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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 25.11.2005
Aktenzeichen: 13 B 932/05
Rechtsgebiete: VwGO, RettG, OBG, KtR, PBefG, VwVG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
RettG § 1 Abs. 2 Nr. 4
RettG § 3 Abs. 1 Satz 1
RettG § 4 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz
RettG § 4 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1
RettG § 18 Satz 1
OBG § 14 Abs. 1
KtR §§ 5 f.
KtR § 6 Abs. 1
KtR § 7
KtR § 7 Abs. 1 Satz 3
PBefG § 1 Abs. 2 Nr. 2
VwVG § 55 Abs. 1
1. Das von den Krankenkassen entwickelte Formular "Verordnung einer Krankenbeförderung" (sog. Transportschein) entspricht hinsichtlich der Abgrenzung von dem Rettungsgesetz unterfallenden Krankentransporten und dem Personenbeförderungsgesetz unterfallenden Krankenfahrten nicht der Systematik des Rettungsgesetzes.

2. Die ärztliche Verordnung eines Krankentransports nach dem Rettungsgesetz ergibt sich nicht allein daraus, dass auf einen Transportschein das Feld für Krankentransportwagen angekreuzt ist.


Tatbestand:

Die Antragstellerin ist Inhaberin mehrerer Genehmigungen nach dem Personenbeförderungsgesetz für den Mietwagenverkehr. Mit Ordnungsverfügung vom 24.3.2003 untersagte der Antragsgegner ihr unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Zwangsgeldandrohung die Durchführung von Krankentransporten nach dem Rettungsgesetz. Dies begründete er im Wesentlichen damit, dass sich aus mehreren Transportscheinen ergebe, dass die Antragstellerin solche Transporte durchgeführt habe, obwohl sie hierfür keine Genehmigung besitze. Mit weiterer Ordnungsverfügung vom 16.4.2004 setzte der Antragsgegner gegen die Antragstellerin ein Zwangsgeld fest. Deren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das VG ab. Die Beschwerde der Antragstellerin hatte Erfolg.

Gründe:

Bedenken an der Zulässigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO hat der Senat nicht. Ein Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin ergibt sich trotz des zwischen den Beteiligten nicht umstrittenen Umstandes, dass die Antragstellerin mangels Genehmigung gemäß § 18 Satz 1 RettG nicht zur Durchführung von Krankentransporten nach dem Rettungsgesetz berechtigt ist, daraus, dass die mit der Ordnungsverfügung vom 24.3.2003 ausgesprochene Untersagung gerade auf dem Vorwurf beruht, die Antragstellerin habe in mindestens sieben Fällen dem Rettungsgesetz unterfallende Krankentransporte durchgeführt. Ferner bildet die Untersagung in Verbindung mit der Zwangsgeldandrohung die Grundlage für Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Antragstellerin in Gestalt von Zwangsgeldfestsetzungen, was die weitere Ordnungsverfügung (Zwangsgeldfestsetzung) des Antragsgegners vom 16.4.2004 zeigt.

Der Antrag ist auch begründet.

Die in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung führt hinsichtlich der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 24.3.2003 zu einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses der Antragstellerin, weil gegenwärtig bei summarischer Prüfung mehr dafür spricht, dass die verfügte Untersagung keinen Bestand behalten wird.

Eine die Untersagung rechtfertigende Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne von § 14 Abs. 1 OBG der Gestalt, dass die Antragstellerin ungenehmigt Krankentransporte nach dem Rettungsgesetz durchgeführt und damit gegen § 18 Satz 1 RettG verstoßen hat, lässt sich nicht feststellen. Die (angeblich) ungenehmigte Durchführung von Krankentransporten nach dem Rettungsgesetz kann insbesondere nicht mit den im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der Antragstellerin aufgefundenen Transportscheinen belegt oder nachgewiesen werden.

Unabhängig davon, dass es sich nicht um vom Rettungsgesetz vorgeschriebene amtliche Vordrucke, sondern um von den Krankenkassen entwickelte Formulare handelt, entsteht auf den ersten Blick der Eindruck, als ermöglichten die Transportscheine eine klare Differenzierung, ob eine Krankenfahrt mit einem nach dem Personenbeförderungsgesetz genehmigten Fahrzeug oder aber ein dem Rettungsgesetz unterfallender Krankentransport verordnet und durchgeführt wurde. Sowohl in der Systematik des Rettungsgesetzes als auch in der der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten (Krankentransport-Richtlinien - KtR) in der Fassung vom 22.1.2004 (Bundesanzeiger Nr. 18 vom 28.1.2004) wird zwischen der Notfallrettung (§ 2 Abs. 1 RettG; § 5 KtR) und dem (qualifizierten) Krankentransport (§ 2 Abs. 2 RettG; § 6 KtR) einerseits und den in § 1 Abs. 2 Nr. 4 RettG erwähnten, dem Personenbeförderungsgesetz unterfallenden (einfachen) Krankenfahrten (§ 7 KtR) andererseits unterschieden. Für die Notfallrettung und den Krankentransport sieht § 3 Abs. 1 Satz 1 RettG unter dem Oberbegriff Krankenkraftwagen die Fahrzeuge Notarztwagen, Rettungswagen und Krankentransportwagen vor, was den Begrifflichkeiten in den §§ 5 f. KtR entspricht. Demgegenüber werden die (einfachen) Krankenfahrten nach § 7 KtR unter anderem mit Taxen und Mietwagen durchgeführt. Dieser Systematik entsprechen die in den Transportscheinen unmittelbar unter der Rubrik "Transportmittel:" aufgeführten vier Fahrzeugkategorien: Während "Taxi Mietwagen" auf die Verordnung einer Krankenfahrt hindeutet, sprechen "Krankentransportwagen", "Rettungswagen" und "Notarztwagen" für die Verordnung eines dem Rettungsgesetz unterfallenden Transports.

Gleichwohl rechtfertigt ein Kreuz bei "Krankentransportwagen" auf einem Transportschein allein nicht die Annahme, dass ein Krankentransport nach dem Rettungsgesetz verordnet wurde und notwendig war, zu dessen Durchführung die Antragstellerin nicht berechtigt (gewesen) wäre. Die zuvor aufgezeigte eindeutige Systematik wird nämlich durch die Rubrik "fachliche Betreuung erforderlich" in den Transportscheinen wieder relativiert.

Aus § 1 Abs. 2 Nr. 4 RettG ergibt sich, dass ein Krankentransport gerade durch die Erforderlichkeit oder das Erforderlichwerden einer fachgerechten Hilfe oder Betreuung während der Beförderung gekennzeichnet ist, was durch die Regelungen zur Besetzung der eingesetzten Fahrzeuge in § 4 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 RettG sichergestellt wird. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass es Krankenfahrten mit nach dem Personenbeförderungsgesetz zugelassenen Fahrzeugen, bei denen der Beförderte auf fachliche Betreuung angewiesen ist, nicht geben kann. Dieser Systematik entsprechen die Regelungen in § 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 Satz 3 KtR mit der Erweiterung, dass danach ein Krankentransport auch dann indiziert ist, wenn der Beförderte auf die besonderen Einrichtungen eines Krankentransportwagens angewiesen ist. Dies ist zwar so nicht ausdrücklich im Rettungsgesetz geregelt, stimmt aber mit der Abgrenzungsvorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 2 PBefG überein. Durch diese Erweiterung dürfte das nach den vorstehenden Ausführungen für die Wahl des Transportmittels entscheidende Kriterium der fachlichen Betreuung jedoch nicht relativiert werden. Denn auch wenn der Beförderte (lediglich) auf die besonderen Einrichtungen eines Krankentransportwagens angewiesen ist oder ein solcher Fall während der Fahrt eintreten kann, dürfte zugleich eine fachliche Betreuung erforderlich sein in dem Sinne, dass neben dem Fahrer eine fachkundige Person zur Verfügung stehen muss, um diese Einrichtungen gegebenenfalls ordnungsgemäß zu bedienen, was nur bei einem Krankentransportwagen gewährleistet ist.

Wenn jedoch mit der Wahl des Transportmittels zugleich über die fachliche Betreuung entschieden wird bzw. die fachliche Betreuung das Kriterium darstellt, welches für die Wahl des Transportmittels entscheidend ist, erschließt sich der Sinn der Rubrik "fachliche Betreuung erforderlich" bei Beachtung der aufgezeigten Systematik nicht. Die Existenz dieser Rubrik lässt den Schluss zu, dass die Personen, die die Transportscheine entwickelt haben, davon ausgegangen sind, dass die Systematik der Transportmittel und der damit untrennbar verbundenen Erforderlichkeit fachlicher Betreuung in der Verordnungspraxis, d.h. in erster Linie bei den Ärzten, entweder nicht durchgängig bekannt ist oder nicht stringent eingehalten wird, weil es ansonsten der genannten Rubrik nicht bedurft hätte. Bestätigt wird diese Einschätzung beispielsweise durch den Transportschein vom 30.4.2004, bei dem einerseits Krankentransportwagen, andererseits aber in der Rubrik fachliche Betreuung "nein" angekreuzt ist, was nach der gesetzlichen Systematik widersprüchlich ist.

Was die Abgrenzung zwischen Mietwagen und Krankentransportwagen anbelangt, dürfte eine weitere Verunsicherung der Praxis mit der Folge möglicher, der gesetzlichen Systematik nicht entsprechender Verordnungen dadurch eintreten, dass sich weder aus dem Rettungsgesetz noch aus den Krankentransportrichtlinien ergibt, dass unter die in den Transportscheinen genannten Mietwagen auch Krankenkraftwagen fallen, die straßenverkehrsrechtlich als solche bzw. - wie von der Antragstellerin belegt - zum Krankentransport zugelassen sind.

Vgl. zu dieser Problematik OVG NRW, Beschluss vom 17.3.2004 - 13 B 2691/03 -.

Diese unterscheiden sich äußerlich mit Ausnahme der fehlenden Signalanlage nicht von Krankentransportwagen nach dem Rettungsgesetz, werden gleichwohl aber entsprechend der Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz nur zur Beförderung von Personen eingesetzt, die lediglich sitzend oder liegend transportiert werden müssen, ohne fachliche Betreuung zu benötigen. Dementsprechend deutet beispielsweise der Transportschein vom 28.4.2004 darauf hin, dass eine sitzende Krankenfahrt mit einem Mietwagen angeordnet werden sollte. Denn die Wahl des Krankentransportwagens bei den Transportmitteln wird dadurch relativiert oder in Frage gestellt, dass sich in der darunter befindenden Rubrik "andere" ebenfalls ein Kreuz befindet mit dem Zusatz "sitzend", obwohl es sich hierbei offensichtlich nicht um ein anderes Transportmittel handelt und der Transportschein im Übrigen keine Möglichkeit für Zusätze wie "sitzend" oder - wie bei anderen Transportscheinen festzustellen - "liegend" vorsieht.

Die beiden in den vorstehenden Ausführungen konkret bezeichneten Transportscheine ebenso wie die weiteren in den Akten befindlichen, die eine Vielzahl unterschiedlicher Ausfüllvarianten und teilweise von den Verordnern selbst vorgenommene nachträgliche Veränderungen aufweisen, rechtfertigen in einer Gesamtschau den Schluss, dass von einer an der gesetzlichen Systematik ausgerichteten stringenten Verordnungspraxis keine Rede sein kann. Lediglich am Rande sei darauf hingewiesen, dass mehrere Krankenkassenvertreter in Telefonaten dem Berichterstatter diese Annahme bestätigt haben, jedoch zu einer entsprechenden schriftlichen Äußerung nicht bereit waren, um - so ein Vertreter - "den Ärzten nicht zu nahe zu treten". Diese systemwidrige Verordnungspraxis hat zur Konsequenz, dass Transportscheine mit dem angekreuzten Kästchen bei "Krankentransportwagen" allein kein ausreichender Beleg für von der Antragstellerin durchgeführte Transporte nach dem Rettungsgesetz sind, weil ihnen nicht eindeutig entnommen werden kann, dass ein solcher Transport verordnet wurde oder werden sollte und notwendig war. Dies wäre nach den vorstehenden Ausführungen allenfalls dann der Fall, wenn neben dem genannten Kästchen auch das Kästchen "ja" in der Rubrik "fachliche Betreuung erforderlich" angekreuzt wäre, was jedoch auf keinen der in den Akten befindlichen Transportscheine zutrifft.

Zwar ergibt sich aus den Transportscheinen, in denen Krankentransportwagen angekreuzt, die Rubrik "fachliche Betreuung erforderlich" dagegen nicht ausgefüllt ist, nicht eindeutig, was für eine Fahrt verordnet werden sollte, da jedenfalls nach dem Schein nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Transport mit fachlicher Betreuung gewollt war. Auch dies dürfte der Antragstellerin jedoch im Hinblick auf den hier streitigen Vorwurf solange nicht entgegen gehalten werden können, bis die wahre Absicht des verordnenden Arztes geklärt ist. Die Transportscheine sind - wie bereits ausgeführt - weder vom Rettungsgesetz vorgeschriebene amtliche Formulare noch besteht ihre Aufgabe darin, der Behörde die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften des Rettungsgesetzes zu ermöglichen und etwaige Verstöße aufzudecken. Vielmehr dienen sie im Wesentlichen als Abrechnungsbelege der Transportunternehmen gegenüber den Krankenkassen. Demzufolge muss der Transportunternehmer zwar Abrechnungsschwierigkeiten mit der Krankenkasse befürchten, wenn er einen Transport auf Grund eines nicht vollständig bzw. nicht eindeutig ausgefüllten Transportscheins ausgeführt hat, bestenfalls weil er sich mit dem Arzt außerhalb des Transportscheins über die Art des Transports verständigt hat. Auch muss der Arzt gegebenenfalls mit Konsequenzen rechnen, weil er entgegen Sinn und Zweck der Krankentransportrichtlinien keine eindeutige Verordnung ausgestellt hat. Tragfähige Rückschlüsse auf ungenehmigte Krankentransporte nach dem Rettungsgesetz können daraus jedoch mit Ausnahme der bereits erwähnten Konstellation, dass in dem Transportschein die Erforderlichkeit fachlicher Betreuung bejaht wurde, nicht ohne Weiteres gezogen werden. Dies gibt Anlass zu der Anmerkung, dass die eingeführten Transportscheine mit Blick auf das Rettungsgesetz mit dem Ziel einer eindeutigen Aussagekraft und Gesetzeskongruenz von zuständiger Stelle überprüft werden sollten.

Die Durchführung ungenehmigter Krankentransporte durch die Antragstellerin hat der Antragsgegner schließlich auch nicht in anderer Form dargelegt. ... (wird ausgeführt)

Vor diesem Hintergrund überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin auch bezüglich der in der Ordnungsverfügung enthaltenen Zwangsgeldandrohung. Zum einen bewirkt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die in der Ordnungsverfügung enthaltene Untersagung, dass es an einem vollziehbaren Verwaltungsakt als Grundlage von Vollstreckungsmaßnahmen gemäß § 55 Abs. 1 VwVG fehlt, zu denen auch die Androhung von Zwangsmitteln gehört. Zum anderen besteht an der zwangsweise Durchsetzung einer Untersagung, die voraussichtlich keinen Bestand haben wird, kein öffentliches Interesse.

Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt schließlich auch hinsichtlich der mit der Ordnungsverfügung vom 16.4.2004 erfolgten Zwangsgeldfestsetzung. Insoweit gelten die vorstehenden Gründe entsprechend.

Ende der Entscheidung

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