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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 07.04.2005
Aktenzeichen: 14 A 1970/03
Rechtsgebiete: UStG, VwVfG NRW


Vorschriften:

UStG § 4 Nr. 20 a) S 2
VwVfG NRW § 22
Die für die Erteilung der Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 a) Satz 2 UStG zuständige Landesbehörde ist auf Antrag bzw. Anregung der Finanzverwaltung berechtigt und verpflichtet zu prüfen, ob die Einrichtungen anderer Unternehmer als des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände (hier: Museum einer privaten Stiftung) die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllen wie die in Satz 1 der Vorschrift genannten, und, wenn dies der Fall ist, eine entsprechende Bescheinigung zu erteilen. Auf das Vorliegen eines Antrags des Unternehmers oder sein Einverständnis mit der Erteilung der Bescheinigung kommt es nicht an.
Tatbestand:

Die Klägerin, eine Stiftung des privaten Rechts, betreibt ein Museum. Etwa ein halbes Jahr nach Aufnahme des Museumsbetriebes teilte das für die Umsatzsteuer zuständige Finanzamt diese Tatsache der beklagten Bezirksregierung mit und beantragte eine Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 20 a) UStG über die Steuerfreiheit der von dem Museum getätigten Umsätze. Die Klägerin ist der Auffassung, dass eine solche Bescheinigung nicht ohne ihren Antrag und gegen ihren Willen ausgestellt werden dürfe. Die Beklagte stellte die vom Finanzamt erbetene Bescheinigung aus. Klage und Berufung der Klägerin hatten keinen Erfolg.

Gründe:

Die Erteilung der streitigen Bescheinigung ist entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht deshalb rechtswidrig, weil sie ohne deren Antrag auf Veranlassung des Finanzamtes erfolgt ist. Die nach § 4 Nr. 20 a) Satz 2 UStG zur Erteilung der Bescheinigung berufene Landesbehörde ist befugt, ohne dass der Unternehmer mitwirkt, diese Bescheinigung zu erteilen, wenn das Finanzamt deswegen an sie herantritt. Der Senat schließt sich insoweit in vollem Umfang den Ausführungen des Hamb. OVG in dessen Urteil vom 23.5.2003 - 1 Bf 399/02 -, DÖV 2004, 626 = Gew Arch 2004, 310, an, das den Beteiligten bekannt ist und zu dem sie auch Stellung genommen haben. Die dortigen Ausführungen zur Auslegung dieser Vorschrift aus dem Regelungszusammenhang, der Entstehungsgeschichte, den europarechtlichen Vorgaben und der Zweckbestimmung heraus werden vom Senat geteilt.

Die gegen diese Rechtsauffassung vorgebrachten Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch.

Dies gilt zunächst zu ihren Ausführungen betreffend § 22 VwVfG NRW. Diese Vorschrift steht der Erteilung der Bescheinigung auf Veranlassung des Finanzamtes nicht entgegen und zwar unabhängig davon, ob man ein Antragsrecht des Finanzamtes auf Tätigwerden der Landesbehörde annimmt oder ob es sich lediglich um Anregungen handelt.

Geht man von einem Antragsrecht aus, so muss die Landesbehörde, wenn die zu bescheinigenden Tatsachen vorliegen, nach § 22 Satz 2 Nr. 1 VwVfG NRW die Bescheinigung erteilen. Handelt es sich dagegen nur um eine "Anregung", gilt im Ergebnis nichts anderes. Die Behörde muss in diesem Fall nach § 22 Satz 1 VwVfG NRW entscheiden, ob sie in das Verfahren zur Feststellung der zu bescheinigenden Tatsachen eintritt. Sie ist daran nicht durch § 22 Satz 2 Nr. 2 VwVfG NRW gehindert, denn Rechtsvorschriften, aus denen sich ergibt, dass sie ohne Antrag nicht tätig werden dürfe, bestehen nicht. Für die somit zu treffende Entscheidung über die Durchführung des Verfahrens verbleibt ihr kein Ermessensspielraum, der sie berechtigen könnte, von der Prüfung abzusehen, ob der Unternehmer die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt, wie die in § 4 Nr. 20 a) Satz 1 UStG aufgeführten Einrichtungen, oder davon abzusehen, einen entsprechenden feststellenden Verwaltungsakt (Bescheinigung) zu erlassen, wenn dies der Fall ist. Wird die Landesbehörde nämlich im Rahmen des Besteuerungsverfahrens um Prüfung ersucht, ob die ihrer Beurteilung obliegenden Tatbestandsmerkmale des § 4 Nr. 20 a) Satz 2 UStG vorliegen, ist sie in das Besteuerungsverfahren eingebunden, das seinerseits der Finanzbehörde keinerlei Entscheidungsspielraum lässt, wenn die materiellen Voraussetzungen der Norm gegeben sind. Die Feststellung, die von der Landesbehörde durchzuführen ist, ist notwendiger Bestandteil dieses Besteuerungsverfahrens. Das für diese Feststellung erforderliche Verwaltungsverfahren muss deshalb von dieser in gleicher Weise ohne Entscheidungsspielraum durchgeführt werden, ob sie von der Finanzbehörde dazu ersucht wird oder ob der Unternehmer die Bescheinigung zum Zwecke der Umsatzsteuerbefreiung bei ihr beantragt.

Auch der weitere Einwand der Klägerin, die Bescheinigung der Landesbehörde sei "materiell-rechtliche Voraussetzung" der Umsatzsteuerbefreiung und dürfe deshalb nicht gegen den Willen des Steuerpflichtigen erteilt werden, ist unzutreffend. Materiell-rechtliche Voraussetzung der Steuerbefreiung ist, dass es sich um Umsätze von Einrichtungen handelt, die den in § 4 Nr. 20 a) Satz 1 UStG gleichartig sind und die die gleichen kulturellen Aufgaben wie diese erfüllen. Die Übertragung der Feststellung, ob gleichartige kulturelle Aufgaben erfüllt werden, auf die Bescheinigungsbehörde, dient allein der verfahrensmäßigen Sicherung, dass dieses materiell-rechtliche Kriterium für die Steuerbefreiung durch eine fachlich kompetente Behörde festgestellt wird. Die Landesbehörde schafft nicht diese "materiell-rechtliche Voraussetzung" der Steuerbefreiung, sie stellt ihr Vorliegen lediglich mit Verbindlichkeit für die Finanzbehörde fest. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass der BFH in seinem Urteil vom 24.9.1998 - V R 3/98 -, BFHE 187, 334, die Bescheinigung als "materiell-rechtliche Voraussetzung" der Steuerbefreiung bezeichnet habe, ergibt sich daraus nichts anderes. Denn der BFH hat mit dieser Formulierung erkennbar nur auf die Bindungswirkung der Feststellung (der materiell-rechtlichen Voraussetzungen) durch die Landesbehörde für die Finanzbehörde abgestellt, auf die zwingende verfahrensmäßige Verknüpfung der zwischen Finanzbehörde und Landesbehörde aufgeteilten Feststellungen zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 a) Satz 2 UStG. Dem entspricht, dass der BFH nicht von den materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Steuerfreiheit, sondern von denen der "Steuerbefreiung" spricht, somit eine Voraussetzung des Verfahrens und nicht des materiellen Steuerrechts anspricht. Diese Verknüpfung des Verwaltungsverfahrens betrifft deshalb nicht den materiellen Steuertatbestand, den zu verwirklichen oder nicht zu verwirklichen Angelegenheit des Steuerpflichtigen ist. Dem entspricht, dass auch der BFH in eben der genannten Entscheidung ausschließt, dass die Steuerbefreiung "... (weder durch Verzicht nach § 9 UStG oder auf andere Weise) zur Disposition des Steuerpflichtigen" steht.

Auch die Ausführungen der Klägerin, dass § 4 Nr. 20 a) Satz 2 UStG wegen eines "strukturellen Vollzugsdefizits" unwirksam sei, sind offensichtlich unzutreffend. Ein solches verfassungsrechtlich verbotenes Vollzugsdefizit, wie es das BVerfG in dem von der Klägerin angeführten Urteil vom 9.3.2004 - 2 BvL 17/02 - BVerfGE 110, 94, bei einem Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung angelegten Erhebungsregel angenommen hat, lässt sich hinsichtlich der Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 a) Satz 2 UStG nicht feststellen. Der Unternehmer, der die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Befreiung erfüllt, ist nicht gehindert, sie auch in Anspruch zu nehmen.

Der Umstand, auf den die Klägerin abhebt, nämlich dass es mangels einer Verpflichtung, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung offenzulegen, möglich ist, - materiell-rechtlich unberechtigt - Vorsteuerabzug geltend zu machen, betrifft nicht die die Steuerbefreiung regelnde Norm, sondern ein "Vollzugsdefizit" im Zusammenhang mit den Regelungen des Vorsteuerabzuges. Darauf, ob insoweit ein Vollzugsdefizit vorliegt und ob es struktureller, aus den Bestimmungen über die Steuererhebung folgender Art ist, kommt es im vorliegenden Verfahren, in dem es um eine Teilregelung im Verfahren der Umsatzsteuerbefreiung geht, nicht an.

Ende der Entscheidung

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