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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 20.08.2002
Aktenzeichen: 15 A 1031/01
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 73
1. Ein Widerspruchsbescheid, der einen Kanalanschlussbeitragsbescheid aufhebt, ist ein begünstigender Verwaltungsakt.

2. Solange der Widerspruchsbescheid noch wirksam und die Begründung, die zur Aufhebung des Ausgangsbescheides geführt hat, nicht überholt ist, darf die Ausgangsbehörde wegen der Bindungswirkung des Widerspruchsbescheides den Ausgangsbescheid nicht erneut erlassen.


Tatbestand:

Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, die im Wege formwechselnder Umwandlung aus einer GmbH entstanden war und deren Gesellschafter zum Teil ausgewechselt wurden, erwarb noch als GmbH vom Konkursverwalter eines Erschließungsträgers ein Grundstück. Zu diesem Grundstück gab der beklagte Oberbürgermeister der GmbH eine Erklärung zur Kanalanschlussbeitragspflicht dahin ab, es unterfalle nur einer durch den Erschließungsvertrag mit dem Erschließungsträger beschränkten Beitragspflicht. Als die GmbH bereits umgewandelt war, erließ er unter dem 4. 12. 1997 einen Kanalanschlußbeitragsbescheid gegenüber der GmbH, wobei er irrtümlich zusätzlich einen falschen Namen wählte. Auf den Widerspruch der GmbH, der mit der Erklärung des Beklagten zur Beitragspflicht begründet wurde, hob er den Beitragsbescheid durch Bescheid vom 22. 12. 1997 auf. Sodann änderte er seine Meinung zur Beitragspflicht und erließ demselben Adressaten gegenüber erneut einen Kanalanschlußbeitragsbescheid. Auf den dagegen erhobenen Widerspruch, der u.a. mit der Umwandlung begründet wurde, teilte er dem Widerspruchsführer mit, der Beitragsbescheid sei mangels Existenz des Adressaten nichtig und gegenstandslos. Den streitbefangenen dritten Kanalanschlußbeitragsbescheid erließ er gegenüber der Klägerin in ihrer heutigen Rechtsform. Das Berufungsgericht gab der Klage wegen der Bindungswirkung des vorangegangenen Widerspruchsbescheids zum ersten Kanalanschlußbeitragsbescheid statt.

Gründe:

Der Verwaltungsakt ist schon deshalb rechtswidrig, weil ihm der Bescheid des Beklagten vom 22.12.1997 entgegen steht, mit dem der erste Kanalanschlussbeitragsbescheid vom 4.12.1997 aufgehoben wurde. An jenen Bescheid ist der Beklagte gebunden. Es handelt sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt gegenüber der Klägerin in Form eines stattgebenden Anfechtungswiderspruchsbescheides.

Vgl. zur Bindungswirkung von Widerspruchsbescheiden BayVGH, Urteil vom 23.7.1978 - 6 B 94.2489 - und - 6 B 94.2490 -, BayVBl. 1999, 150; Kopp, VwGO, 12. Aufl., § 73 Rn. 24 ff.; Sodan/Ziekow, Nomos-Kommentar zur VwGO, Stand: Februar 2002, § 73 Rn. 64; Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblattsammlung (Stand: Januar 2002), § 73 Rn. 45 ff.; Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, 10. Aufl., § 27 Rn. 16.

Zwar ist er in der Überschrift als Abhilfebescheid bezeichnet. Jedoch fand ein Abhilfeverfahren nach § 72 VwGO nicht statt, denn Ausgangsbehörde und Widerspruchsbehörde waren im vorliegenden Fall gemäß § 73 Abs. 1 Nr. 3 VwGO identisch.

Vgl. dazu, dass in einem solchen Fall kein Abhilfeverfahren durchzuführen ist, BVerwG, Urteil vom 20.7.1984 - 7 C 28.83 -, BVerwGE 70, 4 (12).

Dass ein Widerspruchsbescheid erlassen werden sollte, ergibt sich im Übrigen daraus, dass nach dem Text ausdrücklich eine Entscheidung über den Widerspruch erfolgen sollte, unter Bezugnahme auf § 73 Abs. 3 VwGO, der lediglich für Widerspruchsbescheide einschlägig ist, über die Kosten entschieden und schließlich der Bescheid im letzten Absatz als Widerspruchsbescheid bezeichnet wurde.

Entgegen der Auffassung des VG ist der Bescheid vom 22.12.1997 nicht deshalb unwirksam, weil er an eine nicht existente Person gerichtet sei. Zwar geht das VG im Ansatz zutreffend davon aus, dass an nicht existente Personen gerichtete Bescheide mangels Bekanntgabe nicht wirksam werden.

Vgl. BFH, Urteile vom 7.2.1997 - V B 82/96 -(juris) und Urteil vom 17.9.1992 - V R 17/86 -(juris); Beschluss vom 21.10.1985 - GrS 4/84 -, BFHE 145, 110; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 44 Rn. 108; Tipke/Kruse, AO, FGO, Loseblattsammlung (Stand: April 2002), § 122 AO Rn. 23 und § 125 AO Rn. 14.

Indes war der Adressat des Widerspruchsbescheides vom 22.12.1997 und des durch diesen aufgehobenen ersten Kanalanschlussbeitragsbescheides vom 4.12.1997 nicht inexistent. Vielmehr war er lediglich unter einem anderen Namen existent. Im Zeitpunkt des Erlasses des ersten Beitragsbescheides war an die Stelle der Wohnungsbau GmbH formwechselnd die Wohnungsbau Verwaltungs GmbH & Co. KG getreten. Im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides war die Komplementärin, die Wohnungsbau Verwaltungs GmbH, aus der KG ausgetreten und an ihre Stelle die F. Verwaltungs GmbH eingetreten sowie die Firma in F. GmbH & Co. KG geändert. Die Umwandlung der vormaligen GmbH in die KG erfolgte formwechselnd nach den § 190 ff. UmwG, nicht durch übertragende Umwandlung, bei der die GmbH aufgelöst und ihr Vermögen auf die KG oder deren Gesellschafter übertragen worden wäre (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 UmwG). Nach § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG bewirkt die Eintragung der formwechselnden Umwandlung, dass der formwechselnde Rechtsträger in der in dem Umwandlungsbeschluss bestimmten Rechtsform weiter besteht. Kennzeichnend für eine formwechselnde Umwandlung ist, dass an ihr nur ein Rechtsträger beteiligt ist, es weder zu einer Gesamtrechtsnachfolge eines Rechtsträgers in das Vermögen eines anderen kommt noch es der Übertragung der einzelnen Vermögensgegenstände bedarf. Die formwechselnde Umwandlung wird durch das Prinzip der Identität des Rechtsträgers, der Kontinuität seines Vermögens (wirtschaftliche Identität) und der Diskontinuität seiner Verfassung bestimmt. An dieser zivilrechtlichen Kontinuität des Rechtsträgers ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass der neue Rechtsträger, wie im Fall des Wechsels einer Kapitalgesellschaft in eine Personenhandelsgesellschaft, nicht selbst Träger des Unternehmensvermögens ist, dieses vielmehr seinen Gesellschaftern zur gesamten Hand zusteht.

Vgl. BFH, Beschluss vom 4.12.1996 - II B 116/96 -, BB 1997, 137; Decher, in: Lutter, Umwandlungsgesetz, vor § 190 Rn. 2, § 202 Rn. 7; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, Umwandlungsgesetz, § 190 Rn. 6 f., § 202 Rn. 2, 13 ff..

Daher wird bei einer formwechselnden Umwandlung ein Bescheid wirksam, wenn er noch an die Gesellschaft unter dem Namen der alten Rechtsform gerichtet ist. Hier handelt es sich nur um die unrichtige Bezeichnung ein und derselben Rechtsperson.

Vgl. BFH, Beschluss vom 21.10.1985 - GrS 4/84 -, BFHE 145, 110 (115).

Die falsche Bezeichnung kann berichtigt werden.

Vgl. BFH, Beschluss vom 18.3.1998 - IV B 50/97 -(juris); Urteil vom 17.7.1986 - V R 37/77 -(juris).

Auch der Austausch des Komplementärs der Wohnungsbau Verwaltungs GmbH & Co. KG zwischen dem Erlass des ersten Kanalanschlussbeitragsbescheides vom 4.12.1997 und des Widerspruchsbescheides vom 22.12.1997 führte nicht zu einer Änderung der Rechtsträgerschaft. Der Austausch von Gesellschaftern einer Personenhandelsgesellschaft berührt nicht die Identität der Gesellschaft.

Vgl. BGH, Urteil vom 8.11.1965 - II ZR 223/64 -, BGHZ 44, 229 (231 f.).

Die gleichzeitige Änderung des Namens in F. GmbH & Co. KG führte ebenfalls nicht zu einer Änderung des Rechtsträgers, sondern allein zur Änderung dessen Namens. Die Firma eines Kaufmanns ist lediglich der Name, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt (§ 17 Abs. 1 HGB). Nur diese Änderung ist im Handelsregister mit dem Satz 'Die Firma der Gesellschaft ist geändert' eingetragen. Ebenso stellt die Eintragung im Handelsregister bei der Wohnungsbau GmbH im Rahmen der formwechselnden Umwandlung 'Die Firma ist erloschen.' nur einen Hinweis auf den Untergang dieses Namens des nach wie vor weiter bestehenden Rechtsträgers dar. Somit sind der erste Kanalanschlussbeitragsbescheid vom 4.12.1997 und der diesen aufhebende Widerspruchsbescheid vom 22.12.1997 gegenüber der Klägerin erlassen worden, wenngleich unter einem früheren Namen.

Allerdings sind beide Bescheide vom Wortlaut her nicht an die im Grundbuch als Eigentümerin des streitigen Grundstücks eingetragene Wohnungsbau GmbH gerichtet, sondern an eine unter diesem Namen nicht existente Wohnungs GmbH. Indes kommt es bei der Frage, wer Adressat sein soll, nicht auf den wörtlichen Ausdruck, sondern auf den durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt an.

Vgl. P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 37 Rn. 15, 15 e.

Da es hier den in den genannten Bescheiden aufgeführten Adressaten nicht gab, jedoch die im Grundbuch eingetragene ähnlich lautende Wohnungsbau GmbH, die auch den Widerspruch einlegte, liegt nicht die Bekanntgabe an eine nicht existente Person, sondern - wie schon bei der Rechtsform- und damit auch Namensänderung - eine weitere irrtümliche Falschbezeichnung vor.

Vgl. zum Unterschied zwischen einer Bekanntgabe an eine nicht existente Person einerseits und einer Bekanntgabe an eine existente Person unter falschem Namen BVerwG, Urteil vom 8.3.1977 - 1 C 15.73 -, NJW 1977, 1603.

Die inhaltliche Reichweite der Bindung (objektive Grenzen der Bindung) des Beklagten an seinen Widerspruchsbescheid vom 22.12.1997 bemisst sich nach dem Inhalt der verbindlichen Regelung des Widerspruchsbescheides, von der der Beklagte ohne deren Beseitigung nicht abweichen darf.

Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 43 Rn. 39 ff., 54 ff.; Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 314 ff..

Hier besteht der Inhalt der durch den Widerspruchsbescheid vom 22.12.1997 getroffenen Regelung darin, dass der Kanalanschlussbeitragsbescheid vom 4.12.1997 als rechtswidrig aufgehoben wird. Solange der Widerspruchsbescheid noch wirksam und die Begründung, die zur Aufhebung des Ausgangsbescheides geführt hat, nicht überholt ist, darf die Ausgangsbehörde wegen der Bindungswirkung des Widerspruchsbescheides den Ausgangsbescheid nicht erneut erlassen. Allerdings erfolgte die Aufhebung ohne sachliche Begründung. Deshalb muss der Grund aus den Gesamtzusammenhängen ermittelt werden. (wird ausgeführt) Somit ergibt sich, dass der den ersten Kanalanschlussbeitragsbescheid aufhebende Widerspruchsbescheid vom 22.12.1997 zum Inhalt hatte, dass nach Maßgabe des Erschließungsvertrages hier kein Kanalanschlussbeitrag anfällt. Von dieser Entscheidung weicht die hier in Streit stehende Heranziehung unter Verstoß gegen die Bindungswirkung ab, da sie eine Kanalanschlussbeitragspflicht mangels Einschlägigkeit des Erschließungsvertrages annimmt.

Der Widerspruchsbescheid vom 22.12.1997 ist auch nicht aufgehoben worden. Eine Aufhebung käme allenfalls gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG i.V.m. § 130 Abs. 2 der Abgabenordnung in Betracht, d.h. wenn die Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vorlägen. Bei dem Widerspruchsbescheid handelt es sich um einen die Klägerin begünstigenden Verwaltungsakt, weil er in Form der Aufhebung eines - jedenfalls auch - belastenden Verwaltungsakts, vgl. zur Rechtsnatur eines Kanalanschlussbeitragsbescheides OVG NRW, Urteil vom 14.12.1998 - 15 A 3212/94 -, Gemhlt. 2000, 142 (143), einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 130 Abs. 2 AO).

Vgl. zur Rücknahme eines belastenden Verwaltungsaktes als begünstigendem Verwaltungsakt BFH, Urteil vom 22.1.1985 - VII R 112/81 -, BStBl. II 1985, 562 (564); Kopp, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Rn. 61; Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 48 Rn. 128; Klappstein, in: Knack, VwVfG, 6. Aufl., § 48 Rn. 6; a.A. für einen Abhilfebescheid OVG NRW, Urteil vom 13.2.1987 - 10 A 28/87 -, BRS 47 Nr. 194.

Hier ist jedoch keine Rücknahme des Widerspruchsbescheides vom 22.12.1997 ausgesprochen worden. Zwar ist eine Rücknahme auch konkludent durch Erlass eines im Widerspruch zu einer vorhergehenden Regelung stehenden Verwaltungsaktes möglich, hier also durch Neuerlass des angefochtenen Beitragsbescheides in Abweichung vom den ersten Beitragsbescheid aufhebenden Widerspruchsbescheid vom 22.12.1997.

Vgl. Kopp, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Rn. 38.

Bezogen auf den vorliegend streitigen dritten Beitragsbescheid scheidet eine solche Annahme jedoch ohne weiteres aus. Der Beklagte war nämlich, wie sich aus seinem Schreiben zum zweiten Heranziehungsbescheid ergibt, der Auffassung, dass Bescheide an die umgewandelte Gesellschaft unter ihrer alten Firma bereits wegen Nichtexistenz des Abgabeschuldners unwirksam seien. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte bei Erlass des hier angefochtenen Beitragsbescheides überhaupt in Erwägung gezogen hat, den Widerspruchsbescheid vom 22.12.1997 zurückzunehmen, dass er also etwas , was er selbst als nicht existent bezeichnet, zurücknehmen wollte.

Vgl.zu einer ähnlichen Konstellation BVerwG, Urteil vom 18.7.1989 - 5 C 28.85 -, BVerwGE 82, 235 (241 f.).

Allenfalls kann in dem zweiten Beitragsbescheid eine Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 22.12.1997 gesehen werden, denn in der Anhörung zu dieser beabsichtigten zweiten Heranziehung wurde auf den den ersten Beitragsbescheid aufhebenden Widerspruchsbescheid hingewiesen, und damals ging der Beklagte noch von der Existenz des Adressaten aus. Dies kann jedoch dahinstehen: Selbst wenn im zweiten Beitragsbescheid auch eine konkludente Rücknahme des Widerspruchsbescheides vom 22.12.1997 zu sehen ist, so erstreckt sich jedenfalls der Widerspruch der Klägerin gegen diesen Beitragsbescheid auch auf die Rücknahme. Dieser Widerspruch ist bis heute unbeschieden geblieben, da der Beklagte lediglich mit seinem Schreiben auf seine Rechtsansicht hingewiesen hat, der Beitragsbescheid sei mangels Existenz des Adressaten ins Leere gegangen. Der Widerspruch entfaltet damit gegen die - hier unterstellte - Rücknahmeentscheidung bis heute aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sodass es an einer wirksamen Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 22.12.1997 fehlt.

Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Widerspruchsbescheides vom 22.12.1997 gemäß § 130 Abs. 2 AO nicht vor, sodass eine konkludente Rücknahme im angegriffenen Bescheid diesen rechtswidrig machte und er auch insoweit aufzuheben wäre.

Ende der Entscheidung

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