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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 25.07.2006
Aktenzeichen: 15 A 2316/04
Rechtsgebiete: KAG NRW


Vorschriften:

KAG NRW § 8
1. Ein Grundstück wird grundsätzlich nur durch die nächst erreichbare selbständige Straße erschlossen, wobei es unerheblich ist, ob diese Straße nach dem Straßenbaubeitragsrecht der Gemeinde in den Kreis der beitragsfähigen Anlagen einbezogen ist (hier entschieden für einen Wirtschaftsweg).

2. Im Straßenbaubeitragsrecht können Wirtschaftswege, die im Wesentlichen nicht baulich oder gewerblich nutzbare Außenbereichsgrundstücke erschließen, beitragsfähige selbständige Anlagen sein.


Tatbestand:

Die Kläger sind Eigentümer eines Wohnhausgrundstücks, das an den der Stadt gehörenden Wirtschaftsweg H.-Weg grenzt. Etwa 30 m vom Grundstück entfernt mündet der H.-Weg in die I.-Straße. Die Stadt baute die I.-Straße aus und zog die Kläger zu einem Straßenbaubeitrag heran. Die dagegen gerichtete Klage war in beiden Instanzen erfolgreich.

Gründe:

Das klägerische Grundstück unterliegt wegen des Ausbaus der I.-Straße nicht der Beitragspflicht, weil den Grundstückseigentümern durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Straße keine beitragsrechtlich relevanten wirtschaftlichen Vorteile geboten werden (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW).

Eine Inanspruchnahmemöglichkeit in diesem Sinne wird in erster Linie Eigentümern von Grundstücken geboten, die unmittelbar an der ausgebauten Straße liegen. Diese sind beitragsrechtlich relevant erschlossen, wenn bis zu deren Grenze von der ausgebauten Straße herangefahren werden kann und sie von dort aus - unbeschadet eines eventuell dazwischenliegenden Gehweges, Radweges oder Seitenstreifens - ohne weiteres betreten werden können.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.10.2005 - 15 A 240/04 -, KStZ 2006, 16 (17).

Das trifft für das klägerische Grundstück nicht zu. Es grenzt vielmehr an den städtischen H.-Weg, der seinerseits in die ausgebaute I.-Straße mündet.

Das Grundstück ist auch nicht deshalb durch die I.-Straße erschlossen, weil der H.-Weg als unselbständiges Anhängsel der I.-Straße eine bloße Zufahrt zum klägerischen Grundstück wäre. Der H.-Weg ist nämlich eine selbständige Straße. Ob ein Straßenzug selbständige Straße oder unselbständiges Anhängsel eines Straßenhauptzuges ist, bemisst sich nach dem Gesamteindruck, der sich nach den tatsächlichen Verhältnissen einem unbefangenen Beobachter darbietet, vor allem unter Berücksichtigung von Länge und Breite des Abzweigs, der Beschaffenheit seines Ausbaus, der Zahl der durch ihn erschlossenen Grundstücke sowie das damit verbundene Maß der Abhängigkeit vom Hauptzug.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.6.2003 - 15 B 460/03 -, S. 4 des amtlichen Umdrucks, Urteil vom 29.6.1992 - 2 A 2580/91 -, NWVBl. 1993, 219 (220); ähnlich im Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urteil vom 23.6.1995 - 8 C 30.93 -, DVBl. 1995, 1137 (1138).

Nach diesen Maßstäben ist der H.-Weg eine selbständige Straße. Das ergibt sich schon aus seiner beträchtlichen Länge von über einem halben Kilometer und dem Umstand, dass er an beiden Enden in eine öffentliche Straße mündet. Gestützt wird diese Bewertung durch seinen Ausbauzustand in Form einer durchgehenden Asphaltierung und die Vielzahl der - im Wesentlichen außenbereichstypisch genutzten - erschlossenen Grundstücke. Der H.-Weg hat den Charakter einer selbständigen Straße in Form eines Wirtschaftsweges. Nichts spricht für den Charakter eines bloßen unselbständigen Anhängsels der I.-Straße.

Unerheblich ist, das straßenverkehrsrechtlich Kraftfahrzeugverkehr auf dem H.-Weg durchgängig nur in Form landwirtschaftlichen Verkehrs zulässig ist, während bis zu 50 m hinter dem Verkehrsschild nach der Einmündung in die I.-Straße allgemein Anliegerverkehr erlaubt ist. Dies mag der verkehrlichen Erschließung gerade des klägerischen Grundstücks und weiterer mit Wohnhäusern bebauter Grundstücke dienen, ändert aber nichts am Charakter des H.-Wegs als selbständiger, der Erschließung der anliegenden Grundstücke dienenden Straße. In der verkehrsrechtlichen Regelung spiegeln sich allenfalls die unterschiedlichen verkehrlichen Erschließungsbedürfnisse von bebauten Grundstücken einerseits und unbebaubaren Außenbereichsgrundstücken andererseits.

Da ein Grundstück grundsätzlich nur durch die nächst erreichbare selbständige Straße erschlossen wird, nicht aber durch eine weitere Straße im Straßennetz, in die diese nächst erreichbare selbständige Straße mündet, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.6.2003 - 15 B 460/03 -, S. 3 f. des amtlichen Umdrucks; zum Erschließungsbeitragsrecht vgl. BVerwG, Urteil vom 29.8.2000 - 11 B 48.00 -, DöV 2001, 37, wird das klägerische Grundstück nur durch den H.-Weg erschlossen.

Unerheblich ist, dass der H.-Weg nach dem Vortrag der Beklagten, die eine Widmung in Abrede stellt, durch die Straßenbaubeitragssatzung nicht in den Kreis der beitragsfähigen Anlagen einbezogen ist. Nach § 1 der Straßenbaubeitragssatzung (SBS) werden nämlich Beiträge nur gefordert für den Ausbau öffentlicher Straßen. Damit sind straßenrechtlich öffentliche Straßen gemeint.

Vgl. zur Auslegung einer solchen Satzungsregelung OVG NRW, Beschluss vom 14.11.1997 - 15 A 529/95 -, OVGE 46, 220 f.

Jedoch hängt die Frage, von welcher selbständigen Straße ein Grundstück beitragsrechtlich relevant erschlossen wird, nicht davon ab, ob die nächsterreichbare selbständige Straße zum Kreis der beitragsfähigen Anlagen gehört. So ist für das Erschließungsbeitragsrecht anerkannt, dass befahrbare Privatstraßen, die im oben genannten Sinne selbständig und zum Anbau bestimmt und geeignet sind, Erschließungsanlagen im Sinne des § 123 Abs. 2 BauGB sind, obwohl sie mangels straßenrechtlicher Öffentlichkeit keine beitragsfähigen Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB sind. Dennoch werden Grundstücke, die an einer solchen Privatstraße liegen, nur durch diese erschlossen und unterliegen nicht der Beitragspflicht für die öffentliche Straße, in die die Privatstraße mündet.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 29.8.2000 - 11 B 48.00 -, DöV 2001, 37, vom 16.9.1998 - 8 C 8.97 -, DVBl. 1999, 395 (397) und vom 23.3.1984 - 8 C 65.82 -, DVBl. 1984, 683.

Hier besteht erst recht kein Grund, den Umstand, dass Wirtschaftswege wie der H.-Weg nach dem Satzungsrecht der Stadt möglicherweise nicht zu den beitragsfähigen Anlagen gehören, zum Anlass zu nehmen, die beitragsrechtlich relevante Erschließung des klägerischen Grundstücks allein durch den H.-Weg zu verneinen. Denn der H.-Weg könnte sogar durch das Satzungsrecht in den Kreis der beitragsfähigen Anlagen aufgenommen werden.

Die straßenrechtliche Öffentlichkeit ist kein notwendiges Merkmal einer beitragsfähigen öffentlichen Anlage nach § 8 Abs. 2 Satz 1 KAG NRW.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.11.1997 - 15 A 529/95 -, OVGE 46, 220 f.

Straßenrechtlich öffentliche Wege sind nur als Teilmenge in der größeren Menge der beitragsfähigen öffentlichen Einrichtungen und Anlagen enthalten (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 KAG NRW). Daher können auch nur tatsächlich öffentliche gemeindliche Straßen, so sie nur kraft öffentlich-rechtlicher Erschließung für die Öffentlichkeit bereitgestellt werden, beitragsfähige öffentliche Einrichtungen sein.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1.6.1977 - II A 1475/75 -, KStZ 1977, 219 (220).

Der Umstand, dass der H.-Weg zum größten Teil nicht zum Anbau bestimmt ist, da er überwiegend durch den Außenbereich führt, schließt eine Beitragserhebung nach § 8 KAG NRW für einen Ausbau im Gegensatz zum Erschließungsbeitragsrecht nicht aus. Das ergibt sich aus dem andersartigen Vorteils- und Anlagenbegriff des § 8 KAG NRW, der alle Anlagen erfasst, die den Grundstückseigentümern durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme wirtschaftliche Vorteile bieten. Der wirtschaftliche Vorteil erfasst damit nicht nur Erhöhungen des Gebrauchswerts baulich oder gewerblich nutzbarer Grundstücke, sondern betrifft alle Nutzungen, die durch eine verkehrliche Erschließung des Grundstücks Vorteile ziehen. Im Gegensatz dazu sind im Erschließungsbeitragsrecht nach § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB nur die zum Anbau bestimmten Straßen beitragsfähige Erschließungsanlagen und nur Grundstücke beitragspflichtig, die baulich oder gewerblich nutzbar sind (§ 133 Abs. 1 BauGB). Daher können im Straßenbaubeitragsrecht Wirtschaftswege, die im Wesentlichen nicht baulich oder gewerblich nutzbare Außenbereichsgrundstücke erschließen, beitragsfähige selbständige Anlagen sein.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.6.2003 - 15 B 460/03 -, S. 5 des amtlichen Umdrucks, Urteil vom 1.6.1977 - II A 1475/75 -, KStZ 1977, 219; vgl. auch zu den Bemühungen des Nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindebundes, Wirtschaftswege in den Kreis der beitragsfähigen Anlagen einzubeziehen, Straßenbaubeitragsrecht - Satzungsmuster des STGB NRW, Städte- und Gemeinderat 2004, Heft 1 bis 2, S. 30.

Sieht aber eine Gemeinde von der satzungsrechtlichen Einbeziehung bestimmter Straßen in die Beitragsfähigkeit ab, so kommen durch solche Straßen erschlossene Grundstücke in den Genuss der durch eben diese satzungsrechtliche Entscheidung bewirkten beitragsfreien Erschließung. Für eine Beitragsbeteiligung am Ausbau der nächsterreichbaren beitragsfähigen Straße durch Erweiterung des Begriffs der vorteilsrelevanten Inanspruchnahmemöglichkeit nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW besteht kein Anlass.

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