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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 15.07.2005
Aktenzeichen: 13 E 466/04.T
Rechtsgebiete: HeilBerG


Vorschriften:

HeilBerG § 29 Abs. 1
HeilBerG § 30
HeilBerG § 31
HeilBerG § 58 Abs. 3
Zum richtigen Rechtsmittel gegen die Erteilung einer Rüge durch eine Heilberufskammer und zur (Nicht-)Beteiligung der Aufsichtsbehörde im gerichtlichen Verfahren (Rechtslage in Nordrhein-Westfalen).
Tatbestand:

Die Antragsgegnerin, eine Zahnärztekammer, erteilte der Antragstellerin, einer Zahnärztin, eine Rüge, weil diese während eines zahnärztlichen Notfalldienstes nicht die erforderliche Bereitschaft für die Behandlung eines Jungen, der bei einem Sturz Schäden an den Zähnen erlitten hatte, gezeigt habe. Die Antragstellerin erhob dagegen "Klage". Das Berufsgericht für Heilberufe lehnte das als Antrag auf gerichtliche Nachprüfung gewertete Rechtsmittel durch Beschluss ab. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Die Beschwerde ist statthaft. Sie ist das richtige Rechtsmittel gegen den angefochtenen Beschluss des Berufsgerichts für Heilberufe.

Die der Antragstellerin erteilte Rüge beruht auf § 58 Abs. 1 HeilBerG 2000 (GV. NRW. S. 403).

Nach § 58 Abs. 3 Satz 1 HeilBerG 2000 unterliegt die Rüge der berufsgerichtlichen Nachprüfung. In welcher Art und Weise und in welchem Verfahren die berufsgerichtliche Nachprüfung einer Rüge zu erfolgen hat, ist in § 58 HeilBerG 2000 nicht geregelt. Der Senat geht davon aus, dass dies nicht in einem förmlichen berufsgerichtlichen Verfahren nach den Bestimmungen der §§ 60 ff. HeilBerG, das durch einen Antrag auf Eröffnung (§ 71 Abs. 1 HeilBerG) eingeleitet und durch einen Beschluss des Berufsgerichts für Heilberufe eröffnet wird (§ 75 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG), und in der dabei grundsätzlich vorgesehenen Entscheidungsform eines Urteils auf Grund einer Hauptverhandlung geschehen muss. Das Rügerecht des Vorstands einer Heilberufskammer steht im Heilberufsgesetz eigenständig im V. Abschnitt vor dem die Berufsgerichtsbarkeit und das berufsgerichtliche Verfahren betreffenden VI. Abschnitt. § 58 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG 2000 eröffnet die Möglichkeit einer Rüge nur dann, "wenn die Schuld gering ist und der Antrag auf Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich erscheint". Die Rüge gehört auch nicht zu den Maßnahmen, auf die gemäß § 60 HeilBerG im berufsgerichtlichen Verfahren erkannt werden kann. Der mit einer Rüge bedachte Kammerangehörige unterfällt zudem nicht dem Begriff des "Beschuldigten", der im formellen berufsgerichtlichen Verfahren gilt. Schon diese Umstände stehen der Einschätzung entgegen, die berufsgerichtliche Nachprüfung einer Rüge gemäß § 58 HeilBerG 2000 sei den Bestimmungen für ein förmliches berufsgerichtliches Verfahren zu unterwerfen. Diese Sicht wird zudem deutlich aus dem Willen des Gesetzgebers zu § 58 HeilBerG. Diese Bestimmung wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Heilberufsgesetzes vom 22.2.1994 (GV. NRW. S. 80) als § 47 e in die damals geltende Fassung des Heilberufsgesetzes eingefügt. Nach der Begründung für die Gesetzesänderung (LT-Drucks. 11/5673, S. 2, 34; 11/6630, S. 26) lag dem die Einschätzung zu Grunde, dass nicht alle berufsrechtlichen Verfehlungen zu einem berufsgerichtlichen Verfahren führen und dass im Einzelfall bei geringem Schuldvorwurf eine Rüge ausreichend sein kann. Die Einräumung eines Rügerechts wurde als ein Verfahren angesehen, "das den Kammern die Möglichkeit gibt, neben Abmahnungen durch den Präsidenten eine weitere Disziplinarmaßnahme zu ergreifen, ohne dass dies zu einem berufsgerichtlichen Verfahren führt"; die Einführung eines Rügerechts der Kammern bei geringen Berufspflichtverletzungen ihrer Angehörigen sollte gerade auch zur Entlastung der Heilberufsgerichte dienen. Dieser gesetzgeberische Wille indiziert, dass für eine berufsgerichtliche Nachprüfung einer Rüge nicht die formellen Erfordernisse eines formalisierten berufsgerichtlichen Verfahren gelten (sollen). Soweit der 1. Senat des Landesberufsgerichts für Heilberufe beim OVG NRW im Rahmen einer Berufung durch Urteil über eine letztlich zu Grunde liegende Rüge einer Heilberufskammer entschieden hat (Urteil vom 29.1.2003 - 6t A 4560/00.T -, MedR 2004,343) - was u.U. deshalb geboten war, weil in jenem Verfahren auch das erstinstanzliche Berufsgericht durch Urteil und nicht, wie hier, durch Beschluss entschieden hatte -, hält der Senat die Notwendigkeit einer solchen Entscheidungsform in diesem Verfahren nicht für geboten.

In Konsequenz der vorstehenden Erwägungen hat das Berufsgericht zu Recht durch Beschluss entschieden und dabei den als "Klage" bezeichneten Rechtsbehelf der Antragstellerin als Antrag auf gerichtliche Nachprüfung angesehen. Das Berufsgericht hat auch zutreffend von einer Einbeziehung der Aufsichtsbehörde bzw. der zuständigen Bezirksregierung als Vertretung der Aufsichtsbehörde in das Verfahren abgesehen. Eine Einbeziehung dieser Beteiligten in das Beschwerdeverfahren ist ebenfalls nicht geboten. Die Aufsichtsbehörde ist nach den Bestimmungen des Heilberufsgesetzes bei Erlass einer Wahlordnung für die Durchführung der Wahl zur Kammerversammlung (§ 18 HeilBerG 2000) und im förmlichen berufsgerichtlichen Verfahren zu beteiligen (z. B. §§ 71 Abs. 1, 75 Abs. 2 HeilBerG 2000). Eine Beteiligung der Aufsichtsbehörde im Rahmen des § 58 HeilBerG 2000 ist hingegen dort nicht vorgesehen und vor dem Hintergrund des Zwecks der Beteiligung der Aufsichtsbehörde in einem berufsgerichtlichen Verfahren, ihr eine Wertung zu ermöglichen im Hinblick darauf, ob ggf. weitere staatliche Maßnahmen wie beispielsweise die Entziehung der Approbation gegen den Betreffenden in Betracht kommen, wegen der Geringfügigkeit der einer Rüge zu Grunde liegenden Berufspflichtverletzung auch nicht geboten.

Da der angefochtene Beschluss des Berufsgerichts nicht in einem formellen berufsgerichtlichen Verfahren ergangen ist, steht auch nicht der Rechtsbehelf des Antrags auf mündliche Verhandlung (§ 83 Abs. 2 Satz 1 HeilBerG 2000) in Frage.

Eine Beschränkung dahingehend, dass die berufsgerichtliche Nachprüfung einer Rüge nur durch eine berufsgerichtliche Instanz erfolgen und eine zweitinstanzliche Überprüfung dieser Entscheidung nicht durchgeführt werden soll, kann dem § 58 Abs. 3 HeilBerG 2000 nicht entnommen werden. Dazu hätte es einer eindeutigen gesetzlichen Formulierung bedurft. Da diese nicht erfolgt ist, kann die "berufsgerichtliche Nachprüfung" im Sinne des § 58 Abs. 3 HeilBerG 2000 nur dahin verstanden werden, dass dies - wie üblich - durch zwei Instanzen geschieht.

Vgl. a. A. offenbar für Bayern: Bay. Landesberufsgericht für die Heilberufe, Urteil vom 11.6.1999 - LBG-Ä-2/97 -, Sammlung von Entscheidungen der Berufsgerichte für die Heilberufe, 9. Erg.Lfg., B 5 Nr. 2.12.

Nach §§ 105 Abs. 1, 112 HeilBerG 2000, die der Senat auch bezüglich des § 58 HeilBerG 2000 für relevant hält, ist in Verfahren vor den Berufsgerichten für Heilberufe und vor dem Landesberufsgericht für Heilberufe die Beschwerde nach den Vorschriften der Strafprozessordnung zulässig und finden deren Vorschriften sinngemäß Anwendung. Gemäß § 304 Abs. 1 StPO ist die Beschwerde gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug erlassenen Beschlüsse zulässig. Bestimmungen, die ausdrücklich eine Anfechtung ausschließen, sind nicht ersichtlich. Ob in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses des Berufsgerichts angesichts dessen, dass die Beschwerde nach §§ 304 ff. StPO nicht an eine bestimmte Frist gebunden und die sofortige Beschwerde nach § 311 Abs. 2 StPO nicht gegeben ist, zu Recht auf eine Zwei-Wochen-Frist für die Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluss hingewiesen wurde, kann dahinstehen, weil diese Frist durch die Antragstellerin eingehalten wurde.

Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Der angefochtene Beschluss des Berufsgerichts ist nicht zu beanstanden.

Gemäß § 29 Abs. 1 HeilBerG 2000 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 5 der auf §§ 30, 31 HeilBerG 2000 beruhenden Berufsordnung der Antragsgegnerin vom 11.5.1996 (MBl. NRW. S. 1668) in der Änderungsfassung vom 12.5.2001 (MBl. NRW. S. 1373) sind die Kammerangehörigen verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen sowie ihr Wissen und Können in den Dienst der Wiederherstellung der Gesundheit zu stellen. Gegen diese Pflichten hat die Antragstellerin verstoßen, indem sie während des Notfalldienstes die erforderliche Behandlungsbereitschaft für den Gestürzten nicht deutlich zum Ausdruck gebracht hat.

Zwar enthält die Notfalldienstordnung, die als Anlage 2 Bestandteil der Berufsordnung der Antragsgegnerin ist, keine konkrete Beschreibung, wie ein Notfall vom diensthabenden Zahnarzt zu handhaben und zu behandeln ist. Dies kann naturgemäß auch nicht abstrakt geregelt werden, ist vielmehr dem Entscheidungsermessen des Zahnarztes vorbehalten und abhängig von der spezifischen Notfallsituation. Diese war hier dadurch gekennzeichnet, dass die Mutter des Notfallpatienten der Antragstellerin in einem Telefongespräch geschildert hatte, ihr Sohn sei gestürzt und bei dem Sturz seien seine Zähne beschädigt worden. Von dieser Situation ist, wie ihre handschriftlichen Aufzeichnungen erkennen lassen, auch die Antragstellerin ausgegangen. Bei auf einen Unfall zurückzuführenden Zahnschäden ist es nach Auffassung des Senats aber unerlässlich, dass sich ein Zahnarzt umgehend persönlich ein Bild vom Schaden an den Zähnen macht, weil die Zähne (teilweise) abgebrochen sein und/oder in den Kieferbereich gedrückt worden sein oder sonstige Verletzungen des Kiefers oder der Mundhöhle verursacht haben können und deshalb eine schnelle notfallmäßige Versorgung des Patienten durch den Zahnarzt, zu der beispielsweise auch eine Überweisung in eine Zahnklinik gehören kann, zwingend geboten ist. Darin liegt gerade auch der Zweck der telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Notdienst-Zahnarzt und der Inanspruchnahme des zahnärztlichen Notdienstes bei sturzbedingten Zahnschäden. Ein zahnmedizinischer Laie wird zudem kaum oder gar nicht das Ausmaß von durch einen Sturz verursachten Zahnschäden und die Dringlichkeit zahnärztlicher Maßnahmen erkennen können, was ebenfalls die Notwendigkeit einer persönlichen Begutachtung des Unfallopfers durch den Zahnarzt deutlich macht.

In einer solchen Situation kommt im Rahmen des Notfalldienstes der Frage nach Schmerzen beim Patienten und nach dem Umfang zahnärztlicher Versorgungs- und Behandlungsmaßnahmen hingegen nur sekundäre Bedeutung zu, so dass eine solche Frage als fehlerhafter Ansatz für eine unfallbedingte Notfallbehandlung erscheint. Diese Fragen können bei der persönlichen Begutachtung des Unfallopfers durch den Zahnarzt geklärt werden, sind aber bei realitätsnaher Betrachtung für eine Notfallbehandlung nach einem Unfall ungeeignet und erwecken den Anschein, dass mit der Frage u. a. nach Schmerzen beim Patienten die Notwendigkeit einer persönlichen Inaugenscheinnahme und Behandlung verdrängt werden soll. Dies gilt um so mehr, wenn der unterschiedliche Grad der Betroffenheit der Teilnehmer eines Notfallgesprächs berücksichtigt wird. Der Notdienst habende Zahnarzt muss mit solchen Gesprächen und Situationen rechnen und kann sich medizinisch und psychisch darauf einstellen, während auf Seiten des einen Notfall meldenden Anrufers eine gewisse Aufgeregtheit und psychische Labilität bestehen wird, auf Grund derer Zweifel angezeigt sind, dass dem Zahnarzt die Schäden am Gebiss eines Unfallopfers eindeutig und vollständig geschildert werden. Gerade diese Umstände begründen die vorrangige Verpflichtung des Notdienst leistenden Zahnarztes, sich persönlich ein Bild von den Zahnschäden beim Patienten zu machen und die Frage nach Schmerzen nicht in den Vordergrund eines Telefongespräches während des Notfalldienstes zu stellen. Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der Notfallpatient seinerzeit Schmerzen verneint hatte oder ob davon ausgegangen werden konnte, dass er Schmerzen gehabt haben muss, kommt es daher nicht entscheidend an. Die Berufspflichtverletzung der Antragstellerin liegt darin, in dem Telefongespräch nicht sofort die persönliche Inaugenscheinnahme des Patienten für erforderlich gehalten und den Patienten nicht sofort einbestellt zu haben.

Ende der Entscheidung

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