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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 20.11.2008
Aktenzeichen: 13 A 3567/06
Rechtsgebiete: AMG


Vorschriften:

VO (EG) Nr. 541/95 Art. 2 Nr. 1
AMG § 29 Abs. 2a Nr. 1
AMG § 29 Abs. 3 Nr. 3
AMG § 105
Wird der Anwendungsbereich eines Arzneimittels in der Weise verändert, dass aus einem Vorbeugemittel ein Arzneimittel mit krankheitswertiger Indikation wird, liegt darin in der Regel eine Erweiterung der Anwendungsgebiete i. S. v. § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG.
Tatbestand:

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin zeigte im Juni 1978 ein von ihr vertriebenes Fertigarzneimittel nach dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts an. In der Rubrik Anwendungsgebiete führte sie auf: "Vorbeugung gegen Erkältungskrankheiten Stärkung der Abwehrkräfte". In den Jahren 1990 und 1993 stellte die Rechtsvorgängerin der Klägerin die Anträge auf Verlängerung der fiktiven Zulassung ("Nachzulassung") des Arzneimittels. Nunmehr war als Indikation "Zur Stärkung der Abwehrkräfte bei Erkältungen, Schnupfen und grippalen Infekten" angegeben. Im April 2005 lehnte das BfArM den Antrag auf Nachzulassung ab. Die auf Neubescheidung des Nachzulassungsantrags gerichtete Klage wurde vom VG abgewiesen. Auch der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nur im Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). (...) Das VG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die mit dem Langantrag vorgenommene Änderung der Anwendungsgebiete habe als "Erweiterung der Anwendungsgebiete" gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG zur Neuzulassungspflicht in Bezug auf das Arzneimittel geführt. Denn es liege eine Änderung des Anwendungsbereichs und damit zwangsläufig auch eine Erweiterung der Anwendungsgebiete vor. Die gegen diese Überlegungen vorgebrachten Einwände der Klägerin vermögen nicht zu überzeugen.

Der rechtliche Ausgangspunkt der Entscheidung des VG, dass eine Verlängerung der fiktiven Zulassung ("Nachzulassung") des Arzneimittels nicht mehr in Betracht kommt, wenn dieses unzulässig geändert worden ist, trifft zu und wird von der Klägerin auch nicht angegriffen; ebenso ist die Annahme richtig, die Beurteilung der Zulässigkeit der Änderung habe auf der Grundlage des im Zeitpunkt der Änderung geltenden Rechts zu erfolgen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 21.5.2008 - 3 C 14.07 -, NVwZ-RR 2008, 692, und - 3 C 15.07 -, A & R 2008, 184; OVG NRW, Beschlüsse vom 27.8.2008 - 13 A 4034/05 -, juris, und vom 15.7.2008 - 13 A 1707/05 -, A & R 2008, 238.

Des Weiteren wird auch die Einschätzung des VG, eine Erweiterung der Anwendungsgebiete liege jedenfalls dann vor, wenn der bisherige Anwendungsbereich des Arzneimittels verlassen worden sei, von der Klägerin nicht in Frage gestellt. Es spricht im Übrigen einiges für ihre Richtigkeit. Das von dem VG vorausgesetzte Verhältnis der Begriffe "Anwendungsgebiet" und "Anwendungsbereich" entspricht auch der Rechtsprechung des Senats.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.6.2007 - 13 A 744/06 -, juris.

Die systematischen Überlegungen des VG sind ebenfalls plausibel. Sie werden im Übrigen durch die nach Vornahme der Änderung an dem Arzneimittel eingetretene legislative Entwicklung des § 29 Abs. 2a und Abs. 3 AMG untermauert.

Ausgangspunkt der Änderung des § 29 Abs. 2a Nr. 1 AMG im Jahre 1998 war die (inzwischen außer Kraft getretene) Verordnung (EG) Nr. 541/95 vom 10.3.1995 über die Prüfung von Änderungen einer Zulassung, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats erteilt wurde. Gemäß Art. 2 Nr. 1 letzter Halbsatz in Verbindung mit Anhang II Nr. 2 dieser Verordnung wurden im Bereich der Anwendungsgebiete als neuzulassungspflichtig eingestuft das "Hinzufügen einer Indikation in einem anderen therapeutischen Bereich (Behandlung, Diagnose oder Prophylaxe)" und die "Verlagerung der Indikation in einen anderen therapeutischen Bereich (Behandlung, Diagnose oder Prophylaxe)".

Mit dem Achten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (1998) wurden sodann § 29 Abs. 2a Nr. 1 AMG um den Änderungstatbestand der Änderung der Angaben über "die Anwendungsgebiete, soweit sie innerhalb des bisherigen Anwendungsbereichs erfolgt" und der zur Neuzulassungspflicht führende Tatbestand des § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG "Erweiterung der Anwendungsgebiete" zugleich um den Zusatz "soweit es sich nicht um Änderungen nach Absatz 2a Nr. 1 handelt" ergänzt. Wenn der Gesetzgeber indes meinte, sich zum Zwecke der inhaltlichen Anpassung an die genannte Verordnung (Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 13/9996, S. 15) auf diese Modifikationen beschränken zu können, ging er offensichtlich davon aus, dass die für die Anpassung an die Verordnung maßgebliche Rechtsfolge einer grundsätzlichen Neuzulassungspflicht bei der Hinzufügung von Indikationen in einem oder der Verlagerung von Indikationen in einen anderen therapeutischen Bereich sich aus dem bisherigen Neuzulassungstatbestand "Erweiterungen der Anwendungsgebiete" ergab, ohne dass es einer Klarstellung bedurfte.

Dasselbe gilt für die Änderungen im Rahmen des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (2000). Auf Vorschlag des Gesundheitsausschusses wurde hier eine "Präzisierung im Hinblick auf die EG-Verordnungen 541/95 und 542/95 herbeigeführt" (Ausschussbericht, BT-Drucks. 14/3320, S. 15), indem der Tatbestand der lediglich zustimmungspflichtigen Indikationsänderung gemäß § 29 Abs. 2a Nr. 1 AMG nunmehr die Einschränkung erhält "soweit es sich nicht um die Zufügung einer oder die Verlagerung in eine Indikation handelt, die einem anderen Therapiegebiet zuzuordnen ist". Auch hier ging der Gesetzgeber offensichtlich davon aus, dass sich die Neuzulassungspflicht von Indikationsänderungen, die in ein anderes Therapiegebiet führen, ohne Weiteres aus dem Änderungstatbestand des § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG "Erweiterung der Anwendungsgebiete" ergibt, ohne dass es insoweit einer "Präzisierung" bedarf.

Nach alledem ist nicht nur die Auffassung des VG, eine Änderung des Anwendungsbereichs sei stets als eine "Erweiterung der Anwendungsgebiete" i. S. v. § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG (auch in früheren Gesetzesfassungen) anzusehen, zutreffend. Darüber hinaus erweist sich auch die Annahme der Behörde, der Wechsel von einem reinen Vorbeugemittel zu einem Mittel mit "krankheitswertiger Indikation" (...) stelle eine unzulässige Änderung dar, als plausibel, weil die Verordnung (EG) Nr. 541/95 gerade Änderungen, die den "therapeutischen Bereich (Behandlung, Diagnose oder Prophylaxe)" berühren, als neuzulassungspflichtig ansah und der Gesetzgeber eine Anpassung des § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG insoweit nicht für erforderlich hielt.

Soweit das VG in der Sache eine Änderung des Anwendungsbereichs annimmt, hält der Senat dies auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin für zutreffend.

Die Formulierung des ursprünglichen Anwendungsgebietes "Vorbeugung gegen Erkältungskrankheiten Stärkung der Abwehrkräfte" konnte, wie das VG zu Recht hervorhebt, nur dahingehend verstanden werden, dass es sich um ein reines Vorbeugemittel handelt. Denn dass das Mittel zur Behandlung einer konkreten Krankheit, etwa einer bereits ausgebrochenen Erkältungskrankheit, verwendet werden kann, wurde nicht ansatzweise deutlich. Der Patient musste also von einer einheitlichen Indikation ausgehen, bei der die Stärkung der Abwehrkräfte im Zusammenhang mit der Vorbeugung gegen Erkältungskrankheiten von Bedeutung ist. Eine separate Indikation "Stärkung der Abwehrkräfte" anzunehmen und von der Indikation "Vorbeugung gegen Erkältungskrankheiten" strikt zu trennen, wie von der Klägerin verlangt, ist nicht möglich, denn eine separate Indikation "Stärkung der Abwehrkräfte" erscheint sinnentleert.

Die Ansicht der Klägerin, die "Teilindikation" "Vorbeugung gegen Erkältungskrankheiten" dürfe nicht mehr zur Auslegung der Anwendungsgebiete vor der Änderung herangezogen werden, weil sie auf diese "Teilindikation" verzichtet habe, trifft ersichtlich nicht zu. Die Auslegung der früheren Formulierung der Anwendungsgebiete muss von dem gesamten früheren Text ausgehen. Versteht man diesen Text indes als eine einheitliche Indikationsformulierung, bei der die "Stärkung der Abwehrkräfte" bei objektiver Betrachtung als eine Ergänzung oder Erläuterung der Formulierung "Vorbeugung gegen Erkältungskrankheiten" anzusehen ist, so liegt auch der von der Klägerin angeführte "Widerspruch" in der erstinstanzlichen Entscheidung nicht vor.

Dem gegenüber wird mit der nunmehr vorliegenden Formulierung der Anwendungsgebiete eine krankheitswertige Indikation in Anspruch genommen. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus der Verwendung des Wortes "bei". Soll das Präparat nämlich gerade "bei Erkältungen, Schnupfen und grippalen Infekten" eingenommen werden, so kann dies nur bedeuten, dass eine - zumindest unterstützende - Behandlung dieser Krankheiten mit dem Arzneimittel in Betracht kommt. Warum das Arzneimittel einerseits nicht der Behandlung der genannten Krankheiten, sondern allein der Stärkung der Abwehrkräfte dienen soll, andererseits aber eine Konkretisierung dahingehend sinnvoll war, dass die Anwendung gerade bei Vorliegen einer Erkältung, eines Schnupfens oder eines grippalen Infekts sinnvoll sein soll, hat die Klägerin im Übrigen nicht erläutert. Dass die jetzige Indikation auch von der Klägerin selbst als Heilindikation verstanden worden ist, zeigt sich daran, dass die Klägerin seit der Einreichung des Langantrags zum Beleg der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels stets auf die Monographie "Echinaceae pallidae radix" (BAnz Nr. 162 vom 29.8.1992) verwiesen hat. In dieser Monographie wird als - einziges - Anwendungsgebiet die "unterstützende Therapie grippeartiger Infekte" angegeben. Dies betrifft indes eine klare Heilindikation.

Schließlich führt auch das Prinzip des Vertrauensschutzes nicht dazu, dass die Zulassung für das streitgegenständliche Arzneimittel verlängert werden kann. Es kann dahingestellt bleiben, ob es angesichts des objektiv-rechtlichen Charakters arzneimittelrechtlicher Vorschriften überhaupt auf Vertrauensschutz ankommen kann. Jedenfalls muss die Klägerin sich entgegen halten lassen, dass es ihr - bzw. der früheren Zulassungsinhaberin - oblegen hat, die Verkehrsfähigkeit ihres Arzneimittels fortwährend zu erhalten. Wird ein Arzneimittel - wie hier - unzulässig geändert, treten die Folgen kraft Gesetzes, mithin unabhängig von der Vorgehensweise der Zulassungsbehörde ein.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.6.2007, a. a. O., mit weiteren Nachweisen.

Im Übrigen setzt eine Berücksichtigung von Vertrauensschutzaspekten voraus, dass von der Beklagten ein Vertrauensschutztatbestand - d.h. ein Umstand, auf dessen Basis Vertrauen entstehen kann - begründet worden ist. Insoweit kann dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Vertrauensschutztatbestand durch "bloßes Schweigen" begründet werden kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.6.2007, a. a. O., mit weiteren Nachweisen.

Hier wurde jedenfalls ein Vertrauensschutztatbestand zu Gunsten der Klägerin durch "bloßes Schweigen" nicht begründet. Denn die Rechtsvorgängerin der Klägerin wurde im Anschluss an verschiedene Änderungsanzeigen in den Jahren 1993, 1994, 1997, 1999 und 2000 jeweils mit Schreiben des BGA oder des BfArM darauf hingewiesen, dass mit der Entgegennahme der Änderungsanzeige eine abschließende fachliche Beurteilung nicht verbunden sei. Auch hatte das BGA bereits im Rahmen der 6. Bekanntmachung über die Verlängerung der Zulassung nach Art. 3 § 7 AMRNOG vom 23.10.1990 (BAnz. Nr. 206, S. 5827) darauf aufmerksam gemacht, dass eine materielle Überprüfung der Änderungsanzeigen für fiktiv zugelassene Arzneimittel wegen des Sachzusammenhangs mit dem Nachzulassungsverfahren in vielen Fällen erst nach Einreichung der Dokumentationen nach Art. 3 § 7 Abs. 4 Sätze 4 bis 7 AMRNOG erfolgen werde.

In diese Richtung auch Brixius/Schneider, Nachzulassung und AMG-Einreichungsverordnung, 2004, S. 66 f.

Wenn die Behörden indes der Klägerin gegenüber deutlich gemacht haben, dass die Entgegennahme einer förmlichen Änderungsanzeige kein positives Urteil über deren Inhalt bedeutet, so konnte die Klägerin erst recht nicht davon ausgehen, dass die erstmals mit formlosem Schreiben vom 13.9.1990 als "Korrektur" des Kurzantrags vorgebrachte Änderung der Anwendungsgebiete - eine förmliche Änderungsanzeige ist zu keinem Zeitpunkt erfolgt - von den Behörden endgültig akzeptiert worden ist. Nach alldem kann dahinstehen, ob für den Fall, dass Vertrauensschutz zu gewähren wäre, überhaupt als Rechtsfolge die Verlängerung der Zulassung in Betracht kommt oder nur ein Entschädigungs- oder Schadensersatzanspruch.

Ende der Entscheidung

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