Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.07.2008
Aktenzeichen: 15 A 1749/08
Rechtsgebiete: GO NRW


Vorschriften:

GO NRW § 26
Bei einem Bezirksbürgerbegehren über eine in die Kompetenz der Bezirksvertretung fallende Angelegenheit ist der Rat weder unter dem Gesichtspunkt der Sperrwirkung eines zulässigen Bürgerbegehrens noch unter Treuegesichtspunkten gehindert, eine in die Ratskompetenz fallende Entscheidung zu treffen, auch wenn dadurch das Bezirksbürgerbegehren unzulässig wird.
Tatbestand:

Die Kläger, Vertreter eines Bezirksbürgerbegehrens, mit dem es um die Unterhaltung und Nutzung einer im Stadtbezirk gelegenen öffentlichen Einrichtung mit Namen "Sandhäuschen" geht, begehrten die Erklärung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens vom beklagten Rat. Dieser hatte nach Einreichung des Bürgerbegehrens die Beseitigung des Sandhäuschens beschlossen. Das OVG lehnte die Zulassung der Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil ab.

Gründe:

Zu Recht hat das VG wegen des Beschlusses des Rates vom 12.12.2007, das Sandhäuschen nach Verlagerung der Kindertagesstätte im Herbst 2008 abzureißen, das Bürgerbegehren für unzulässig gehalten.

Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 GO NRW können die im Stadtbezirk wohnenden Bürger beantragen, dass sie anstelle der Bezirksvertretung über eine Angelegenheit, für welche die Bezirksvertretung zuständig ist, selbst entscheiden. Gegenstand des vorliegenden Bezirksbürgerbegehrens ist die Frage "Soll das Sandhäuschen in X. baulich unterhalten und als Gastronomie- und Saalbetrieb unter Berücksichtigung der Belange der X.-er Bürger, Vereine und Organisationen wirtschaftlich sinnvoll genutzt werden?". Zuständig ist die Bezirksvertretung nach § 21 Nr. 1 der Zuständigkeitsordnung der Stadt (ZustO) für "Benennung, Unterhaltung und Ausstattung, Überlassung sowie Vermietung/Verpachtung im Stadtbezirk gelegener öffentlicher Einrichtungen oder ähnliche Einrichtungen von im wesentlichen bezirklicher Bedeutung". Dazu gehört nach § 21 Nr. 1.2 ZuStO auch das hier in Rede stehende Sandhäuschen. Nicht erfasst vom Kompetenzbereich der Bezirksvertretung sind somit Schaffung und Beseitigung öffentlicher Einrichtungen. Insoweit bleibt es bei der Kompetenz des Rates. Diese ortsrechtliche Regelung hält sich im Rahmen des § 37 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a GO NRW, der lediglich "Unterhaltung und Ausstattung" der im Stadtbezirk gelegenen öffentlichen Einrichtungen in die Kompetenz der Bezirksvertretung verweist.

Mit dem Beschluss des Rates vom 12.12.2007, das Sandhäuschen abzureißen, ist das Bürgerbegehren unzulässig geworden. Die begehrte Entscheidung der baulichen Unterhaltung und wirtschaftlich sinnvollen Nutzung setzt sowohl vom gewollten Inhalt des Konzepts als auch haushaltsrechtlich aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Sparsamkeit der Führung der Haushaltswirtschaft (§ 75 Abs. 1 Satz 2 GO NRW) voraus, dass das Sandhäuschen über den Abrisszeitpunkt erhalten bleibt. Es liegt aber nicht in der Kompetenz der Bezirksvertretung, über die Unterhaltung und Nutzung des Sandhäuschens jenseits dieses Zeitpunktes zu entscheiden.

Zu Unrecht meinen die Kläger, dass die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens erst nach dem vollzogenen Abriss des Sandhäuschens eintrete. Grundsätzlich muss nämlich für die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens positiv festgestellt werden, dass die Angelegenheit noch in dem vom Bürgerbegehren verfolgten Sinn entschieden werden darf.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.12.2007 - 15 B 1744/07 -, NWVBl. 2008, 106 (108).

Das ist nicht mehr der Fall. Der Abriss des Sandhäuschens ist beschlossen, so dass es mehr nicht in die Kompetenz der Bezirksvertretung fällt, über ein zeitlich darüber hinaus gehendes Unterhaltungs- und Nutzungskonzept zu entscheiden.

Richtig ist, dass für die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens statt der so beschriebenen positiven Feststellung der Erreichbarkeit des Ziels des Bürgerbegehrens die bloße Möglichkeit der Erreichbarkeit ausreichen kann, wenn die Gefährdung der Erreichbarkeit von einem Gemeindeorgan treuwidrig herbeigeführt wurde.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.12.2007 - 15 B 1744/07 -, a. a. O.

Von einer solchen Treuwidrigkeit kann hier keine Rede sein. Der Rat hat ohne Verstoß gegen seine Treuepflichten trotz des laufenden Bezirksbürgerbehrens die Beseitigung des Sandhäuschens beschlossen. Das von den Gemeindeorganen - auch unter Treuegesichtspunkten im Vorfeld eines Bezirksbürgerentscheides - zu respektierende Recht der Stadtbezirksbürger, eine Entscheidung anstelle der Bezirksvertretung zu treffen, reicht nicht weiter, als die Gemeindeorgane eine Entscheidung der Bezirksvertretung zu respektieren hätten, an deren Stelle der Bezirksbürgerentscheid tritt. Der Rat ist aber selbst nach Ergehen eines Unterhaltungs- und Nutzungsbeschlusses der Bezirksvertretung zu einer öffentlichen Einrichtung nicht gehindert, deren Beseitigung zu beschließen, ja er kann sogar den Unterhaltungs- und Nutzungsbeschluss zum Anlass nehmen, die Einrichtung zu schließen, wenn er die weitere Unterhaltung und Nutzung nicht mehr für sinnvoll hält. Das ergibt sich aus der dargestellten Kompetenzverteilung, die die Frage der Existenz der Einrichtung in die Hände des Rates und die Frage der Unterhaltung und Ausstattung der Einrichtung in die Hände der Bezirksvertretung legt, jedoch nur solange die Einrichtung existiert. Der Rat ist nicht verpflichtet, eine öffentliche Einrichtung aufrecht zu erhalten, nur weil die Bezirksvertretung einen - in ihre Kompetenz fallenden - Unterhaltungs- und Ausstattungsbeschluss gefasst hat. Was für einen Bezirksvertretungsbeschluss gilt, gilt auch für einen diesen ersetzenden Bezirksbürgerentscheid.

Daraus ergibt sich, dass die Frage einer Verzögerung der Widerspruchsentscheidung unerheblich ist: Selbst wenn es bei zügigerem Verlauf des Widerspruchsverfahrens zu einem positiven Ausgang des angestrebten Bürgerentscheids gekommen wäre, hätte der Rat gleichwohl die Beseitigung des Sandhäuschens beschließen dürfen. Die Existenz der Einrichtung liegt in der Hand des Rates, nicht des Stadtbezirks. Im Übrigen hindert eine verzögerliche Behandlung eines Widerspruchs nicht die Erhebung einer Verpflichtungsklage im Wege der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO).

Aus § 26 Abs. 6 Satz 6 GO NRW lässt sich nichts für das Begehren der Antragsteller ableiten. Danach darf, wenn die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt ist, bis zur Feststellung des Ergebnisses des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht mehr getroffen werden oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden, es sei denn, zu diesem Zeitpunkt haben rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde hierzu bestanden (Sperrwirkung des zulässigen Bürgerbegehrens). Selbst wenn die tatbestandlichen Voraussetzung, nämlich die Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens, vorläge, wäre der Rat nicht gehindert, die Beseitigung des Sandhäuschens zu beschließen. Das ergibt sich daraus, dass § 26 Abs. 9 Satz 2 GO NRW die Regelung des Absatzes 6 Satz 6 für das Bezirksbürgerbegehren nur als "entsprechend" anwendbar erklärt. Das bedeutet, dass die Sperrwirkung für die "Gemeindeorgane" in erster Linie die Organe des Stadtbezirks erfasst. Die übrigen Organe der Stadt sind nur insofern gebunden, als sie durch einen entsprechenden Beschluss der Bezirksvertretung gebunden wären. Ein Bezirksbürgerbegehren reicht in seiner Kompetenz nicht weiter, als die Kompetenz des Stadtbezirkes geht. Dazu zwingt schon das Demokratiegebot, denn das Bezirksbürgerbegehren beruht gegenüber einem stadtweiten Bürgerbegehren auf einer auf den Stadtbezirk heruntergerechneten reduzierten Unterschriftsquote und nur auf der Teilnahme der Bezirksbürger. Diese können aber in einer Angelegenheit ihren Willen der durch den Rat vertretenen Gesamtbürgerschaft nur dann aufzwingen, wenn diesem Teil der Bürgerschaft, also der des Stadtbezirks, die alleinige Entscheidungskompetenz in dieser Angelegenheit zukommt. Die auf das vermeintliche undemokratische Verhalten des Rates gestützten Einwände der Kläger sind deshalb substanzlos.

Ende der Entscheidung

Zurück