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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 06.12.2007
Aktenzeichen: 15 A 3294/07.A
Rechtsgebiete: VwGO, AuslG, VwVfG, GG


Vorschriften:

VwGO § 121
AuslG a.F. § 51 Abs. 1
AuslG a.F. § 51 Abs. 3
VwVfG § 43
GG Art. 16a
Zur Bindungswirkung von Urteilen und Verwaltungsakten in Asylverfahren
Tatbestand:

Mit Bescheid vom 10.6.2002 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Asylanerkennung des Klägers ab, stellte aber das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei fest. Durch rechtskräftiges Urteil vom 3.1.2003 verpflichtete das VG die Beklagte, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen. Zur Begründung führte das VG aus, die sachlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter lägen vor, wie die Beklagte im angegriffenen Bescheid zutreffend und insoweit auch nicht angefochten festgestellt habe. Zur Überzeugung des Gerichts sei der Kläger entgegen der Annahme der Beklagten nicht auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die Beklagte ist der ihr durch das Urteil auferlegten Verpflichtung bislang nicht nachgekommen.

Mit Bescheid vom 9.12.2005 nahm das Bundesamt die im Bescheid vom 10.06.2002 getroffene Feststellung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zurück, da der Bescheid von Anfang an fehlerhaft gewesen sei. Es sei verkannt worden, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 Satz 2 2. und 3. Var. AuslG a.F. vorgelegen hätten.

Auf die dagegen erhobene Klage hob das VG den Bescheid vom 9.12.2005 auf. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, aufgrund der rechtskräftigen Verpflichtung der Beklagten zur Asylanerkennung des Klägers stehe verbindlich fest, dass in dessen Person auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. vorgelegen hätten. Denn nach § 51 Abs. 2 Nr. 1 AuslG a.F. lägen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. bei Asylberechtigten vor. Der Bescheid vom 10.06.2002 sei deshalb rechtmäßig. Der auf die Grundsatzrüge gestützte Zulassungsantrag der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der einheitlichen Auslegung und Anwendung oder der Fortentwicklung des Rechts der Klärung bedarf.

Die von der Beklagten als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Fragen, "ob eine derartige Bindungswirkung auch bei fehlender Identität der Streitgegenstände eintritt" und "ob eine Bindungswirkung der Entscheidung bezüglich der Asylanerkennung im Hinblick auf den Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG eintreten kann, wenn beide Ansprüche nach der Regelung des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG bzw. § 3 Abs. 2 AsylVfG insoweit scheitern, dass sie von vornherein nicht vorliegen, d.h. ob sich eine Bindungswirkung auch auf einen nicht realisierbaren Anspruch beziehen kann", haben keine grundsätzliche Bedeutung. Die Beantwortung der Fragen bedarf nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Sie ist im hier gegebenen Zusammenhang aufgrund der Gesetzeslage und der dazu vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits im Zulassungsverfahren ohne weiteres möglich.

Gemäß § 121 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Dies bedeutet, dass sich die Bindungswirkung nicht auf alle Urteilselemente, sondern nur auf den Entscheidungssatz erstreckt. § 121 VwGO ist nicht zu entnehmen, dass die Bindung nur für identische Streitgegenstände gilt. Allerdings unterscheidet sich die Bindungswirkung je nachdem, ob es sich um einen identischen oder einen anderen Streitgegenstand handelt. Bei identischen Streitgegenständen ist der Folgeprozess wegen entgegenstehender Rechtskraft bereits unzulässig. Die Rechtskraft wirkt als Prozesshindernis.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.5.1994 - 9 C 501/93 -, BVerwGE 96, 24 ff.

In jedem Fall kann aber auch bei fehlender Identität der Streitgegenstände eine Bindungswirkung nach § 121 VwGO eintreten. Dies gilt für die Konstellationen, in denen die rechtskräftige Zuerkennung oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen prozessualen Anspruch, der zwischen denselben Beteiligten streitig ist, vorgreiflich ist (präjudizielle Rechtskraft). Denn Zweck des § 121 VwGO ist es zu verhindern, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die bereits durch Urteil entscheiden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut - mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Beteiligten gemacht wird.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.1998 - 9 C 53/97 -, BVerwGE 108, 30 ff; OVG NRW, Urteil vom 4.4.2001 - 15 A 5592/97 -.

Daraus ergeben sich für das vorliegende Verfahren folgende Konsequenzen:

Augrund des rechtskräftigen Urteils des VG Magdeburg steht mit bindender Wirkung fest, dass der Kläger Asylberechtigter ist. Dies hatte nach § 51 Abs. 2 Nr. 1 AuslG a.F. zur Folge, dass bei dem Kläger auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. vorlagen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.4.1998 - 9 C 1/97 -, NVwZ 1998, 1085.

Der von der Beklagten zurückgenommene Bescheid war deshalb rechtmäßig. Die dagegen gerichteten Einwände der Beklagten greifen nicht durch. Sie vertritt die Auffassung, die Entscheidung des VG entfalte hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. keine Bindungswirkung, weil das Gericht lediglich geklärt habe, dass § 26a AsylVfG einer Asylgewährung nicht entgegenstehe, darüber hinaus aber keine Feststellungen hinsichtlich des Vorliegens politischer Verfolgung getroffen habe. Insoweit sei die materielle Sachentscheidung bereits durch den Bescheid des Bundesamtes vom 10.6.2002 gefallen, durch den bestandskräftig festgestellt worden sei, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. vorlagen. Diese Auffassung ist unzutreffend. Der Feststellung des Bundesamtes zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. kam für das nachfolgende gerichtliche Verfahren betreffend Art. 16a GG keine Bindungswirkung zu. Vielmehr war das VG Magdeburg von Rechts Wegen gehalten, das Vorliegen politischer Verfolgung eigenständig zu prüfen, und es ist dieser Aufgabe ausweislich der Urteilsgründe auch nachgekommen. Verwaltungsakte entfalten gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und § 43 VwVfG eine Tatbestandswirkung des Inhalts, dass die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung als gegeben hingenommen werden muss, mithin dass der Bescheid mit dem von ihm in Anspruch genommenen Inhalt von allen rechtsanwendenden Stellen zu beachten und eigenen Entscheidungen zugrunde zu legen ist. Eine darüber hinaus gehende Feststellungswirkung kommt Verwaltungsakten dagegen nur zu, wenn sie ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.10.2006 - 8 C 23/05 -, Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 35; Beschluss vom 25.6.2007 - 4 BN 17/07 -, BauR 2007, 1712.

Hiervon ausgehend hat der Bescheid des Bundesamtes vom 10.6.2002 allein die Wirkung, dass die durch ihn ausgesprochene Rechtsfolge, die für den Kläger getroffene Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 AuslG a.F., von allen rechtsanwendenden Stellen zu beachten ist. Den dieser Rechtsfolge zugrundeliegenden tatsächlichen und rechtlichen Wertungen der Behörde kommt dagegen mangels gesetzlicher Anordnung keine Bindungswirkung (Feststellungswirkung) zu. Die bindende Rechtsfolge - Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausl G a.F. - ist jedoch für das gerichtliche Asylanerkennungsverfahren nicht präjudiziell und deshalb insoweit ohne rechtliche Bedeutung.

Ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 AuslG a.F. der Asylberechtigung oder der Anwendung des § 51 Abs. 1 AuslF a.F. entgegenstanden , ist nach der rechtskräftigen Verpflichtung zur Asylanerkennung nicht mehr zu prüfen. Nach der Gesetzessystematik des § 51 AuslG a.F. liegen die Voraussetzungen von dessen Absatz 1 ohne jede Einschränkung vor, wenn der Tatbestand des Abs. 2 Nr. 1 - Asylberechtigter - erfüllt ist. Dass der Kläger Asylberechtigter ist, steht rechtskräftig fest. Ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 AuslG a.F. vorlagen, zählte bereits zum Prüfprogramm des VG bei der Entscheidung über die Asylanerkennung. Denn § 51 Abs. 3 AuslG a.F. schloss grundsätzlich nicht nur den Anspruch auf Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung nach § 51 Abs. 1 AuslG a.F. aus, sondern auch den Anspruch auf Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG.

BVerwG, Urteil vom 30.3.1999 - 9 C 31/98 -, BVerwGE 109, 1.

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