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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 01.07.2004
Aktenzeichen: 13 B 2436/03
Rechtsgebiete: GG, VwGO, BÄO
Vorschriften:
GG Art. 12 Abs. 1 | |
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6 | |
BÄO § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 | |
BÄO § 6 Abs. 1 Nr. 3 | |
BÄO § 6 Abs. 2 | |
BÄO § 6 Abs. 3 |
Tatbestand:
Nachdem sich Zweifel an der gesundheitlichen Eignung des Antragstellers zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben hatten und der Antragsteller angeordnete amtsärztliche Untersuchungstermine nicht wahrgenommen hatte, ordnete die Antragsgegnerin mit für sofort vollziehbar erklärter Verfügung das Ruhen der Approbation des Antragstellers an. Dessen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hatte weder beim VG noch beim OVG Erfolg.
Gründe:
Sowohl die Anordnung des Ruhens der Approbation selbst als auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ruhensanordnung sind als Eingriffe in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufsausübung und -wahl zu qualifizieren. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer behördlichen Maßnahme stellt einen selbständigen im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG relevanten Eingriff dar, der in seinen Wirkungen über diejenigen des materiell zu überprüfenden Verwaltungsakts hinausgeht, und erfordert deshalb auch eine eigenständige Prüfung am Maßstab dieser Verfassungsnorm.
BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschlüsse vom 24.10.2003 - 1 BvR 1594/03 -, NJW 2003, 3618, vom 16.1.1991 - 1 BvR 1326/90 -, NJW 1991, 1530, und vom 2.3.1977 - 1 BvR 124/76 -, BVerfGE 44, 105.
Zwar lässt Art. 12 Abs. 1 GG einen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter zu. Überwiegende öffentliche Belange können es nämlich ausnahmsweise rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Wegen der gesteigerten Eingriffsintensität beim Sofortvollzug einer approbationsrechtlichen Maßnahme sind hierfür jedoch nur solche Gründe ausreichend, die in angemessenem Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und die ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens ausschließen. Wegen der dem Grundrecht der Berufsfreiheit zuerkannten hohen Bedeutung kann dabei für die Beurteilung des Sofortvollzugs nicht schon die große Wahrscheinlichkeit genügen, dass das Hauptsacheverfahren zum gleichen Ergebnis führen wird. Vielmehr setzt eine solche Maßnahme gemäß Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot die zusätzliche Feststellung voraus, dass sie schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist. Dieses Erfordernis entspricht der Funktion von Präventivmaßnahmen, mit denen für eine Zwischenzeit ein Sicherungszweck verfolgt wird, der es ausnahmsweise rechtfertigt, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt dabei von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter bzw. für Dritte befürchten lässt, wobei es Aufgabe der um vorläufigen Rechtsschutz ersuchten Verwaltungsgerichte ist, eine eigenständige Prognose der konkreten (Dritt-)Gefährdung anzustellen.
Vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschlüsse vom 24.10.2003 - 1 BvR 1594/03 - a.a.O., vom 4.3.1997 - 1 BvR 327/97 -, vom 16.1.1991 - 1 BvR 1326/90 -, a. a. O., und vom 2.3.1977 - 1 BvR 124/76 - a. a. O; OVG NRW, Beschlüsse vom 11.2.2004 - 13 B 2435/03 -, vom 3.2.2004 - 13 B 2369/03 -, vom 9.12.2003 - 13 B 1944/03 - und vom 22.3.1999 - 13 B 193/99 -.
Die verfassungsrechtlichen Kriterien der zum Widerruf von Approbationen und zur Anordnung der sofortigen Vollziehung ergangenen Entscheidungen wendet der Senat auch bezüglich der hier in Frage stehenden Anordnung des Ruhens der Approbation an, weil auch beim Ruhen der Approbation der ärztliche Beruf nicht ausgeübt werden darf (§ 6 Abs. 3 BÄO) und deshalb auch insoweit ein (vorläufiges) Berufsverbot ansteht.
Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung und der dabei zu berücksichtigenden überschaubaren Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsmittels muss vor allem dem besonderen Charakter der Maßnahme des Ruhens der Approbation hinreichend Rechnung getragen werden. Bei der Anordnung des Ruhens der Approbation handelt es sich um eine vorübergehende Maßnahme, die dazu bestimmt ist, in unklaren Fällen oder Eilfällen einem Arzt die Ausübung ärztlicher Tätigkeit für bestimmte oder unbestimmte Zeit zu untersagen, wenn dies im Interesse der Allgemeinheit und zum Schutz der Patienten geboten ist. Sie ist auch im Verhältnis zu den Möglichkeiten der Rücknahme und des Widerrufs der Approbation nach § 5 BÄO zu sehen und erfasst insbesondere die Fälle, in denen eine Ungeeignetheit zur Ausübung des ärztlichen Berufs (noch) nicht endgültig feststeht und eine solche vorübergehender Natur in Frage steht. Steht die Ungeeignetheit zur Ausübung des ärztlichen Berufs endgültig fest, darf die Approbation nicht zum Ruhen gebracht, sondern muss deren Widerruf nach § 5 Abs. 2 BÄO erwogen werden.
Vgl. Narr, Ärztliches Berufsrecht, Stand: April 2003, Rdnr. 83; OVG NRW, Beschluss vom 11.2.2004 - 13 B 2435/03 -.
Dementsprechend ist die Anordnung des Ruhens der Approbation, wenn sie den ihr zugedachten Zweck einer Präventionsmaßnahme zur Abwehr von Gefahren für einen unbestimmten Patientenkreis und damit zum Schutz der Allgemeinheit erfüllen soll, von ihrer Natur her insofern auf einen schnellen Vollzug angelegt, als es sich um eine vorläufige Berufsuntersagung und um eine vorübergehende Maßnahme handelt, die nach § 6 Abs. 2 BÄO aufzuheben ist, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Die Ruhensanordnung mit den begrenzten Auswirkungen in zeitlicher Hinsicht dient letztlich dem Schutz einer ordnungsgemäßen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, bei der es sich um ein hochrangiges Rechtsgut der Allgemeinheit handelt, und speziell dem Schutz der Patienten vor einem Tätigwerden von Personen, deren Eignung zur Ausübung des Arztberufs zweifelhaft geworden ist. Der Patientenschutz und die diesen bezweckende Anordnung des Ruhens der Approbation rechtfertigen es demnach auch, die Ruhensanordnung kurzfristig wirksam und vollziehbar werden zu lassen, um so ihrem Charakter als Präventionsmaßnahme schnellstmöglich gerecht zu werden.
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hat das VG den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ruhensanordnung zu Recht abgelehnt und hat auch die Beschwerde keinen Erfolg.
Die Ruhensanordnung ist gestützt auf § 6 Abs. 1 Nr. 3 BÄO i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 BÄO, der in der seit dem 1.5.2002 geltenden Fassung (vgl. Artikel 7, 56 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze vom 27.4.2002 - BGBl. I S. 1467 -) nicht mehr wie in der früheren Fassung an das Vorliegen körperlicher Gebrechen, einer Schwäche der geistigen oder körperlichen Kräfte oder einer Sucht anknüpft. Danach kann das Ruhen der Approbation angeordnet werden, wenn Zweifel bestehen, ob die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BÄO noch erfüllt sind und der Arzt sich weigert, sich einer von der zuständigen Behörde angeordneten amts- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen.
Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind gegeben.
Zweifel i. S. von § 6 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BÄO sind anzunehmen, wenn glaubhafte, schlüssige Hinweise vorliegen, die Anlass zur Annahme geben, der Arzt sei in gesundheitlicher Hinsicht nicht (mehr) zur Ausübung des Berufs geeignet. Da das Element der Unsicherheit bereits begrifflich dem Zweifel eigen ist und besondere Anforderungen an die Intensität der Zweifel vom Gesetz nicht gestellt werden, dürfen dabei die Anforderungen an das Vorliegen hinreichender Verdachtsmomente nicht überspannt werden. Andererseits ist das Anordnen des Ruhens der Approbation nicht gerechtfertigt bei willkürlichem, aus der Luft gegriffenem Einschreiten der Behörde ohne Anlass oder bei einer anonymen, nicht näher substantiierten Anzeige oder fadenscheinigen, in sich nicht schlüssigen Hinweisen auf eine mögliche Ungeeignetheit zur Ausübung des ärztlichen Berufs.
Vgl. OVG S.-A., Urteil vom 5.11.1998 - A 1 S 376/98 -, NJW 1999, 3427.
Begründete Verdachtsmomente dafür, dass der Antragsteller in gesundheitlicher Hinsicht nicht (mehr) zur Ausübung des ärztlichen Berufs geeignet sein könnte, ergeben sich bereits daraus, dass schon zuvor das Ruhen der Approbation des Antragstellers als Arzt wegen Zweifeln an seiner gesundheitlichen Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs angeordnet worden war. Diese Ruhensanordnung wurde, nachdem ärztliche Begutachtungen keine Anhaltspunkte für eine Unfähigkeit oder Ungeeignetheit des Antragstellers zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben hatten, zwar anschließend mit der Auflage wieder aufgehoben, sich jährlich einer amtsärztlichen Kontrolluntersuchung zu unterziehen. Eine solche Kontrolluntersuchung durch das Gesundheitsamt ergab Anhaltspunkte für einen fortdauernden regelmäßigen Alkoholkonsum des Antragstellers und führte in der Folgezeit erneut zum Einleiten eines Verfahrens wegen Ruhens der Approbation und zu einer erneuten Ruhensanordnung. Die Aufhebung dieser Ruhensanordnung erfolgte mit der Auflage an den Antragsteller, sich einer erneuten amtsärztlichen Untersuchung zu stellen, um die Zweifel an seiner gesundheitlichen Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs auszuräumen.
Der Antragsteller hat sich geweigert bzw. weigert sich, sich der angeordneten amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Nach der Mitteilung des Gesundheitsamts hat er zwei ihm genannte Untersuchungstermine nicht wahrgenommen und ist damit seiner Mitwirkungspflicht zur Aufklärung der Zweifel an seiner gesundheitlichen Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs nicht nachgekommen. Das Vorbringen des Antragstellers, zum Zeitpunkt des ersten Untersuchungstermins von seinem Wohnort abwesend gewesen zu sein und die Einladung zum zweiten Untersuchungstermin nicht erhalten zu haben, vermag ihn insoweit nicht zu entlasten und führt hinsichtlich der Frage der Weigerung, eine amtsärztliche Untersuchung durchzuführen, nicht zu einer anderen Wertung. Angesichts dessen, dass der Antragsteller diese Punkte - was nahegelegen hätte - weder im Verwaltungsverfahren noch erstinstanzlich im gerichtlichen Verfahren, in dem er anwaltlich noch nicht vertreten war, geltend gemacht hat, sondern diese Gesichtspunkte erstmals in der anwaltlichen Beschwerdebegründung vorgetragen wurden, erscheint schon zweifelhaft, ob das diesbezügliche Vorbringen tatsächlich zutreffend ist oder ob es sich nicht vielmehr um eine Schutzbehauptung handelt. Jedenfalls stellen die vom Antragsteller angeführten Gründe für die Nichtwahrnehmung der angeordneten Untersuchungstermine keine Rechtfertigung dafür dar, dass er sich der angeordneten Untersuchung noch immer nicht unterzogen hat. Nach der Vorgeschichte und den schriftlichen Anordnungen der Antragsgegnerin, sich jährlichen Kontrolluntersuchungen zu unterziehen, musste der Antragsteller davon ausgehen, dass es ihm oblag, dem Verdacht einer möglicherweise bei ihm bestehenden Alkoholproblematik und daraus sich ableitender Zweifel an der gesundheitlichen Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs wirkungsvoll zu begegnen. Dementsprechend war er bei den in seiner Sphäre liegenden Gründen für die Nichtwahrnehmung angeordneter Untersuchungstermine gehalten, auch von sich aus initiativ zu werden und sich um neue, ihm genehme Termine zu bemühen. Entsprechende erfolgversprechende Bemühungen seinerseits sind indes - bis heute -, vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt BVerwG, Beschluss vom 16.1.1991 - 1 BvR 1326.90 -, NJW 1991, 1530; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19.7.1991 - 9 S 1227/91 -, NJW 1991, 2366; OVG NRW, Beschlüsse vom 11.2.2004 - 13 B 2435/03 -, 5.11.1996 - 13 B 2219/96 - und vom 21.5.1996 - 13 B 350/96 -, NJW 1997, 2470, nicht festzustellen.
Ermessensfehler sind bezüglich der Entscheidung der Antragsgegnerin, das Ruhen der Approbation anzuordnen, nicht erkennbar. Die Antragsgegnerin hat insbesondere erkannt, dass es sich bei der Entscheidung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3, § 3 Abs. 1 Nr. 3 BÄO um eine Ermessensentscheidung handelt. Sachwidrige Erwägungen liegen der Entscheidung ersichtlich nicht zu Grunde, zumal bei einer Regelung zum Schutz öffentlicher Interessen die behördliche Schutzmaßnahme die Regel und ein Absehen davon, für die besondere Gründe vorliegen müssen, die Ausnahme ist.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11.2.2004 - 13 B 2435/03 -, vom 25.6.2001 - 13 B 380/01 -, und vom 16.2.1987 - 13 B 7049/86 -, MedR 1988, 51.
Dass der Antragsteller nach seinem Vorbringen seit längerer Zeit ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt ist und seine Praxis inzwischen verkauft hat, begründet keine Entscheidung zu seinen Gunsten, weil die Arbeitsunfähigkeit enden kann und der Antragsteller als Konsequenz aus dem Verkauf seiner Praxis nicht auf seine Approbation verzichtet hat und, wie dieses Verfahren zeigt, darauf auch nicht verzichten will.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Ruhens der Approbation des Antragstellers begegnet auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit behördlicher Maßnahmen, keinen Bedenken. Würde dem Antragsteller die Möglichkeit belassen, weiterhin seinem Beruf als Arzt nachgehen zu können, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für das Ruhen der Approbation erfüllt sind, bestünde eine konkrete Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter und insbesondere eine Gefahr für die ihn aufsuchenden bzw. seiner Behandlung unterliegenden Patienten. Dass die dem Antragsteller vorzuhaltenden Verdachtsmomente nur vorübergehend und auf einen begrenzten Zeitraum beschränkt waren/sind und eine seine Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs in Frage stellende Alkoholproblematik bei ihm derzeit nicht relevant ist, ist angesichts der Vorgeschichte, in deren Verlauf bereits das Ruhen der Approbation wegen gleichgelagerter Verdachtsmomente angeordnet worden war, nicht erkennbar. Der Antragsteller hat auch nicht geltend gemacht, dass er eine mögliche Alkoholproblematik effektiv in den Griff bekommen und beispielsweise eine entsprechende Therapie begonnen oder durchgeführt hat.
Ende der Entscheidung
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