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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 30.09.2005
Aktenzeichen: 15 A 2983/05
Rechtsgebiete: KWahlG NRW


Vorschriften:

KWahlG NRW § 40 Abs. 1 Buchst. b
1. Begeht bei einer Bürgermeisterwahl eine Fraktion zur Unterstützung ihres Kandidaten eine unzulässige Wahlbeeinflussung, findet der weite Prüfungsmaßstab für private, nicht der restriktive für amtliche Wahlbeeinflussung Anwendung.

2. Der Senat lässt offen, ob über die bislang anerkannten Fallgruppen unzulässiger Wahlbeeinflussung hinaus dann ein besonderer Prüfungsmaßstab gilt, wenn der erfolgreiche Bewerber selbst die unzulässige Wahlbeeinflussung - unmittelbar oder mittelbar - bewirkt hat.


Tatbestand:

Der Kläger als Wahlberechtigter focht eine Bürgermeisterwahl in einer Gemeinde an, weil eine Ratsfraktion den Bürgermeisterkandidaten ihrer Partei mit einer Wahlwerbeschrift unterstützt hatte, in der dem Landrat des Kreises, dem die Gemeinde angehörte, und dem Bürgermeister einer Nachbargemeinde den Kandidaten unterstützende Äußerungen zugeschrieben wurden, die sie nie getan hatten. Das VG wies die Klage ab. Das OVG NRW lehnte die Zulassung der Berufung ab.

Gründe:

Die Auffassung des VG, die falsche Darstellung von Äußerungen des Landrats und des Bürgermeisters einer Nachbargemeinde in der Wahlwerbedruckschrift der X-Fraktion im beklagten Rat stelle keinen relevanten Wahlfehler dar, erscheint im Gegenteil als richtig.

Bislang sind in der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts vier Arten unzulässiger Wahlbeeinflussung mit je unterschiedlichem Maßstab anerkannt, nämlich die strafbare, die amtliche, die geistliche und die unter besonderem Druck vorgenommene private Wahlbeeinflussung.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.3.1997 - 15 A 6240/96 -, NWVBl. 1997, 395 m.w.N.; vgl. zur Wahlbeeinflussung als mögliche Verletzung der Freiheit der Wahl: Jarras/Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl., Art. 38 Rn. 13 ff.

Zu Recht hat das VG im Rahmen der Prüfung, ob ein Wahlfehler im Sinne des § 40 Abs. 1 Buchst. b KWahlG vorliegt, auf die unwahren Ausführungen in der Wahlwerbedruckschrift der X-Fraktion nicht die Grundsätze unzulässiger amtlicher Wahlbeeinflussung angewandt. Amtliche Wahlbeeinflussung ist grundsätzlich unzulässig und unterliegt damit besonders scharfen Restriktionen, weil mit ihr hoheitliche Autorität zur Beeinflussung der Wahl in Anspruch genommen wird. Die Freiheit der Wahl erfordert aber, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können. Daraus ergibt sich, dass hoheitliche Autorität, die selbst demokratischer Legitimation bedürftig ist, nicht eingesetzt werden darf, um die Wahl als Akt demokratischer Legitimationsverschaffung zu beeinflussen.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125 (139 ff.).

Hier ist die X-Fraktion zwar ein Teil des Rates und insofern in die Gemeinde als Hoheitsträger eingeordnet. Jedoch kann die Fraktion nicht die Autorität der Gemeinde in Anspruch nehmen, da sie lediglich die Auffassung der einzelnen Ratsmitglieder bündelt, die sich - hier auf der Basis derselben Parteizugehörigkeit - zu der Fraktion zusammen geschlossen haben. Daher kann eine Fraktion ebenso wenig hoheitliche Autorität für sich in Anspruch nehmen wie das einzelne Ratsmitglied, mag auch Äußerungen einer Fraktion - namentlich einer Mehrheitsfraktion - erhebliches politisches Gewicht zukommen . Insofern beurteilt sich die Wahlbeeinflussung durch eine Fraktion ebenso wie die durch eine Partei nach den Grundsätzen privater Wahlbeeinflussung. Die Schwelle einer einen Wahlfehler darstellenden unzulässigen privaten Wahlbeeinflussung, also die unter besonderem Druck vorgenommene Einwirkung auf den Wähler, die geeignet ist, dessen Entscheidungsfreiheit ernstlich zu beeinträchtigen, vgl. Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.3.1997 - 15 A 6240/96 -, NWVBl. 1997, 395, ist durch die nicht wahrheitsgemäße Darstellung in der Wahlwerbeschrift der X-Fraktion nicht überschritten, wie das VG geurteilt hat und auch der Kläger im Zulassungsverfahren anerkennt.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist Fraktionen hinsichtlich des Prüfungsmaßstabes für die Verletzung der Wahlfreiheit durch Wahlbeeinflussung keine Mittelstellung in dem Sinne zuzuordnen, dass zwar einerseits nicht der strenge Maßstab für amtliche, aber auch nicht der weite Maßstab für private Wahlbeeinflussung anzulegen ist. Durch die Wahl werden Staatsorgane hervorgebracht, sodass wegen der diesen zukommenden Funktionen der Wahl größtmöglicher Bestandsschutz gebührt. Dies gebietet es wiederum, die Erheblichkeit von Wahlfehlern, die Dritte verwirklichen können, eng und strikt zu begrenzen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.10.1993 - 2 BvC 2/91 -, BVerfGE 89, 243 (253), für Bundestagswahlen.

Diese Erwägung gilt auch für die hier gegebene Konstellation, in der die Wahlbeeinflussung durch unrichtige Tatsachenbehauptung von einer den Wahlbewerber unterstützenden Ratsfraktion ausgeht.

Der Senat lässt allerdings offen, ob über die bislang anerkannten Fallgruppen hinaus dann ein besonderer Prüfungsmaßstab gilt, wenn der erfolgreiche Bewerber selbst die unzulässige Wahlbeeinflussung - unmittelbar oder mittelbar - bewirkt hat. Da der oben genannte Grundsatz der Wahlstabilität keinen derartig weitreichenden Vorrang vor der Wahlfreiheit beanspruchen dürfte, würden ergebnisrelevante Täuschungshandlungen des erfolgreichen Wahlbewerbers die Frage einer Aberkennung seines Mandats im Wege der Wahlprüfung aufwerfen.

Vgl. dazu, dass sich dieser diskutierte Wahlfehlertatbestand bislang in der Rechtsprechung nicht durchgesetzt hat: BVerfG, Urteil vom 8.2.2001 - 2 BvF 1/00 -, BVerfGE 103, 111 (130); s. aber Hess. VGH, Beschluss vom 11.1.2000 - 8 TZ 4278/99 -, NVwZ-RR 2001, 49 (unzutreffende Angaben eines Bürgermeisterkandidaten zu seinem Familienstand als durchgreifender Wahlfehler).

Derartige Erwägungen stellen sich jedoch hier nicht: Dass der Beigeladene als erfolgreicher Kandidat sich an den vom VG festgestellten unwahren Darstellungen selbst - aktiv oder passiv - beteiligt hat, hat weder das VG festgestellt noch wird dies vom Kläger im Zulassungsverfahren behauptet.

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