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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.01.2009
Aktenzeichen: 13 A 3618/06
Rechtsgebiete: GG, HeilBerG NRW


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1
HeilBerG NRW § 6 Abs. 1 Nr. 6
HeilBerG NRW §§ 33 ff.
HeilBerG NRW §§ 51 ff.
§ 21 Berufsordnung der Beklagten
Zur Zusatzangabe "Tätigkeitsschwerpunkt Mund- und Kieferchirurgie" eines Zahnarztes.

Keine Verwechselungsgefahr mit Facharztbezeichnung "Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie".


Tatbestand:

Der Kläger ist Zahnarzt und nach der Weiterbildungsordnung der Beklagten, einer Zahnärztekammer, zum Führen der Bezeichnung "Fachzahnarzt für Oralchirurgie" und des Zusatzes "Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie" berechtigt. Er will auch den Zusatz "Tätigkeitsschwerpunkt Mund- und Kieferchirurgie" führen. Die Beklagte untersagte dem Kläger das Führen dieses Zusatzes in jeder Form der Ankündigung. Die Ankündigung dieses Tätigkeitsschwerpunkts sei berufswidrig, insbesondere sei eine Irreführung im Hinblick auf den ärztlichen Fachbereich "Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie" gegeben. Das VG gab der Klage des Klägers gegen die Untersagungsverfügung statt. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Der Senat schließt sich den Ausführungen des VG in dem angefochtenen Urteil zu den Rechtsgrundlagen für die Untersagungsverfügung und zu den allgemeinen Kriterien für die Annahme einer berufswidrigen Werbung durch einen Zahnarzt mit der Maßgabe an, dass bei der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz, auf die wegen des Charakters der Untersagungsverfügung als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung abzustellen ist, die zwischenzeitlichen Änderungen des Heilberufsgesetzes NRW und der Berufsordnung - BO - der Beklagten von 2005 zu berücksichtigen sind.

Nach § 21 Abs. 1 Satz 2, 3 BO 2005 ist dem Zahnarzt berufswidrige Werbung untersagt und ist berufswidrig insbesondere eine anpreisende, irreführende, herabsetzende oder vergleichende Werbung. Für eine interessengerechte und sachangemessene Information, die keinen Irrtum erregt, bleibt hingegen im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13.7.2005 - 1 BvR 191/05 -, NJW 2006, 282 = MedR 2006,107, vom 26.8.2003 - 1 BvR 1003/02 -, NJW 2003, 3470, vom 17.7.2003 - 1 BvR 2115/02 -, NJW 2003, 2818, vom 23.7.2001 - 1 BvR 873/00 u.a. -, NJW 2001, 2788, und vom 11.2.1992 - 1 BvR 1531/90 -, BVerfGE 85, 248; BVerwG, Urteile vom 13.11.1997 - 3 C 44.96 -, DVBl. 1998, 532, und vom 5.4.2001 - 3 C 25.00 -, DVBl. 2001, 1371; BGH, Urteil vom 9.10.2003 - I ZR 167/01-, NJW 2004, 440; Bahner, Das neue Werberecht für Ärzte, 2. Aufl., S. 217 ff.

Bei der Abgrenzung zwischen erlaubter sachlicher Information und verbotener berufswidriger Werbung, die im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung des Grundrechts der Berufsausübungsfreiheit auf der einen Seite und der Sicherung des Werbeverbots auf der anderen Seite auf Grund einer Abwägung im Rahmen des gesamten Lebensvorgangs, in dem die fragliche Werbemaßnahme ihre Wirkung entfaltet, vorzunehmen ist, ist auf den Standpunkt der angesprochenen Verkehrskreise und auf das Leitbild eines durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers/Patienten und nicht auf die Auffassung des jeweiligen Berufsstandes abzustellen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4.7.2000 - 1 BvR 547/99 -, MedR 2000, 523; BGH, Urteile vom 8.6.2000 - I ZR 269/97 -, MedR 2001, 516, und vom 27.4.1995 - I ZR 116/93 - GRUR 1995, 612; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.12.2002 - 9 S 2738/01 -, MedR 2003, 236; OVG NRW, Beschlüsse vom 26.6.2008 - 13 A 1712/06 -, und vom 10.11.2003 - 13 B 1703/03 -.

Hinweise auf das Leistungsangebot eines Zahnarztes, die auch hier mit dem fraglichen Tätigkeitsschwerpunkt anstehen, gehören zur beruflichen Außendarstellung des Betreffenden und unterfallen dem Begriff der Werbung. Der Senat ist aber - ebenso wie das VG - der Ansicht, dass die vom Kläger bereits erfolgte bzw. beabsichtigte Angabe des "Tätigkeitsschwerpunkts Mund- und Kieferchirurgie" nicht berufswidrig ist.

Das Schwergewicht der entsprechenden Beurteilung liegt dabei unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten auf der Frage, ob die Angabe dieses Tätigkeitsschwerpunkts irreführend ist oder nicht, während die übrigen für die Führung eines Tätigkeitsschwerpunkts relevanten Kriterien, die für den Bereich der Beklagten in den gem. § 21 Abs. 2 Satz 4 BO 2005 zur Berufsordnung gehörenden "Ausführungsbestimmungen zum rechtmäßigen Ausweis besonderer Qualifikationen" genannt sind (beispielsweise besondere Kenntnisse und Erfahrungen, nachhaltige Tätigkeit in dem Schwerpunktbereich usw) demgegenüber der Führung des Tätigkeitsschwerpunkts offenbar nicht entgegenstehen. Dass diese weiteren Voraussetzungen für das Führen der fraglichen Zusatzangabe beim Kläger erfüllt sind, wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.

Eine mit der Angabe des "Tätigkeitsschwerpunkts Mund- und Kieferchirurgie" einhergehende Irreführung ist nicht anzunehmen. Dabei ist im Rahmen des die Berufsfreiheit schützenden und durch die berufliche Außendarstellung tangierten Art. 12 Abs. 1 GG grundlegend der Zweck des (zahn-)ärztlichen Werbeverbots, zum Schutz des Rechtsguts der Gesundheit der Bevölkerung eine gesundheitspolitisch unerwünschte Kommerzialisierung des (Zahn-)Arztberufs zu vermeiden, zu berücksichtigen.

Die Untersagung der Angabe "Tätigkeitsschwerpunkt" rechtfertigt sich generell nicht schon deshalb, weil das Heilberufsgesetz NRW in den §§ 33 ff., 51 ff. zu diesem Begriff und zu sonstigen ähnlichen Angaben außerhalb der Fachzahnarztbezeichnungen unmittelbar keine Aussage trifft. Ebenso wenig ist es gerechtfertigt, alle Angaben und Zusätze, die nach der Berufsordnung einer Heilberufskammer nicht als zulässige Berufsqualifikation auf einem Briefkopf oder einem Praxisschild erscheinen dürfen, ohne Rücksicht auf ihren Sinn und Zweck oder ihren Informationswert für Dritte generell zu verbieten. Außerdem gebietet Art. 12 Abs. 1 GG, nicht durch Informationsverbote den Patienteninteressen zuwider auf eine Nivellierung in der Außendarstellung von (Zahn-)Ärzten hinzuwirken und sachangemessene Hinweise auf besondere Leistungsangebote von vornherein zu unterbinden.

Vgl. BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 23.7.2007 - 1 BvR 873/00 u. a.-, a. a. O.; Schl.-H. OVG, Urteil vom 22.8.2003 - 3 KN 1/02 -, juris.

Eine berufswidrige Werbung durch die Angabe des Tätigkeitsschwerpunkts "Mund- und Kieferchirurgie" ist nicht deshalb anzunehmen, weil der Kläger zum Führen der Bezeichnung "Fachzahnarzt für Oralchirurgie" berechtigt ist und diese Bezeichnung offensichtlich auch in seinem Briefkopf und anderen Ankündigungen verwendet. Zunächst kommt es grundsätzlich in Bezug auf die Sinnhaftigkeit von Bezeichnungen und Angaben im Rahmen heilberuflicher Tätigkeit nicht auf die Sicht und die Beurteilung der betreffenden Heilberufskammer an, sondern liegt die entsprechende Entscheidung vorrangig im Bereich des betreffenden Heilbehandlers und ist diese dann auf ihre Zulässigkeit nach den einschlägigen normativen Bestimmungen zu überprüfen. Insoweit kann dem Kläger auch nicht vorgehalten werden, er sei nicht auf einen von der Beklagten im Laufe des Verfahrens vorgeschlagenen Kompromiss mit der Angabe "Tätigkeitsschwerpunkt: Operative Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde" eingegangen. Wenn es dem Kläger, wie er geltend macht, zur Kennzeichnung seiner überwiegenden Tätigkeit in der Praxis auf den Wortbegriff "Chirurgie" statt "operativ" ankommt, ist dies der Prüfung der Zulässigkeit der Angaben zu Grunde zu legen.

Die Berechtigung zum Führen einer Fachgebietsbezeichnung schließt nicht grundsätzlich die Angabe eines weiteren Leistungskriteriums - hier in Form eines Tätigkeitsschwerpunkts - auch in dem Gebiet aus. Im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG ist es auch nicht geboten, einen Tätigkeitsschwerpunkt begrifflich und in seiner konkretisierenden Beschreibung exakt auf das Gebiet zu beschränken, für das eine entsprechende Bezeichnung geführt werden darf. Eine diesbezügliche Einschränkung würde keine weitere nützliche Information für den Patienten ergeben, weil dann Unterschiede und besondere Leistungsangebote und Schwerpunkte in der beruflichen Betätigung nicht erkennbar wären. Nicht jeder Zahnarzt hat das gleiche Betätigungsfeld und es gibt unterschiedliche Schwerpunkte und Spezialisierungen. Dementsprechend besteht ein sachlich begründetes, berechtigtes Informationsbedürfnis der Patienten über Spezialisierungen und Tätigkeitsschwerpunkte, besondere Behandlungsmethoden, Praxisausstattung usw., unabhängig von dem Erwerb einer Gebietsbezeichnung.

Vgl. Schl.-H. OVG, Urteil vom 22.8.2003 - 3 KN 1/02 -, a. a. O.

Dies gilt auch hier, wenn der Kläger neben der Bezeichnung "Fachzahnarzt für Oralchirurgie" zusätzlich auch auf einen "Tätigkeitsschwerpunkt Oralchirurgie" hinweisen würde. Eine sach- und interessengerechte Information des Patienten über das spezielle Leistungsangebot des Klägers wäre bei einer solchen begrifflich gleichartigen Angabe nicht zu bejahen. Dies gilt erst recht bei der an der Realität orientierten Einschätzung, dass für die Masse der Patienten die Bezeichnung "Oralchirurgie" ohnehin weniger aussagekräftig und klar ist als die deutlich "griffigere" und bekanntere Angabe "Mund- und Kieferchirurgie". Zudem unterscheidet sich die gebotene Zusatzangabe "Tätigkeitsschwerpunkt" ohnehin begrifflich von einer Facharzt- oder Fachzahnarztbezeichnung. Der verständige Patient versteht beide Begriffe nicht in ein und demselben Sinn, sondern in Ableitung aus dem Wortbegriff dahin, dass es sich bei einem "Tätigkeitsschwerpunkt" um einen Schwerpunkt in der tatsächlichen beruflichen Betätigung des Zahnarztes handelt und nicht um eine - formelle - Gebietsbezeichnung im Sinne normativer Bestimmungen. Vor dem Hintergrund einer im Laufe der Zeit intensiveren Information, einer ständig zunehmenden Kenntnis und eines größer werdenden Verständnisses für berufsbezogene Umstände bei Ärzten und Zahnärzten kann davon ausgegangen werden, dass den maßgebenden Verbraucher- und Patientenkreisen die Unterschiedlichkeit dieser Begrifflichkeiten bekannt und bewusst und den Patienten geläufig ist, dass Fach(zahn-)arztbezeichnungen auf den Praxisschildern nicht mit dem Begriff "Tätigkeitsschwerpunkt" verbunden sind.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.7.2007 - 1 BvR 873/00, 1 BvR 874/00 -, a. a. O.; Schl.-H. OVG, Urteil vom 22.8.2003 - 3 KN 1/02 -, a. a. O.

Die zur Berufsordnung der Beklagten gehörigen Ausführungsbestimmungen verweisen zwar darauf, dass "besondere Qualifikationen" u.a. als Tätigkeitsschwerpunkte ausgewiesen werden können. Die Verwendung des Begriffs "Qualifikation" in Zusammenhang mit einem Tätigkeitsschwerpunkt kann aber nicht dahin verstanden werden, dass damit auf ein Zusatzwissen (im Sinne einer zusätzlichen Qualifizierung und Qualifikation) hingewiesen werden soll. Eine solche Interpretation wird dem Sinn und Zweck (zahn-)ärztlicher Bezeichnungen und Angaben zur eigenen Person nicht gerecht und ist deshalb nicht angezeigt. In der Angabe von "Tätigkeitsschwerpunkten" liegt nämlich keine Angabe einer besonderen Qualifikation, d. h. durch Aus-, Fort- oder Weiterbildung erworbener (zusätzlicher) Fachkenntnisse, sondern es handelt sich - wie sich bereits aus dem Wortsinn ergibt - um eine Information über die hauptsächliche Tätigkeit und über eine durch berufliche Praxis erworbene Routine und besondere Erfahrung in der Verrichtung heilberuflicher Tätigkeiten. Eine durch Ausbildung erlangte besondere berufliche Qualifikation wird damit hingegen nicht behauptet.

Vgl. VGH Bad.-.Württ., Urteil vom 17.12.2002 - 9 S 2738/01 -, MedR 2003, 236 (nachfolgend: BVerwG, Beschluss vom 4.9.2003 - 3 BN 3.03 -); Schl.-H. OVG, Urteil vom 22.8.2003 - 3 KN 1/02 -, a. a. O.

Bei der vom Kläger erstrebten Angabe des Tätigkeitsschwerpunkts "Mund- und Kieferchirurgie" besteht, wie bereits das VG mit zutreffenden Erwägungen ausgeführt hat, auch keine Verwechselungsgefahr mit der Facharztbezeichnung "Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie". Die Annahme der Beklagten, mit einem "Kieferchirurgen" werde landläufig eine ärztliche Qualifikation verbunden, erscheint nicht zwingend. Eine Assoziation dieses Begriffs mit einer zahnärztlichen Qualifikation und/oder Betätigung ist aus der Sicht eines Patienten vielmehr ebenso naheliegend, wenn nicht sogar vorrangig. Die Begriffe "Mund" und "Kiefer", auch in Verbindung mit weiteren Wortbestandteilen, werden üblicherweise eher in Zusammenhang mit einer zahnärztlichen als mit einer ärztlichen Behandlung gesehen. Die Angabe "Dr. med. dent." des Klägers in seinem Briefkopf und sonstigen Ankündigungen, die im Rahmen der Gesamtwertung seiner beruflichen Außendarstellung zu berücksichtigen ist, deutet aus der Sicht eines verständigen Patienten ebenfalls auf eine zahnärztliche Tätigkeit und gerade nicht auf eine ärztliche Tätigkeit hin. Besonders augenfällig ist dies für den verständigen Patienten auch durch das konkret für die Praxis des Klägers verwendete Praxisschild. Der Kläger betreibt zusammen mit einer Ärztin eine Gemeinschaftspraxis. Durch die unterschiedlichen Angaben in der Weise, dass sich der Kläger auf dem Praxisschild als "Dr. med. dent" und "Zahnarzt" bezeichnet, bei der Praxis-Mitbetreiberin aber die Angabe "Ärztin für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie" enthalten ist, wird dem verständigen Patienten deutlich vor Augen geführt, dass der Kläger gerade nicht als Arzt, sondern als Zahnarzt tätig ist. Auch dies verdeutlicht die Einschätzung, dass ein "Tätigkeitsschwerpunkt: Mund- und Kieferchirurgie" beim Kläger somit eher in Zusammenhang mit einer zahnärztlichen Tätigkeit als mit einer ärztlichen Tätigkeit gesehen wird.

Ende der Entscheidung

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