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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 21.12.2007
Aktenzeichen: 13 B 919/07
Rechtsgebiete: FMV


Vorschriften:

FMV § 13
Es bestehen keine erheblichen Zweifel an der Gültigkeit des Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 2002/2/EG, soweit in diesem eine Verpflichtung zur offenen Deklaration der Futtermittelausgangserzeugnisse mit einer Toleranzspanne von +/- 15 % vorgesehen ist.
Tatbestand:

Die Antragstellerin erstrebt mit der einstweiligen Anordnung, dass der Antragsgegner bis zur Verkündung einer einzuholenden Vorlageentscheidung über die Gültigkeit der Bestimmungen des Art. 5c Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 79/373/EWG des Rates vom 2.4.1979 über den Verkehr mit Mischfuttermitteln (ABl. EG L 86 S. 30) in der Fassung des Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 2002/2/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.1.2002 (ABl. EG L 63 S. 23), geändert durch Entscheidung Nr. 623/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.5.2007 (ABl. EG L 154 S. 23), angekündigte Vollzugs- oder Sanktionsmaßnahmen unterlässt, wenn sie unter Missachtung der entsprechend umgesetzten nationalen Etikettierungspflichten nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 2b FMV in der nunmehr aktuellen Fassung der Bekanntmachung vom 24.5.2007 (BGBl. I S. 770), zuletzt geändert durch Verordnung vom 13.11.2007 (BGBl. I S. 2574), Futtermittel in den Geltungsbereich des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches einführt und in den Verkehr bringt, weil sie die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen (und die ihnen folgenden nationalen Regelungen) für unwirksam hält.

Gründe:

Der Antrag der Antragstellerin hat keinen Erfolg.

...

Obwohl das nationale Gericht die Unwirksamkeit gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften nicht selbst feststellen kann - dies obliegt allein dem EuGH -, ist anerkannt, dass es zur Abwehr von Rechtsverletzungen durch Gemeinschaftsrecht vorläufigen Rechtsschutz gewähren kann. Das Recht der Bürger, die Rechtmäßigkeit von Rechtsakten der Gemeinschaft vor den nationalen Gerichten inzident zu bestreiten und diese zur Befassung des EuGH mit Vorlagefragen zu veranlassen, wäre gefährdet, wenn der Bürger, solange es an einem Urteil des EuGH fehlt, trotz Vorliegens bestimmter Voraussetzungen nicht in der Lage wäre, eine Aussetzung der Vollziehung zu erreichen und damit dem Gemeinschaftsrecht einstweilen die Wirksamkeit zu nehmen.

Vgl. EuGH, Urteile vom 9.11.1995 - C-465/93 - (Atlanta Fruchthandelsgesellschaft), Slg. 1995, I 3761, Rdnr. 21, und vom 21.2.1991 - C-143/88 und C-92/89 - (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I 415, Rdnr. 17.

Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erlässt das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet, glaubhaft zu machen. Begehrt der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die vorläufige Unanwendbarkeit von Rechtsakten der Gemeinschaft zu erreichen, setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung weiter voraus, dass das nationale Gericht aufgrund der vom Antragsteller vorgetragenen sachlichen und rechtlichen Gegebenheiten erhebliche Zweifel an der Gültigkeit des entsprechenden Gemeinschaftsrechtsakts hat, die Gültigkeitsfrage, sofern dies noch nicht geschehen ist, dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt wird, die vorläufige Rechtsschutzentscheidung dringlich ist und das Interesse der Gemeinschaft an der Durchführung des Gemeinschaftsrechts angemessen berücksichtigt wird. Vgl. EuGH, Urteile vom 9.11.1995 - C-465/93 -, a.a.O., Rdnr. 32, und vom 21.2.1991, a.a.O., Rdnr. 23 ff.; BVerfG, Beschlüsse vom 27.7.2004 - 1 BvR 1270/04 -, NVwZ 2004, 1346, und - 1 BvR 1542/04 -, LRE 360; OVG NRW, Beschlüsse vom 29.6.2004 - 20 B 1057/04 - und vom 18.7.1996 - 13 B 1210/96 -; Bay. VGH, Beschluss vom 8.9.2004 - 19 CE 04.2003 -; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 32. Ergänzungslieferung April 2007, Art. 10 EGV Rdnr. 53 a; Streinz, in: EUV/EGV, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2003, Art. 10 EGV Rdnr. 34.

Dass nicht jeder Zweifel für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ausreicht, vielmehr nur erhebliche Zweifel ein vorübergehendes Eingreifen des Gerichts rechtfertigen können, entspricht den besonders strengen Anforderungen, die auch im innerstaatlichen Bereich für die Aussetzung des Vollzugs von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht gelten.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27.7.2004 - 1 BvR 1270/04 -, a.a.O., und - 1 BvR 1542/04 -, a.a.O.

Bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass der Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes ist das nationale Gericht verpflichtet, Entscheidungen des Gemeinschaftsrichters über die vor ihm aufgeworfenen Streitfragen zu beachten. So darf es, wenn der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zur Prüfung der Gültigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung festgestellt hat, dass die Prüfung der Vorabentscheidungsfragen nichts ergeben hat, was die Gültigkeit dieser Verordnung beeinträchtigen könnte, keine Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes mehr erlassen oder muss diese aufheben, sofern nicht vor ihm andere Rechtswidrigkeitsgründe geltend gemacht worden sind als die Nichtigkeits- oder Rechtswidrigkeitsgründe, die der EuGH in seinem Urteil zurückgewiesen hat.

Vgl. EuGH, Urteil vom 9.11.1995 - C-465/93 -, a.a.O., Rdnr. 46; von Bogdany, in: Grabitz/Hilf, a.a.O., Art. 10 Rdnr. 53 a.

Ausgehend hiervon kommt der Erlass der von der Antragstellerin begehrten einstweiligen Anordnung nicht in Betracht. Es bestehen keine erheblichen Zweifel an der Gültigkeit der streitgegenständlichen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften.

Nach Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 79/373/EWG schreiben die Mitgliedstaaten vor, dass Mischfuttermittel nur unter Beachtung besonderer Etikettierungsvorschriften in den Verkehr gebracht werden dürfen. Art. 5 c Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 79/373 EWG in der Fassung, die dieser durch Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 2002/2/EG erhalten hat, enthält diesbezüglich die Verpflichtung zur Aufzählung der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse mit Angabe - in absteigender Reihenfolge - ihres Gewichtshundertteils in den Mischfuttermitteln. In Bezug auf die anzugebenden Hundertteile ist eine Toleranzspanne von +/- 15 % des angegebenen Wertes zulässig.

Der EuGH hat in einem Vorabentscheidungsverfahren über die Gemeinschaftskonformität des Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 2002/2/EG bereits entschieden, vgl. EuGH, Urteil vom 6.12.2005 - C-453/03, C-11/04, C-12/04 und C-194/04 - (Abna Ltd. u.a.), Slg. 2005, I 10423, und in seiner Entscheidung ausführlich und in Auseinandersetzung mit den Begründungserwägungen der Richtlinie 2002/2/EG dargelegt, dass die Vorlagefragen nichts ergeben hätten, was die Annahme stützen würde, dass Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 2002/2/EG nicht rechtswirksam auf der Grundlage des Art. 152 Abs. 4 Buchstabe b EG erlassen wurde. Auch im Hinblick auf die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung habe sich nichts ergeben, was die Gültigkeit der streitgegenständlichen Richtlinienbestimmung beeinträchtigen könne.

Neue Gründe, die erhebliche Zweifel an der Gültigkeit des Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 2002/2/EG stützen, hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.

Das Vorbringen der Antragstellerin, dem EuGH sei im Vorlageverfahren ein im Auftrag der Kommission erstellter Bericht vorenthalten worden, aus dem sich ergebe, dass nach Auffassung der Mehrheit der Mitgliedstaaten kein Zusammenhang zwischen der quantitativen offenen Deklaration und dem Gesundheitsschutz bestehe, weswegen der EuGH auf einer falschen Tatsachengrundlage entschieden habe, ist nicht geeignet, (neue) erhebliche Zweifel an der Gültigkeit zu rechtfertigen. Das Vorbringen beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Richtigkeit der Entscheidung des EuGH in Frage zu stellen. Überdies ist nicht ersichtlich, dass das der Kommission unterstellte prozessuale Fehlverhalten (vgl. auch Zulassungsantragsbegründung im Verfahren 13 A 1662/06 vom 6.6.2006, Bl. 9) die Entscheidung des EuGH beeinflusst haben könnte. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass es allein Sache des EuGH ist, den seiner Auffassung nach entscheidungserheblichen Sachverhalt zu ermitteln. Den Ausführungen im Urteil ist zu entnehmen, dass der EuGH nach Anhörung des Generalanwalts die Auffassung vertrat, über sämtliche für die Beantwortung der Vorlagefragen erforderlichen Angaben zu verfügen.

Vgl. EuGH, Urteil vom 6.12.2005 - C- 453/03, C-11/04, C-12/04 und C-194/04 -, a.a.O., Rdnr. 43.

Ferner haben - so die eigenen Angaben der Antragstellerin in der Zulassungsantragsbegründung im Verfahren 13 A 1662/06 vom 6.6.2006 - sowohl der Rat, das Parlament als auch die Kommission in der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2004 die Verbindung zwischen Gesundheitsschutz und offener Deklaration nochmals betont und damit die maßgebliche Auffassung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Gemeinschaftsorgane zum Ausdruck gebracht. Soweit damit die Auffassungen der Mitgliedsstaaten ungehört geblieben sind, hätte es diesen oblegen, sich über ihre am Verfahren beteiligten Vertreter Gehör zu verschaffen.

Der Umstand, dass ein Großteil der Mitgliedsstaaten den Bezug zwischen offener Deklaration und Gesundheitsschutz möglicherweise nicht (mehr) sieht, lässt auch in der Sache die vom EuGH angenommene Verbindung zwischen der offenen Deklaration und dem Gesundheitsschutz nicht entfallen. Der Vortrag der Antragstellerin ist insbesondere nicht geeignet, die Annahme zu begründen, der EuGH hätte bei Kenntnis der Auffassungen der Mitgliedsstaaten - sofern er diese tatsächlich nicht gehabt haben sollte - anders entschieden, also die Geeignetheit des Art. 152 Abs. 4 Buchst. b EG als Rechtsgrundlage der offenen Deklaration verneint oder die Abwägung der wirtschaftlichen Interessen der Futtermittelhersteller mit den Belangen des Gesundheitsschutzes zu Gunsten der Futtermittelhersteller ausfallen lassen.

Abgesehen davon, dass der Zusammenhang zwischen Gesundheitsschutz und offener Deklaration bereits vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2002/2/EG kontrovers diskutiert wurde (vgl. etwa die von der Antragstellerin im Verfahren VG Düsseldorf 15 L 843/04 übersandte Protokollerklärung der Kommission im Europäischen Parlament (Sitzung vom 5.4.2001)), hat der EuGH seine Feststellungen auf der Grundlage der Entstehungsgeschichte der Richtlinie und den dieser beigegebenen Begründungserwägungen getroffen. So hat er in seinem Urteil ausgeführt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem Erlass der Vorschriften über die Angabe der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse das Ziel verfolgt hat, den Schutz der Gesundheit sicherzustellen. Angesichts der durch die BSE- und Dioxinkrise aufgezeigten Unzulänglichkeiten der geltenden Bestimmungen habe die Notwendigkeit ausführlicher qualitativer und quantitativer Informationen über die Zusammensetzung von Mischfuttermitteln für Nutztiere bestanden. Die detaillierten quantitativen Angaben über die Zusammensetzung könnten zur Rückverfolgung möglicherweise kontaminierten Materials zu bestimmten Partien beitragen. Dies sei für die Gesundheit der Bevölkerung von Nutzen und könne die Vernichtung von Erzeugnissen ohne signifikantes Gesundheitsrisiko überflüssig machen. Die streitigen Vorschriften seien zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Ferner sei auch die Transparenz bei der Futtermitteletikettierung ein wichtiges Prinzip des neuen Futter- und Lebensmittelrechts, mit dem das Vertrauen der Verbraucher in Futter- und Lebensmittel gestärkt werden solle.

Die insbesondere aus Gründen des Gesundheitsschutzes geforderte Rückverfolgbarkeit ist nach Auffassung des EuGH ein wichtiger Zweck, der den Eingriff in die Rechte und wirtschaftlichen Interessen der Futtermittelhersteller rechtfertigt. Dass dieser Zweck wegen kontroverser Ansichten von Mitgliedsstaaten an Bedeutung verloren haben könnte, ist nicht erkennbar, zumal einer solchen Annahme entgegensteht, dass nach aktueller Auffassung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Rückverfolgbarkeit von Futter- und Lebensmitteln sowie ihrer Zutaten weiterhin ein Schlüsselelement der Lebens- und Futtermittelsicherheit darstellt. In diesem Zusammenhang weist die Europäische Kommission insbesondere darauf hin, dass die streitgegenständliche Regelung bereits erfolgreich angewendet worden sei, insbesondere schon zu einer schnellen Ermittlung der Quelle einer Aflatoxinkontamination beigetragen habe.

Vgl. Nrn. 1., 3.3 des Berichts der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 20.12.2006 über die Durchführung der Regelung, die mit der Richtlinie 2002/2/EG zur Änderung der Richtlinie 79/373/EWG über den Verkehr mit Mischfuttermitteln eingeführt wurde, KOM (2006) 839 endg.

Erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verpflichtung zur offenen Deklaration bestehen auch nicht deshalb, weil die Verpflichtung zur offenen Deklaration wegen neuer gemeinschaftsrechtlicher Regelungen unverhältnismäßig geworden ist, mit der Folge, dass keine Rechtfertigung für eine Belastung des Einzelnen mehr besteht. Zwar wird die Futtermittelsicherheit auch durch die Anwendungen der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.1.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. EG L 31 S. 1) und den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 183/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.1.2005 mit Vorschriften für die Futtermittelhygiene (ABl. EG L 35 S. 1) gewährleistet. So sieht die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 in ihrem Art. 18 vor, dass alle Stoffe, von denen erwartet werden kann, dass sie in einem Futtermittel verarbeitet werden könnten, rückverfolgbar sein müssen und nach dem in Art. 20 vorgesehenen Verfahren vom Markt genommen werden können. Allerdings enthält Art. 18 dieser Verordnung keine Vorgaben für Rückverfolgungssysteme, geht aber gemäß Art. 18 Abs. 5 davon aus, dass nach dem Verfahren des Art. 58 Abs. 2, also nach dem Regelungsverfahren, Vorschriften über Durchführungssysteme bei Lebens- und Futtermitten erlassen werden können. Bis dahin bleibt es im Wesentlichen Sache des Lebens- bzw. Futtermittelunternehmers, wie er sein Rückverfolgungssystem gestalten will.

Vgl. Gorny, Grundlagen des europäischen Lebensmittelrechts, Kommentar zur Verordnung (EG) 178/2002, Rdnr. 338.

Dementsprechend hat der EuGH in seinem Urteil ausgeführt, dass die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 anders als die Richtlinie 2002/02/EG keine Vorschriften enthält, die die Angabe der Bestandteile eines Erzeugnisses auf dem Etikett verlangten. Die Regelungen in der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 erlaubten es den betreffenden Behörden oder dem Benutzer eines Erzeugnisses daher nicht, über ausreichende Angaben zu verfügen, um im Falle einer Nahrungsmittelkrise sofort die geeigneten Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Die Angabe der Gewichtshundertteile im Rahmen von Prozentspannen auf dem Etikett ermögliche die Identifizierung eines möglicherweise verunreinigten Futtermittels und erlaube, seine Gefährlichkeit nach Maßgabe des angegebenen Gewichts einzuschätzen und gegebenenfalls seine vorläufige Rücknahme beschließen zu können oder die Rückverfolgung des Erzeugnisses durch die betreffenden Behörden zu veranlassen, bevor die Ergebnisse der Laboranalysen vorliegen.

Vgl. EuGH, Urteil vom 6.12.2005 - C-453/03, C-11/04, C-12/04 und C-194/04 -, a.a.O, Rdnr. 78.

Regelungen, die eine solche unverzügliche Identifizierung und Rückverfolgung ermöglichen, enthält auch die Verordnung (EG) Nr. 183/2005 nicht.

Die begehrte Nichtanwendung der einschlägigen Vorschriften zur offenen Deklaration kann die Antragstellerin ferner nicht mit dem Hinweis begehren, die Gemeinschaftsorgane seien spätestens mit Einführung der Verordnung (EG) Nr. 183/2005 verpflichtet gewesen, wegen der fehlenden Verbindung zwischen der offenen Deklaration und dem Gesundheitsschutz und der damit veränderten Risikoeinstufung die Mischfuttermittelrichtlinie zu ändern. Die Entscheidung, ob die vielfach geforderte Verpflichtung zur offenen Deklaration aufgehoben, ganz oder in abgeschwächter Form beibehalten wird, obliegt dem weiten gesetzgeberischen Ermessen des Europäischen Gesetzgebers.

Vgl. EuGH, Urteil vom 6.12.2005 - C-453/03, C-11/04, C-12/04 und C-194/04 -, a.a.O., Rdnr. 69.

Das nationale Gericht kann das (offene) Ergebnis des gesetzgeberischen Entscheidungsprozesses nicht durch die Aussetzung geltender Gemeinschaftsregelungen vorwegnehmen. Dies gilt umso mehr, als dass das Europäische Parlament und der Rat über eine Änderung beraten und bislang bewusst auf eine Aufhebung der Vorschriften über die offene Deklaration verzichtet haben, um die von der Kommission zu erarbeitenden Vorschläge für eine umfassende Neuordnung des Futtermittelrechts abzuwarten und sodann in diesem Zusammenhang auch die Frage der offenen Deklaration der Inhaltsstoffe umfassend neu zu bewerten. Dabei erwarten aber das Europäische Parlament und der Rat Vorschläge, die auch dem Interesse der Landwirte an einer genauen und detaillierten Information über die Inhaltsstoffe Rechnung tragen.

Vgl. Erwägungsgrund Nr. 6 der Entscheidung Nr. 623/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.5.2007 zur Änderung der Richtlinie 2002/2/EG zur Änderung der Richtlinie 79/373 des Rates über den Verkehr mit Mischfuttermitteln, ABl. EG L 154 S. 23; vgl. auch Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Bericht über den Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Berichtigung der Richtlinie 2002/2/EG zur Änderung der Richtlinie 2002/2/EG zur Änderung der Richtlinie 79/373/EWG über den Verkehr mit Mischfuttermitteln (KOM (2006)0340-C60209/2006-2006/0117(COD)), vom 23.11.2006, endg. A6-0411/2006, S. 9 f.

In diesem Sinne hat sich auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss im Zuge der Änderungsberatungen geäußert und dargelegt, dass für den landwirtschaftlichen Erzeuger möglichst genaue Kenntnisse über den Inhalt von Futtermitteln wichtig seien, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Zusammensetzung des Futters, sondern auch, um Preise und Qualität vergleichen zu können. Die Argumente der Futtermittelindustrie und ihre Forderung nach Vertraulichkeit im Hinblick auf den Wettbewerb auf dem Futtermittelmarkt und Patentierungsmöglichkeiten erschienen in Anbetracht der bisherigen Erfahrungen in Bezug auf die Verhältnisse auf dem Markt für Mischfuttermittel weniger schwerwiegend. Deren anerkennenswertes Interesse - etwa bei einigen wenigen Arten von Spezialmischungen - könne durch Ausnahmeregelungen Rechnung getragen werden.

Vgl. 2.2 der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Berichtigung der Richtlinie 2002/2/EG zur Änderung der Richtlinie 79/373/EWG über den Verkehr mit Mischfuttermitteln, KOM (2006) 340 endg.- 2006/0117 (COD), ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 34.

Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass sowohl der Rat als auch das Europäische Parlament in Kenntnis der den Mitgliedsstaaten obliegenden Umsetzungsverpflichtung des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2002/2/EG die offene Deklaration im gegenwärtigen Umfang für die Futtermittelunternehmer als zumutbar betrachten und keinen dringenden Handlungsbedarf sehen. Dass der Gemeinschaftsgesetzgeber vor diesem Hintergrund derzeit von einer Änderung der streitgegenständlichen Vorschriften absieht, ist angesichts des weiten gesetzgeberischen Ermessens nicht offensichtlich fehlerhaft.

Erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der streitgegenständlichen Bestimmung sind ferner nicht deshalb gerechtfertigt, weil, so die Antragstellerin, die Ausnutzung der Toleranzspanne von +/- 15 % zu einer unzulässigen Irreführung der Verbraucher führe. Die Verwendung von Etiketten auf Futtermitteln, auf denen die Hersteller die Prozentsätze der Futtermittelausgangserzeugnisse mit Abweichungen von +/- 15 % angeben dürfen, steht weder im Widerspruch zu Art. 3 der Richtlinie 79/373/EWG, wonach Mischfuttermittel nicht in irreführender Weise angeboten oder in den Verkehr gebracht werden dürfen, noch zu Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, wonach zum Schutz der Verbraucherinteressen Praktiken der Täuschung und alle sonstigen Praktiken, die den Verbraucher irreführen können, verhindert werden müssen. Eine solche Täuschungsgefahr ist nicht bereits deshalb anzunehmen, weil der EuGH die Ungültigkeit des Art. 1 Nr. 1 Buchst b Richtlinie 2002/2/EG, wonach der Mischfutterhändler verpflichtet war, auf dem Etikett den Hinweis aufzunehmen, dass die genaue Zusammensetzung des Futtermittels auf Antrag des Kunden zu übermitteln ist, festgestellt hat. Die vom EuGH für ungültig erklärte Verpflichtung ist nicht Gültigkeitsvoraussetzung für die weitere selbstständige Verpflichtung aus Art. 1 Nr. 4 Richtlinie 2002/2/EG. Es ist auch nicht anzunehmen, dass der EuGH dieser Regelung Gültigkeit zuerkannt hätte, wenn deren Gültigkeit von dem Bestand der weiteren Regelung in Art. 1 Nr. 1 Buchst. b Richtlinie 2002/2/EG abhängig gewesen wäre.

Anders als der Consiglio di Stato (Italien), vgl. Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato (Italien), Rs C-421/06, Fratelli Martini & C.SpA, ABl. EG C S. 27, hält der Senat in diesem Zusammenhang eine Vorlage an den EuGH nicht für erforderlich. Zwar ist, wenn es um die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht geht, die dazu vertretene Auffassung von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der Gemeinschaft auch für die nationalen Gerichte bedeutsam.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27.7.2004 - 1 BvR 1542/04 -, a.a.O., und - 1 BvR 1270/04 -, a.a.O.

Der Senat teilt aber die vom Consiglio di Stato angenommenen Bedenken hinsichtlich der Täuschungsgefahr nicht. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat es im Interesse der Futtermittelhändler für erforderlich gehalten, den Verbraucher bewusst über die genaue Zusammensetzung eines Mischfuttermittels im Unklaren zu lassen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat damit zu erkennen gegeben, dass die erforderlichen Angaben eine aus seiner Sicht noch ausreichende Information des Verbrauchers ermöglichen. Dem Verbraucherschutz, den das Irreführungsverbot gewährleisten soll, ist somit bereits hinreichend Rechnung getragen worden. Es verbietet sich daher von selbst, einer Abweichung der tatsächlichen Zusammensetzung des Mischfuttermittels von der sich aus den zulässigen Angaben auf dem Etikett ergebenen Zusammensetzung im Hinblick auf eine Täuschungsgefahr eine die Gültigkeit der Regelung in Frage stellende Rechtserheblichkeit beizumessen.

Vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Kommentar Bd. 2, § 11 LFGB, Rdnr. 262.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Ausnutzung der Toleranzwerte geeignet ist, bei dem Verbraucher einen Irrtum über die Zusammensetzung des Mischfuttermittels hervorzurufen, ist überdies darauf abzustellen, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die Angaben auf dem Etikett wahrscheinlich auffassen wird.

Vgl. EuGH, Urteile vom 16.7.1998 - C-210/96 - (Gut Springenheide), NJW 1998, 3183, und vom 15.7.2004 - C- 239/02 - (Douwe Egberts NW gegen Westrom Pharma NV und Christophe Souranis), Slg 2004, I 7007, Rdnr. 46; Lurger, in: Streinz, a.a.O., Art. 153 Anm. 12; Wichard, in: EUV/EGV, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, 3. Auflage, Art. 153 EGV, Rdnr 7.

Dem verständigen und im Hinblick auf das Produkt "Mischfuttermittel" gut unterrichteten Verbraucher dürfte indes bekannt sein, dass die Angaben unter Berücksichtigung einer Toleranzspanne von +/- 15 % des angegebenen Wertes erfolgen können. Insoweit ist zu erwarten ist, dass Mischfuttermittelkäufer, bei denen es sich regelmäßig um landwirtschaftliche Erzeuger handeln dürfte, über Kenntnisse der für sie wichtigen einschlägigen futtermittelrechtlichen Vorschriften verfügen. Danach ist davon auszugehen, dass diese die Toleranzspanne kennen, sodass sie nicht getäuscht werden, wenn sie den genauen Anteil nicht erfahren. Abgesehen davon bleibt es den Futtermittelherstellern auch unbenommen - ohne dass eine Aufhebung der Regelung des Art. 1 Abs. 4 Richtlinie 2002/2/EG erforderlich wäre - die Etiketten mit dem Hinweis auf Toleranzen von +/- 15 % zu versehen, um insoweit falschen Vorstellungen zu begegnen.

Soweit die Antragstellerin in diesem Verfahren nochmals darauf hinweist, die Toleranzspanne von +/- 15 % sei nur in beschränktem Maße geeignet, die Zusammensetzung zu verschleiern und daher für den Know-how-Schutz nicht auszureichend, ist diesen Bedenken bereits im Urteil des EuGH Rechnung getragen worden. Neue Einwände hat die Antragstellerin insoweit nicht vorgetragen.

Eine Aussetzung wegen erheblicher Zweifel ist letztlich auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil nach dem Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat und das Europäische Parlament über die Durchführung der Regelung, die mit der Richtlinie 2002/2/EG zur Änderung der Richtlinie 79/373/EWG über den Verkehr mit Mischfuttermitteln eingeführt wurde, in einem Teil der Mitgliedsstaaten auch nach dem Urteil des Gerichtshofs vom 6.12.2005 die offene Deklaration nach wie vor ausgesetzt ist. Es ist allein Sache des nationalen Gerichts unter Berücksichtigung der Umstände des Falles, mit dem es befasst ist, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen erfüllt sind.

Vgl. EuGH, Urteil vom 6.12.2005 - C 453/03, C-11/04, C-12/03 und C-194/04 -, a.a.O.

Dabei kommt dem Umstand, dass dieses Gericht mit Beschluss vom 21.1.2005 (20 B 1057/04) die Vollziehung zunächst ausgesetzt hat, im vorliegenden Verfahren keine maßgebende Bedeutung zu, weil der EuGH die seinerzeitigen Bedenken gegen die Gültigkeit des Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 2002/2/EG ausgeräumt hat.

Anhaltspunkte dafür, dass die Richtlinie fehlerhaft in nationales Recht umgesetzt wurde, hat der Senat ebenfalls nicht. Nach der unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH erfolgten Änderung des § 13 Abs. 2b) FMV, vgl. hierzu BR-Drucks. 933/06, S. 41, teilt der Senat insbesondere nicht die früher vertretene, offensichtlich aber von der Antragstellerin nunmehr auch selbst aufgegebene Auffassung, wonach der nationale Verordnungsgeber gerade nicht vorsehe, dass die (isolierte) Deklaration unter Anwendung einer Toleranzregelung von +/- 15 % zulässig sei.

Ende der Entscheidung

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