Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.11.2009
Aktenzeichen: 13 B 1392/09
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
Da die Rechtmäßigkeit der gesetzlichen Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung einschließlich der mit der Speicherungspflicht verbundenen Kosten verfassungs- und europarechtlich noch nicht geklärt ist, ist im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO die Abwägung des öffentlichen Vollziehungsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse des TK-Unternehmens geboten.
Tatbestand:

Die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) gab der Antragstellerin, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt, mit Bescheid vom 6.7.2009 auf, die technischen Voraussetzungen zur Umsetzung der Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung aus § 113a TKG unverzüglich zu schaffen und ein sich hierauf beziehendes Umsetzungskonzept vorzulegen (Ziff. 1 der Bescheidtenors). Die Verfügung der Bundesnetzagentur war mit Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 50.000,-- Euro für den Fall der Nichtvorlage des Umsetzungskonzepts verbunden (Ziff. 2 des Bescheidtenors). Gegen den Bescheid erhob die Antragstellerin Widerspruch. Ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs blieb vor dem VG ohne Erfolg. Mit ihrer Beschwerde machte sie geltend: Die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung sei verfassungswidrig. Die den nationalen Bestimmungen im Telekommunikationsgesetz zugrunde liegende Richtlinie 2006/24/EG vom 15.3.2006 gebiete nicht, die betroffenen Unternehmen ohne angemessene Entschädigung zur Vorratsdatenspeicherung zu verpflichten. Die Vorschriften in der Richtlinie seien bereits europarechtswidrig. Die Bundesnetzagentur habe Ziff. 1 ihrer Verfügung auf eine unzutreffende Ermächtigungsgrundlage, nämlich auf § 115 Abs. 1 Satz 1 TKG gestützt und ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Das OVG wies die Beschwerde zurück.

Gründe:

Das VG hat zu Recht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Bundesnetzagentur vom 6.7.2009 abgelehnt. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur abschließenden Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an der möglichst schnellen Durchsetzung der Verfügung fällt auch aus Sicht des Senats zum Nachteil der Antragstellerin aus.

Der Senat lässt offen, ob die die Pflichten der Antragstellerin begründenden Vorschriften der §§ 110 und 113a TKG verfassungs- und europarechtsgemäß sind. § 113a TKG betrifft Speicherungspflichten für Daten und § 110 TKG die Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen sowie die Erteilung von Auskünften. Ermächtigungsgrundlage für die Kontrolle und die Durchsetzung dieser Pflichten ist § 115 Abs. 1 TKG. Nach dessen Satz 1 kann die Bundesnetzagentur Anordnungen und andere Maßnahmen treffen, um die Einhaltung der Vorschriften des - hier einschlägigen - Teils 7 und der auf Grund dieses Teils ergangenen Rechtsverordnungen sowie der jeweils anzuwendenden technischen Richtlinien sicherzustellen. Nach Satz 2 muss der Verpflichtete auf Anforderung der Bundesnetzagentur die hierzu erforderlichen Auskünfte erteilen.

Die in Ziff. 1 des Bescheidtenors ausgesprochene Aufforderung, die technischen Voraussetzungen zur Umsetzung der Verpflichtung aus § 113a TKG zu schaffen, wird von § 115 Abs. 1 Satz 1 TKG getragen. Die des Weiteren angeordnete Vorlage des Umsetzungskonzepts kann sich auf § 115 Abs. 1 Satz 2 TKG stützen. Die Bundesnetzagentur hat diese Vorschrift als Rechtsgrundlage zwar nicht ausdrücklich benannt. Sie hat aber die Vorlage eines Umsetzungskonzepts in den Bescheidgründen als eine den ersten Teil von Ziff. 1 des Bescheidtenors begleitende Maßnahme betrachtet, damit sie die Möglichkeit habe, das Umsetzungsverfahren angemessen zu begleiten und den Umsetzungsfortschritt zu verfolgen. Hiermit hat die Bundesnetzagentur hinreichend zum Ausdruck gebracht, in welchem Zusammenhang die aufgegebene Auskunftserteilung steht. Hierfür ist § 115 Abs. 1 Satz 2 TKG die rechtliche Anknüpfung. Die insoweit erforderliche Begründung des Bescheids ist daher unvollständig, aber nachholbar (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG).

In Rede steht hinsichtlich des ersten Teils von Ziff. 1 des Bescheidtenors die Speicherungspflicht aus § 113a TKG, der die Antragstellerin bislang unstreitig nicht nachgekommen ist. Ob und in welchem Umfang diese Vorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 11.3.2008 in dem Verfahren 1 BvR 256/08 eine Aussetzung des Vollzugs dieser Vorschrift im Rahmen des vorläufigen Rechtschutzverfahrens abgelehnt (BVerfGE 121, 1). Eine inhaltliche Prüfung von § 113a TKG, der in weiten Teilen zwingenden Vorgaben der Richtlinie 2006/24/EG entspricht, hat das BVerfG nicht vorgenommen. Ebenfalls unbeantwortet blieb, in welchem Umfang das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift zu bestimmen hat. Denn soweit im Telekommunikationsrecht unmittelbar Vorgaben der Europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzt werden, besteht eine Konkurrenz zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.3.2007 - 1 BvF 1/05 -, BVerfGE 118, 79, 95 ff.

Ungeklärt ist des Weiteren, ob die Richtlinie 2006/24/ EG ihrerseits den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union entspricht. Die Antragstellerin bezweifelt dies. Der Europäische Gerichtshof hat diese Frage bislang nicht geklärt. In seinem Urteil vom 10.2.2009 in dem Nichtigkeitsklageverfahren C 301/06 (Irland/Parlament) hat der Europäische Gerichtshof ausdrücklich nur die Frage behandelt, ob die beanstandete Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf einer zutreffenden Rechtsgrundlage, nämlich insbesondere auf Art. 95 EG, erlassen wurde (vgl. EuZW 2009, 212). Ob die Richtlinie mit den Gemeinschaftsgrundrechten übereinstimmt, hat der Europäische Gerichtshof aber nicht behandelt.

Vgl. hierzu auch Terhechte, EuZW 2009, 199.

Derzeit ist nicht abzusehen, wie das BVerfG in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 256/08, dessen Prüfungsgegenstand Vorschriften sind, die eine anlasslose Überwachung, mithin eine ohne Vorliegen eines Anfangsverdachts oder eines konkreten Hinweises eingeleitete Kontrolle betreffen, entscheiden wird. Mit Beschluss vom 28.10.2008 hat das BVerfG aber die Aussetzung der Speicherungspflicht des § 113a TKG im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens in der Sache 1 BvR 256/08 erneut abgelehnt. Darüber hinaus hat es die mit der Speicherungspflicht verbundenen Kosten nicht als hinreichend angesehen, die Pflichten des § 113a TKG generell auszusetzen (NVwZ 2009, 96, 98).

Der vom VG Berlin und von Teilen der Literatur bejahten Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Verpflichtung von TK-Unternehmen, technische Anlagen auf eigene Kosten vorzuhalten (§ 110 Abs. 1 Nr. 1 TKG), vgl. VG Berlin, Beschluss vom 2.7.2008 - VG 27 A 3.07 -, MMR 2008, 851, nachgehend BVerfG, Beschluss vom 13.5.2009 - 1 BvL 7/08 -, MMR 2009, 606; VG Berlin, Beschluss vom 17.10.2008 - VG 27 A 332.08 -, MMR 2008, 845; Klesczewski, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Telekommunikationsgesetz, 2. Aufl. 2009, § 110 Rdnr. 29, m. w. N., muss der Senat nicht weiter nachgehen. Unsicher ist bereits, ob die Inpflichtnahme auf Grund einer fehlenden Entschädigungsregelung überhaupt in diesem Aussetzungsverfahren zu berücksichtigen ist. Die Speicherungspflicht des § 113a TKG bleibt hiervon nämlich unberührt. Die Rechtmäßigkeit der Kostenübernahme bei Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen ließe sich möglicherweise in einem eigenständigen Verfahren für das TK-Unternehmen klären. Außerdem lässt sich diese Frage im vorliegenden Verfahren nicht abschließend beantworten und muss der endgültigen Prüfung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Allerdings hat der Senat keine Bedenken, dass die Bundesnetzagentur eine rechtlich fehlerfreie Ermessensentscheidung getroffen hat. Insbesondere sind von der Antragstellerin angeführte Wettbewerbsverzerrungen, weil das VG Berlin konkurrierende Unternehmen von der Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung befreit habe, kein Grund für die Annahme eines Ermessensfehlers. Denn die Bundesnetzagentur behandelt die einschlägigen Fälle einheitlich und gleichmäßig. Soweit das VG Berlin einigen Wettbewerbern der Antragstellerin einstweiligen Rechtschutz gewährt hat, hat die Bundesnetzagentur jeweils Beschwerde gegen diese Entscheidungen beim OVG Berlin-Bbg. eingelegt.

Ob Ziff. 1 des Bescheidtenors, soweit er sich auf die Vorlage des Umsetzungskonzepts bezieht, gegen verfassungsrechtliche oder europarechtliche Vorgaben verstößt kann nicht abschließend geprüft werden. Im Übrigen begegnet die Verfügung keinen rechtlichen Bedenken; sie sind von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren auch nicht schlüssig aufgezeigt worden. Dies gilt auch für die Frage der Rechtmäßigkeit der unter Ziff. 2 des Bescheidtenors verfügten Zwangsgeldandrohung.

Kann nach den vorstehenden Ausführungen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids der Bundesnetzagentur und mithin die Erfolgsaussicht des Widerspruchs der Antragstellerin nicht abschließend beurteilt werden, weil die Rechtmäßigkeit der gesetzlichen Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung einschließlich der mit der Speicherungspflicht verbundenen Kosten verfassungs- und europarechtlich noch nicht geklärt ist, bedarf es der Abwägung des öffentlichen Vollziehungsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Es kommt hinzu, dass das BVerfG, das über die Verfassungsmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung zu entscheiden hat, auch zu berücksichtigen hat, dass das Telekommunikationsgesetz unmittelbar Vorgaben der Europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzt. Ob und in welcher Weise und ggf. mit welchen Verfahrensschritten das BVerfG diese Gemengelage auflösen wird, ist derzeit nicht absehbar. Mit dem VG geht der Senat daher davon aus, dass hier allein eine Interessenabwägung geboten ist. Die Abwägung von privatem und öffentlichem Interesse kann sich von vornherein auf solche Umstände konzentrieren, die die Antragstellerin vorgetragen hat und die Annahme rechtfertigen könnten, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 137 Abs. 1 TKG ausnahmsweise abzuweichen ist. Dabei sind die Folgen, die sich für die Antragstellerin mit der sofortigen Vollziehung verbinden, nur insoweit beachtlich, als sie nicht schon als regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzugs in der gesetzgeberischen Grundentscheidung Berücksichtigung gefunden haben.

Zur gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung vgl. insbesondere BVerfG, Beschluss vom 10.10.2003 - 1 BVR 2025/03 -, NVwZ 2004, 93, 94; OVG NRW, Beschluss vom 19.11.2008 - 13 B 1543/08 -, juris = N&R 2009, 68.

Solche in diesem Sinne qualifizierte Argumente hat die Antragstellerin nicht vorgebracht. Ihr Vortrag weist nicht auf besondere Umstände hin, auf Grund derer eine Abwägung zu Gunsten ihrer privaten Interessen ausfallen müsste. Die Antragstellerin setzt sich bereits nicht hinreichend mit den Erwägungen des VG bei Abwägung des öffentlichen Vollziehungsinteresses und des privaten Aussetzungsinteresses auseinander. Soweit die Antragstellerin im Zusammenhang mit der Geltendmachung einer fehlerhaften Ermessensentscheidung der Bundesnetzagentur auf die im Zusammenhang mit der Speicherungspflicht entstehenden finanziellen Aufwendungen eingegangen ist, bleibt ihr Vorbringen ebenfalls ohne Erfolg. Denn die Antragstellerin hat auch im Beschwerdeverfahren ihre wirtschaftlichen Nachteile, die für die Einrichtung der technischen Voraussetzungen für die Vorratsdatenspeicherung aufzubringen seien, nicht widerspruchsfrei dargetan, so dass es derzeit nicht möglich ist, den wirtschaftlichen Aufwand sicher einzuschätzen. Der Senat kann irreversible Folgen für die Antragstellerin nicht erkennen, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache von der Entscheidung im vorläufigen Rechtschutzverfahren abweicht. Insbesondere ist nicht feststellbar, dass die Antragstellerin durch diese - nach Auffassung der Antragstellerin - nutzlosen finanziellen Aufwendungen in ihren Wettbewerbsmöglichkeiten oder in ihrer wirtschaftlichen Existenz nachhaltig beeinträchtigt oder gefährdet wäre. Ob bei einem Unterbleiben der Anordnung der sofortigen Vollziehung finanzielle Folgen drohen, die nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht im Wege der Staatshaftung rückgängig gemacht werden könnten, muss der Senat nicht klären. Ebenso kommt es hier nicht darauf an, ob die Antragstellerin die fraglichen finanziellen Aufwendungen auf ihre Kunden wird abwälzen können.

Ende der Entscheidung

Zurück