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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 14.02.2006
Aktenzeichen: 15 A 2119/02.A
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1
Yeziden unterliegen in der Türkei keiner (mittelbar staatlichen) Gruppenverfolgung (Änderung der bisherigen Rechtsprechung).
Tatbestand:

Die in Syrien geborene Klägerin ist kurdischer Volkszugehörigkeit und nach ihren Angaben jezidischer Religionszugehörigkeit. Durch Bescheid vom 6.12.2000 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen und forderte die Klägerin zur Ausreise auf, verbunden mit einer auf Syrien oder einem anderen aufnahmeverpflichteten oder -bereiten Staat bezogenen Abschiebungsandrohung. Zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Klage trug die Klägerin vor, sowohl ihre Eltern als auch die Großeltern stammten aus der Türkei. Das VG wies die Klage ab. Auf die zugelassene Berufung verpflichtete das OVG die Beklagte - nach Rücknahme der Berufung hinsichtlich der Asylanerkennung - festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen. Auf die Revision der Beklagten hob das BVerwG das Urteil des OVG auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück. Nachdem die Beklagte den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG sowie die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung aufgehoben hatte, wies das OVG die allein auf die Verpflichtung zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG beschränkte Berufung zurück.

Gründe:

Der Senat prüft das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs.1 AufenthG hinsichtlich möglicher Verfolgung in der Türkei. Allein dieses Land ist in den Blick zu nehmen, weil der Senat davon ausgeht, dass die Klägerin, wie diese behauptet, türkische Staatsangehörige ist. Die entsprechende Feststellung des 8. Senats in seinem vom BVerwG aufgehobenen Urteil ist revisionsrechtlich nicht beanstandet worden.

Die Klägerin wird in der Türkei nicht i.S. v. § 60 Abs. 1 AufenthG verfolgt, wobei allein eine von der Klägerin geltend gemachten Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei in Betracht zu ziehen ist (...).

Das Grundrecht auf Asyl dient dem Schutz vor staatlicher politischer Verfolgung. Verfolgungsmaßnahmen Dritter können deshalb nur dann einen Asylanspruch begründen, wenn sie dem Staat zurechenbar sind (zu den Besonderheiten im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG). Eine asylrechtlich relevante Verantwortlichkeit des Staates für Verfolgungsmaßnahmen Dritter ist anzunehmen, wenn der Staat von Dritten begangene Rechtsverletzungen tatenlos hinnimmt oder nur verbal missbilligt, ohne effektiv zum Schutz der Betroffenen einzuschreiten, obwohl ihm die hierfür erforderlichen Machtmittel zur Verfügung stehen (mittelbar staatliche Verfolgung).

BVerfG, Beschlüsse vom 2.7.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 -, BVerfGE 54, 341 (358), und vom 1.7.1987 - 2 BvR 478, 962/86 -, BVerfGE 76, 143 (169); BVerwG, Urteile vom 22.4.1986 - 9 C 318.85 u.a. -, BVerwGE 74, 160 (162 f.), vom 15.5.1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139 (143), vom 23.7.1991 - 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 367 (371), und vom 19.5.1992- 9 C 21.91 -, Beschluss vom 24.3.1995 - 9 B 747.94 -, Urteil vom 19.4.1994 - 9 C 462.93 -, NVwZ 1994, 1121.

Auch staatliche Maßnahmen, die der Rechtsordnung des Herkunftsstaates widersprechen, sind dem Staat zurechenbar, sofern es sich nicht nur um vereinzelte Exzesstaten von Amtswaltern handelt. Es bedarf allerdings verlässlicher Erkenntnisse, die auf bloße Einzelexzesse hindeuten; anderenfalls bleibt das Handeln seiner Sicherheitsorgane dem Staat zurechenbar.

BVerfG, Beschluss vom 14.5.2003 - 2 BvR 134/01 -, DVBl 2003, 1260, im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502, 961, 1000/86 -, BVerfGE 80, 315 (352).

Die Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG setzt voraus, dass dem Betroffenen in eigener Person politische Verfolgung droht. Diese Gefahr eigener politischer Verfolgung des Asylbewerbers kann sich auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung).

BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 (231); BVerwG, Urteile vom 8.2.1989 - 9 C 33.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 105, und vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (202 f.).

Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist zunächst, dass die festgestellten asylrechtsrelevanten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an das die verfolgte Gruppe kennzeichnende asylerhebliche Merkmal treffen. Denkbar ist sowohl eine unmittelbare Anknüpfung an das die Verfolgung begründende Gruppenmerkmal - etwa die Volkszugehörigkeit - als auch eine Verfolgung, der dieses Merkmal mittelbar zu Grunde liegt. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Verfolgung zwar eigentlich gegen eine tatsächlich oder vermeintlich separatistische Überzeugung richtet, der Staat aber einer ethnisch definierten Bevölkerungsgruppe pauschal eine Nähe zu separatistischen Aktivitäten oder gar generell deren Unterstützung unterstellt. Ein solcher pauschaler Verdacht kann eine "Separatismus-Verfolgung" je nach den Umständen des Falles als "ethnische" Gruppenverfolgung erscheinen lassen.

BVerfG, Beschluss vom 9.12.1993 - 2 BvR 1638/93 -, InfAuslR 1994, 105 (108); BVerwG, Urteile vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 a.a.O., S. 205, und vom 30.4.1996 - 9 C 170.95 -, BVerwGE 101, 123 (125).

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt darüber hinaus eine bestimmte Verfolgungsdichte oder jedenfalls sichere Anhaltspunkte für das Vorliegen eines staatlichen Verfolgungsprogramms voraus.

BVerwG, Urteile vom 15.5.1990 - 9 C 17.89 -, a.a.O., S. 142 f., vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (204 ff.), und vom 30.4.1996 - 9 C 170.95 -, a.a.O., S. 125.

Für die Feststellung der erforderlichen Verfolgungsdichte ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung, die von Dritten ausgeht, und einer unmittelbar staatlichen Gruppenverfolgung sind hinsichtlich der erforderlichen "Verfolgungsdichte" im Grundsatz gleich.

BVerwG, Urteile vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O., S. 203 f., und vom 19.4.1994 - 9 C 462.93 -, Buchholz 402.25 AsylVfG § 1 Nr. 169; BVerfG, Beschluss vom 11.5.1993 - 2 BvR 2245/92 -, InfAuslR 1993, 304 (306).

Für die Beurteilung, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Allein die Feststellung "zahlreicher" oder "häufiger" Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten möglicherweise bereits als bedrohlich erweist, kann bei einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie in Bezug auf die Zahl der Gruppenmitglieder nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O., S. 206, Beschluss vom 22.5.1996 - 9 B 136.96 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 186.

Dieser Maßstab für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung, der die Anzahl der Verfolgungsschläge in Relation zur Größe der jeweils in Rede stehenden Gruppe setzen, trägt unterschiedlichen Gruppenstärken Rechnung. Er gilt deshalb nach der Rechtsprechung des BVerwG auch für kleine und sehr kleine Gruppen, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22.5.1996 - 9 B 136.96 - a.a.O., und vom 23.12.2002 - 1 B 42.02 - .

Bei einer vergleichsweise kleinen Gruppe (z.B. noch etwa 1 300 syrisch-orthodoxen Christen im Tur Abdin) kann die Feststellung, dass bestimmte Übergriffe "an der Tagesordnung" seien, im Zusammenhang mit der Feststellung einer Vielzahl von Drangsalierungen und Verbrechen in Form von Überfällen, Viehdiebstählen, Erpressungen, Entführungen bis hin zu Raub und Mord auch ohne weitere Quantifizierung der Verfolgungsschläge ausreichend sein, um die erforderliche Nähe der Gefahr für jedes einzelne Gruppenmitglied zu bejahen, vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.5.1996 - 9 B 136.96 -.

Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter besteht nur dann, wenn der Asylsuchende geltend machen kann, dass er im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - bei einer Rückkehr in sein Heimatland von politischer Verfolgung bedroht wäre, wenn ihm also zu diesem Zeitpunkt die Rückkehr in die Heimat nicht zugemutet werden kann. Für die danach anzustellende Prognose gelten unterschiedliche Maßstäbe je nach dem, ob der Asylsuchende seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Im erstgenannten Fall ist Asyl schon dann zu gewähren, wenn der Asylsuchende bei einer Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Hat der Asylsuchende sein Heimatland jedoch unverfolgt verlassen, so kann sein Asylanerkennungsbegehren nach Art. 16a Abs. 1 GG nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von beachtlichen Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

BVerfG, Beschlüsse vom 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a.-, a.a.O., S. 360, und vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, a.a.O., S. 344 ff.; BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391.

Die danach in jedem Falle anzustellenden Zukunftsprognose darf sich nicht darauf beschränken, die Lage im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt wie in einer Momentaufnahme festzuhalten und allein auf das abzustellen, was gegenwärtig geschieht oder als unmittelbar bevorstehend erkennbar ist. Asylrechtlichen Schutzes bedarf nicht nur, wem im maßgeblichen Zeitpunkt gegenwärtig oder unmittelbar bevorstehend politische Verfolgung droht. Asylrechtlichen Schutzes bedarf vielmehr auch, wer mit gegen ihn gerichteten asylerheblichen Maßnahmen in absehbarer Zeit rechnen muss.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 31.3.1981 - 9 C 237.80 - , vom 27.4.1982 - 9 C 308.81 - , Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nrn. 27 und 37, und vom 23.6.1989 - 9 C 51.88 - .

Die bloße Möglichkeit allerdings, dass sich die politischen Verhältnisse in weiterer Zukunft verändern können und der Asylbewerber dann vielleicht verfolgt wird, vermag einen Asylanspruch nicht zu begründen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.4.1982 - 9 C 308.81 -, a.a.O.

Die vorgenannten Prognosemaßstäbe gelten auch für die Beurteilung, ob ein Asylsuchender politisch Verfolgter im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 1.94 -, a.a.O.

Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Zusammenhang nicht der herabgestufte Prognosemaßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit zu Grunde zu legen, sondern es ist zu fragen, ob der Klägerin im Falle der Ausreise in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Die Klägerin war in der Türkei zu keiner Zeit politischer Verfolgung ausgesetzt, dort also auch nicht vorverfolgt. Im vorliegenden Zusammenhang unerheblich ist es, ob die ihren Glauben praktizierenden Yeziden in ihren angestammten Siedlungsgebieten in der Türkei einer regional begrenzten mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt waren. Bei einer derartigen Gruppenverfolgung sind jedenfalls diejenigen Angehörigen der religiösen oder ethnischen Gemeinschaft nicht als vorverfolgt anzusehen, die mangels Gebietsansässigkeit nicht zu der gefährdeten Gruppe gehören, denn sie waren von vornherein nicht von der Verfolgung betroffen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.3.2000 - 9 B 620/99 - , Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG, Nr. 231, m.w.N.

Danach sind erst recht diejenigen, die sich - wie die Klägerin - nicht einmal in dem Land aufgehalten haben, in dem die Gruppenverfolgung möglicherweise stattgefunden hat, nicht als vorverfolgt anzusehen. In Anwendung dieser Maßstäbe und unter Auswertung des zur Verfügung stehenden Erkenntnismaterials geht der Senat davon aus, dass die Klägerin im Falle einer Ausreise in die Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer mittelbar staatlichen Gruppenverfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit als Yezidin ausgesetzt sein wird. Im nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist eine dementsprechende Verfolgungslage nicht gegeben.

Vgl. ebenso Schl.-H. OVG, Urteil vom 29.9.2005 - 1 LB 38/04 - ; vgl. auch die - zurückliegende Zeiträume betreffende - gegenteilige Einschätzung in der Rechtsprechung des früher zuständigen 8. Senats des OVG NRW: Urteil vom 22.1.2001 - 8 A 4154/99.A -.

Das erkennende Gericht ist seit Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts davon ausgegangen, dass ihren Glauben praktizierende Yeziden in ihren angestammten Siedlungsgebieten im Südosten der Türkei wegen ihrer Religionszugehörigkeit einer mittelbaren Gruppenverfolgung durch die muslimische Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt waren (wird ausgeführt).

Nach erneuter Überprüfung besteht zum jetzigen Zeitpunkt keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass Yeziden einer asylerheblichen Gruppenverfolgung in der Türkei ausgesetzt sind. Soweit die Angehörigen der Gruppe überhaupt von Verfolgungsschlägen getroffen werden sollten, fallen diese jedenfalls nicht mehr so dicht und eng gestreut, dass für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet ist, in eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden.

Nach den oben aufgeführten Grundsätzen gilt dieser Maßstab auch für kleine und sehr kleine Gruppen und damit auch für die Gruppe der Yeziden in der Südosttürkei. Dabei kann offen bleiben, ob die in Rede stehende Gruppe entsprechend der unter Beweis gestellten Behauptung der Klägerin nur aus 363 Personen besteht, vgl. Auskunft des Yezidischen Forums e.V. vom 30.10.2005 an RA Walliczek: 363 Personen (Stand 15.1.2005), oder ob von ca. 2000 Personen auszugehen ist.

vgl. AA, Lagebericht vom 11.11.2005 - Stand: Anfang November 2005 -.

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob - wie die Klägerin meint - die Maßstäbe für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung bei extrem kleinen Gruppen, die nicht mehr als Gruppe wahrgenommen werden, zu modifizieren sind. Denn es kann keine Rede davon sein, dass eine Verfolgung der Yeziden in der Türkei deshalb nicht mehr stattfände, weil es dort derzeit keine Gruppenmitglieder mehr gäbe. Vielmehr werden nach dem Vortrag der Klägerin in den traditionellen Siedlungsgebieten 20 Dörfer von Yeziden bewohnt, wobei in 11 Dörfern immerhin jeweils mehr als 10 Yeziden leben. Kommt es deshalb nicht entscheidungserheblich darauf an, ob lediglich noch 363 Yeziden in der Türkei leben, war der darauf bezogene Beweisantrag der Klägerin abzulehnen. Es sei allerdings angemerkt, dass die Richtigkeit der Angaben des Yezidischen Forums e.V. hinsichtlich der Anzahl der Gruppenmitglieder zweifelhaft sind. Sie vermitteln zwar den Eindruck einer präzisen Feststellung der exakten Personenzahl, benennen hierfür aber keine Quellen. Hierzu hätte um so mehr Anlass bestanden, weil das Yezidische Forum e.V. in einem Schreiben vom 8.8.2004 an Rechtsanwalt Neuhoff aus Osnabrück die Zahl der in der Türkei lebenden Yeziden noch mit maximal 150 angegeben hat. Jedenfalls aber handelt es sich bei den in der Türkei lebenden Yeziden - seien es 363, seien es ca. 2000 - um eine vergleichsweise kleine Gruppe im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des BVerwG.

Derzeit hat sich die Situation der Yeziden im Vergleich zu den Jahren zwischen 1980 und 2000 beruhigt.

Vgl. Auskunft des Yezidischen Forums e.V. vom 3.2.2006 an Rechtsanwalt Walliczek.

Nach der aktuellen Erkenntnislage sind in den letzten Jahren allenfalls vereinzelte religiös motivierte Verfolgungsmaßnahmen gegen in der Türkei verbliebene Yeziden festzustellen.

Nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes sind in den traditionellen Siedlungsgebieten der Yeziden im Südosten der Türkei seit mehreren Jahren keine religiös motivierten Übergriffe von Moslems gegen Yeziden bekannt geworden. (Vgl. AA, Lageberichte vom 11.11.2005, S. 20 f., vom 3.5.2005 - Stand: Februar 2005 -, S. 16, und vom 19.5.2004 - Stand: April 2004 -, AA, Auskunft vom 20.1.2006 an OVG LSA). Diese Angaben stützen sich u.a. auf Befragungen einzelner Yeziden im Südosten der Türkei: So hat ein am 27.7.2003 durchgeführter Besuch von Vertretern der Deutschen Botschaft in Ankara in einem Dorf in der Provinz Batman bei einem Gespräch mit aus Deutschland zurückgekehrten Yeziden ergeben, dass es dort seit der Rückkehr keine Schwierigkeiten mit den in den Nachbardörfern lebenden Moslems gegeben hat.

Vgl. AA, Auskunft an VG Braunschweig vom 3.2.2004

Nach der vorgenannten Auskunft hat des Weiteren ein "maßgeblicher Yezidenführer" in Besiri/Batman Vertretern der Deutschen Botschaft erklärt, in der Region um Batman gebe es noch ca. 17 bis 18 Yezidendörfer, bei denen es sich sowohl um Dörfer mit reiner Yezidenbevölkerung als auch um Dörfer mit gemischt muslimisch-yezidischer Bevökerung handele. In den letzten Jahren habe sich das Verhältnis zwischen den Religionsgruppen erheblich verbessert. In den Kreisen Besiri, Batman und Bismil - nach der oben zitierten Auskunft des Yezidischen Forums e.V. vom 30.10.2005 waren am Stichtag 15.1.2005 immerhin knapp 30 % (102) aller Yeziden im Kreis Besiri wohnhaft - habe es in jüngerer Zeit keine Übergriffe gegen Yeziden gegeben. Gleichlautend hat der Dorfvorsteher des Yezidendorfs Burc/Kreis Viransehir/Provinz Sanliurfa - im Kreis Viransehir waren nach der genannten Auskunft ca. 50 % aller Yeziden wohnhaft - am 22.7.2003 gegenüber Vertretern der Deutschen Botschaft angegeben, eine Vertreibung der in dieser Region lebenden Yeziden bzw. Übergriffe seitens muslimischer Dorfbewohner habe es nicht gegeben. Es gebe auch keine Schwierigkeiten mit muslimischen Nachbarn.

Vgl. AA, Auskunft an VG Braunschweig vom 3.2.2004

Es besteht kein Grund daran zu zweifeln, dass die in den vorgenannten Auskünften des Auswärtigen Amtes erwähnten Erklärungen von in der Türkei lebenden Yeziden in der zitierten Form abgegeben worden sind , zumal das Auswärtige Amt die Situation der Yeziden in der Vergangenheit durchaus kritisch gesehen und eine asylerhebliche Gruppenverfolgung der Yeziden angenommen hat. Ebensowenig besteht Anlass zu der Annahme, die zitierten Erklärungen seien inhaltlich unzutreffend. Soweit in der zitierten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3. 2.2004 von einem "maßgeblichen Yezidenführer" die Rede ist, handelt es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine Bewertung der Bedeutung der Person innerhalb der Gruppe der Yeziden durch das Bundesamt. Deshalb war der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag, mit dem die Funktion als "maßgeblicher Yezidenführer" in Zweifel gezogen wird, abzulehnen, zumal der Senat unterstellt, dass es keine "amtlichen" Sprecher oder Vertreter innerhalb der Yezidischen Religionsgemeinschaft gibt. Bedenken gegen die inhaltliche Richtigkeit der Erklärungen des "maßgeblichen Yezidenführers" werden hierdurch aber nicht begründet. Sie ergeben sich auch nicht aus der Auskunft des Yezidischen Forums vom 3. 2.2006 an Rechtsanwalt Walliczek, wonach es in letzter Zeit mehrfach Übergriffe auf Yeziden gegeben haben soll. Von diesen Übergriffen werden lediglich vier nach Ort, Zeit und den betroffenen Personen näher konkretisiert. Im Übrigen wird pauschal - ohne irgendwelche weiteren Einzelheiten - auf weitere Fälle vergleichbarer Art Bezug genommen, denen nachgegangen werde. Drei der näher konkretisierten Übergriffe sollen sich 2004, Anfang 2005 und im Oktober 2005 ereignet haben, also nach dem Zeitpunkt, zu dem die vom Auswärtigen Amt zitierten Yeziden ihre Erklärungen abgegeben haben. Lediglich der vierte Übergriff soll bereits vorher, nämlich 2002 stattgefunden haben. Er wird aber in Zusammenhang mit der Stadt Nusaybin gebracht, auf die sich die Erklärungen der vom Auswärtigen Amt zitierten Yeziden nicht beziehen. Der Senat kann für das vorliegende Verfahren unterstellen, dass die vier konkretisierten Vorfälle stattgefunden haben, denn diese Vorfälle sind nicht entscheidungserheblich. Auch wenn sie asylrelevant sein sollten, wofür bislang keine Anhaltspunkte bestehen, lägen jedenfalls keine so dicht und eng gestreuten Verfolgungsschläge vor, dass für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet wäre, in eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der gravierendste Vorfall, der Mord an den Angehörigen der Sheikkaste Sheredin Sancar und seiner schwangeren Ehefrau, im März 2002 erfolgt sein soll und damit fast vier Jahre zurückliegt. Für die Bewertung der derzeitigen Gefährdungssituation der Gruppenangehörigen hat er deshalb nur relativ geringe Bedeutung. Es bleiben damit im Wesentlichen drei Verfolgungsfälle aus den Jahren 2004 und 2005, wobei den Verfolgten in einem Fall schwere Verletzungen zugefügt worden sein sollen, es in einem weiteren Fall zur gewaltsamen Wegnahme der halben Ernte gekommen sein und es im letzten Fall bei massiven Drohungen geblieben sein soll. Auch im Hinblick auf die - unterstellte - relativ geringe Anzahl von 363 Gruppenangehörigen ist damit die für die Annahme einer Gruppenverfolgung vorausgesetzte Verfolgungsdichte - ungeachtet der Frage, inwieweit etwaige Verfolgungsschläge dem türkischen Staat überhaupt zugerechnet werden können - ersichtlich nicht gegeben. Der Senat konnte deshalb den in der mündlichen Verhandlung in Anknüpfung an die Beweisankündigungen im Schriftsatz vom 3.2.2006 gestellten Beweisantrag der Klägerin mit der Beweisbehauptung, es habe in den letzten drei Jahren in der Südosttürkei mindestens neun schwerwiegende asylrelevante Übergriffe seitens der Moslems auf Yeziden aus religiösen Gründen gegeben, ablehnen, weil die vorstehend abgehandelten vier Fälle nicht entscheidungserheblich sind und es sich in den weitergehenden fünf Fällen um einen Ausforschungsbeweisantrag handelte. Hierbei hat der Senat zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass die angesprochenen neun Fälle die vier abgehandelten Fälle einschließen, die in der Anlage zum Schriftsatz vom 3.2.2006 (Auskunft des Yezidischen Forums e.V. vom 3.2.2006 an RA Walliczek) konkretisiert worden sind. Wie oben ausgeführt fehlt es hinsichtlich der weiteren fünf Fälle an jeglichen konkretisierenden Angaben und damit an tatsächlichen Grundlagen für die unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen. Für deren Wahrheitsgehalt sprach damit nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Dies galt um so mehr, als auch nach der Auskunft des Yezidischen Forums e.V. bislang lediglich Hinweise vorliegen sollen, denen weiter nachgegangen werde. Es kam hinzu, dass auch die vier näher konkretisierten Fälle, mit denen die weiteren Fälle vergleichbar sein sollen, keine Asylrelevanz erkennen ließen. Von daher lag hinsichtlich der fünf weiteren Fälle ein unzulässiger Ausforschungsbeweis vor. Dem steht nicht entgegen, dass das Gericht bis 2003 von einer Gruppenverfolgung der Yeziden in der Südosttürkei ausgegangen ist. Allein dieser Umstand führt nicht dazu, dass für den Wahrheitsgehalt der pauschal auf die letzten drei Jahre bezogenen Behauptung (weiterer) fünf asylrelevanter Übergriffe bereits eine zur Beweiserhebung verpflichtende Wahrscheinlichkeit bestünde. Unterstellt der Senat die oben genannten vier Vorfälle als asylrelevant, so wird dadurch die Aussagekraft der oben zitierten Auskünfte des Auswärtigen Amtes, wonach in den letzten Jahren keine religiös motivierten Übergriffe von Moslems gegen Yeziden bekannt geworden seien, nicht in dem Sinne relativiert, dass den Auskünften keine Bedeutung mehr zukäme. Vielmehr hat es im Hinblick auf die dem Auswärtigen Amt eröffneten Erkenntnismöglichkeiten nach wie vor Gewicht, wenn diesem dementsprechende Übergriffe nicht bekannt geworden sind. Von den vorliegenden Erkenntnissen ausgehend ist es auszuschließen, dass auch in jüngerer Zeit gleichwohl asylerhebliche Verfolgungsschläge von einer eine Gruppenverfolgung begründenden Verfolgungsdichte gegen Yeziden erfolgt sein könnten und lediglich nicht bekannt geworden wären. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Beobachtungstätigkeit der zahlreichen in der Türkei tätigen Menschenrechtsorganisationen, die inzwischen ungehindert arbeiten können, vgl. AA, Lagebericht vom 11.11.2005, S. 8 f., und denen ein dementsprechendes Verfolgungsgeschehen nicht verborgen geblieben sein könnte, zumal auch die verschiedenen Organisationen der Yeziden im Ausland ein erhebliches Interesse an der Veröffentlichung derartiger Vorfälle hätten. Es kommt hinzu, dass es sich bei den in der Vergangenheit zu beobachtenden Übergriffen der muslimischen Mehrheitsbevölkerung um öffentlich wahrnehmbare Gewaltakte gehandelt hat und keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Verfolgung nunmehr im Verborgenen, unbemerkt von der Öffentlichkeit stattfinden könnte. Hiergegen spricht auch, dass der türkische Staat erkennbar bemüht ist, die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Europäische Union gerade auch in Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte zu erfüllen und in Verfolgung dieses Zieles bereits eine Vielzahl von Verfassungs- und Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht hat. Soweit die Klägerin zur Begründung ihrer Klage Bezug nimmt auf Passagen aus dem Fortschrittsbericht der EU-Kommission vom 9.11.2005 sowie dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 18.5.2005 - Türkei - ist nicht ersichtlich, dass sich diese unmittelbar auf Yeziden und diesen zugefügte oder drohende asylerhebliche Nachteile beziehen.

Von einem Zusammenhang zwischen der Beruhigung der Situation in der Region im Vergleich zu früheren Jahren und der internationalen Debatte um die EU-Mitgliedschaft der Türkei geht auch das Yezidische Forum e.V. in seiner Auskunft vom 3.2.2006 an Rechtsanwalt Walliczek aus.

Im Rahmen dieses Bestrebens sind die türkischen Staatsorgane zunehmend bereit und in der Lage, verfolgte Minderheiten und auch die Yeziden gegen Übergriffe Dritter zu schützen. Dies wird belegt durch einen Rechtsstreit, der Ende 2001 vor dem erstinstanzlichen Zivilgericht Batman anhängig war. Hierbei haben fünf Yeziden die Rückgabe ihrer Häuser erstritten, die nach ihrem Wegzug von Moslems in Besitz genommen worden waren.

Vgl. AA, Auskunft an VG Braunschweig vom 3.2.2004

Im Jahre 2004 hat die türkische Armee das von Dorfschützern besetzte yezidische Dorf Magara im Landkreis Sirnak-Idil geräumt und den zurückgekehrten yezidischen Eigentümern übergeben.

Vgl. Neubeginn in assyrischen Dörfern der Südosttürkei, NZZ 2004, S. 6 ff.; Die Yeziden kehren heute in ihre Dörfer zurück, Özgür Politika, 15.10.2004; Endlich bekommen die Yeziden ihr Dorf zurück !, Özgür Politika, 16.10.2004

In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass der Provinzgouverneur von Batman nach einem Bericht von CNN Türk Yeziden besucht hat, die in das Dorf Kumgecit zurückgekehrt sind. Hierbei hat er den Yeziden Hilfe zugesagt und dem Landrat von Besiri hierzu Anweisungen erteilt.

Vgl. AA, Bericht an BAMF vom 26.10.2005.

Dieses allgemeine Klima der deutlichen Entspannung der Situation der Yeziden in der Türkei wird schließlich bestätigt dadurch, dass es in Besiri mittlerweile einen Yezidenverein gibt unter dem Vorsitz eines früher in Deutschland lebenden Yeziden, der u.a. bei der Beerdigung von im Ausland verstorbenen Yeziden Unterstützung leistet und auch rückkehrwilligen Yeziden behilflich ist.

Vgl. AA, Bericht an BAMF vom 26.10.2005.

Nach alledem ist nicht nur derzeit eine asylerhebliche Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei zu verneinen, sondern es ist auch in absehbarer Zeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer derartigen Gruppenverfolgung zu rechnen. Ob die Situation sich ändern würde, wenn eine Vielzahl von yezidischen Asylbewerbern in relativ kurzer Zeit in die Türkei zurückkehren sollte, braucht der Senat derzeit nicht zu entscheiden, weil die Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG allein an der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auszurichten ist. Die bloße Möglichkeit, dass sich die politischen Verhältnisse in weiterer Zukunft verändern können und der Asylbewerber dann vielleicht verfolgt wird, vermag einen Asylanspruch nicht zu begründen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.4.1982 - 9 C 308.81 -, a.a.O.; Schl.-H. OVG, Urteil vom 29.9.2005 - 1 LB 38/04 -.

Insoweit ändern auch zu beobachtende Tendenzen einer zunehmenden Islamisierung derzeit nichts an der getroffenen Verfolgungsprognose. Die vorgenannten tatsächlichen Feststellungen sind ausreichend, um die Gefahr politischer Verfolgung der Klägerin zuverlässig einschätzen zu können, so das eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich war.

Die Frage, ob einer bestimmten Gruppe von Menschen insbesondere wegen ihres Volkstums, ihrer Rasse oder Religion politische Verfolgung droht, ist nicht nur eine tatsächliche Feststellung, sondern zugleich auch das Ergebnis einer aufgrund festgestellter Tatsachen erfolgten rechtlichen Würdigung. Die Bildung der dafür notwendigen richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO setzt nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG eine ausreichende Erforschung des Sachverhalts voraus. Was dabei die hier zur Rede stehende Gefahrenprognose einer Gruppenverfolgung angeht, so verlangt ihre Erstellung wegen der Vielzahl von Ungewissheiten über die asylrelevante Entwicklung in einem ausländischen Staat eine sachgerechte, der jeweiligen Materie angemessene und methodisch einwandfreie Erarbeitung ihrer tatsächlichen Grundlagen. Dazu gehört nach übereinstimmender Rechtsprechung des BVerfG und BVerwG, dass - soweit und solange es im Asylrecht keine speziellen gesetzlichen Beweisregeln oder ein besonderes Beweisverfahren gibt - die Tatsachengerichte bei der Feststellung vor allem von Wortlaut, Inhalt und praktischer Handhabung ausländischer Strafvorschriften sowie bei der Feststellung sonstiger genereller Tatsachen besondere Aufklärungspflichten haben, durch die sie gehalten sind, alle möglichen und verfügbaren Erkenntnisquellen auszuschöpfen, um zu einer verlässlichen Beurteilung der Frage einer möglichen Gruppenverfolgung zu kommen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.3.1990 - 9 C 91.89 - , BVerwGE 85, 92, 93 f.

Hiervon ausgehend brauchte der Senat keine weiteren Erkenntnisquellen zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr von Yeziden auszuschöpfen, insbesondere kein Sachverständigengutachten einzuholen. Denn der Senat konnte seine Prognose auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel ausreichend bilden. Diese zahlreichen Erkenntnismittel aus unterschiedlichen Quellen liefern ein aussagekräftiges und homogenes Bild der Situation der Yeziden in der Türkei; dass die vorliegenden Erkenntnisse fehlerhaft wären, ist nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sind auch dann nicht gegeben, wenn in der Türkei yezidische Gemeinden sowie die für die Murids zuständigen Sheiks bzw. Pirs nicht oder nur eingeschränkt vorhandensein sollten. Zwar kann sich eine die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung rechtfertigende Verfolgung nicht nur aus Eingriffen in Leib, Leben oder persönliche Freiheit des Betroffenen ergeben, sondern auch aus Eingriffen in andere Rechtsgüter wie die Religionsfreiheit, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen. Dies ist der Fall, wenn die Eingriffe ein solches Gewicht erhalten, dass sie in den elementaren Bereich eingreifen, den der Einzelne unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde wie nach internationalem Standard als so genanntes religiöses Existenzminimum zu seinem Leben- und Bestehen können als sittliche Person benötigt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.1.2004 - 1 C 9.03 -, BVerwGE 120, 16 ff.

Eine asylerhebliche Verletzung des religiösen Existenzminimums droht der Klägerin im Falle der Rückkehr in die Türkei nicht. Dabei verkennt der Senat nicht die Bedeutung, die der religiösen Betreuung durch einen Sheikh und einen Pir für ein funktionierendes Gemeindeleben der Yeziden zukommt. Nicht jede Beeinträchtigung eines funktionierenden Gemeindelebens führt jedoch bereits zu einer Verletzung des religiösen Existenzminimums. Zur Überzeugung des Senats schließt auch für glaubensgebundene Yeziden das Fehlen ausreichender priesterlicher Betreuung und das Leben ohne eine funktionierende Gemeinde die Religionsausübung in ihrem Kernbereich nicht ohne weiteres aus. Besondere Umstände, aus denen sich im vorliegenden Fall eine dementsprechende Rechtsverletzung ergeben könnte, sind nicht ersichtlich. Unabhängig davon läge eine Verletzung des religiösen Existenzminimums nur dann vor, wenn die Religionsausübung in ihrem unverzichtbaren Kern durch staatliche oder dem Staat zurechenbare Eingriffe unmöglich gemacht würde.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.1.2004 - 1 C 9.03 -, a.a.O.

Unter diesem Gesichtspunkt ist der Heimatstaat also nicht zur Gewährleistung einer bestimmten religiösen Infrastruktur verpflichtet. Die von der Klägerin geltend gemachten religiösen Beeinträchtigungen beruhen nicht auf staatlichen oder dem Staat zurechenbaren Eingriffen, sondern sind lediglich tatsächliche Folge der vergleichsweise geringen Zahl von in der Türkei lebenden Yeziden.

Vgl. Schl.-H. OVG, Urteil vom 29.9.2005 - 1 LB 38/04 -.

Der auf die Religionsausübung bezogene Beweisantrag war deshalb abzulehnen.

Liegt damit eine mittelbare Gruppenverfolgung der Klägerin in den angestammten Siedlungsgebieten der Yeziden in der Südosttürkei nicht vor, so kommt es auf das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative nicht an. Auch der darauf bezogene Beweisantrag war daher abzulehnen.

Ende der Entscheidung

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