Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.05.2002
Aktenzeichen: 13 A 4225/00
Rechtsgebiete: TierSG, AG TiersG NRW, DVO AG TiersG NRW
Vorschriften:
TierSG § 66 | |
TierSG § 69 | |
TierSG § 70 | |
AG TiersG NRW § 12 | |
DVO AG TiersG NRW § 1 Abs 3 |
Tatbestand:
Der Kläger ist langjähriger Rassegeflügelzüchter und hielt im November 1998 35 Hühner. Aufgrund einer Tierseuchenverfügung des Oberbürgermeisters der Stadt B. vom 10.11.1998 wurden diese wegen Seuchenverdachts noch am gleichen Tag getötet.
Ebenfalls am 10.11.1998 beantragte der Kläger bei dem beklagten Amt eine Entschädigung nach dem Tierseuchengesetz aus der Tierseuchenkasse. Nachdem das beklagte Amt den Kläger in seinen Unterlagen nicht als Tierbesitzer ermitteln konnte, teilte ihm der Kläger auf Anfrage mit, dass er bisher nicht zu Beiträgen zur Tierseuchenkasse herangezogen worden sei. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass sein Geflügelbestand bei der Tierseuchenkasse angemeldet werden müsse. Seines Wissens nach würden nur Hühnerbestände mit mehr als 600 Tieren zur Beitragszahlung herangezogen. Am 8.12.1998 habe sein Tierbestand 10 Schafe, 1 Pferd und 40 Hühner betragen. Mit Bescheid vom 24.2.1999 lehnte das beklagte Amt den Entschädigungsantrag ab.
Nach erfolglsoem Vorverfahren gab das VG der Klage statt. Die zugelassene Berufung hatte teilweise Erfolg.
Gründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig und hat Erfolg, soweit das beklagte Amt durch das angefochtene Urteil zu einer Entschädigungsleistung nach § 66 TierSG verpflichtet worden ist. Andererseits ist das beklagte Amt zu verpflichten, über eine teilweise Entschädigung nach § 70 TierSG erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden. Der Senat folgt dem angefochtenen Urteil zunächst darin, dass die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 TierSG für die beantragte Entschädigung wegen der Tötung der Hühner des Klägers aus der Tierseuchenkasse vorliegen und die vom Amtstierarzt geschätzte Entschädigungshöhe nicht in Zweifel zu ziehen ist.
Die im Mittelpunkt des bisherigen Rechtsstreits stehende Auslegung des § 69 Abs. 3 Nr. 1 TierSG nimmt der Senat jedoch abweichend von dem angefochtenen Urteil vor. Nach dieser Vorschrift entfällt der Anspruch nach § 66 TierSG, wenn - außer bei hier nicht in Betracht kommender Nichterfüllung der Beitragspflicht (Nr. 2) - der Tierbesitzer schuldhaft "bei den hierzu vorgeschriebenen Erhebungen einen Tierbestand nicht angibt oder eine zu geringe Tierzahl angibt", sofern "nach Maßgabe des § 71 Abs. 1 aufgrund landesrechtlicher Vorschriften vom Tierbesitzer Beiträge zur Gewährung von Entschädigungen erhoben werden". Diese Regelung ist auslegungsbedürftig und auslegungsfähig. Für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens ist maßgeblich, ob die genannte Regelung darauf abstellt, ob überhaupt für Tiere einer bestimmten Gattung - gleichsam abstrakt - grundsätzlich Beiträge erhoben werden oder ob - wie das VG gemeint hat - der Kläger für die betroffene Tierart für das fragliche Jahr konkret einer Beitragspflicht ausgesetzt war oder gewesen wäre.
Von den genannten beiden möglichen Auslegungen entscheidet sich der Senat dafür, dass eine abstrakte Beitragspflicht genügen kann, um den Entschädigungsanspruch entfallen zu lassen. Hierfür spricht zunächst, dass die Entschädigungsregelung des Tierseuchengesetzes in sich auch Elemente eines versicherungsähnlichen Schadenausgleiches enthält.
Vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 17.12.96 - 3 B 56.96 -, Buchholz, Ordnungsnr. 418.6, TierSG Nr. 15 sowie BVerwG, Urteil vom 11.11.1982 - 3 C 89.81 -, AgrarR 1983, 255 und die ständige Rechtsprechung des beschließenden Senats.
Nur die Auslegung in dem genannten abstrakten Sinne trägt dem Umstand Rechnung, dass es versicherungsrechtlichen Grundsätzen widersprechen würde, wenn jemand, der zu der Versicherung - und überdies aus eigenem Verschulden - noch gar nicht in Beziehung steht, von dieser auf Kosten der Solidargemeinschaft wegen Eintritts eines Schadensfalles Entschädigung sollte erhalten können; nur diese Sicht ist auch mit dem Grundsatz der Billigkeit vereinbar. Auch die Sanktionsfunktion der Regelungen des § 69 TierSG kommt bei einer Auslegung als abstrakt besser zur Geltung.
In dem vorstehend zitierten Urteil des BVerwG ist zugleich entschieden, dass § 69 Abs. 3 Nr. 1 TierSG (heute in Verbindung mit § 1 Abs. 3 DVO - AGTierSG - NRW) auch eine erstmalige von dem Tierhalter ausgehende Meldepflicht umfasst. Das ist jedoch nicht nur im Hinblick auf die eigene Beitragspflicht des jeweiligen Tierhalters, die im konkreten Fall entfallen kann, sinnvoll, sondern generell-abstrakt. Wie das beklagte Amt unwidersprochen und nachvollziehbar ausgeführt hat, hat nämlich das bestehende Risiko, d. h. die Anzahl der gemeldeten und ggf. entschädigungspflichtigen Tiere einen Einfluss auf die Berechnung der jeweils - wenn auch nicht von jedem Tierhalter - zu erhebenden Beiträge. Auch kann für den Seuchenfall die Kenntnis der vorhandenen Tierbestände bedeutsam sein. Im Übrigen ist es nicht selbstverständlich, dass Geflügel, das in geringer Zahl gehalten wird, zwangsläufig beitragsfrei bleiben muss. Wegen fehlender Rücklagen oder veränderter Seuchensituation stünde - bei entsprechender Änderung der einschlägigen Vorschriften - einer Beitragserhebung insofern nichts entgegen.
Nicht überzeugend ist das systematische Argument des VG, dort wo die Vorschriften des Tierseuchengesetzes sonst davon sprächen, dass Beiträge erhoben oder nicht erhoben würden, sei dies jeweils konkret gemeint, so dass - aus Gründen der Einheitlichkeit - auch § 69 Abs. 3 TierSG "konkret" auszulegen sei. Diese Behauptung trifft schon für § 71 Abs. 1 S. 1 TierSG, wonach die Länder "die Durchführung von Tierzählungen zum Zwecke der Beitragserhebung regeln" können, nicht zu. "Beitragserhebung" umfasst hier nicht nur die konkrete Erhebung, sondern auch die vorrangigen generellen Entscheidungen, ob und in welcher Höhe Beiträge erhoben werden sollen, mithin Entscheidungen die erst in Kenntnis der Zählungen - abstrakt - getroffen werden können.
Auch die Systematik des § 69 Abs. 3 TierSG selbst legt eine abstrakte Auslegung der Bedingung "sofern Beiträge erhoben werden" nahe, da die Regelung im Zusammenhang mit seiner Nr. 2 nur dann stimmig ist. Wird konkret kein Beitrag erhoben, kommt Nr. 2 ohnehin nicht zur Anwendung.
Der Senat folgt dem angefochtenen Urteil auch nicht darin, dass es eine Meldepflicht des Tierhalters grundsätzlich bejaht, jedoch in Abgrenzung zu dem von ihm zitierten Urteil des VG Minden vom 9.11.1983 - 9 K 2096/81 - meint, ein Verstoß gegen die Meldepflicht rechtfertige nicht den Wegfall der Entschädigung gemäß § 69 Abs. 3 Nr. 1 TierSG. Die auch in dem erstinstanzlichen Urteil anerkannte Interessenlage spricht gegen diese Folgerung, ebenso der Umstand, dass es sich bei der Meldepflicht nicht nur um eine Ordnungsvorschrift, sondern um eine Hauptpflicht des Tierhalters handelt.
Vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.5.2000 - 1 S 130/00-, AgrarR 2001, 360.
Der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass der Kläger die Meldung seiner Tiere schuldhaft unterlassen hat. Der Kläger hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, als er sich nicht darum gekümmert hat, ob seine Tiere zur Tierseuchenkasse zu melden seien. Die Kenntnis von Rechtsvorschriften wird nicht nur von jedem Gewerbetreibenden für seinen Tätigkeitsbereich verlangt, sondern auch von einem Züchter, zumal der Kläger die Geflügelzucht so intensiv betreibt, dass er Rassegeflügelschauveranstaltungen beschickt.
Die Klage kann jedoch nicht in vollem Umfang abgewiesen werden. Nach § 70 TierSG kann die Entschädigung u. a. in dem Fall des § 69 Abs. 3 Nr. 1 TierSG teilweise gewährt werden, wenn die Schuld gering ist oder - hier nicht vorliegend - die Versagung der Entschädigung für den Besitzer eine unbillige Härte bedeuten würde. Das Maß der Schuld hängt von der umfassenden Abwägung der tatsächlich festgestellten Gesamtumstände ab. Das Merkmal der geringen Schuld in § 70 TierSG ist nach dem Schutzzweck der Seuchenmaßnahmen auch darauf bezogen, welche Gefahr einer Verbreitung der Seuchen von dem Verstoß ausgeht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.3.1995 - 3 C 19.93 -, BVerwGE 98, 111.
Vorliegend kann die Schuld des Klägers entgegen den Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden als gering anerkannt werden, da von seinem Verhalten eine seuchenrechtliche Gefahr im vorstehenden Sinne nicht ausgegangen ist und er überdies nicht beitragspflichtig gewesen wäre. Da auch bei der Bejahung einer geringen Schuld die Höhe der Entschädigung im Ermessen des Beklagten liegt, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, weist jedoch für die Ermessensentscheidung des Beklagten darauf hin, dass ihm eine Entschädigung von weniger als 50 % des noch streitigen Betrages nicht schuldangemessen erscheinen würde. Eine wesentlich höhere Entschädigung erschiene allerdings unangemessen, zumal der Kläger auch sonstige melde- und beitragspflichtige Tiere nicht angegeben hatte.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.