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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 12.06.2007
Aktenzeichen: 15 A 371/05
Rechtsgebiete: VwVfG NRW
Vorschriften:
VwVfG NRW § 48 Abs. 4 |
Tatbestand:
Der klagenden Stadt bewilligte die beklagte Bezirksregierung mit verschiedenen Bescheiden Erstattungen nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz. Nach einer Rechnungsprüfung nahm die Beklagte eine Vielzahl von Bescheiden zurück, weil die Bewilligungsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Die dagegen gerichtete Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg, weil die Rücknahmefrist verstrichen war.
Gründe:
Die teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide ist rechtswidrig, da sie entgegen § 48 Abs. 4 VwVfG NRW nach Ablauf eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von den Tatsachen, welche die Rücknahme der rechtswidrigen Verwaltungsakte rechtfertigen, ausgesprochen wurde.
Diese Fristregelung ist anwendbar. Allerdings werden gelegentlich mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BVerwG, dass sich eine Behörde gegenüber einer anderen nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, Zweifel daran geäußert, ob die Rücknahmefrist im Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung Anwendung findet.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.4. 2006 - 3 C 23.05 -, BVerwGE 126, 7, Rn. 28.
Indes sind solche Zweifel unangebracht. Der Wortlaut gibt für einen so eingeschränkten Geltungsbereich der Norm keinen Anhalt. Allein aus deren Sinn und Zweck ließe sich im Wege teleologischer Reduktion eine Beschränkung des Anwendungsbereichs begründen. Die Rücknahmefrist dient aber nicht allein dem schutzwürdigen Vertrauen in den Bestand eines rechtswidrigen Verwaltungsakts. Da es sich bei der Rücknahmefrist um eine Entscheidungsfrist handelt, also der Behörde die Frist zur Verfügung steht, um sich nach erkannter Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und Kenntnis der für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen darüber klar zu werden, ob und inwieweit sie von ihrem Rücknahmeermessen Gebrauch machen will, geht es bei der Fristgebundenheit auch um die im Interesse der Rechtssicherheit nötige Klarstellung, ob und von welchem Zeitpunkt an der jeweilige Rücknahmefall endgültig abgeschlossen ist.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.1984 - Gr. Sen. 1 und 2.84 -, BVerwGE 70, 356 (359), Urteil vom 19.12.1995 - 5 C 10.94 -, BVerwGE 100, 199 (203).
Es geht hier somit nicht - wie allgemein sonst beim Vertrauensschutz - darum, dass für den Begünstigten ein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand von - rechtswidrigen - Verwaltungsakten begründet worden wäre. Die Klägerin konnte spätestens nach der Anhörung über die beabsichtigte Rücknahme gerade kein Vertrauen mehr auf den Bestand der Bewilligungsbescheide haben. Sie hat aber aus Gründen der Rechtssicherheit einen Anspruch darauf, dass sich die Beklagte binnen der Jahresfrist entscheidet, ob und inwieweit die Bewilligungsbescheide Bestand haben sollten. Auf den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz der Rechtssicherheit können sich auch Hoheitsträger berufen, deren Handeln auf rechtsbeständiger Grundlage aufbauen soll.
Vgl. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, 4. Aufl., Art. 20 Rn. 131.
So besteht etwa ein verfassungsrechtlich anerkanntes Rechtssicherheitsinteresse einer Verwaltungsbehörde an der Bestandskraft von Verwaltungsakten ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.4.1982 - 2 BvL 26/81 -, BVerfGE 60, 253 (269 f.); OVG NRW, Beschluss vom 13.4.2004 - 15 A 1113/04 -, NVwZ-RR 2005, 568.
Daher wird in der Literatur vertreten, dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW auch zwischen Hoheitsträgern gilt.
Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 48 Rn. 204; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 48 Rn. 148.
Auch hier hat die Klägerin ein solches Interesse an der Einhaltung der Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW bei der Rücknahme der ihr gewährten Zuwendung: Die Gelder sind vereinnahmt und verbraucht. Für die weitere Finanzplanung musste sie sich bei dem laufenden Rücknahmeverfahren auf gegebenenfalls erhebliche Rückzahlungen einstellen, was ihre Dispositionsfreiheit bei Ausübung der kommunalen Selbstverwaltung beschränkt. Dem unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit anerkennenswerten Interesse dient § 48 Abs. 4 VwVfG NRW, binnen der gesetzlichen Rücknahmefrist Klarheit über die finanziellen Planungsgrundlagen zu bekommen.
Diese Frist beginnt zu laufen, wenn der für die Entscheidung über die Rücknahme zuständige Amtswalter die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erkannt hat und ihm die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind.
BVerwG, Urteil 24.1.2001 - 8 C 8.00 -, BVerwGE 112, 360, Beschluss vom 19.12.1984 - Gr. Sen. 1 und 2.84 -, BVerwGE 70, 356.
Für diesen Fristlauf ist hier die Stellungnahme der Klägerin vom 24.1.2001 maßgeblich, die am 5.2.2001 bei der Beklagten einging.
Ende der Entscheidung
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