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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 11.06.2007
Aktenzeichen: 13 A 3903/06
Rechtsgebiete: AMG, VwGO, ZPO


Vorschriften:

AMG § 2 Abs. 1 Nr. 1
AMG § 2 Abs. 2 Nr. 1
AMG § 2 Abs. 3 Nr. 7
MPG § 3 Nr. 1
MPG § 3 Nr. 2
MPG § 27
VwGO § 86
VwGO § 98
ZPO § 295
Arzneimittel sind gegenüber Medizinprodukten dahingehend abzugrenzen, dass bei überwiegend pharmakologischer Wirkung ein Arzneimittel, bei überwiegend physikalischer Wirkung ein Medizinprodukt vorliegt.

Ist eine Behörde im Verwaltungsverfahren gutachterlich tätig geworden, kann eine Angehörige derselben Behörde, die selbst bisher noch nicht mit dem Verfahren befasst war, in einem späteren gerichtlichen Verfahren grundsätzlich zur Sachverständigen bestellt werden.

Ein Sachverständigengutachten muss nicht schriftlich erstellt werden. Es kann auch in der mündlichen Verhandlung vor Gericht mündlich erstattet werden.


Tatbestand:

Die Beklagte untersagte der Klägerin das Inverkehrbringen eines Produktes mit der Begründung, dass es sich bei dem Produkt um ein Arzneimittel handele, für das keine Zulassung bestehe. Hiergegen erhob die Klägerin mit der Begründung Klage, dass das Produkt kein Arzneimittel, sondern ein Medizinprodukt sei. Die Klage und der Antrag auf Zulassung der Berufung blieben erfolglos.

Gründe:

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des VG (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

Das VG ist davon ausgegangen, dass "U. Pflaster" ein Arzneimittel ist. Insoweit hat es zu Recht zugrunde gelegt, dass Grundlage für die Einstufung von "U. Pflaster" eine überwiegend pharmakologische Wirkung ist. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AMG i.V.m. § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG i.V.m. § 3 Nr. 1 Buchst. a) und b), Nr. 2 MPG sind Arzneimittel gegenüber Medizinprodukten dahingehend abzugrenzen, dass bei überwiegend pharmakologischer Wirkung ein Arzneimittel, bei überwiegend physikalischer Wirkung ein Medizinprodukt vorliegt. Eine pharmakologische Wirkung liegt grundsätzlich jedenfalls dann vor, wenn eine Wechselwirkung vorliegt zwischen den Molekülen des betreffenden Stoffes und einem gewöhnlich als Rezeptor bezeichneten Zellbestandteil, die entweder zu einer direkten Wirkung führt oder die Reaktion auf einen anderen Wirkstoff blockiert. Gründe dafür, im vorliegenden Einzelfall von diesem Ansatz abzuweichen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Vgl. zur Definition A. 2 der "Guidelines relating to the demarcation between Directive 90/42/EEC on active implantablemedical devices, Directive 93/385/EEC on medical devices and Directive 65/65/EEC relating to medicinal products and related directives" (abgedruckt bei Schorn, Medizinprodukterecht, Stand Januar 2006, E 2-3/1); OVG NRW, Urteile vom 17. 3. 2006 - 13 A 1977/02, 13 A 2095/02 und 13 A 2098/02 -, juris; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Stand Oktober 2006, § 2 Anm. 4; Schorn, Medizin-produkterecht, Stand Januar 2006, § 3 MPG Anm. 17 f.; Anhalt, in: Anhalt/Dieners, Handbuch des Medizinprodukterechts, 2003, § 3 Rdnr. 7 ff.; Doepner, Heilmittelwerbegesetz, 2. Aufl. 2000, § 1 Rdnr. 104.

Dass dem VG im Rahmen der Anwendung dieses - zutreffend gewählten - Maßstabs ein Fehler unterlaufen ist, wird nicht substantiiert bzw. fristgerecht gerügt. Das VG hat im Einzelnen - gestützt auf die Angaben der Sachverständigen Dr. T. und das Gutachten im Verfahren LG Hamburg 312 O 255/01 - ausgeführt, dass die Wirkungen von "U. Pflaster" ganz überwiegend pharmakologischer Natur seien. Dem tritt die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 13.11.2006 nicht substantiiert entgegen (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). An keiner Stelle wird detailliert dargelegt, dass und warum die Annahme einer ganz überwiegenden pharmakologischen Wirkung fehlerhaft sei. Vielmehr wird weitestgehend allein damit argumentiert, dass die Annahme einer überwiegenden pharmakologischen Wirkung unerheblich sei. Darlegungen, die sich substantiiert gegen die Annahme einer ganz überwiegend pharmakologischen Wirkung wenden, finden sich erst im Schriftsatz vom 19. 1. 2007. Indes liegt dieser nicht in der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.

Vor diesem Hintergrund - der Annahme einer pharmakologischen Wirkung - stehen der Einstufung des streitgegenständlichen Pflasters als Arzneimittel keine Gründe entgegen. Auf die Frage nach einem Vorrang der arzneimittelrechtlichen Vorschriften kommt es dabei nicht an. Die Frage nach dem Vorrang des einen oder des anderen Regelungsregimes macht Sinn, wenn ein und dasselbe Produkt unterschiedlichen Regelungsregimen unterfallen kann. Durch § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 Nr. 1, 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG und § 3 Nr. 1 und Nr. 2 MPG wird aber - u.a. über das Merkmal der überwiegenden pharmakologischen Wirkung - im Sinne eines formellen Ausschlussverhältnisses sichergestellt, dass entweder das arzneimittelrechtliche oder das medizinprodukterechtliche Regelungsregime Anwendung findet. Insoweit beruht die angegriffene Entscheidung nicht tragend auf der Annahme eines Vorrangs der arzneimittelrechtlichen Regelungen, wie sich im Einzelnen aus der Subsumtion der §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG und § 3 Nr. 1 MPG ergibt.

Vgl. zum Ausschlussverhältnis zwischen AMG und MPG Kloesel/Cyran, a.a.O., § 2 Anm. 154; Doepner, a.a.O., § 1 Rdnr. 103. Vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 15. 6. 2000 - 25 W 2146/00 -, ZLR 2000, 785.

Auch greift die sinngemäße Rüge, das VG habe die Vorschrift des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG fehlerhaft verstanden, nicht durch. Nach dieser Vorschrift gilt die genannte Richtlinie auch in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von "Arzneimittel" als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist. Die Anwendung dieser Regelung setzt voraus, dass ein Zweifelsfall besteht, d.h. das streitgegenständliche Produkt darf weder eindeutig ein Arzneimittel noch eindeutig ein Erzeugnis, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, sein.

OVG NRW, Urteile vom 17.3.2006, a.a.O.

Genau so hat das VG Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG verstanden. Dies ergibt sich schon daraus, dass es die maßgebliche Rechtsprechung des OVG NRW in Bezug genommen und darauf abgestellt hat, dass die pharmakologische Wirkung von "U. Pflaster" außer Zweifel stehe.

Der Einstufung von "U. Pflaster" als Arzneimittel steht auch nicht entgegen, dass das Pflaster in einem anderen Mitgliedstaat als Medizinprodukt angesehen wird. Nach dem eindeutigen Wortlaut der § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 7 AMG und § 3 Nr. 1 und Nr. 2 MPG sind Arzneimittel und Medizinprodukte aufgrund ihrer überwiegend pharmakologischen bzw. physikalischen Wirkung voneinander abzugrenzen. Eine Bestimmung, dass Erzeugnisse, die in einem anderen Mitgliedstaat als Medizinprodukte eingestuft werden, so auch in Deutschland eingestuft werden müssen, obschon es sich bei ihnen nicht um Medizinprodukte (sondern um Arzneimittel) handelt, kennen weder das Gesetz noch das Gemeinschaftsrecht. Insbesondere sehen weder das Medizinproduktegesetz noch die Richtlinie 93/42/EWG vor, dass die Einstufung eines Medizinprodukts durch einen Mitgliedstaat für die anderen Mitgliedstaaten Bindungswirkung entfaltet. Die Regelungen des Medizinproduktegesetz bzw. der Richtlinie 93/42/EWG, durch die eine Harmonisierung des Medizinprodukterechts bewirkt wird, bauen darauf auf, dass ein Produkt tatsächlich ein Medizinprodukt ist, regeln aber nicht die Harmonisierung der Einstufung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. 12. 2006 - 3 C 40.05 -, NVwZ 2007, 591; OVG NRW, Urteil vom 10.11.2005 - 13 A 463/03 -, juris; Schorn, a.a.O., § 13 MPG Anm. 13.

Mit dem Gesagten übereinstimmend hat der EuGH ausgesprochen, dass es beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts möglich sei, dass bei der Einstufung von Erzeugnissen als Arzneimittel Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestünden. Der Umstand, dass ein Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat nicht als Arzneimittel eingestuft sei, hindere somit nicht, ihm im Einfuhrmitgliedstaat dann die Eigenschaft eines Arzneimittels zuzuerkennen, wenn es die entsprechenden Merkmale aufweise.

Vgl. zu alldem EuGH, Urteil vom 9.6.2005 - Rs. C-211/03, C-299/03 und C-316 bis C-318/03 -, Slg. I-5141 (HLH und Orthica) m.w.N.

Das VG ist in der Folge aufgrund der zugrunde gelegten Arzneimitteleigenschaft von "U. Pflaster" zu Recht davon ausgegangen, dass die Verfügung auf das Arzneimittelgesetz gestützt werden könne; das Medizinproduktegesetz sei nicht anzuwenden. Dies ist schon aufgrund des formellen Ausschlussverhältnisses zwischen Arzneimittelgesetz und Medizinproduktegesetz nicht zu beanstanden und gilt auch im Hinblick auf § 27 Abs. 2 MPG. Zwar erfasst § 27 Abs. 2 MPG grundsätzlich auch den Fall, dass ein Nicht-Medizinprodukt unzulässigerweise mit einer CE-Kennzeichnung versehen wird. § 27 Abs. 2 MPG zielt ersichtlich aber allein auf eine missbräuchliche Verwendung gerade der CE-Kennzeichnung (etwa um einem Produkt, dass in Wahrheit kein Medizinprodukt ist, die "Weihen" eines Medizinproduktes zu verleihen). Das folgt aus dem Wort "unzulässigerweise". Um einen solchen "Kennzeichnungsmissbrauch" geht es hier aber nicht. Vielmehr versucht die Klägerin ein Produkt, das von der Behörde eines anderen Mitgliedstaats als Medizinprodukt angesehen wird, aber tatsächlich ein Arzneimittel ist, als Medizinprodukt in Verkehr zu bringen. Ein Missbrauch der Kennzeichnung zu Lasten der CE-Kennzeichnungsregelungen steht nicht im Raum.

Vgl. zu dem Gesagten Hill/Schmidt, WiKo, Stand April 2006, § 27 MPG Rdnr. 5 und OVG NRW, Beschlüsse vom 14.8.2003 - 13 A 5022/00 -, ZLR 2004, 208 und vom 24.6.1999 - 13 B 96/99 -, NJW 2000, 891.

Im Übrigen wäre es - wie das VG zu Recht festgestellt hat - nicht nachvollziehbar, dass allein eine Kennzeichnungsregelung die grundlegende Unterscheidung zwischen dem arzneimittelrechtlichen und dem medizinprodukterechtlichen Regelungsgefüge des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts unterliefe. Bei der CE-Kennzeichnung handelt es sich um ein Verwaltungszeichen, das allein deklaratorisch - und nicht rechtsverbindlich - die EG-Konformität und Verkehrsfähigkeit des gekennzeichneten Produkts anzeigt.

Vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 21.1.1999 - 6 U 71/98 -, juris; OLG München, Urteil vom 15.3.2001 - 6 U 5005/00 -, ZLR 2001, 614; Rehmann, in: Rehmann/Wagner, MPG, 2005, Einführung Rdnr. 31; Ratzel, in: Deutsch/Lippert/Ratzel, Medizinproduktegesetz, 2002, § 27 Rdnr. 1.

Die Ausführungen des VG zu Art. 28 EG sind nicht fristgerecht - sondern nur im Rahmen des nicht fristwahrenden Schriftsatzes vom 22.1.2007 - angegriffen worden. Im Übrigen sind sie im Ergebnis nicht zu beanstanden: Ein Verstoß gegen Art. 28 EG durch nationale Behörden kann - wenn sie letztlich sekundäres Gemeinschaftsrecht anwenden - nur vorliegen, wenn das sekundäre Gemeinschaftsrecht seinerseits nicht mit Art. 28 EG vereinbar ist. Art. 28 EG bindet zwar grundsätzlich auch den Gesetzgeber von sekundärem Gemeinschaftsrecht. Er ist aber aufgrund dieser Norm nicht verpflichtet, Harmonisierungsregelungen zu erlassen. Maßgeblich hierfür sind allein die Art. 94 ff. EG, die eine Harmonisierungspflicht grundsätzlich nicht kennen. Hier hatte die Beklagte über die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten zu entscheiden. Die Unterscheidung von Arzneimitteln und Medizinprodukten beruht auf sekundärem Gemeinschaftsrecht (Art 1 Nr. 2, Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2001/83/EG, Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) Richtlinie 93/42/EWG). Dieses lässt es aber - bei dem gegenwärtigen Stand der Harmonisierung - zu, dass hinsichtlich der konkreten Einstufung von Erzeugnissen als Arzneimittel - wie oben gezeigt - Unterschiede zwischen den nationalen Behörden der Mitgliedsstaaten bestehen.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein Verfahrensmangel in diesem Sinne ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die den Verfahrensablauf regelt, d.h. ein den Weg zu dem Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses betreffender Verstoß (error in procedendo), nicht aber ein Mangel der sachlichen Entscheidung, also nicht eine Verletzung einer den Inhalt des Urteils bestimmenden Vorschrift (error in iudicando).

Siehe z.B. BVerwG, Beschluss vom 2.11.1995 - 9 B 710.94 -, DVBl 1996, 108; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124 Rdnr. 187, jeweils m.w.N.

Hier liegen Verfahrensmängel nicht vor. Soweit die Klägerin rügt, dass das Gericht seine Entscheidung auf unerhebliche Tatsachen gestützt habe, steht ein Verfahrensmangel nicht im Raum. Das VG hat seine Entscheidung auf die Tatsachen gestützt, die es für erheblich hielt. Ob seine Ansicht zutreffend ist oder nicht, ist keine Frage des Verfahrens, sondern des materiellen Rechts. Die übrigen Verfahrensrügen der Klägerin betreffen zwar potentielle Verfahrensfehler. Indes liegen Fehler nicht vor bzw. können nicht gerügt werden.

Ein Verstoß gegen § 86 VwGO liegt nicht vor. Soweit die Klägerin rügt, dass das VG ihren in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag abgelehnt hat, liegt kein Verstoß gegen § 86 VwGO vor. Das VG hat - im Anschluss an den gestellten Beweisantrag - Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens kam nur dann in Betracht, wenn das eingeholte Gutachten ungenügend war (§ 244 Abs. 4 Satz 2 StPO analog bzw. § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO ). Dies ist dann der Fall, wenn das Gutachten auch für den nicht Sachkundigen erkennbare Mängel aufweist bzw. wenn sich trotz des Gutachtens die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung aufdrängt. Maßgebend ist insoweit u.a., ob sich aus den Äußerungen des Gutachters selbst Zweifel an seiner Sachkunde oder Unparteilichkeit ergeben, ob die gutachtlichen Äußerungen in sich widersprüchlich sind oder ob das Gutachten durch das Vorbringen einer Partei schlüssig infrage gestellt wird.

BVerwG, Urteile vom 8.6.1979 - 4 C 1.79 -, Buchholz § 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 120, vom 6.2.1985 - 8 C 15.84 -, BVerwGE 71, 38, vom 23.5.1986 - 8 C 10.84 -, BVerwGE 74, 222, und vom 6.10.1987 - 9 C 12.87 -, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31.

Derartige Mängel bzw. Umstände, aufgrund derer sich eine weitere Aufklärung aufdrängte, sind hier nicht ersichtlich. Der Gutachtenauftrag des VG bzw. der Umfang des erstatteten Gutachtens sind nicht zu beanstanden. Der Auftrag des VG bezog sich - zu Recht - auf die entscheidungserhebliche Frage der pharmakologischen Wirksamkeit von "U. Pflaster". Von diesem Auftrag ersichtlich mit umfasst war auch die Frage, ob das Produkt - gewissermaßen umgekehrt - eine physikalische Wirkung hervorruft. Dementsprechend war das in der mündlichen Verhandlung von Frau Dr. T. erstattete Gutachten auch vollständig, da es sich sowohl auf eine überwiegend pharmakologische als auch - in Abgrenzung hiervon - auf eine (fehlende) überwiegend physikalische Wirkung des streitgegenständlichen Produktes bezog. Im Übrigen kann eine gewisse - untergeordnete - physikalische Wirkung des umstrittenen Produkts sogar unterstellt werden, wie auch die Gutachterin ausgeführt hat. Insoweit kann auch als wahr unterstellt werden, dass niederländische Behörden und Wissenschaftler diese physikalische Wirkungsweise im Blick hatten.

Auch in der Bestellung von Frau Dr. T. als Gutachterin lag kein Mangel. Dem Gericht steht bei der Bestellung von Gutachtern gem. § 98 VwGO i.V.m. § 404 Abs. 1 ZPO Ermessen zu. Dass das VG insoweit nicht auf die von der Klägerin in Ziffer 1. und 2. des Beweisantrags benannten ausländischen Auskunftsgeber bzw. Gutachter zurückgegriffen (und die Bestellung von Frau Dr. T. nicht zurückgenommen) hat, ist erkennbar nicht ermessensfehlerhaft. Einem Rückgriff auf ausländische Auskunftsgeber bzw. Gutachter stehen regelmäßig schon die sprachlichen Probleme entgegen (vgl. § 184 Satz 1 GVG). Auch ist es im Rahmen des auszuübenden Ermessens nicht zu beanstanden, dass das VG gerade auf Frau Dr. T. als Sachverständige zurückgriff. Frau Dr. T. war seit langem mit den aufgeworfenen Abgrenzungsfragen befasst und stand in keinerlei beruflichem Verhältnis zu der Beklagten. Auch im Rahmen ihrer Tätigkeit beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte - BfArM - war sie mit dem konkreten Verfahren nicht befasst. Dass sie allein wegen der gutachterlichen Befassung des BfArM mit dem Fall und aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit beim BfArM nicht unabhängig von dessen Standpunkt in dem konkreten Verfahren hat agieren können, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen musste sich dem VG die Benennung eines anderen Gutachters oder einer anderen Gutachterin schon deshalb nicht aufdrängen, weil die Klägerin die Gutachterin nicht abgelehnt und eine oder einen im Inland konkret zu benennenden Gutachter nicht angegeben hatte.

Es besteht auch kein Anlass zu Zweifeln an der Unparteilichkeit der Gutachterin. Allein der Umstand, dass Frau Dr. T. im Ergebnis die vom BfArM vertretene Auffassung stützte, kann kein Grund dafür sein, von einer Parteilichkeit auszugehen, zumal die Auffassung der Gutachterin mit anderen wissenschaftlichen Stellungnahmen übereinstimmte. Das Nämliche gilt für die Bezugnahme der Sachverständigen auf die Monographien, die von sachverständigen Kommissionen erstellt wurden und denen das AMG selbst einen besonderen Stellenwert eingeräumt hat (vgl. § 25 Abs. 7 AMG in der bis zum 16. 8. 1994 geltenden Fassung). Auch der Umstand, dass sich Frau Dr. T. mit ihren Kollegen, die den konkreten Fall beurteilt hatten, im Institut zusammengesetzt und den Fall diskutiert hat, begründet keine durchgreifenden Zweifel an ihre Unparteilichkeit. Dass sich ein Gutachter mit den im Verwaltungsverfahren mit der Sache befassten Personen in Verbindung setzt, ist jedenfalls in der Praxis nicht ungewöhnlich und indiziert keine mangelnde Vorurteilsfreiheit.

Vgl. Jessnitzer/Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 11. Aufl. 2001, Rdnr. 257, 263 ff., 328; Bayerlein, in: Bayerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 3. Aufl. 2002, § 15 Rdnr. 5.

Schließlich besteht kein Anlass, an der Sachkunde der Gutachterin zu zweifeln. Frau Dr. T. ist Pharmazeutin und beschäftigte sich beim BfArM seit fünf Jahren mit der Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Dass sich dabei dem vorliegenden Fall vergleichbare substanz- und präparatebezogene Fragen stellten, liegt nahe. Dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit beim BfArM nicht mit "U. Pflaster" beschäftigt war, ist kein Mangel, sondern Voraussetzung für ihre gutachterliche Tätigkeit. Auch hatte sie sich im Rahmen der Gutachtenerstellung durchaus mit dem streitgegenständlichen Pflaster beschäftigt, sie ging nämlich - zutreffend - davon aus, dass es sich um ein Gelpflaster handele. Das "davon ausgehen" enthielt ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung kein spekulatives Element, sondern diente allein der Abgrenzung gegenüber anderen - denkbaren - Auffassungen (etwa der, dass das streitgegenständliche Pflaster luftdicht abschließe). Der Gutachterin war auch der von der Klägerin bemühte Artikel von Eccles aus dem Jahr 1994 bekannt. Dass sie dessen Gedankengang nicht konkret wiedergeben konnte, ist belanglos, da der Artikel bei Gutachtenerstellung mehr als 10 Jahre alt war, sich überwiegend nur mit Menthol befasst und der Anwendung von Menthol auf der Haut nur eine Spalte widmet. Unerheblich ist auch, dass die genannte Gutachterin in dem Bereich der Abgrenzung Arzneimittel und Medizinprodukte nicht selbst forscht. Zum Anforderungsprofil einer Gutachterin gehört nicht zwingend, dass sie in dem streitgegenständlichen Bereich auch wissenschaftlich tätig ist.

Die gutachterlichen Äußerungen waren auch nicht in sich widersprüchlich bzw. durch schlüssigen Sachvortrag der Klägerin in Zweifel gezogen worden. Das Gutachten war - wie das VG zu Recht festgehalten hat - für sich genommen nachvollziehbar und überzeugend. Weiter wurde es durch ein weiteres - im Verfahren LG Hamburg 312 O 255/01 vorgelegtes - Gutachten sowie durch sonstige wissenschaftliche Erkenntnismittel gestützt. Substantiierte Angriffe im Hinblick auf die Richtigkeit des Gutachten nach dessen Erstattung sind weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Berufungszulassungsverfahren erfolgt. Die Auffassung der Klägerin, dass jedes von ihrer Ansicht abweichende Gutachten gleichsam automatisch durch ihren vorhergehenden Sachvortrag erschüttert werde, liegt neben der Sache.

Endlich ist auch die Art und Weise der Erstattung des Gutachten - mündlich in der Verhandlung vom 25. 8. 2006 - nicht zu beanstanden. Wie sich mittelbar aus § 98 VwGO i.V.m. § 411 ZPO ergibt, sind Gutachten grundsätzlich mündlich zu erstatten. Zwar werden hiervon häufig Ausnahmen gemacht.

Vgl. Jessnitzer/Ulrich, a.a.O., Rdnr. 319.

Hier lagen indes Umstände des Einzelfalls vor, die für eine mündliche Gutachten-erstattung sprachen. Diese resultierten daraus, dass das Verfahren früh terminiert werden musste: Das VG hatte im zugehörigen Verfahren 18 L 2075/05 darauf hingewirkt, dass die Beklagte ihre Anordnung der sofortigen Vollziehung aufhob und hatte im Gegenzug angekündigt, das Verfahren in der Hauptsache schnell zu terminieren. Nachdem die Beklagte vor diesem Hintergrund ihre Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgehoben hatte, konnte die Klägerin schwerlich erwarten, dass sie einerseits ohne gerichtliche Prüfung der Erfolgaussichten der Klage in den "Genuss" der aufschiebenden Wirkung kommt, und dass andererseits dieser Vorteil auch noch besonders lang vorhält. Die Problematik des Rechtsstreits war dem VG aus dem umfangreichen Vorbringen der Klägerin im vorläufigen Rechtsschutzverfahren bekannt, so dass dem alsbaldigen Erlass des Beweisbeschlusses wie auch der Terminierung im Hauptsacheverfahren auch ohne vorliegende Klagebegründung nichts im Wege stand.

Ende der Entscheidung

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