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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.12.2003
Aktenzeichen: 13 B 1423/03
Rechtsgebiete: TKG, RL 97/33/EG, RL 2002/22/EG


Vorschriften:

TKG § 39
TKG § 43 Abs. 6 Satz 3
TKG § 43 Abs. 6 Satz 4
RL 97/33/EG Art. 12 Abs. 7
RL 2002/22/EG Art. 19 Abs. 3
Zur rechtlichen Qualifizierung und zur Vereinbarkeit des Anschlusskostenbeitrags für Verbindungsnetzbetreiber mit dem Gemeinschaftsrecht
Tatbestand:

Die Antragsgegnerin genehmigte der beigeladenen Deutsche Telekom AG die Erhebung eines Anschlusskostenbeitrags neben den Zusammenschaltungsentgelten ihrer Interconnection-Partner. Gegen diese Genehmigung führt die über eigene Infrastruktur im Teilnehmerbereich nicht verfügende Antragstellerin, deren Verbindungsnetz mit dem Netz der Beigeladenen zusammengeschaltet ist und die so den Netzanschluss der Beigeladenen zum Endkunden mitnutzt, Anfechtungsklage. Ihrem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gab das VG statt. Die hiergegen erhobene Beschwerde der Beigeladenen hatte Erfolg.

Gründe:

Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen einerseits der Antragstellerin an Erlangung aufschiebender Wirkung ihrer Klage, andererseits der Beigeladenen und der mit der Antragstellerin im Wettbewerb stehenden Netzbetreiber an Wiedererlangung der Vollziehbarkeit des Bescheids fällt im maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt zu Ungunsten der Antragstellerin aus.

Ihr Interesse überwiegt nicht schon deshalb, weil der Senat den Bescheid für offensichtlich rechtswidrig hält und deshalb seine alsbaldige Vollziehung nicht geboten wäre. Entgegen dem VG teilt der Senat bei der in der vorliegenden Verfahrensart eingeschränkten Prüfungsdichte die im angefochtenen Beschluss dargelegten Bedenken nicht.

Die Regulierungsbehörde hat die der Beigeladenen erteilte Berechtigung zur Erhebung eines Anschlusskostenbeitrags auf §§ 39 Alt. 1, 43 Abs. 6 Sätze 3 u. 4 TKG gestützt und wertet den Beitrag als Entgelt für die Gewährung eines Netzzugangs nach § 35 TKG. Es spricht hingegen mehr dafür, den Anschlusskostenbeitrag nicht als zivilrechtliche Gegenleistung für eine Telekommunikationsdienstleistung, sondern eher als zweckgerichtete Abgabe im Sinne einer Wettbewerbslenkungsmaßnahme oder Gestaltung der Wettbewerbsbedingungen zu charakterisieren. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 14/9938) hat der Gesetzgeber mit § 43 Abs. 6 Satz 4 TKG das Ziel verfolgt, die dem Anliegen des § 43 Abs. 6 Satz 3 TKG entsprechenden Investitionen von Alternativnetzbetreibern in Netzinfrastruktur im Teilnehmerbereich inklusive Anschlüsse nicht zu entwerten und den Alternativnetzbetreibern am Markt vergleichbare Chancen einzuräumen gegenüber den in ein Teilnehmernetz nicht investierenden Netzbetreibern (Verbindungsnetzbetreiber), indem letztere mit einer Beteiligung an den Anschlusskosten belastet werden. Insoweit trägt der Anschlusskostenbeitrag im Wesentlichen Züge einer Wettbewerbslenkung durch die Regulierungsbehörde oder einer Gestaltung der Rahmenbedingungen für einen angestrebten Wettbewerb. Dem Anschlussdefizit kommt dabei nur die Funktion einer Bemessungsgrundlage und Obergrenze des Beitragsaufkommens zu; dass sich das Anschlusskostendefizit durch den Beitrag zugleich reduziert, ist lediglich ein für die Beigeladene positiver Nebeneffekt.

Dass der Anschlusskostenbeitrag nach dem Auftrag des § 43 Abs. 6 Satz 3 TKG bei Entscheidungen u. a. des Vierten Teils des Telekommunikationsgesetzes, so bei Entscheidungen über Zusammenschaltungsentgelte festgesetzt oder "genehmigt" oder seine Höhe nach Verbindungsminuten berechnet wird, hat nur verfahrens- bzw. anwendungstechnische Bedeutung, vermittelt ihm aber nicht den Charakter eines Entgelts nach § 25 oder § 39 TKG. Auch soweit § 43 Abs. 6 Satz 4 TKG von einer Beteiligung des ausgewählten Netzbetreibers an den Kosten des Teilnehmeranschlusses spricht, weist das nicht auf einen Entgeltcharakter des Beitrags im Sinne der §§ 25, 39 TKG hin. Mag auch der zusammengeschaltete Netzbetreiber den Teilnehmeranschluss zwangsläufig mittelbar nutzen, ist die Anschlussherstellung dennoch nicht Teil der Zusammenschaltungsleistung der Beigeladenen an den Interconnection-Partner und gehen demgemäß die Anschlusskosten nach den Regelungen der Telekommunikations-Entgeltregulierungsverordnung nicht in die Zusammenschaltungsentgelte ein. Die Verwendung des Wortes "hierbei" in § 43 Abs. 6 Satz 4 TKG lässt entgegen der Ansicht des VG ebenfalls nicht auf die Anwendung der Entgeltregulierungsvorschriften des Gesetzes oder der Verordnung schließen. Sie stellt nur die verbale Anknüpfung an den Gesetzesauftrag in Satz 3 der Vorschrift dar, besagt aber zur näheren Ausgestaltung der Kostenbeteiligung nichts.

Das Instrumentarium der Wettbewerbslenkung bzw. -gestaltung im Einzelnen, insbesondere die Bemessung der Höhe der Beteiligung an den Anschlusskosten schreibt das Gesetz nicht vor - also auch nicht eine Bemessung und/oder Kontrolle eines Beitrages nach den Regelungen der Entgeltregulierung - und überlässt dies der freien Entscheidung der insoweit fachkompetenten Regulierungsbehörde. Allerdings spricht das Gesetz die geeigneten Gelegenheiten an, mit denen ein solches Steuerungsinstrumentarium einhergehen soll, nämlich die Entscheidungen nach dem Dritten, Vierten und Sechsten Teil des Telekommunikationsgesetzes und damit auch die Entscheidung der Regulierungsbehörde über die beiderseitigen Pflichten, einschließlich Zahlungspflichten der Interconnection-Partner. Während § 43 Abs. 6 Sätze 3 und 4 TKG lediglich einen generellen Auftrag an die Regulierungsbehörde zur Bestimmung des Instrumentariums der Anschlusskostenbeteiligung und dessen Umfang darstellt, dürfte sich die Berechtigung bzw. Ermächtigung der Regulierungsbehörde zur Bemessung des Beitrags im Einzelfall in Form der "Genehmigung" auf Anrufung durch den marktbeherrschenden Netzbetreiber aus § 37 TKG i. V. m. den vorgenannten Regelungen ergeben.

Soweit das VG für alle "Entgelte" der Interconnection-Partner im Rahmen der Betreibervorauswahl unter Hinweis auf das Gemeinschaftsrecht eine Kostenorientierung fordert, unterliegt das im Grundsatz keinen Bedenken. Vorliegend dürfte es sich jedoch nicht um ein "Entgelt" im Sinne des Telekommunikationsgesetzes und auch nicht um eine "Gebühr" für die Zusammenschaltung im Zusammenhang mit der Erbringung dieser Dienstleistung (Netzbetreiberauswahl) im Sinne des Art. 12 Abs. 7 Zusammenschaltungsrichtlinie 97/33/EG i. d. F. der RL 98/61/EG oder für Zugang und Zusammenschaltung im Zusammenhang mit der Dienstebereitstellung im Sinne des Art. 19 Abs. 3 der Universaldienstrichtlinie 2002/22/EG handeln. Der Anschlusskostenbeitrag ist nach den obigen Ausführungen aus gegenwärtiger Sicht des Senats keine Gegenleistung für Netzzugang und Zusammenschaltung, sondern eine Kostenbeteiligung zur Herstellung vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen der Alternativnetzbetreiber. Der Wortlaut des vom VG angeführten Gemeinschaftsrechts, dessen eventuelle Direktwirkung im nationalen Recht hier offen bleiben kann, steht einem Beitrag zur Wettbewerbslenkung und Gestaltung des Wettbewerbsrahmens, der lediglich am Anschlusskostendefizit bemessen ist und dessen Aufkommen für sich genommen einen Kostenmehrausgleich nicht erwarten lässt, nicht entgegen. Der - von einem anderen Verbindungsnetzbetreiber angesprochene - Art. 4c Wettbewerbsrichtlinie 90/388/EWG ist nicht anwendbar, weil er Nettokosten von den Telekommunikationsorganisationen auferlegten Universaldienstverpflichtungen betrifft, um die es hier nicht geht.

Eine abschließende Klärung der aufgezeigten Problematik muss dem Hauptsacheverfahren überlassen bleiben.

Den Interessen der Antragstellerin bei demnach offenen Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens kommt jedenfalls geringeres Gewicht zu als denen der Beigeladenen und den Interessen der mit der Antragstellerin im Wettbewerb stehenden Netzbetreiber. Die Berechtigung zur Erhebung eines Anschlusskostenbeitrags war befristet auf die Zeit vom 1.7. bis 30.11.2003; tatsächlich kommt ihm bei gegebener Vollziehbarkeit nur Bedeutung für - bis zum 23.9.2003 - elf Wochen und zwei Tage zu. Die Antragsgegnerin, die den angefochtenen Bescheid nach wie vor für rechtens hält, geht ausdrücklich davon aus, dass die Beigeladene von der Antragstellerin bei Verbindungen, die vor dem Widerruf zu Stande gekommen sind, zusätzlich zum Verbindungsentgelt einen Anschlusskostenbeitrag verlangen kann. Die Antragstellerin hat nicht behauptet, geschweige denn dargelegt, dass ihr bei der dem Gesetz entsprechenden sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids und zudem bei dem nur noch in Frage stehenden Zeitraum schwere, irreparable Schäden entstünden. Dass sie den für den beschriebenen Zeitraum auf sie zukommenden Betrag nicht aufbringen könnte und finanzieren müsste, dadurch im Wettbewerb schwer benachteiligt oder gar existentiell gefährdet würde, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Es spricht auch nichts dafür, dass die Beigeladene im Falle des Unterliegens im Hauptsacheverfahren die dann zurückzuzahlenden Beiträge nicht aufbringen könnte und die Antragstellerin ungünstigstenfalls mit ihrer kompletten Forderung ausfallen könnte. Demgegenüber spricht viel für den kurzfristigen finanziellen Ausgleich von Wettbewerbsvor- und -nachteilen, die sich daraus ergeben, dass Alternativnetzbetreiber, die wie die Antragstellerin nicht in eigene Teilnehmernetzinfrastruktur investiert haben und von den Anschlüssen der Beigeladenen ohne eine Beteiligung an den Kosten hierfür etwa über die Zusammenschaltungsentgelte,

vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 1.8.2003 - 13 A 1499/01 -, profitieren wollen, durch den umstrittenen Anschlusskostenbeitrag.

Dass der Beigeladenen auf Grund der Preispolitik des früheren Bundesministers für Post und Telekommunikation ein Anschlusskostendefizit entstanden ist, das auch nicht über die Zusammenschaltungsentgelte ausgleichbar ist, steht für den Senat fest. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dieses Defizit durch Forderung des hier umstrittenen Beitrags über rund elf Wochen mehr als ausgeglichen werden könnte, kann offen bleiben und fällt bei der vorzunehmenden Interessenabwägung nicht ins Gewicht. Für die im Hauptsacheverfahren sich stellende Frage der Rechtmäßigkeit der Beitragshöhe und/oder der Beitragslaufzeit ist lediglich das im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids gegebene Defizit in den Blick zu nehmen. Zudem liegt nach dem Vortrag der Beigeladenen das Defizit deutlich höher als von der Regulierungsbehörde behauptet und ist dies auch durch die zwischenzeitliche Erhöhung der Anschlussentgelte für die Endkunden noch nicht abgebaut. Selbst der Widerrufsbescheid geht nur davon aus, dass das Anschlusskostendefizit "verringert" ist, auch wenn die Beschlusskammer eine Beteiligung des ausgewählten Netzbetreibers an den Kosten des Teilnehmeranschlusses nicht mehr für erforderlich hielt.

Ende der Entscheidung

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