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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 09.12.2003
Aktenzeichen: 13 B 1944/03
Rechtsgebiete: BÄO, VwGO


Vorschriften:

BÄO § 5 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5
Zum "berufsrechtlichen Überhang" für berufsrechtliche Maßnahmen gegen einen Arzt (hier: Widerruf der Approbation mit Anordnung der sofortigen Vollziehung), gegen den im Strafverfahren ein Verbot der Behandlung von Personen weiblichen Geschlechts ausgesprochen wurde.

Zur Wertung eines im Strafverfahren gestellten Wiederaufnahmeantrags bei der Beurteilung berufsrechtlicher Maßnahmen.


Tatbestand:

Gegen den Antragsteller, einen Arzt, wurde im Strafverfahren u.a. ein vierjähriges Verbot der Behandlung weiblicher Personen ausgesprochen. Die Antragsgegnerin widerrief die Approbation des Antragstellers unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Das Begehren des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, bei dem er u.a. auf den beschränkten Maßregelausspruch im Strafverfahren und auf einen in jenem Verfahren gestellten Wiederaufnahmeantrag hinwies, blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Gründe:

Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der vom Antragsteller dargelegten Gründe befindet, hat - soweit sie nach ihrer teilweisen Rücknahme noch im Hinblick auf den Widerruf der Approbation anhängig ist - keinen Erfolg.

Die bei § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung des Individualinteresses an Erlangung aufschiebender Wirkung des Rechtsbehelfs und des öffentlichen Interesses an schnellstmöglicher Durchsetzung von Behördenmaßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit fällt auch aus der Sicht des Senats zum Nachteil des Antragstellers aus. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Approbation als Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufsausübung und -wahl zu beurteilen ist, diese Bestimmung zwar als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter einen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl auch schon vor Rechtskraft des Hauptverfahrens zulässt, insoweit aber nur solche Gründe ausreichend sind, die im angemessenen Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und die ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptverfahrens ausschließen. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt dabei von der Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für Dritte befürchten lässt.

Vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 16.1.1991 - 1 BvR 1326/90 -, NJW 1991, 1530.

Bei der diesem Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes eigenen summarischen Prüfung bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Widerrufsverfügung der Antragsgegnerin.

Die im Strafverfahren ergangenen Entscheidungen gegen den Antragsteller stehen der Widerrufsverfügung auch angesichts des verfassungsrechtlichen Verbots der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) nicht entgegen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Beschlusses des BGH, durch den das Urteil des LG im Maßregelausspruch dahin geändert wurde, dass das gegen den Antragsteller im Strafurteil ausgesprochene Verbot der medizinischen Behandlung von Personen auf solche weiblichen Geschlechts beschränkt wurde. Denn die Erfassung und Wertung eines sog. "berufsrechtlichen Überhangs" begangener Straftaten, der durch eine strafgerichtliche Verurteilung nicht erschöpfend geahndet worden ist, nach berufs- und/oder standesrechtlichen Maßstäben bleibt den zuständigen Behörden unbenommen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.10.1969 - 2 BvR 545/68 -, BVerfGE 27, 180, 187; BVerwG, Urteil vom 14.2.1963 - I C 98/62 -, NJW 1963, 875; OVG NRW, Urteile vom 13.1.1988 - ZA 17/86 -, MedR 1988, 272, vom 23.8.1990 - ZA 4/88 -, MedR 1991, 106, vom 23.8.1990 - ZA 11/87 -, MedR 1991, 156; Hess. VGH, Urteil vom 29.6.1994 - LBG 1368/94 -, MedR 1995, 250.

Ein derartiger "berufsrechtlicher Überhang", der approbationsrechtliche Maßnahmen zulässt, ist im Hinblick auf die strafrechtlichen Entscheidungen gegen den Antragsteller zu bejahen. Dabei kann dahinstehen, ob sich ein solcher nicht schon deshalb unmittelbar aus dem Beschluss des BGH mit der Beschränkung des Berufsverbots für den Antragsteller auf Patientinnen ableitet, weil die Approbation als solche nicht teilbar ist, die Bundesärzteordnung keine Möglichkeit der Einschränkung der Approbation vorsieht, die Approbation auch nicht unter Auflagen und anderen einschränkenden Nebenbestimmungen erteilt werden kann, vgl. BVerwG, Urteile vom 16.9.1997 - 3 C 12/95 - und vom 9.12.1998 - 3 C 4/98 -, NJW 1999, 1798 und deshalb die Approbation auch nicht auf die Behandlung nur bestimmter Patientengruppen beschränkbar ist. Ein "berufsrechtlicher Überhang" ergibt sich jedenfalls aus dem unterschiedlichen Zweck des strafrechtlichen Berufsverbots und der in diesem Verfahren in Frage stehenden verwaltungsbehördlichen Maßnahme des Widerrufs der Approbation. Das Berufsverbot des § 70 StGB ist eine tatbezogene Maßregel der Besserung und Sicherung zur Verhinderung einer Wiederholung der abgeurteilten Tat; sie ist grundsätzlich zeitlich befristet ist und kann überdies zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Approbationswiderruf wegen Unzuverlässigkeit und/oder Unwürdigkeit als Arzt ist eine personenbezogene, auf die Einhaltung der ärztlichen Pflichten und die Wahrung des Ansehens des Arztberufs schlechthin zielende Maßnahme; er kann nicht befristet werden und ist einer Aussetzung zur Bewährung nicht zugänglich, auch wenn der Betroffene Zeit seines Lebens vom Arztberuf ausgeschlossen sein und andererseits die Zuverlässigkeit und Würdigkeit auf Grund veränderter Umstände und nach Ablauf einer gewissen Zeit zurückgewonnen werden kann. Diese tatübergreifenden berufsrechtlichen Aspekte - Überhang - werden vom strafrechtlichen Berufsverbot nicht abgedeckt und erlauben weitergehende berufsrechtliche Maßnahmen. Die Generalprävention vor dem Tätigwerden eines unzuverlässigen Arztes und der generelle Schutz des Arztberufs sind auch in diesem Fall tragend für den Nichtausschluss einer Maßnahme nach § 5 Abs. 2 BÄO durch ein Berufsverbot nach § 70 StGB, weil der Antragsteller die Taten, deretwegen er strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden ist, im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Arzt und unter Ausnutzung seiner mit dem Arztberuf verbundenen Stellung begangen hat und durch den strafrechtlichen Ausspruch die speziellen berufsrechtlichen Gesichtspunkte der Ansehens- und Vertrauenswahrung bei den Patienten und in der Ärzteschaft nicht hinreichend berücksichtigt werden. Dies hat das LG im Urteil selbst zum Ausdruck gebracht, indem es im Rahmen der Strafzumessungserwägungen ausgeführt hat, dass der Antragsteller "mit schwerwiegenden Maßnahmen standesrechtlicher Art" rechnen müsse; dies offenbart die Erwartung des Strafgerichts, dass über die strafrechtliche Ahndung des Verhaltens des Antragstellers hinaus weitere Maßnahmen gegen diesen anstehen werden.

Vgl. Hess. VGH, Urteil vom 29.6.1994 - LBG 1368/94 -, a. a. O.; OVG NRW, Urteile vom 23.8.1990 - ZA 11/87 und ZA 4/88 -, a. a. O. und vom 13.1.1988 - ZA 17/86 -, a. a. O.

Das Vorbringen des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe keine eigenen Feststellungen zu seinem vermeintlichen Fehlverhalten getroffen und die Widerrufsverfügung ausschließlich mit dem Inhalt des Strafurteils des LG begründet, bewirkt ebenfalls nicht die Rechtswidrigkeit der Widerrufsverfügung. Die Antragsgegnerin hat nicht nur auf die Verurteilung des Antragstellers als solche abgestellt, sondern die Widerrufsverfügung an seinem der Verurteilung zu Grunde liegenden Verhalten orientiert. Die Verwaltungsbehörden und -gerichte sind nicht gehindert, andererseits aber auch dazu angehalten, die in einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren oder einem strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung im Hinblick darauf zu unterziehen, ob sich daraus hinreichende Grundlagen für einen Widerruf der Approbation ergeben. Vor diesem Hintergrund hat der Antragsteller die ihm zum Nachteil gereichenden Tatsachenfeststellungen in den strafgerichtlichen Entscheidungen auch im vorliegenden Verfahren gegen sich gelten zu lassen. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen gegeben sind.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.1.1991 - 1 BvR 1326/90 -, a. a. O.; BVerwG, Urteil vom 26.9.2002 - 3 C 37.01 -, NJW 2003, 913, und Beschluss vom 28.4.1998 - 3 B 174.97 -, Buchholz 418.00, Ärzte Nr. 101; OVG NRW, Urteile vom 12.5.1997 - 13 A 5516/94 - und vom 12.11.2002 - 13 A 683/00 -, NWVBl. 2003, 233; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9.5.1989 - 6 A 124/88 -, NJW 1990, 1553.

Derartige Anhaltspunkte ergeben sich derzeit auch nicht aus dem im Strafverfahren gestellten Wiederaufnahmeantrag des Antragstellers und dem dort in Bezug genommenen psychiatrischen Gutachten. Vorrangig sind die Strafgerichte dazu berufen, Straftatbestände abschließend festzustellen und die Frage der Schuld einer an Strafhandlungen beteiligten Person zu beurteilen. Insoweit kommt der Hauptverhandlung, die die prozessual vorgesehenen Voraussetzungen dafür schafft, Feststellungen zur strafrechtlichen Schuld zu treffen und ggf. die Unschuldsvermutung zu widerlegen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.3.1987 - 2 BvR 589/79 u. a. -, NJW 1987, 2427, als Kernstück des Strafprozesses eine maßgebende Bedeutung zu. Dieser Zweck einer Hauptverhandlung im Strafverfahren würde unterlaufen und es würde der mit der Aufteilung der rechtsprechenden Gewalt in verschiedene Fachgerichtsbarkeiten verbundenen Kompetenzzuweisung widersprechen, wenn in einem dem Strafverfahren nachfolgenden verwaltungsrechtlichen oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen Widerrufs der Approbation als Arzt strafrechtliche Feststellungen in einem rechtskräftigen Strafurteil zur Disposition gestellt und der (erneuten) Wertung durch das Verwaltungsgericht unterworfen würden. Auch die Beurteilung des strafrechtlichen Wiederaufnahmeantrags ist daher Sache der Strafgerichte, nicht hingegen die der Verwaltungsgerichte und erst recht nicht in einem Verfahren mit anderem als strafrechtlichen Gegenstand. Im Hinblick auf die nach der sofortigen Vollziehung der Widerrufsverfügung fehlende Möglichkeit des Antragstellers, als Arzt tätig zu sein, ist dieser insoweit auf einen möglichen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO für den Fall zu verweisen, dass der Wiederaufnahmeantrag erfolgreich und das bisherige Strafurteil des LG revidiert werden sollte. Derzeit bewirkt jedoch das rechtskräftige Strafurteil des LG mit den darin enthaltenen Schuldfeststellungen zu Lasten des Antragstellers, dass die mit Verfassungsrang ausgestattete und grundsätzlich für jeden bestehende Unschuldsvermutung widerlegt ist und ihm auch eine Schuld für das abgeurteilte Tatgeschehen vorgehalten werden darf. Im Übrigen ist, selbst wenn das psychiatrische Gutachten in diesem Verfahren berücksichtigt würde, darauf zu verweisen, dass dieses zwar eine sexuelle Motivation des Antragstellers bei der Durchführung der strafrechtlich geahndeten Taten verneint, andererseits aber für das strafrechtlich geahndete Verhalten ein paranoides Denken des Antragstellers mit einer angeblichen Gefahr der Menschheit durch eine bestimmte Pilzart verantwortlich macht und diese ärztliche Beurteilung geeignet sein könnte, die körperliche und geistige Eignung des Antragstellers für die Ausübung des ärztlichen Berufs (§ 3 Abs. 3 BÄO) in Frage zu stellen.

Das strafrechtlich geahndete Verhalten des Antragstellers begründet, wie in den angefochtenen Bescheiden zu Recht ausgeführt wird, die Unwürdigkeit des Antragstellers zur Ausübung des ärztlichen Berufs (Wird ausgeführt). Dass der Antragsteller nach seinem Vorbringen derzeit keine Patienten/Patientinnen behandelt, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Der Möglichkeit des Antragstellers, nach Aufgabe dieser rechtlich unverbindlichen Selbstbeschränkung wieder als Arzt tätig sein zu können, muss dadurch begegnet werden, dass ihm eine entsprechende Tätigkeit durch rechtlich wirkungsvolle Maßnahmen, hier durch den Widerruf der Approbation mit Anordnung der sofortigen Vollziehung, untersagt wird.

Ende der Entscheidung

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