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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 12.07.2004
Aktenzeichen: 13a D 43/04
Rechtsgebiete: VwGO, PflSchG, UIG, ChemG


Vorschriften:

VwGO § 99 Abs. 2
PflSchG § 18c Abs. 1
PflSchG § 18c Abs. 2
UIG § 8 Abs. 1
ChemG § 22
Ob ein Hersteller von Pflanzenschutzmitteln überhaupt Alkylphenolethoxylate verwendet und in welchen Produkten sowie mit welchen Anteilen, ist ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis.

Alkylphenolethoxylat ist pflanzenschutzrechtlich nicht vom Geheimnisschutz ausgeschlossen.


Tatbestand:

Nachdem das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die vom Kläger begehrte Information u. a. über die Zulassungsinhaber für alkylphenolethoxylathaltige Pflanzenschutzmittel abgelehnt hatte, erhob er Verpflichtungsklage. Die zu dieser Klage übersandten Verwaltungsvorgänge enthielten Angaben über die nachgefragten Zulassungsinhaber, die das Bundesamt nicht zu veröffentlichen zugesagt hatte; sie wurden daher vom VG zurückgereicht. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft lehnte die Vorlage der Aktenteile, die die nachgefragten Informationen enthielten, ab. Der Antrag des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verweigerung der Aktenvorlage hatte vor dem OVG keinen Erfolg.

Gründe:

Nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann die Oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage u. a. von Akten verweigern, wenn die Vorgänge u. a. nach einem Gesetz geheimgehalten werden müssen. Gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO stellt das Oberverwaltungsgericht, dort der zuständige Fachsenat, auf Antrag eines Beteiligten fest, ob die Verweigerung rechtmäßig ist. Der Fachsenat entscheidet im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nur, ob die Oberste Aufsichtsbehörde ihr durch § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräumtes Ermessen rechtmäßig ausgeübt hat.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.8.2003 - 20 F 8.03 -, NVwZ 2004, 105.

Er entscheidet hingegen nicht über den Gegenstand des Hauptsacheverfahrens oder über Teile davon, weil er insoweit nicht der gesetzliche Richter ist. Die Ermessensentscheidung der Obersten Aufsichtsbehörde bezieht sich nur auf die der Vorlage- und Auskunftspflicht unterliegenden Akten. Ob und welche Akten entscheidungserheblich und zur gebotenen vollständigen Sachaufklärung dem Gericht vorzulegen sind, entscheidet das Gericht der Hauptsache.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.8.2004 - 20 F 9.03 -, a. a. O.

Ob diese Entscheidung hier durch die Verfügungen des Kammervorsitzenden - der allein nicht das Gericht der Hauptsache ist und regelmäßig ohne Durchsicht der Vorgänge ihre Bedeutung für das Hauptsacheverfahren nicht kennt - und zwar vom 2.9. 2003 oder vom 6. und 29.10.2003 ergangen ist, mag offen bleiben. Jedenfalls kommt in der Verfügung vom 29.10.2003 zum Ausdruck, dass mit einer Offenlegung der hier strittigen Akten das auf den Inhalt dieser Aktenteile gerichtete Auskunftsbegehren des Klägers im Hauptsacheverfahren erledigt ist. Hieraus folgt, dass es entscheidungserheblich auf die Qualifizierung des Inhalts der strittigen Akten und damit auf deren Vorlage ankommt.

Die sinngemäße Entscheidung des beigeladenen Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), die Vorlage der strittigen Akten, nämlich derjenigen Schreiben des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, die Informationen über die Zulassungsinhaber für alkylphenolethoxylathaltige Pflanzenschutzmittel enthalten, zu verweigern, ist ermessensfehlerfrei.

Das BMVEL hat mit der bezeichneten Stellungnahme an das VG im Ergebnis eine Ermessensentscheidung getroffen. Dass diese erst nach entsprechenden Hinweisen des VG und Rücksendung der Akten an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BAVL) erfolgte, ist unerheblich. Das beigeladene BMVEL ist davon ausgegangen, dass der Inhalt der Akten dem aus § 18c PflSchG und § 8 UIG folgenden Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie des geistigen Eigentums unterfällt. Es hat dem ein eventuelles öffentliches Informationsinteresse gegenübergestellt, dessen Überwiegen eine Offenbarung dieser Geheimnisse gleichwohl hätte rechtfertigen können. Derartige Interessen hat es unter Bezugnahme auf die Ausführungen des BAVL in der Klageerwiderung vom 21.11.2003 im Hauptsacheverfahren jedoch verneint, so dass es dem Geheimnisschutz weiterhin Vorrang eingeräumt hat. Das reicht für die Annahme einer Ermessensentscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO aus.

Das Ermessensergebnis des BMVEL ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ob § 8 UIG überhaupt anwendbar ist oder von der spezielleren Vorschrift des § 18c PflSchG verdrängt wird, kann offen bleiben.

Zutreffend ist das BMVEL hinsichtlich des Inhalts der strittigen Akten von Geheimnissen im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 UIG und § 18c Abs. 1 PflSchG ausgegangen. Der Senat hat die Akten eingesehen. Sie enthalten Angaben über Hersteller von alkylphenolethoxylathaltigen Pflanzenschutzmitteln und über Mengen dieses Stoffes. Ob ein Hersteller von Pflanzenschutzmitteln überhaupt Alkylphenolethoxylate verwendet und in welchen Produkten sowie mit welchen Anteilen das der Fall ist, ist ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis, weil das Wissen über die Verwendung dieses Stoffes in der Produktherstellung durch Aufwendung eigener Mittel des Herstellers erworben und zur kommerziellen Nutzung durch das betreffende Unternehmen bestimmt sowie nur einem ausgesuchten Kreis Informierter vorbehalten ist.

Zutreffend ist das beigeladene BMVEL auch davon ausgegangen, dass die Ausschlusstatbestände des § 18c Abs. 2 PflSchG nicht vorliegen. Nr. 1 greift nicht, weil er nicht Pflanzenschutzmittel mit bestimmten Inhaltsstoffen erfasst; die Pflanzenschutzmittel schlechthin und die diesbezüglichen Zulassungsinhaber dürften überdies dem Kläger bekannt sein. Nr. 2 greift nicht, weil Alkylphenolethoxylate nach den überzeugenden Ausführungen des Beklagten in der Klageerwiderung, denen der Kläger insoweit nicht entgegengetreten ist, keine Wirkstoffe, sondern Beistoffe sind und die Vorschrift nach der klaren und eindeutigen und deshalb nicht erweiternd interpretierbaren Formulierung Beistoffe nicht erfasst. Nr. 3 ist nicht einschlägig, weil die hier nur in Betracht kommenden physikalisch-chemischen Angaben zum Pflanzenschutzmittel die gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen physikalisch-chemischen Eigenschaften des Mittels meint und Substanzanteile keine Eigenschaften darstellen. Nr. 6 greift nicht, weil Angaben über Verfahren zur Bestimmung bestimmter Substanzen nicht die Angabe der Substanzen selbst und ihrer Anteile in einem Pflanzenschutzmittel beinhalten. Zutreffend ist in der Stellungnahme, auf das das BMVEL in seiner Ermessensentscheidung verweist, ferner ausgeführt, dass die Regelungen des Chemikaliengesetzes keine Pflicht zur Offenbarung der von der Klägerin begehrten Information begründen können. Eine Verpflichtung der Behörde zur Offenbarung von einem umstrittenen Geheimnisschutz unterstellten Informationen setzt notwendigerweise einen grundsätzlichen Informationsanspruch des Anspruchsstellers voraus. § 22 ChemG gewährt nach seinem Wortlaut der Klägerin jedoch keinen Informationsanspruch über die von der Anmeldestelle zusammenzustellenden Mitteilungsinhalte. Folglich kann auch § 22 Abs. 3 ChemG keine Offenbarung derartiger Inhalte oder eine durchschlagende Gewichtung des Informationsinteresses Dritter an ihnen im Rahmen der behördlichen Ermessensabwägung begründen.

Dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen hat das beigeladene BMVEL bezugnehmend auf die Ausführungen in der Klageerwiderung hohes Gewicht beigemessen, was bei dem gesetzlichen Regel-Ausnahme-Prinzip zu Gunsten der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht zu beanstanden ist.

In nicht zu beanstandener Weise hat das BMVEL ein demgegenüber überwiegendes öffentliches Interesse an der Offenbarung verneint, weil eine Information der Öffentlichkeit zum Zweck des Umwelt- und Gesundheitsschutzes in Bezug auf alkylphenolethoxylathaltige Pflanzenschutzmittel nicht geboten erscheint. Das BAVL hat im Hauptsacheverfahren überzeugend ausgeführt, dass in Nahrungsmitteln für den Menschen eine durch alkylphenolethoxylathaltige Pflanzenschutzmittel möglicherweise eintretende Nonylphenolbelastung lediglich in einer solchen Menge erwartet werden kann, die für Erwachsene und Kleinkinder weit unterhalb der bei hohem Sicherheitsfaktor ermittelten Toleranzgrenze liegt und dass sich auch die Nonylphenolbelastung der Gewässer bei Einhaltung der vorgeschriebenen Applikationsabstände unterhalb der regionalen Gewässerbelastung und der für Gewässerorganismen bedenklichen Konzentration bewegt. Weiterhin ist überzeugend ausgeführt, dass diese Sicht der Dinge auch vom Europäischen Parlament und Rat geteilt wird. Dem ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten, insbesondere hat er zu den Gesundheitsauswirkungen auf Menschen und zur Umweltbelastung nicht Stellung genommen.

Soweit der Kläger darauf hinweist, dass die Geheimhaltung ohnehin nur bis zu einer Richtlinie über den Widerruf von Nonylphenolethoxylat gelten werde, ändert das an der gegenwärtigen Rechtslage betreffend die Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheinmissen nichts. Soweit er vorträgt, dass angesichts der nicht mehr erteilten Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit Alkylphenolethoxylaten kein Konkurrent die Rezepturen anderer Unternehmen - die im Übrigen auch nicht Gegenstand des Hauptsacheverfahrens seien - nachbilden werde, können die wirtschaftlichen Möglichkeiten einer weltweit kommerziellen Ausnutzung fremden Know-hows bei dessen Offenlegung nicht sicher abgeschätzt werden, so dass dem Geheimnisschutz auch unter dem Einwand des Klägers Vorrang zukommt. Soweit der Kläger meint, dass der mündige Bürger ohne die verfolgten Informationen keine bewusste Kaufentscheidung treffen könne, "mit der Belastung von Lebensmitteln durch Nonylphenole vermieden werden", zwingt das ebenfalls nicht zu einer durchschlagenden Gewichtung des Offenbarungsinteresses des Klägers und Dritter und lässt das nicht die Ermessensentscheidung des beigeladenen BMVEL rechtswidrig erscheinen. Der Endverbraucher kann bei der Auswahl des Lebensmittels ohnehin nicht feststellen, ob irgendwo in der Herstellungskette alkylphenolethoxylathaltige Pflanzenschutzmittel Verwendung gefunden haben, und für den Lebensmittelproduzenten wird regelmäßig weniger die von einigen Verbraucherkreisen befürchtete Nonylphenolbelastung von Lebensmitteln oder der Gewässer im Vordergrund stehen als vielmehr die nach Zulassung des Pflanzenschutzmittels bei Einhaltung der vorgeschriebenen Anwendungsbedingungen fachbehördlich festgestellte Unbedenklichkeit.



Ende der Entscheidung

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