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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 09.01.2008
Aktenzeichen: 14 A 3658/06
Rechtsgebiete: GG, DRiG, JAG 1993, JAO


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
DRiG § 5d Abs. 4 Satz 1
JAG 1993 § 31 Abs. 4 Satz 3
JAO § 11
JAO § 34 Abs. 2 Satz 2
JAO § 38
Für die Entscheidung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang beim zweiten juristischen Staatsexamen von dem rechnerisch ermittelten Wert für die Gesamtnote abgewichen werden soll, hat sich der Prüfungsausschuss einen Gesamteindruck über den Leistungsstand des Prüflings zu verschaffen und dabei die Leistungen im Vorbereitungsdienst zu berücksichtigen (Aufgabe der Rechtsprechung des 22. Senats, Urteil vom 27. 2. 1997, - 22 A 1326/94 -).
Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen das Ergebnis ihrer zweiten juristischen Staatsprüfung, weil der Prüfungsausschuss ausweislich der Niederschrift über die mündliche Prüfung "keine Veranlassung gesehen (habe), von der Möglichkeit einer Änderung der Gesamtnote nach § 31 Abs. 4 JAG Gebrauch zu machen", und als rechnerisches und als endgültiges Gesamtergebnis einen Punktwert von 6,37 festgestellt habe. Ihre Leistungen während des Vorbereitungsdienstes seien deutlich, zum Teil mehrere Notenstufen, besser gewesen als die rechnerisch ermittelte Gesamtnote. Außerdem wies sie auf ihre Durchschnittsnote im Abitur, das befriedigende Ergebnis der ersten juristischen Staatsprüfung und die Erlangung des akademischen Grades eines "Masters of Laws" mit der bestmöglichen Note an einer Universität in Neuseeland vor Beginn des Vorbereitungsdienstes hin. Im verwaltungsinternen Kontrollverfahren begründete der Prüfungsausschuss seine Entscheidung damit, dass er von der Rechtsprechung des VG und OVG NRW ausgegangen sei. Danach müssten sich Zweifel darüber, ob die rechnerisch ermittelte Gesamtnote den tatsächlichen Leistungsstand wiedergibt, allein aus dem in der Prüfung selbst gezeigten Leistungsbild ergeben. Prüfungsfremde Erkenntnisquellen wie die Leistungen im Vorbereitungsdienst seien ohne prüfungsrechtliche Bedeutung. Die von der Klägerin in der Prüfung erzielten Noten ergäben ein im wesentlichen einheitliches Leistungsbild. Auch bei Einbeziehung der im Vorbereitungsdienst erbrachten Leistungen sei nicht erkennbar, dass die Prüfungsleistungen ganz oder teilweise einen völlig untypischen "Ausreißer" darstellten. Dazu verwies er auf die in den Fortgeschrittenenarbeitsgemeinschaften erzielten Noten. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Auf die Berufung wurde das beklagte Justizprüfungsamt verpflichtet, den Prüfungsausschuss erneut darüber entscheiden zu lassen, ob von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote abgewichen werden soll, und die Klägerin über das Gesamtergebnis der zweiten juristischen Staatsprüfung neu zu bescheiden.

Gründe:

Der auf § 31 Juristenausbildungsgesetz (JAG 1993) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8.11.1993, GV. NRW. S. 924, gestützte Prüfungsbescheid des Beklagten vom 21.4.2004 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Entscheidung des Prüfungsausschusses über eine Abweichung von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote ist fehlerhaft. Die Klägerin hat Anspruch darauf, dass der Prüfungsausschuss darüber nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet und der Beklagte sie bezüglich der festgesetzten Gesamtnote erneut bescheidet.

Berufsbezogene Prüfungsentscheidungen der vorliegenden Art sind nach der Rechtsprechung des BVerfG, vgl. Beschluss vom 17.4.1991 - 1 BvR 419/81, 213.83 -,NJW 1991, 2005 (2007 f.), der die Verwaltungsgerichte folgen, vgl. u.a.: BVerwG, Urteil vom 9.12.1992 - 6 C 3.92 -, NVwZ 1993, 677 (678); OVG NRW, Urteil vom 10.4.2003 - 14 A 1964/01 -, mit Blick auf das Verfahrensgrundrecht des Artikels 19 Abs. 4 GG von den Gerichten grundsätzlich vollständig nachzuprüfen. Lediglich bei "prüfungsspezifischen" Wertungen, vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 17.12.1997 - 6 B 55.97 -, Buchholz 421.0, Prüfungswesen Nr. 385, verbleibt der Prüfungsbehörde ein Entscheidungsspielraum, dessen gerichtliche Überprüfung darauf beschränkt ist, ob Verfahrensfehler oder Verstöße gegen anzuwendendes Recht vorliegen, ob die Prüfungsbehörde von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen hat, sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder sonst willkürlich gehandelt hat.

Die Gesamtnote für die zweite juristische Staatsprüfung ist nach Maßgabe von § 31 Abs. 4 Sätze 1 und 2 JAG zwar zunächst rechnerisch zu ermitteln. Durch den auf der bundesrechtlichen Vorgabe des § 5 d Abs. 4 Sätze 1 und 2 DRiG beruhenden § 31 Abs. 4 Satz 3 JAG ist dem Prüfungsausschuss jedoch eine begrenzte Befugnis eingeräumt, von dem rechnerisch ermittelten Wert abzuweichen, wenn dies den Leistungsstand des Prüflings besser kennzeichnet. Auch diese Entscheidung ist das Ergebnis von prüfungsspezifischen Wertungen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.7.1995 - 6 C 12.93 -, BVerwGE 99, 74.

Auf der Grundlage dieser Prüfungsmaßstäbe erweist sich die Entscheidung des Prüfungsausschusses über eine Abweichung von dem rechnerisch ermittelten Wert für die Gesamtnote der Klägerin als fehlerhaft.

1. Die dem Prüfungsausschuss durch § 5 d Abs. 4 Sätze 1 und 2 DRiG, § 31 Abs. 4 Satz 3 JAG eingeräumte Ermächtigung lässt eine Abweichung von dem rechnerisch ermittelten Wert für die Gesamtnote nur ausnahmsweise zu und setzt voraus, dass dieser Wert nach dem von dem Prüfling gewonnenen Gesamteindruck seinen Leistungsstand nicht richtig kennzeichnet und daher der Korrektur bedarf. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine typische Härteklausel, die Unbilligkeiten und ungewollte Härten einer schematischen Rechtsanwendung wegen der rein rechnerischen Ermittlung der Gesamtnote im Einzelfall begegnen will und dem Gesamteindruck des Prüfungsorgans ausnahmsweise Bedeutung beimisst.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4.8.1997 - 6 B 44.97 -, juris, m. w. N.

Dies verlangt eine Berücksichtigung aller hierfür maßgeblichen Umstände.

Wie vor und OVG NRW, Urteil vom 9.10.2007 - 14 A 2873/06 -, juris, Rdnr. 33.

2. Ausweislich seiner Stellungnahme im verwaltungsinternen Kontrollverfahren ist der Prüfungsausschuss demgegenüber in erster Linie davon ausgegangen, dass ein Abweichen von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote voraussetzt, dass sich die Zweifel an deren Aussagekraft allein aus dem in der Prüfung selbst gezeigten Prüfungsbild ergeben müssen und sogenannte prüfungsfremde Erkenntnisquellen insoweit ohne Bedeutung sind. Diese auch dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Erwägung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Diese Überlegung geht zurück auf ein Urteil des früher für das Justizprüfungsrecht zuständig gewesenen 22. Senats des erkennenden Gerichts, OVG NRW, Urteil vom 27.2.1997 - 22 A 1326/94 -, NWVBl. 1997, 38.

An dessen einschränkender Auslegung des § 5d Abs. 4 DRiG hatte bereits das BVerwG in seiner nachfolgenden Entscheidung über die Zulassung der Revision, dem genannten Beschluss vom 4.8.1997, (nicht entscheidungserhebliche) Zweifel geäußert. Der erkennende Senat hatte bisher keine Gelegenheit, über diese Rechtsfrage erneut zu entscheiden. Entgegen der Auffassung des Beklagten gilt dies auch unter Berücksichtigung des Senatsbeschluss vom 29. 3. 2004 - 14 A 902/03 -. In diesem kam es auf die Rechtsfrage nicht an, weil entsprechende Fragestellungen im Rahmen eines Antrags auf Zulassung der Berufung entweder nicht oder aber verspätet dargelegt worden waren. Er hält an der Auffassung des 22. Senats nicht fest.

Dem Wortlaut des § 31 Abs. 4 Satz 3 JAG 1993 lässt sich nicht entnehmen, dass die Leistungen des Vorbereitungsdienstes als "prüfungsfremde Erkenntnisquellen" bei der Frage, ob von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote abgewichen werden darf, nicht zu berücksichtigen sind, sondern erst bei der Frage, in welchem Umfang dies geschehen kann. In der Vorschrift sind diese Leistungen als Erkenntnisquelle ausdrücklich - im mit einem Semikolon abgetrennten zweiten Halbsatz - erwähnt. Der grammatikalische Bezug dieser Regelung "hierbei sind ... zu berücksichtigen" ist zwar (zunächst) unklar. Bezieht er sich auf die Formulierung im ersten Halbsatz "Der Prüfungsausschuss kann ... um bis zu einem Punkt abweichen, ...", liegt eine auf das Ausmaß der Abweichung beschränkte Anwendung nahe. Bezieht er sich auf den Satzteil "..., wenn dies den Leistungsstand des Prüflings besser kennzeichnet ...", spricht vieles dafür, dass die Leistungen des Vorbereitungsdienstes bereits bei der Frage nach dem "Ob" der Abweichung von Bedeutung sind. Jedoch gewinnt die Betrachtung an Deutlichkeit, wenn der von § 5d Abs. 4 Satz 1 DRiG vorgegebene Regelungsbestandteil "auf Grund des Gesamteindrucks" - der sich in § 31 Abs. 4 Satz 3 JAG NRW 1993 nicht ausdrücklich wiederfindet - hinzu genommen wird. Denn die Leistungen im Vorbereitungsdienst zählen zum Gesamteindruck des Prüflings, den sich der Prüfungsausschuss verschaffen muss, vgl. die gemäß § 38 der Juristenausbildungsverordnung (JAO) in der hier anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 8.11.1993, GV. NRW. S. 932, entsprechend anzuwendende Vorschrift des § 11 JAO über die Vorberatung der Prüfer. Zu den dabei zu berücksichtigenden Prüfungsunterlagen gehören die Personalakte des Prüflings sowie die Akten über die erste Staatsprüfung, vgl. § 34 Abs. 2 Satz 2 JAO, und damit die gemäß § 30 JAO von allen Ausbildern zu erteilenden Zeugnisse, und zwar naturgemäß alle. Diese können deshalb nicht als "prüfungsfremd" qualifiziert werden. Hinzu kommt, dass in § 31 Abs. 4 Satz 3 JAG NRW 1993 neutral von "Leistungsstand", nicht von "Prüfungsleistung" oder "dem in der Prüfung gezeigten Leistungsstand" die Rede ist.

Auch die Entstehungsgeschichte legt eine Berücksichtigung der Leistungen aus dem Vorbereitungsdienst bereits bei der Frage nahe, ob von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote abzuweichen ist.

Zwar sind die Materialen zur Neufassung von § 31 (insb. Abs. 4 Satz 3) durch das 8. Gesetz zur Änderung des Juristenausbildungsgesetzes (JAG 1982) unergiebig. Aus der Begründung des Gesetzentwurfes, vgl. LT Drucks. 9/1573 (A. Allgemein), ergibt sich nur ohne nähere Erläuterungen, dass dem durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Deutsches Richtergesetzes vom 16.8.1980 (BGBl. I S. 1451) als unmittelbar geltendem Bundesrecht geschaffenen Rechtszustand für die Leistungsbewertung in den juristischen Staatsprüfungen entgegen stehendes Landesrecht formal angepasst werden sollte. Diese Neuregelung enthielt u. a. die ausdrückliche Abschaffung der zuvor u. a. in Nordrhein-Westfalen vorgeschriebenen Anrechnung einer rechnerisch ermittelten Note aus den Leistungen im Vorbereitungsdienst mit einem festen Anteil auf die Note der zweiten juristischen Staatsprüfung.

Allerdings beruhte der vom Bundesrat eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes, BT- Drucksache 8/3312 vom 2.11.1979, u. a. auf der Erwägung:

"Zur Vereinheitlichung der Ergebnisse der zweiten Prüfung im Bundesgebiet wird die Möglichkeit einer Anrechnung der Ausbildungsnote auf das Prüfungsergebnis beseitigt und durch ein begrenztes Prüferermessen, innerhalb dessen die Ausbildungsnoten berücksichtigt werden können, ersetzt." (B. Lösung, Satz 2).

In seiner Begründung wird unter "Allgemeines" (S. 5) weiter ausgeführt, dass statt der bislang vorgesehenen Anrechnung der Leistungen im Vorbereitungsdienst "eine Berücksichtigung dieser Leistungen im Rahmen eines Beurteilungsermessens des Prüfungsausschusses" zugelassen werde. Zur Neuregelung von § 5d heißt es dann weiter (S. 6):

"... Anstelle der Anrechnung der Ausbildungsnote eröffnet der Entwurf in § 5d Abs. 2 Satz 2 die Möglichkeit, den Prüfungsausschüssen bei der Entscheidung über das Ergebnis der Prüfung einen begrenzten Beurteilungsspielraum einzuräumen, innerhalb dessen auch die Ausbildungszeugnisse des Kandidaten Berücksichtigung finden können. Diese Regelung vermeidet die Nachteile einer schematischen, undifferenzierten Anrechnung der Ausbildungsnote. Sie reduziert einerseits das Gewicht der Ausbildungszeugnisse in der Prüfung, lässt es jedoch andererseits zu, dass diese weiterhin - ihrer Aussagekraft, ihrem Gewicht und ihrem Stellenwert entsprechend - im Rahmen des Gesamteindrucks des Prüfungsausschusses in die Festsetzung der Prüfungsnote einfließen. ..."

Zwar ist § 5d nicht in der vom Bundesrat vorgeschlagenen, für die Länder lediglich die Befugnis für eine entsprechende Regelung vorsehenden Fassung Gesetz geworden. Vielmehr ist die vom Rechtsausschuss des Bundestages, vgl. BT-Drucksachen 8/3972 vom 5.5.1980, entwickelte entsprechende Fassung, die der heutigen materiellen Rechtslage entspricht, aufgrund der Empfehlung des Vermittlungsausschusses, vgl. BT-Drucksachen 8/4361, Gesetz geworden. Diese regelt im Interesse der Einheitlichkeit im gesamten Bundesgebiet unmittelbar die Befugnis des Prüfungsorgans. Jedoch lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien insgesamt entnehmen, dass nach Auffassung des Bundesgesetzgebers die Leistungen im Vorbereitungsdienst bei der Bildung des "Gesamteindrucks" entscheidend zu berücksichtigen sind, vgl. II 2 b des Berichts des BT-Rechtsausschusses zu seiner Beschlussempfehlung, BT-Drucksachen 8/3972 S. 6.

Es hat keine Bedeutung, dass der Terminus "Gesamteindruck" zunächst keinen Eingang in die entsprechende landesrechtliche Regelung gefunden hatte. Denn bei § 5d Abs. 1 DRiG in der Fassung des 2. Änderungsgesetzes vom 16.8.1980, BGBl. I S. 1451, (heute § 5d Abs. 4 DRiG) handelte es sich um eine die Prüfungsorgane bundesrechtlich unmittelbar bindende Regelung. Im übrigen hat dies der Landesgesetzgeber im Zuge der Neuregelung des JAG 2003 nachgeholt (vgl. § 56 Abs. 4 i. V. m. § 18 Abs. 4 JAG 2003), ohne dass erkennbar wäre, dass damit mehr als eine redaktionelle Vervollständigung des Landesrechts erfolgt ist.

Danach sieht der erkennende Senat keine Grundlage für die Annahme, dass ein Abweichen von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote nur dann dem aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Gebot der Chancengleichheit sowie dem Zweck der Ermächtigung in § 5d Abs. 4 Satz 1 DRiG/§ 31 Abs. 4 Satz 3 JAG 1993 entspräche, wenn sich Zweifel am Aussagewert der Gesamtnote aus dem in der Prüfung selbst gezeigten Leistungsbild ergäben.

So aber OVG NRW, Beschluss vom 27.2.1997 - 22 A 1326/94 -.

Bei einer gesetzlich vorgegebenen Berücksichtigung der Leistungen im Vorbereitungsdienst erfolgt die Abweichungsprüfung nicht "ohne konkreten Anlass und damit gleichsam 'voraussetzungslos'". Der Hinweis auf das Urteil des BVerwG vom 12.7.1995 - 6 C 12.93 -, a.a.O., führt in diesem Zusammenhang nicht weiter. Weder dieser Entscheidung noch später ergangenen Entscheidungen des BVerwG, in denen der Abweichungsentscheidung des Prüfungsausschusses Bedeutung zukam, Urteile vom 19.12.2001 - 6 C 14.01 -, und vom 10.10.2002 - 6 C 7.02 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen, Nr. 400 bzw. 402, ist etwas dafür zu entnehmen, dass durch § 5d Abs. 4 DRiG eine zweistufige Entscheidungsstruktur mit einem eingeschränkten Blickwinkel in der ersten Stufe vorgegeben wäre.

Ebenso Hess. VGH, Urteil vom 20.11.1990 - 2 UE 372/87 -, DVBl. 1991, 771.

Im übrigen erschließt sich dem Senat aus Gründen der Logik nicht, wie die Betrachtung allein der Prüfungsleistungen die Erkenntnis vermitteln kann, ob diese den Leistungsstand des Prüflings "ersichtlich" zutreffend wiedergeben oder nicht. Einzelne Prüfungsleistungen können als "untypische" Ausreißer identifiziert werden, wenn sie für die Ermittlung des in der Prüfung gewonnenen Leistungsbildes unberücksichtigt bleiben. Das widerspräche aber dem Grundsatz der rechnerisch zu ermittelnden Gesamtnote nach Maßgabe der vom Gesetzgeber vorgegebenen Gewichtung der einzelnen Prüfungsbestandteile. Im übrigen ist ohne zusätzliche Erkenntnisquellen nicht objektivierbar, ob und welche Prüfungsleistungen für einen Prüfling als "typisch" erkannt werden können.

3. Der Prüfungsausschuss hat ausweislich seiner Stellungnahme im verwaltungsinternen Kontrollverfahren in zweiter Linie entschieden, dass auch bei Einbeziehung der Leistungen im Vorbereitungsdienst nicht von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote abgewichen werden soll. Er hat dabei darauf abgestellt, dass die Prüfungsleistungen nicht ganz oder teilweise als "völlig untypischer 'Ausreißer'" angesehen werden können. Auch das hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Der Senat geht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon aus, dass ein Abweichen nur ausnahmsweise zulässig ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.7.1995 und Beschluss vom 4.8.1997, jeweils a. a. O.

Die Entscheidung darüber, ob von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote abgewichen werden soll, ist, wie dargelegt, als eine den Prüfern vorbehaltene Beurteilung des Leistungsbildes des Prüflings grundsätzlich nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Der Prüfungsausschuss hat mit dem von ihm zugrunde gelegten Maßstab "völlig untypischer 'Ausreißer'" die durch § 31 Abs. 4 Satz 3 JAG eingeräumte Befugnis jedenfalls für das hier allenfalls in Betracht kommende Abweichen nach oben nicht ausgeschöpft und deshalb von der Ermächtigung nicht dem Gesetz entsprechend Gebrauch gemacht.

Eine Tatbestandsvoraussetzung für die Abweichungsentscheidung ist, ob durch ein Abweichen vom rechnerisch ermittelten Wert für die Gesamtnote der Leistungsstand des Prüflings "besser" gekennzeichnet wird. Der Prüfungsausschuss hat in seiner Stellungnahme im verwaltungsinternen Kontrollverfahren den von ihm gewählten Maßstab nicht ausdrücklich quantifiziert. Das ist auch nicht ohne weiteres möglich, weil die Leistungen im Vorbereitungsdienst nicht in einem Gesamtergebnis rechnerisch erfasst werden, das dem rechnerischen Prüfungsergebnis gegenüber gestellt werden könnte. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch setzt die Wahrnehmung eines "völlig untypischen" Unterschiedes die Erkenntnis eines als typisch feststellbaren Niveaus voraus, von dem mehr als "bloß" untypisch abgewichen worden ist. Demgegenüber kann im Einzelfall auch eine "bloß" untypische Leistungskonstellation für ein Abweichen von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote ausreichen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.7.1995, a. a. O. ("atypische" Leistungskonstellation).

Bei der danach erneut zu treffenden Abweichungsentscheidung ist zugrunde zu legen, dass die Feststellung des Leistungsstandes des Prüflings sich auf das bezieht, was gemäß § 25 Abs. 1 JAG Zweck der zweiten juristischen Staatsprüfung ist, nämlich festzustellen, ob das Ziel der Referendarausbildung erreicht worden ist. Der Prüfungsausschuss wird des weiteren zu berücksichtigen haben, dass es nicht um die Frage geht, ob einzelne Prüfungsleistungen mit einem anderweitig feststellbaren Leistungsstand der Klägerin nicht übereinstimmen, sondern ob dies für den rechnerisch ermittelten Wert für die Gesamtnote erkennbar ist. Die Prüfer haben zudem für die unerlässliche Verschaffung eines Gesamteindrucks die im Vorbereitungsdienst erteilten Einzelzeugnisse nicht nur mit ihrer jeweiligen Endnote, sondern auch mit ihrem Inhalt zur Kenntnis zu nehmen. Sie haben die Einzelzeugnisse nach Aussage, Gewicht und Stellenwert zu würdigen; denn es gibt keinen allgemeinen Bewertungsgrundsatz, aufgrund dessen im Vergleich zu den Prüfungsleistungen bessere Noten im Vorbereitungsdienst, gleichgültig wann und in welcher Ausbildungssituation sie erzielt worden sind, den Leistungsstand eines Prüflings besser kennzeichnen als der rechnerisch ermittelte Wert. Darauf, ob auch das Ergebnis der ersten juristischen Staatsprüfung den maßgeblichen Gesamteindruck mitprägt, kommt es hier nicht an. Denn das von der Klägerin in der ersten Staatsprüfung erzielte "befriedigende" Ergebnis ist nicht geeignet, zur Bildung eines Gesamteindrucks beizutragen, aufgrund dessen die rechnerische Gesamtnote der zweiten Staatsprüfung als für den Leistungsstand untypisch beurteilt werden könnte. Die Akten über die erste Staatsprüfung gehören allerdings zu den Prüfungsunterlagen, vgl. § 34 Abs. 2 Satz 2 JAO. Andere außerhalb des Vorbereitungsdienstes gezeigte Leistungen können nur dann in die Gesamtbeurteilung des Leistungsstandes einbezogen werden, wenn sie eine Aussage hinsichtlich der Inhalte und Ziele des Vorbereitungsdienstes enthalten. Das ist hinsichtlich des "Masters of Laws", den die Klägerin in Neuseeland erworben hat, nicht ersichtlich. Auch die allgemeinbildende Schulbildung ist "lediglich" die unerlässliche Grundlage für Studium und Vorbereitungsdienst und deshalb für die Bildung des Gesamteindrucks und die Beurteilung des Leistungsstandes im Sinne von § 31 Abs. 4 JAG 1993 ohne Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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