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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 31.03.2003
Aktenzeichen: 13 B 16/03
Rechtsgebiete: GG, RettG NRW, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 3
GG Art. 12
GG Art. 19 Abs. 4
RettG NRW § 18
RettG NRW § 22
VwGO § 123
In Nordrhein-Westfalen umfasst der Betriebsbereich für die Notfallrettung durch Private grundsätzlich das Gebiet, das in einer Eintreffzeit von 8 Minuten (innerstädtisch) bedient werden kann.
Tatbestand:

Der Antragsteller betreibt Notfallrettung in einer nordrhein-westfälischen Stadt. In der Genehmigung hierzu hatte der Antragsgegner einen Betriebsbereich festgesetzt, dessen Grenzen von dem Rettungstransportwagen vom Betriebssitz des Antragstellers aus in weniger als 4 Min. zu erreichen waren. Betriebsbereich ist das Gebiet, in dem das private Unternehmen zur Entgegennahme von Beförderungsaufträgen berechtigt ist. Für die eigene Rettungswache, die neben dem Betriebssitz des Antragstellers liegt, hatte der Antragsgegner zuvor denselben Einsatzbereich festgesetzt. Die Orientierung hieran bei der Festlegung des Betriebsbereichs des Antragstellers sah das VG als sachgerecht an und lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen Vergrößerung des Betriebsbereichs zu Gunsten des Antragstellers ab. Die Beschwerde des Antragstellers hatte Erfolg.

Gründe:

Der Antragsgegner wird unter Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die sog. "Auflage Nr. 6" in dem Genehmigungsbescheid zur Notfallrettung mit einem Rettungstransportwagen dahin abzuändern, dass dem Antragsteller für den fraglichen RTW einen Betriebsbereich zugewiesen wird, der durch die binnen 8 Minuten ab Eingang des Notrufes erreichbaren Grenzen (innerhalb von R.) bestimmt wird.

Zunächst ist dem angefochtenen Beschluss allerdings darin zuzustimmen, dass es sich bei der Bestimmung des Betriebsbereichs um eine Inhaltsbestimmung der Genehmigung handelt, so dass insofern Rechtsschutz nur durch eine Verpflichtungsklage und im Eilverfahren durch einen Antrag nach § 123 VwGO gewährt werden kann. Aus Gründen der Klarheit ist die in Verkennung dieser Rechtslage vom Antragsgegner angeordnete sofortige Vollziehung aufzuheben.

Der Einsatzbereich in der Notfallrettung ist von wesentlicher Bedeutung für die Ausübung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG. Eine unangemessene Beschränkung des Betriebsbereichs kann den Wert einer Genehmigung zum Notfalltransport, auf die grundsätzlich ein Anspruch besteht, reduzieren, ja aushöhlen. Soll von dem in NRW grundsätzlich sachgerechten Betriebsbereich mit den Grenzen, die in der Eintreffzeit von 8 Minuten (innerstädtisch) zu erreichen sind, abgewichen werden, müssen hierfür besondere - eine Einschränkung des Grundrechts rechtfertigende - Gründe vorliegen. So besagt auch die von dem Antragsgegner herangezogene Kommentierung zum Rettungsgesetz NRW durch Prütting (3. Aufl. 2001) in § 22 RZ 25 zutreffend: "Bei der Notfallrettung ergeben die Grenzen des Betriebsbereichs sich aus der Eintreffzeit am Notfallort". Unzutreffenderweise beruft sich der Antragsgegner auf die anschließende Kommentarstelle mit folgendem Wortlaut: "Ausgehend vom Betriebssitz des Unternehmens ist als Betriebsbereich ein Einsatzradius nach den Kriterien festzulegen, die der jeweilige Träger des Rettungsdienstes für seine Rettungswachenbereiche bestimmt hat." Diese Aussage ist im Lichte der Art. 3 und 12 GG dahin zu verstehen, dass der Maßstab für Privatunternehmer bei der Bestimmung des Betriebsbereichs kein ungünstigerer sein darf als derjenige, an dem sich der Träger des öffentlichen Rettungsdienstes selbst orientiert. Sollte mit der genannten Aussage auch die seltene Ausnahme gemeint sein, dass bei Einschränkung des Rettungswachenbereiches auf Grenzen, die in weniger als 8 Minuten zu erreichen sind, dieser auch für Privatunternehmer gelten soll, könnte dem der Senat nicht folgen; jedoch spricht Prütting ohnehin von den Kriterien, "die der jeweilige Träger des Rettungsdienstes für seine Rettungswachbereiche bestimmt hat", also angesichts der Plural-Benutzung nicht von einem Einzelbereich. Eine beschränkte Ausgestaltung des "öffentlichen" Betriebsbereiches mag alle möglichen Gründe haben, insbesondere von der Ausstattung mit Fahrzeugen und Personal oder der Ausgestaltung anderer Rettungswachenbereiche beeinflusst sein. Jedoch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, welchen Bezug diese Gründe zu dem Privatunternehmer haben sollen. Die Aussage des Antragsgegners, um die Hilfsfristen so kurz wie möglich zu halten, seien die Einsatzbereiche unter dem Gesichtspunkt der kürzesten Anfahrt optimiert worden, überzeugt dann nicht, wenn von einer geringeren Eintreffzeit als 8 Minuten ausgegangen wird, zumal wenn in anderen Rettungswachenbereichen andere Eintreffzeiten gelten. Eine solche besondere Niveaupflege könnte zwar der öffentliche Rettungsdienst vorsehen. Da aber gleichzeitig das Grundrecht auf Berufsausübung des Privatunternehmers eingeschränkt wird, ist in Nordrhein-Westfalen eine solche Inhaltsbestimmung der Genehmigung allenfalls unter ganz besonderen hier aber weder vorgetragenen noch ersichtlichen Sachgesichtspunkten hinnehmbar, zumal solange nicht einmal behauptet - geschweige denn belegt - wird, dass gegenwärtig die genannte Eintreffzeit von dem öffentlichen Rettungsdienst eingehalten wird, und keine Weisung der obersten Aufsichtsbehörde zu abweichenden Eintreffzeiten (vgl. § 17 Abs. 4 Nr. 1 RettG) vorliegt. Auch ist nicht erkennbar, inwiefern es zu Verwirrungen kommen könnte, wenn der RTW der Antragstellerin auch außerhalb des für den Rettungswachenbereich vorgegebenen Gebietsbereich - allerdings nicht außerhalb des Stadtgebietes - Notfallopfer aufnehmen dürfte. Die Maßstäbe des BVerfG im den § 43 AMG betreffenden Beschluss vom 11.2.2003 - 1 BvR 1972/00 und 70/01 - zu Art. 12 GG gelten auch für die von der Normalität abweichende Ermessensausübung bei der Festsetzung des Notfall-Einsatzbereichs; sie lauten (Rz 49):

"Im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG muss zwischen dem Nutzen für das Gemeinwohl und den die Berufstätigen belastenden Vorkehrungen noch sinnvoll abgewogen werden können. Diese Abwägung setzt voraus, dass der Bezug gesetzlich angeordneter Maßnahmen zum Gemeinschaftsgut hinreichend spezifisch ist. Auch zur Begründung von Eignung und Erforderlichkeit ist ein nachvollziehbarer Wirkungszusammenhang notwendig. Je enger der Bezug von Vorschriften zu einem Schutzgut ist, desto eher lassen sich Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit verfassungsrechtlich rechtfertigen. Steht dagegen die grundrechtliche Beschränkung nur in einem entfernten Zusammenhang zum Gemeinschaftsgut, so kann dieses nicht generell Vorrang vor der Berufsausübungsfreiheit beanspruchen (vgl. BVerfGE 85, 248 (261()."

Unter den gegebenen Umständen erscheint der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO - bis zum Ende der Genehmigung, längstens bis zur endgültigen Entscheidung zum Nachteil der Antragstellerin in einem etwaigen Hauptsacheverfahren - nötig, um wesentliche Nachteile für die Antragstellerin bei der Ausübung ihres Grundrechts abzuwenden und um effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG zu gewähren.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.8.2002 - 1 BvR 1790/00 -, DVBl. 2003, 257.

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