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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 10.09.2009
Aktenzeichen: 13 A 803/07
Rechtsgebiete: AMG


Vorschriften:

AMG § 39 Abs. 2 Nr. 4
AMG § 39 Abs. 2b Satz 2
Die (Verlängerung der) Registrierung eines Arzneimittels ist zu versagen, wenn ernstzunehmende Erkenntnisse den Schluss nahe legen, dass das Präparat unvertretbare Nebenwirkungen hat. Eines positiven Nachweises dieser Nebenwirkungen bedarf es nicht.

Unvertretbar sind Nebenwirkungen, wenn die Nachteile der Anwendung die Nachteile der Nichtanwendung des Arzneimittels überwiegen. Dabei sind auch der Wirksamkeitsgrad und etwaige Behandlungsalternativen in den Blick zu nehmen. Bei einem homöopathischen Arzneimittel kann der pharmazeutische Unternehmer in der Regel auf einen höheren Verdünnungsgrad verwiesen werden, wenn auf diese Weise der bestehende Verdacht schädlicher Nebenwirkungen ausgeräumt werden könnte.


Tatbestand:

Die Klägerin begehrte die Verlängerung der Registrierung eines homöopathischen Ginkgo-Präparats (Urtinktur). Die Beklagte versagte dies mit der Begründung, es bestehe der begründete Verdacht, dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch unvertretbare Nebenwirkungen habe. Zu ginkgolhaltigen Arzneimitteln lägen erstzunehmende Erkenntnisse über schwerwiegende Allergie- und Blutungsrisiken vor. Die dagegen erhobene Klage auf Neubescheidung wies das VG ab. Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos.

Gründe:

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Das VG hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf erneute Bescheidung ihres Antrags auf Verlängerung der Registrierung für das homöopathische Arzneimittel "X". Dem Begehren stehe der Versagungsgrund des § 39 Abs. 2 Nr. 4 AMG entgegen. Es bestehe der begründete Verdacht, dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen habe, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbareres Maß hinausgingen. Zu ginkgolhaltigen Arzneimitteln lägen erstzunehmende Erkenntnisse über schwerwiegende Allergie- und Blutungsrisiken vor. Dieser Verdacht gehe über das nach den Erkenntnissen der Wissenschaft vertretbare Maß hinaus. Die Klägerin könne auf toxikologisch unbedenkliche Verdünnungsstufen ausweichen. Das führe nach dem Selbstverständnis der homöopathischen Therapierichtung nicht zu Einbußen der homöopathisch intendierten Wirkung. Aus den vorgenannten Gründen und mit Blick auf die entsprechend dem homöopathischen Arzneimittelbild monographierten Anwendungsgebiete komme auch ein bloßer Warnhinweis nicht in Betracht.

Die dagegen von der Klägerin erhobenen Rügen zeigen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht auf.

Fehl geht zunächst der - der Sache nach erhobene - Einwand der Klägerin, das VG habe einen unzureichenden Maßstab bei der Prüfung der Unbedenklichkeit angelegt. Nach § 39 Abs. 2b Satz 2 i. V. m. § 39 Abs. 2 Nr. 4 AMG hat die zuständige Bundesoberbehörde die Verlängerung der Registrierung zu versagen, wenn bei dem Arzneimittel der begründete Verdacht besteht, dass es bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Ein solcher Verdacht liegt vor, wenn erstzunehmende Erkenntnisse den Schluss nahe legen, dass das fragliche Arzneimittel unvertretbare Nebenwirkungen hat. Hierfür ist es - anders als die Klägerin meint - nicht erforderlich, dass es zu dem fraglichen Präparat oder zu vergleichbaren Arzneimittelzubereitungen verlässliche Daten zur Schädlichkeit gibt. Eines positiven Nachweises der kausalen Beziehung zwischen der Einnahme des Arzneimittels und aufgetretenen Nebenwirkungen bedarf es nicht. Dies würde dem Gebot der Arzneimittelsicherheit zuwiderlaufen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2007 - 3 C 36.06 -, Pharma Recht 2007, 423 = NVwZ-RR 2007, 774; OVG Berlin, Urteil vom 16.9.1999 - 5 B 34.97 -, juris; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Kommentar, Stand Januar 2009, § 25 Rn. 76, m. w. N.; Rehmann, AMG, 3. Aufl. 2008, § 5 Rn. 2, m. w. N.

Den vorstehend dargelegten Prüfungsmaßstab hat das VG - wie sich der angefochtenen Entscheidung ohne Weiteres entnehmen lässt - zutreffend zugrundegelegt. Es hat sodann in Anwendung der genannten Vorgaben im Einzelnen begründet, dass und warum bei vergleichbaren ginkgolhaltigen Arzneimittelzubereitungen begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie erhebliche allergische Reaktionen auslösen können. Hierzu wird in der erstinstanzlichen Entscheidung ausführlich wie nachvollziehbar auf die Bedenken der Kommission E, die allenfalls einen Ginkolsäuregehalt in Ginkgo-biloba-Blätterhaltigen Fertigarzneimitteln von "unter 5 ppm" für vertretbar erachtet, - vgl. die Monographie zu "Ginkgo-biloba-Blätter, Trockenextrakt (35 - 67:1) extrahiert mit Aceton-Wasser (BAnz. Nr. 133 vom 19.7.1994) - und zudem auf die zahlreichen Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen hingewiesen, wonach im Rahmen der Behandlung mit Ginkgo-Monopräparaten von Nebenwirkungen wie Juckreiz, Ekzemen, Gesichtsödemen, Magen- und Darmkrämpfen, Durchfall sowie schwerer Atemnot bis hin zu anaphylaktischen Reaktionen berichtet worden ist. Diese Meldungen bezogen sich nicht nur auf pflanzliche Arzneimittel, sondern auch auf homöopathische Zubereitungen, bei denen sogar noch in der Potenz D 3 allergische Reaktionen geschildert worden sind.

Vgl. zu den schädlichen Wirkungen ginkgolhaltiger Arzneimittel auch: OVG NRW, Beschluss vom 4.9.2008 - 13 A 4850/05 -, in Bezug auf ein ginkgolhaltiges Phytopharmakon; VG Köln, Urteile vom 10.1.2007 - 24 K 1419/03 und 24 K 1421/03 -, jeweils juris, in Bezug auf ginkgolhaltige Homöopathika als Urtinktur und in der Verdünnungsstufe D 2.

Ebenso eingehend wie plausibel verhält sich die erstinstanzliche Entscheidung zu dem weiteren begründeten Verdacht, dass bei der Gabe von ginkgolhaltigen Präparaten - vor allem bei der Komedikation mit gerinnungshemmenden Substanzen - ein erhöhtes Risiko für Blutungen mit zum Teil schwerwiegenden und unter Umständen lebensbedrohlichen Folgen bestehen könne. Das VG setzt sich insoweit detailliert mit den zahlreichen Publikationen und Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen auseinander, in denen von einem möglichen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Ginkgo einerseits und zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen (z. B. Hämatome, Netzhautblutungen, Bluterbrechen und zerebralen Blutungen) andererseits berichtet worden ist.

Vgl. zu diesen Gefahren auch OVG NRW, Beschluss vom 4.9.2008 - 13 A 4850/05 -; VG Köln, Urteile vom 10.1.2007 - 24 K 1419/03 und 24 K 1421/03 -, jeweils a. a. O.

Mit diesen erstinstanzlichen Erwägungen setzt sich die Klägerin im Berufungszulassungsverfahren nicht substantiiert auseinander, da sie lediglich allgemeine Ausführungen zur langen Tradition des Präparats und zu den Besonderheiten der homöopathischen Therapierichtung macht, ohne auch nur einen belastbaren Grund dafür zu benennen, warum die hier in Rede stehende Urtinktur weniger bedenklich sein soll als die pflanzlichen und homöopathischen Ginkgo-Zubereitungen anderer pharmazeutischer Unternehmer. Dazu hätte freilich aller Anlass bestanden, weil eine Urtinktur, bei der es an der sonst üblichen Weiterverdünnung des Wirkstoffs nach homöopathischen Grundsätzen fehlt, mit den Pflanzenextrakten der phytopharmazeutischen Therapierichtung weitgehend identisch ist, so dass die zu pflanzlichen Arzneimitteln gewonnenen Erkenntnisse auf Urtinkturen der homöopathischen Therapierichtung übertragbar sind.

Vgl. VG Köln, Urteil vom 10.1.2007 - 24 K 1419/03 -, a. a. O.

Den nach den vorstehenden Ausführungen zu bejahenden Verdacht schädlicher Wirkungen von Ginkgo hat die Klägerin nicht ausräumen können. Die von ihr zitierte Pressemitteilung über eine in den USA durchgeführte Studie zur Wirksamkeit von Ginkgo-Zubereitungen bei Alzheimer-Demenz ist auf der Grundlage der von der Klägerin mitgeteilten Daten nicht geeignet, die dargestellten tragfähigen Anhaltspunkte für unvertretbare Nebenwirkungen zu entkräften. Hierzu hat die Beklagte das Erforderliche dargelegt. Anlass zu ergänzenden Ausführungen sieht der Senat nicht.

Ohne Erfolg wendet sich die Klägerin ferner gegen die Einschätzung des VG, der begründete Verdacht schädlicher Wirkungen von X gehe über ein nach den Erkenntnissen der Wissenschaft vertretbares Maß hinaus. Bei der Entscheidung über die Vertretbarkeit sind die Nachteile der Anwendung und die Nachteile der Nichtanwendung des Arzneimittels gegeneinander abzuwägen. Dabei sind angesichts des Interesses der Patienten an besonders guten und möglichst nebenwirkungsarmen Arzneimitteln auch der Grad der Wirksamkeit sowie etwaige Behandlungsalternativen in den Blick zu nehmen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.4.2001 - 13 B 1625/00 und 13 B 1626/00 -, juris; OVG Berlin, Urteil vom 16.9.1999 - 5 B 34.97 -, a. a. O.

Ausgehend hiervon ist die Erwägung des VG, die Klägerin könne zur Vermeidung der dargestellten Risiken ohne Weiteres auf einen höheren Verdünnungsgrad von Ginkgo biloba (D 4) verwiesen werden, nicht zu beanstanden. Im angefochtenen Urteil wird zu Recht darauf verwiesen, dass die Verdünnung nach dem Selbstverständnis der homöopathischen Therapierichtung grundsätzlich nicht zu Einbußen der homöopathisch intendierten Wirkung führt. Dass im vorliegenden Zusammenhang ausnahmsweise nur der Urtinktur (und nicht auch einer als risikofrei erachteten Verdünnung) ein besonderer Nutzen zukommen könnte, hat die Klägerin nicht dargetan.

Angesichts des begründeten Verdachts schwerwiegender Nebenwirkungen von Ginkgo-Zubereitungen stellt ein Warnhinweis insbesondere bei einem homöopathischen Arzneimittel, das weiterhin ohne ein bestimmtes Anwendungsgebiet und damit ohne zureichende Begründung seiner therapeutischen Wirksamkeit in Verkehr gebracht werden soll, keine vertretbare Alternative dar.

Ende der Entscheidung

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