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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 16.02.2004
Aktenzeichen: 14 A 3057/03
Rechtsgebiete: ÄAppO


Vorschriften:

ÄAppO (Fassung 1987) § 18 Abs. 1 Satz 3
Eine sich in Prüfungsängsten äußernde Angststörung (Examenspsychose) ist, soweit sie nicht auf einer psychischen Erkrankung beruht, unabhängig von der Intensität der durch sie ausgelösten Ausfallerscheinungen nicht als wichtiger Grund für den Rücktritt von der Prüfung anzuerkennen.
Tatbestand:

Die Klägerin trat wiederholt zu einer ärztlichen Prüfung wegen vor der Prüfung auftretender "Brech-Durchfälle" nicht an. Deren Ursache lag nach den im Zusammenhang mit dem letzten Rücktritt erteilten privatärztlichen und amtsärztlichen Attesten in einer "Angststörung in Form von Prüfungsängsten".

Das Prüfungsamt lehnte die Genehmigung des letzten Rücktritts im Hinblick auf das Vorliegen eines Dauerleidens ab. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Das OVG lehnte den u.a. mit ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteil begründeten Zulassungsantrag ab.

Gründe:

Unabhängig davon, dass die im Zulassungsverfahren allein zu prüfenden Darlegungen der Klägerin ungeeignet sind, die Ausführungen des VG in Zweifel zu setzen, dürfte die Auffassung des VG, die Angststörung der Klägerin sei nicht als wichtiger Grund für die Versäumung der Prüfung anzuerkennen, im Ergebnis zutreffen und zwar unabhängig davon, ob den Ausführungen zur Annahme einer "Dauererkrankung" gefolgt werden kann. Denn die Angststörung der Klägerin dürfte auch deshalb nicht als "wichtiger Grund" im Sinne des § 18 ÄAppO anerkannt werden können, weil Prüfungsangst nach ständiger Rechtsprechung nicht zum Prüfungsrücktritt berechtigt.

Ob Angststörungen, die die Leistungserbringung hindern, zur Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne führen, ist keine rein medizinische Frage, sondern vor allem auch eine Rechtsfrage, nämlich dahin, ob diese Störungen als relevant anzuerkennen sind. Für diese prüfungsrechtliche Relevanz ist zu differenzieren: Liegen die Ursachen, die die Prüfungsbedingungen für den Prüfling im Verhältnis zu anderen Prüflingen ungleich erschweren, und somit auch die Ursachen für eine Prüfungsunfähigkeit, in seiner Person, so bedarf es einer Abgrenzung, ob es sich um eine erhebliche Minderung der allgemeinen Startchancen im Verhältnis zu anderen Prüflingen oder um ein Defizit in der persönlichen Leistungsfähigkeit handelt, die gerade auch Voraussetzung für den Prüfungserfolg ist. Dementsprechend gehören Prüfungsstress und Examensängste, die zumeist in den spezifischen Belastungen der Prüfungen wurzeln und denen jeder Kandidat je nach Konstitution mehr oder weniger ausgesetzt ist, im allgemeinen zum Risikobereich des Prüflings.

Vgl. Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 2, Prüfungsrecht, 3. Aufl., Rdnr. 154, m.w.N.; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 2. Aufl., Rdnr. 321, m.w.N.; zur Prüfungsunfähigkeit und Examenspsychose u.a. BVerwG, Urteil vom 6.7.1979 - 7 C 26.76 -, Buchholz, 421.0 Prüfungswesen Nr. 116.

Dass die Symptome, in denen sich die Prüfungsangst der Klägerin äußerte und die im Attest des Dr. C. vom 4.9.2001 ausführlich dargestellt sind, psychosomatischer Art waren und die Klägerin an der Teilnahme an der Prüfung hinderten, ändert nichts daran, dass deren Ursache in situationsgebunden auftretenden, nämlich auf die bevorstehende Prüfung bezogenen Ängsten liegt, für die ihrerseits eine Ursache mit Krankheitswert von der Klägerin nicht vorgetragen und von den Ärzten auch nicht angegeben wird und auch sonst nicht erkennbar ist.

Soweit die Klägerin in der Zulassungsbegründung die ärztlich bescheinigte "Angststörung in Form von Prüfungsängsten" mit "Angst- und Panikattacken" parallel setzt, mit denen sich der Senat im von der Klägerin angeführten Verfahren 14 A 624/01 (Urteil vom 5.6.2003) und in einem weiteren Verfahren - OVG NRW, Urteil vom 2.10.2003 - 14 A 3044/01 - befasst hat, geht dies fehl. Panikattacken sind kennzeichnend für eine Panikstörung (ohne Agoraphobie, d.h. ohne Platzangst), auch als episodisch paroxysmale Angst bezeichnet (Nr. F41.0 der ICD - Internationale Klassifikation der Krankheiten). Bei dieser Störung handelt es sich um wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik), die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb auch nicht vorhersehbar sind. Die Angstanfälle der Klägerin sind jedoch nach der ärztlichen Bescheinigung des Dr. C. vom 4.9.2001 gerade an eine spezifische Situation, nämlich an anstehende Prüfungen gebunden. Auch eine generalisierte Angststörung (F41.1 der ICD) scheidet wegen des an die Prüfungssituation gebundenen Auftretens aus. Kennzeichen der generalisierten Angststörung - etwa auch der Angstneurose - ist es gerade, dass die Angst generalisiert und anhaltend ist und nicht auf bestimmte Umgebungsbedingungen beschränkt oder auch nur besonders betont in solchen Situationen, sondern "freiflottierend" auftritt. Bei einer speziell durch Prüfungsängste gekennzeichneten Störung handelt es sich dagegen regelmäßig um ein Defizit der persönlichen Leistungsfähigkeit, die durch eine Prüfung gerade auch festgestellt werden soll. Ob dieses Leistungsdefizit zum Prüfungsversagen oder - wie hier - zum Nichtantritt bei der Prüfung führt, bewirkt keinen Unterschied: In beiden Fällen ist Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne nicht anzuerkennen.

Die Beurteilung, dass es sich bei den Prüfungsängsten der Klägerin um ein ihr Leistungsvermögen prägendes Persönlichkeitsmerkmal handelt, das nicht "Prüfungsunfähigkeit" im Rechtssinne zur Folge hat, wird auch nicht dadurch in Zweifel gesetzt, dass die bei anstehenden Prüfungen aufgrund der Angststörung bei der Klägerin auftretenden psychosomatischen Symptome sie unfähig machen, sich der Prüfung zu stellen und damit überhaupt eine Prüfungsleistung zu erbringen. Zwar hat das BVerwG in dem bereits angeführten Urteil vom 6.7.1979 offen gelassen, "ob und unter welchen Voraussetzungen" von dem Grundsatz, dass eine Examenspsychose rechtlich unbeachtlich sei und nicht zum Prüfungsrücktritt berechtige, "in Fällen gesteigerter Psychose mit der Folge eines völligen Versagenszustandes" eine Ausnahme zugelassen werden müsste. Der Senat geht zu dieser Frage davon aus, dass nur bei solchen Examenspsychosen, die ihre Ursache in einer psychischen Erkrankung haben, eine solche Ausnahme gerechtfertigt sein kann, sofern es sich nicht um eine Dauererkrankung handelt. Dagegen hält er bei sonstigen Prüfungsängsten Ausnahmen nicht im Hinblick auf die Intensität für zulässig, in der sich die Prüfungsangst auf die Fähigkeit zur Leistungserbringung auswirkt. Die durch die Prüfungsangst bewirkten Ausfallerscheinungen sind in solchen Fällen unabhängig von dem Grad, den sie erreichen, persönlichkeitsbedingt und deshalb unter prüfungsrechtlichen Gesichtspunkten beurteilungsrelevant. Will man nicht zu willkürlichen Ergebnissen kommen, müssen deshalb stärkere und schwächere Leistungsausfälle, wenn sie durch Prüfungsangst bewirkt sind, nach gleichen Kriterien beurteilt werden.

Ende der Entscheidung

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