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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 05.06.2003
Aktenzeichen: 14 A 624/01
Rechtsgebiete: ÄAppO-Ordnung
Vorschriften:
ÄAppO-Ordnung § 18 Abs. 1 Satz 3 |
Prüfungsstress und Examensängste gehören zum Risikobereich des Prüflings, es sei denn, dass sie den Grad einer Erkrankung erreichen.
Zu den Kennzeichen der Krankheit "Panikstörung".
Tatbestand:
Der Kläger ist Student der Humanmedizin. Er meldete sich im Januar 1999 zum wiederholten Male zur ärztlichen Vorprüfung an. Der mündliche Teil, welcher am 23.3.1999 stattfand, wurde mit "mangelhaft" bewertet. Am Tag darauf teilte der Kläger zunächst fernmündlich und dann auch schriftlich mit, er habe an einer akuten Angst- und Panikattacke gelitten. Seinem Schreiben fügte er sowohl eine ärztliche Bescheinigung des Dipl.-Psychologen O. als auch eine amtsärztliche Bescheinigung bei. Mit Bescheid vom 22.4.1999 wurde die ärztliche Vorprüfung für nicht bestanden erklärt. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. Die Klage und die Berufung des Klägers blieben erfolglos.
Gründe:
Der Kläger ist von der mündlichen Prüfung nicht wirksam im Sinne von § 18 ÄAppO zurückgetreten. Denn er hat nicht nachgewiesen, dass ein wichtiger Grund gemäß § 18 Abs. 1 Satz 3 ÄAppO für einen Rücktritt vorgelegen hat.
Zwar hat der Kläger eine amtsärztliche Bescheinigung vorgelegt, wonach er aufgrund einer akuten Angst- und Panikattacke während der mündlichen Prüfung prüfungsunfähig gewesen sei. An eine derartige amtsärztliche Stellungnahme ist die Beklagte auch grundsätzlich gebunden (Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.6.1993 - 6 B 9.93 -, Buchholz 421, Prüfungswesen, Nr. 316; OVG NRW, Beschlüsse vom 18.4.2002 - 14 A 308/02 - und vom 11.6.2003 -14 B 639/03 -).
Es obliegt jedoch der Beurteilung der Prüfungsbehörde und im Streitfall der des Gerichts, ob eine vom Prüfling geltend gemachte und amtsärztlich attestierte Erkrankung zu seiner Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne geführt hat und deshalb als wichtiger Grund für einen Rücktritt von der Prüfung anzuerkennen ist. Liegen die Ursachen, welche die Prüfungsbedingungen für den Prüfling im Verhältnis zu anderen Prüflingen ungleich erschweren, und somit auch die Ursachen für eine Prüfungsunfähigkeit, in seiner Person, so bedarf es einer Abgrenzung, ob es sich um eine erhebliche Minderung der allgemeinen Startchancen im Verhältnis zu anderen Prüflingen oder um ein Defizit in der persönlichen Leistungsfähigkeit handelt, die Voraussetzung für den Prüfungserfolg ist. Dementsprechend gehören Prüfungsstress und Examensängste, die zumeist in den spezifischen Belastungen der Prüfungen wurzeln und denen jeder Kandidat je nach Konstitution mehr oder weniger ausge-setzt ist, im allgemeinen zum Risikobereich des Prüflings, es sei denn, dass sie den Grad einer Erkrankung erreichen (Vgl. Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 2, Prüfungsrecht, 3. Aufl., Rdnr. 154, m.w.N.; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 2. Aufl., Rdnr. 321, m.w.N.; zur Prüfungsunfähigkeit und Examenspsychose u.a., BVerwG, Urteil vom 6.7.1979 - 7 C 26.76 -, Buchholz 421, Prüfungswesen, Nr. 116).
Der vom Kläger vorgelegten amtsärztlichen Bescheinigung lassen sich keine Informationen entnehmen, die die Annahme rechtfertigen könnten, der Kläger habe in der mündlichen Prüfung an einer Erkrankung gelitten, die als Grund für einen Rücktritt von der Prüfung anzuerkennen wäre. Denn in der Bescheinigung hat der Amtsarzt mit der Erwähnung der Angst- und Panikattacke lediglich Symptome wieder gegeben, ohne ein zu berücksichtigendes Krankheitsbild zu diagnostizieren. Zudem lässt sich der amtsärztlichen Bescheinigung nicht entnehmen, aufgrund welcher selbst festgestellten Befunde der Amtsarzt zu dem Ergebnis gekommen ist, beim Kläger habe Prüfungsunfähigkeit vorgelegen.
Ist der Kläger somit auch unter Berücksichtigung der amtsärztlichen Bescheinigung insoweit beweisfällig geblieben, dass bei ihm mit der von ihm geltend gemachten Angst- und Panikattacke eine vom Beklagten anzuerkennende Prüfungsunfähigkeit und damit ein wichtiger Grund für einen Rücktritt von der Prüfung gegeben war, kehrt sich die Beweislast auch aus anderen Gründen nicht zu Lasten des Beklagten um. Trotz der, wie ausgeführt, nicht aussagekräftigen amtsärztlichen Bescheinigung bestand für den Beklagten auch unter Berücksichtigung der ärztlichen Bescheinigung des Diplom-Psychologen O. keine Verpflichtung, der Frage einer prüfungsrechtlich relevanten Erkrankung des Klägers weiter nach zu gehen. Zwar ist dieser Bescheinigung mit dem Hinweis "ICD F 41.0" sinngemäß die Diagnose einer Panikstörung (episodisch parox-sysmale Angst) im Sinne der internationalen Klassifikation der Krankheiten - SGB V - zu entnehmen, die bei erstmaligem Auftritt einer symptomatischen Panikattacke mit Kontrollverlust einen anzuerkennenden Grund für einen Rücktritt von der Prüfung darstellen kann. Diplom-Psychologe O. hat jedoch nach den Ermittlungen des Senats seinerzeit das Krankheitsbild einer Panikstörung zu Unrecht diagnostiziert, so dass seine Bescheinigung nicht verwertbar ist.
Wesentliches Kennzeichen der Krankheit "Panikstörung" sind schwere Angstattacken, die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb auch nicht vorhersehbar sind. Die Attacken müssen u.a. wiederholt und unerwartet auftreten, gefolgt von mindestens einem Monat mit anhaltender Besorgnis, eine weitere Panikattacke zu erleiden, mit Sorgen über mögliche Begleiterscheinungen oder Konsequenzen der Panikattacken oder mit deutlichen Verhaltensveränderungen aufgrund der Attacken. Für die Diagnose müssen mindestens zwei unerwartete Panikattacken aufgetreten sein (Vgl. Saß/Wittchen/Lang, DMS-IV, Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen, II. Aufl., S. 457 f).
Diesen Erfordernissen wird die in der ärztlichen Bescheinigung des Diplom-Psychologen O. enthaltene Diagnose einer als Krankheit einzustufenden Panikstörung nicht gerecht. Denn es fehlte zum damaligen Zeitpunkt u.a. an wiederholt (zumindest zwei mal) aufgetretenen Panikattacken. Diplom-Psychologe O. hat sich vielmehr ausschließlich auf die einzige vom Kläger behauptete Panikattacke in der mündlichen Prüfung vom 23.3.1999 gestützt.
Schließlich bestand für den Senat kein Anlass zu einer weiteren Sachaufklärung. Das wäre allenfalls dann der Fall gewesen, wenn zum Zeitpunkt des Rücktritts von der Prüfung die Diagnose einer Panikstörung zwar noch nicht möglich war, aber im Nachhinein Symptome aufgetreten wären, die die Diagnose einer Panikstörung auch für den Prüfungszeitpunkt ermöglicht hätten. Denn es fehlt bis zum heutigen Zeitpunkt an der Voraussetzung wiederholter Panikattacken beim Kläger.
Ende der Entscheidung
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