungen wird in einem neuen § 80 (Ermächtigung für Verfahrensregelungen) zentral geregelt.

Vgl. BT-Drucks. 15/2109, S. 29.

Inhaltliche Änderungen sollte die Neufassung daher nicht herbeiführen.

Ausgehend hiervon besteht auch kein Anlass für die Annahme, dass die AMG-Einreichungsverordnung nicht auf einer hinreichend bestimmten Verordnungsermächtigung beruht. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden, wobei die erforderliche Bestimmtheit nicht ausdrücklich durch den Text der Ermächtigungsnorm sichergestellt werden muss. Vielmehr gelten für deren Interpretation die allgemeinen Auslegungsregeln. Zur Klärung von Zweck, Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung können also, wie sonst bei der Auslegung einer Vorschrift, der Sinnzusammenhang der Norm mit anderen Vorschriften und das Ziel, das die gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt, berücksichtigt werden.

Vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 20.10.1981 - 1 BvR 640/80 -, BVerfGE 58, 257, und vom 3.11.1982 - 2 BvL 28/81 -, BVerfGE 62, 203.

Wie die obigen Darlegungen zeigen, genügt § 35 Abs. 1 Nr. 1 AMG a. F. im Hinblick auf die Geltung für das Nachzulassungsverfahren den Anforderungen an eine hinreichend bestimmte Ermächtigung.

Gegen die Anwendbarkeit der AMG-Einreichungsverordnung im Nachzulassungsverfahren bestehen auch im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt keine Bedenken. Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratiegebot verpflichten den parlamentarischen Gesetzgeber, im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8.8.1978 - 2 BvL 8/77-, BVerfGE 49,89, vom 2.3.1993 - 1 BvR 1213/85 -, BVerfGE 88, 103, und vom 27.11.1990 - 2 BvR 402/87 -, BVerfGE 83, 130.

Der Gesetzgeber hat die grundsrechtsrelevante, weil Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG tangierende Entscheidung über das Erlöschen der Zulassung in § 105 Abs. 4a Satz 4 AMG selbst getroffen. Die AMG-Einreichungsverordnung enthält demgegenüber in Übereinstimmung mit der Verordnungsermächtigung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 AMG a. F. allein Verfahrensregelungen. Dass die Folgen bei einem Verstoß gegen einheitliche Verfahrensvorschriften differieren, fällt ebenfalls nicht in die Verantwortlichkeit des Verordnungsgebers. Diese hat der Gesetzgeber selbst in den unterschiedlichen Verfahren nach §§ 21, 31, 105 und 29 AMG bestimmt. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG gegen die durch § 105 Abs. 4a Satz 4 AMG angeordnete Rechtsfolge des Erlöschens der Zulassung bei nicht fristgerechter Vorlage der Unterlagen haben weder die Beteiligten geltend gemacht, noch vermag der Senat solche zu erkennen. Die Regelung des § 105 Abs. 4a Satz 4 AMG, mit der der Gesetzgeber das verfassungsrechtlich legitime Ziel der Beschleunigung des Nachzulassungsverfahrens verfolgte, vgl. BT-Drucks. 14/2292, S. 9, ist auch angesichts der den pharmazeutischen Unternehmern eingeräumten kurzen Frist bis zum 1.2.2001 noch verhältnismäßig. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Unternehmer über die fraglichen Unterlagen ohnehin verfügten oder sie beschaffen konnten, weil die materiellen Anforderungen an die Nachzulassung bekannt waren und die betroffenen Antragsteller bei einem jederzeit zu erwartenden Mängelbescheid die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung haben mussten.

Vgl. BT-Drucks. 14/2292, S. 9.

Die AMG-Einreichungsverordnung führt auch nicht zu einer unzulässigen tatbestandsmäßigen Erweiterung des § 105 Abs. 4a Satz 4 AMG. Soweit die AMG-EV die Anforderungen an das fristgemäße Einreichen der Unterlagen durch die am 1.1.2001 in Kraft getretene AMG-EV erweitert, war dem Gesetzgeber bei Erlass der das Erlöschen der Zulassung anordnenden Regelung des § 105 Abs. 4a Satz 4 AMG im Jahre 2000 die Vorschrift des § 35 Abs. 1 Nr. 1 AMG a. F. bekannt. Er musste daher mit der Einführung entsprechender Verfahrensvorschriften rechnen. Eine Verpflichtung, wegen des von ihm bestimmten Erlöschens der Zulassung weitere Einzelheiten des Verfahrens selbst zu bestimmen, oblag ihm nicht. Vielmehr war der Verordnungsgeber im Hinblick auf die Rechtsfolge des § 105 Abs. 4a Satz 4 AMG verpflichtet, das Verwaltungsverfahren verfahrensadäquat auszugestalten. Hierzu räumte ihm die Ermächtigung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 AMG a.F. einen entsprechenden Spielraum ein. So stand es dem Verordnungsgeber frei, die Vorlage von Unterlagen auf elektronischen oder optischen Speichermedien lediglich zu erlauben, einzelne Zulassungsverfahren von einer Verpflichtung auszunehmen oder für diese angemessene Übergangsfristen zu bestimmen. Von der Verpflichtung des Verordnungsgebers, das Verfahren adäquat auszugestalten, ging auch der Gesetzgeber aus. So betonte er im Gesetzgebungsverfahren, dass der Verordnungsgeber bei der Ausgestaltung der Verfahrensvorschriften insbesondere den Belangen von kleinen und mittleren Unternehmen Rechnung zu tragen habe.

Vgl. BT-Drucks. 13/9996, S. 15.

An einer verfassungsrechtlich unbedenklichen verfahrensadäquaten Ausgestaltung der Regelung des § 105 Abs. 4a Satz 4 AMG durch den Verordnungsgeber fehlt es aber, soweit für das Nachzulassungsverfahren nach §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 AMG-EV zwingend auch die Vorlage elektronischer Speichermedien bis zum 1.2.2001 verlangt wird.

Die verfahrensadäquate Ausgestaltung des § 105 Abs. 4a Satz 4 AMG setzt voraus, dass den pharmazeutischen Unternehmern durch die Regelungen der AMG-EV nicht erhebliche, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigende Hindernisse entgegengesetzt werden, auf Grund derer nicht nur im zu vernachlässigenden Einzelfall die Gefahr einer Entwertung ihrer materiellen Grundrechtspositionen entsteht.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20.12.1979 - 1 BvR 385/77 -, BVerfGE 53, 30, und vom 8.2.1983 - 1 BvL 20/81-, BVerfGE 63, 131; zum Grundrechtsschutz durch Verfahrensrecht vgl. ferner BVerfG Beschlüsse vom 23.4.1974 - 1 BvR 6/74 und 2270/73 -, BVerfGE 37, 132, vom 7.12.1977 - 1 BvR 734/77 -, BVerfGE 46, 325, vom 27.9.1978 - 1 BvR 361/78 -, BVerfGE 49, 220, vom 20.12.1979 - 1 BvR 385/77-, DVBl. 1980, 209, jeweils zu Art. 14 Abs. 1 GG sowie Beschlüsse vom 9.4.1975 - 1 BvR 344/74 u.a. -, BVerfGE 39, 276, und vom 6.7.1977 - 1 BvR 3/77 -, BVerfGE 45, 422, 44, 105, jeweils zu Art. 12 Abs. 1 GG.

Hiervon ist angesichts der kurzfristigen Änderung des Verfahrens mit Wirkung zum 1.1.2001 und des Ablaufs der Einreichungsfrist zum 1.2.2001 indes auszugehen. Die Neuregelung führte für das Nachzulassungsverfahren zu einer unzumutbaren und nicht erforderlichen Erweiterung der den pharmazeutischen Unternehmern obliegenden Mitwirkungspflichten.

Vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 27.12.1999 - 1 BvR 1746/97 -, NVwZ 2000, 546; BVerfG, Beschluss vom 6.10.1982 - 2 BvR 304/82 -, NVwZ 1983, 27.

Der Verordnungsgeber konnte nicht davon ausgehen, dass sämtliche Unternehmen sogleich über die erforderlichen technischen Voraussetzungen verfügten mit der Folge, dass ihnen die fristgerechte Vorlage angesichts des ohnehin kurzen Zeitraums bis zum 1.2.2001 noch möglich war. Die Fachverbände hatten in ihrer Stellungnahme zum Entwurf der Einreichungsverordnung bereits darauf hingewiesen, dass die Verordnung nicht das Nachzulassungsverfahren erfassen dürfe, weil eine größere Veränderung des Verfahrens seitens der Industrie nicht mehr umgesetzt werden könne. Die Sachverständigengutachten lägen oftmals nicht in elektronischer Textversion vor. Wenn die Texte eingescannt würden, drohe die Lesbarkeit zu leiden. Im Übrigen käme auf die Pharmaindustrie ein erheblicher finanzieller und personeller Aufwand zu, weil die Verordnungsvorgaben in vorhandene Systeme implementiert und entsprechende Arbeitsplätze eingerichtet werden müssten.

Vgl. Stellungnahme des Bundesfachverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), des Bundesfachverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) zum Entwurf der AMG-EV vom 16.10.2000, S. 1 und vom 28.11.2000, S. 1.

Der Annahme des Verordnungsgebers, eine zusätzliche Belastung der Wirtschaft sei nicht zu erwarten, weil davon auszugehen sei, dass fast alle pharmazeutischen Unternehmer über die notwendige Ausstattung (Rechner mit Schreibprogramm und Möglichkeit eines elektronischen Speichermediums bzw. Internetzugangs) verfügten, so BR-Drucks. 745/00, S. 5, stand zudem entgegen, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung Unterlagen fast ausschließlich in Papierform eingereicht wurden.

Vgl. BR-Drucks. 745/00, S. 4.

Überdies waren erhebliche Umsetzungsprobleme zu erwarten, weil der Verordnung selbst keine näheren Angaben zu den technischen Anforderungen, insbesondere zu den zu verwendenden Speichermedien und Dateiformaten zu entnehmen waren. Zwar sah § 4 des Entwurfs der AMG-EV vom 27.9.2000 die Bekanntmachung technischer Einzelheiten und die Unanwendbarkeit des § 2 AMG-EV für Unterlagen vor, die vor der entsprechenden Bekanntmachung eingereicht wurden. Entsprechende Regelungen wurden in die verabschiedete Fassung der AMG-Einreichungsverordnung jedoch nicht aufgenommen. Die Beklagte publizierte vielmehr ab dem 22.12.2000 auf ihren Internetseiten Vorgaben zur Umsetzung und gab dies am 3.1.2001 im Bundesanzeiger bekannt. Diese führten zu zahlreichen Unsicherheiten und Nachfragen.

Vgl. hierzu Gawrich, Auswirkungen der 10. AMG-Novelle auf die Zulassung, PharmaR 2001, 170.

Die Forderung des Verordnungsgebers, im Nachzulassungsverfahren für die bis zum 1.2.2001 noch einzureichenden Unterlagen die elektronische Form zwingend zu verlangen, war auch unverhältnismäßig. Die Vorlage war nicht erforderlich, da die Unterlagen wegen der fehlenden Voraussetzungen für eine qualifizierte elektronische Signatur ohnehin zusätzlich in Schriftform einzureichen waren. Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Straffung und Beschleunigung des Nachzulassungsverfahren erforderte die in der AMG-Einreichungsverordnung vorgesehene Vorlage elektronischer Speichermedien bis zum 1.2.2001 ebenfalls nicht. Da die schriftlichen Unterlagen bis zum 1.2.2001 einzureichen waren, war gewährleistet, dass der Beklagten die für die Bearbeitung erforderlichen Informationen vorlagen. Abgesehen davon war, wie der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, die Beklagte selbst weder tatsächlich in der Lage, die Vielzahl der Unterlagen entgegenzunehmen, noch diese umgehend zu bearbeiten. Dies wird letztlich auch durch den Umstand bestätigt, dass die Klägerin erst nach über einem Jahr im Mai 2002 darauf hingewiesen wurde, dass die fiktiven Zulassungen wegen der nicht fristgerechten Einreichung der Unterlagen auf elektronischen Speichermedien erloschen seien.

§§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 2 AMG-EV können für das Nachzulassungsverfahren gleichwohl hingenommen werden, weil eine sachgerechte und an verfassungsrechtlichen Grundsätzen orientierte Anwendung wegen der in § 3 AMG-EV eingeräumten Dispensmöglichkeiten erreichbar ist.

Zur verfassungskonformen Auslegung vgl. BVerfG, Beschlüsse 14.5.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315, und vom 8.2.1983 -, a. a. O; zur verfassungskonformen Auslegung der AMG-Einreichungsverordnung, Isensee, Stellungnahme zu den Rechtsfragen der AMG-Einreichungsverordnung (AMG-EV) vom 5.2.2001, S. 9.

Nach § 3 Nr. 1 AMG-EV kann die zuständige Bundesbehörde abweichend von § 2, auch in Verbindung mit § 4 Abs. 2, die ausschließlich schriftliche Einreichung von Unterlagen gestatten oder fordern, wenn für den Antragsteller eine unbillige Härte vorliegt. Nach Nr. 2 kann die schriftliche Einreichung weiter gestattet, werden, wenn die elektronische Einreichung unzweckmäßig ist. Liegt eine unbillige Härte vor, bleibt ungeachtet der Formulierung "kann gestatten oder fordern" regelmäßig kein Raum für die Ablehnung eines Dispenses. Das Fehlen eines Antrages steht der Anwendung der Härteklausel nicht entgegen, da § 3 AMG-EV eine Antragstellung nicht zwingend voraussetzt.

Vom Vorliegen einer unbilligen Härte ist grundsätzlich in den Fällen auszugehen, in denen die Rechtsfolgen des Handelns für den Betroffenen im Vergleich zu anderen vergleichbaren Fällen unbillig wären.

Vgl. Brixius/Schneider, Nachzulassung und AMG-Einreichungsverordnung, § 3 AMG-EV, Anm. 22.1.2.

Vom Vorliegen einer unbilligen Härte ist regelmäßig aber auch dann auszugehen, wenn - wie hier geschehen - die materiellen Grundsrechtspositionen der pharmazeutischen Unternehmer im Nachzulassungsverfahren verfahrensrechtlich durch sachlich nicht gebotene Verfahrensvorschriften entwertet werden. Die Annahme einer unbilligen Härte ist folglich nicht zu beschränken auf Fälle besonderer Art, etwa solche, in denen kleinen oder großen pharmazeutischen Unternehmer aus personellen oder technischen Gründen die Vorlage der Unterlagen in elektronischer Form nicht rechtzeitig bis zum 1.2.2001 möglich war.

Vgl. demgegenüber BR-Drucks. 745/00, S. 6, wonach den Belangen kleiner und mittlerer Unternehmen Rechnung zu tragen ist.

Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die pharmazeutischen Unternehmer in der Lage gewesen wären, noch rechtzeitig Hilfe externer Dienstleister in Anspruch zu nehmen. Eine unbillige Härte ist vorliegend auch aus individuellen Gründen anzunehmen. Die Klägerin konnte zwar auf Grund des Rückscheins, auf den der Eingang der Unterlagen bei der DMI für den 2.1.2001 verzeichnet war, nicht davon ausgehen, dass zu ihren Gunsten die Übergangsvorschrift des § 4 Abs. 1 AMG-EV greift. Allerdings hat die DMI, die für die Beklagte die Unterlagen in Empfang nahm, und die für die Eingangsbestätigung - wie die Darlegungen des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlungen ergeben haben - entsprechende von der Beklagten bestimmte Vordrucke verwandte, den "fristgerechten Eingang der Unterlagen gemäß dem 10. Änderungsgesetz zum AMG" bestätigt. Die Klägerin musste sich daher nicht veranlasst sehen, noch weitere Unterlagen per E-Mail bis zum 1.2.2001 nachzureichen. Bei verständiger Würdigung der Erklärung der DMI durfte die Klägerin vielmehr davon ausgehen, das ihrerseits zur Fristwahrung erforderliche getan zu haben.

Auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob § 35 AMG a.F. bzw. nunmehr § 80 AMG zum Erlass einer Verordnung ermächtigt, die das Einreichen von Unterlagen per E-Mail verlangt, was nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen, das Verfahren zu vereinfachen, jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheint, kommt es für die Entscheidung nicht an.

Ende der Entscheidung

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