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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 16.12.2004
Aktenzeichen: 14 A 1820/03
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
Die Regelung einer Hundesteuersatzung, die für die erhöhte Besteuerung individuell oder nach ihrer Rassezugehörigkeit "gefährliche Hunde" danach differenziert, ob diese vor oder nach einem - vor dem Inkrafttreten der Regelung liegenden - Stichtag (hier Erlass der Landeshundeverordnung NRW) angemeldet wurden, entbehrt einer sachlichen Rechtfertigung und verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Tatbestand:

Der Kläger hält seit 1997 einen Hund der Rasse American Staffordshire Terrier, den er nach dem 30.6.2000 bei der Beklagten anmeldete. Die Beklagte zog den Kläger für das Jahr 2001 auf der Grundlage der Hundesteuersatzung der Stadt M. i.d.F. der 4. Änderungssatzung zu einer erhöhten Hundesteuer für das Halten eines "gefährlichen Hundes" heran.

Vor dem Erlass der 4. Änderungssatzung zur Hundesteuersatzung war eine erhöhte Besteuerung von "Kampfhunden" in der Stadt M. erstmalig durch die 2. Änderungssatzung vom 19.4.2000 geregelt worden, die am 1.1.2001 in Kraft treten sollte. Noch vor dem Inkrafttreten dieser Satzung passte der Rat der Stadt M. die Hundesteuersatzung durch die 3. Änderungssatzung an die Terminologie der inzwischen in Kraft getretenen Landeshundeverordnung NRW (LHV NRW) an und sah eine erhöhte Besteuerung nunmehr für "gefährliche Hunde" vor. Am 1.2.2001 änderte der Rat der Stadt M. mit der 4. Änderungssatzung die Besteuerung von "gefährlichen Hunden" rückwirkend zum 1.1.2001 dahin ab, dass nur noch solche "gefährlichen Hunde" der erhöhten Hundesteuer unterworfen sein sollten, die nach dem 30.6.2000 angemeldet worden waren.

Der gegen die erhöhte Besteuerung gerichteten Klage gab das OVG auf die Berufung des Klägers statt.

Gründe:

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig, soweit der Kläger mit ihnen zu einer erhöhten Hundesteuer herangezogen worden ist. Sie können sich nicht auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen, denn die Hundesteuersatzung der Beklagten in der Fassung der vierten Änderungssatzung ist unwirksam, soweit sie in § 2 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 eine erhöhte Besteuerung von nach dem 30.6.2000 angemeldeten "gefährlichen Hunden" regelt.

Diese Stichtagsregelung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie ohne sachlich rechtfertigenden Grund allein solche Halter "gefährlicher Hunde" der erhöhten Steuer unterwirft, die ihre Hunde nach dem 30.6.2000 angemeldet haben, während Halter früher angemeldeter "gefährlicher Hunde" nur mit dem einfachen Steuersatz belegt werden.

Kriterium für die Beurteilung, ob eine Stichtagsregelung mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist, ist es, ob der Normgeber "die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung sich im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint".

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.12.1976 - 1 BvR 810/70 u.a. -, BVerfGE 44, 1 [21].

Den Aufstellungsvorgängen für die vierte Änderungssatzung zur Hundesteuersatzung lässt sich nicht entnehmen, welche Erwägungen für den Rat der Stadt maßgebend waren, als er die Stichtagsregelung beschloss. Die Ratsvorlage der Verwaltung für die Sitzung vom 1.2.2001, in der die 4. Änderungssatzung beschlossen wurde, führt dazu lediglich aus, dass diese Differenzierung auf eine Anregung in der Hauptausschusssitzung vom 26.1.2001 (Einwohner- und Bürgerfragestunde) und eine nachfolgende Diskussion zurückgeht, die zum Auftrag an die Verwaltung geführt hat, eine entsprechende Vorlage zu erarbeiten. Das Protokoll der Hauptausschusssitzung vom 26.1.2001 wiederum weist dazu nur aus, dass der Vorschlag, diesen Stichtag (allerdings auf das Halten und nicht auf das Anmelden der Hunde abstellend) einzuführen, von einer Tierärztin stammt und "die überwiegende Zustimmung des Hauptausschusses" fand. Gesichtspunkte, die für den Vorschlag und die Zustimmung maßgebend waren, weist das Protokoll nicht aus. Nichts anderes gilt für die Ratssitzung vom 1.2.2001 selbst. Dem zugehörige Protokoll lässt sich dazu nur entnehmen, dass ein Antrag, ohne Berücksichtigung des Anmeldezeitpunktes für alle sogenannten "Kampfhunde" die erhöhte Steuer vorzusehen, mehrheitlich abgelehnt worden ist. Die für diese Ablehnung maßgeblichen Gründe sind in der Niederschrift nicht festgehalten.

Wegen dieses Schweigens des Normgebers kann nur aus dem Zusammenhang der Regelung und der Normentstehung beurteilt werden, ob sich für die getroffene Stichtagsregelung sachlich rechtfertigende Gründe finden lassen. Das ist jedoch nicht der Fall.

Der gewählte Stichtag ist der des Datums, das die Landeshundeverordnung NRW trägt, nicht jedoch der ihres Inkrafttreten, das nach § 12 Abs. 1 Satz 1 LHV NRW auf den Tag nach der Verkündung im GV. NRW. vom 5.7.2000, also auf den 6.7.2000, fiel. Trotz dieses Auseinanderfallens der Daten ist jedoch davon auszugehen, dass der Satzungsgeber bei Einführung des Stichtages die LHV NRW im Blick hatte und mit seiner Entscheidung, "gefährliche Hunde" höher zu besteuern, in irgend einer Weise an das Inkrafttreten der LHV NRW anknüpfen wollte.

Aber auch ausgehend davon, dass der Satzungsgeber an die LHV NRW zeitlich anknüpfen wollte, lässt sich kein sinnvoller Grund dafür finden, ab dem 1.1.2001 nur "gefährliche Hunde" höher zu besteuern, die nach dem 30.6.2000 angemeldet wurden, und die davor angemeldeten davon auszunehmen.

Vertrauensgesichtspunkte hinsichtlich der niedrigen Besteuerung bei den Haltern von vor dem Stichtag angemeldeten Hunde sind nicht erkennbar. Ein solches Vertrauen müsste sich, da es um die Besteuerung geht, darauf gerichtet haben, für den vor dem Stichtag angemeldeten "gefährlichen Hund" künftig keine erhöhte Steuer zahlen zu müssen. Abgesehen davon, dass es für eine solche Erwartung keine Rechtfertigung gibt, lässt sich auch nicht erkennen, warum eine solche Erwartung bei denjenigen, die den "gefährlichen Hund" nach dem 30.6.2000 angemeldet haben und auf deren Hundebestand die Satzung - in unechter Rückwirkung - die erhöhten Sätze anwendet, weniger schutzwürdig sein soll als bei den Haltern vorher angemeldeter Hunde. Dass mit dem Inkrafttreten der Landeshundeverordnung NRW für gefährliche Hunde auf Landesebene erhebliche ordnungsrechtliche Einschränkungen eingeführt wurden, hat keinen erkennbaren Zusammenhang mit der Frage, ob in der Gemeinde eine erhöhte Besteuerung des Haltens von "gefährlichen Hunden" mit Lenkungsabsicht eingeführt würde oder nicht. Wenn schon vor dem Inkrafttreten der vierten Änderungssatzung in M. mit einer erhöhten Besteuerung "gefährlicher Hunde" gerechnet werden musste, so war dies bereits seit dem Beschluss des Rates über die zweite Änderungssatzung im April 2000 der Fall, als erstmals eine erhöhte Besteuerung von "Kampfhunden" in der Stadt M. eingeführt wurde. Der Stichtag "30.6.2000" hat zu auf die Besteuerung "gefährlicher Hunde" gerichteten Erwartungen und Hoffnungen von Hundehaltern dagegen keinerlei Bezug.

Ein Weiteres kommt hinzu: Das Abstellen der Stichtagsregelung auf den Zeitpunkt der "Anmeldung" des Hundes hat keine erkennbare sachliche Rechtfertigung. Wenn man zwischen den Altfällen (bereits gehaltene Hunde) und den Neufällen (neu angeschaffte Hunde) unter dem Gesichtspunkt der Lenkungswirkung (Zurückdrängen der "gefährlichen Hunde" in der Gemeinde durch steuerliche "Sanktionierung" nur der Neuanschaffung) hätte unterscheiden wollen, so hätte auf das "Halten" des Hundes und nicht auf die Anmeldung abgestellt werden müssen. Nur da, wo - anders als im Falle des Klägers, dessen Hundehaltung die Beklagte für mehrere Jahre nachversteuert hat - nicht hätte festgestellt werden können, wann der Hund angeschafft worden ist, wäre möglicherweise der Anmeldezeitpunkt ein tauglicher (Ersatz-)Anknüpfungspunkt gewesen. Im Übrigen wäre auch für eine allein Neuanschaffungen "gefährlicher Hunde" ins Auge fassende Lenkungsabsicht das Datum 30.6.2000 willkürlich gegriffen. Denn eine "rückwirkende Lenkung" von Neuanschaffungen durch eine im Februar 2001 beschlossene Regelung kommt für die Anschaffungen zwischen dem 30.6.2000 und dem Inkrafttreten dieser Regelung ebenso wenig in Betracht wie für die Zeit davor.

Die Willkürlichkeit der Stichtagsregelung wird besonders augenfällig, wenn man bedenkt, dass sie nicht nur die nach Rassemerkmalen in § 2 Abs. 3 der Satzung als gefährlich definierten Hunde, sondern auch die Hunde nach § 2 LHV NRW betrifft, also diejenigen, die sich unabhängig von ihrer Rassezugehörigkeit individuell als gefährlich erweisen. Bei diesen Hunden kann die erhöhte Besteuerung nach der Satzung erst dann einsetzen, wenn der jeweilige Tatbestand nach § 2 Buchst. a) bis d) erfüllt ist. Unterstellt man den Fall zweier Hunde einer nicht unter § 2 Abs. 3 der Satzung fallenden Rasse, die beide nach Inkrafttreten der Satzung eine Ausbildung zum Schutzhund erhalten (§ 2 Buchst. a) LHV NRW), sich beide nach diesem Zeitpunkt als bissig erweisen (§ 2 Buchst. b) LHV NRW), in gefahrdrohender Weise einen Menschen anspringen oder unkontrolliert Wild, Vieh, Katzen oder Hunde hetzen oder reißen (§ 2 Buchst. c) und d) LHV NRW), so führt die Satzung zu unterschiedlicher Besteuerung, wenn der eine Hund bis zum 30.6.2000 und der andere danach angemeldet wurden. Irgendein rational nachvollziehbarer Grund für diese Ungleichbehandlung kann nicht gefunden werden, weder unter steuerlichen Gesichtspunkten noch unter dem des mit der erhöhten Besteuerung verfolgten Lenkungszweckes.

Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz, der darin liegt, dass nur nach dem 30.6.2000 angemeldete Hunde erhöht besteuert werden, führt zur Nichtigkeit der Regelungen über die erhöhte Hundesteuer, nicht aber zur Gesamtnichtigkeit der vierten Änderungssatzung. Die vierte Änderungssatzung hat nämlich nicht nur die erhöhte Hundesteuer geregelt, sondern zugleich auch die erhöhte Hundesteuer für vor dem 1.7.2000 angemeldete "gefährliche Hunde", die nach der Satzung in der Fassung der dritten Änderungssatzung ebenfalls erhöht besteuert wurden, abgeschafft. Diese Aufhebung der erhöhten Besteuerung begegnet keinen rechtlichen Bedenken und ist ihrerseits wirksam, so dass lediglich die Beibehaltung einer erhöhten Hundesteuer für die nach dem 30.6.2000 angemeldeten Hunde fehlerhaft ist und entfällt. Hieraus folgt, dass die Teilnichtigkeit der vierten Änderungssatzung nicht zum Wiederaufleben der Besteuerung nach den Vorgaben der dritten Änderungssatzung (kein Stichtag, doppelt so hoher Steuersatz) führt, sondern nur zum Wegfall der Rechtsgrundlage für eine Höherbesteuerung "gefährlicher Hunde".

Ende der Entscheidung

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