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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.04.2003
Aktenzeichen: 15 A 3916/02
Rechtsgebiete: GO NRW, BGB


Vorschriften:

GO NRW § 26
BGB § 183
1. Ist in einem beabsichtigten Vertrag die Zustimmung des Rates als Bedingung vorgesehen, so kann entsprechend § 183 Satz 1 BGB eine erfolgte Zustimmung durch Aufhebung des Ratsbeschlusses nur bis zum endgültigen Vertragsschluss widerrufen werden.

2. Ein Bürgerbegehren, das die Aufhebung des so endgültig gewordenen Zustimmungsbeschlusses zum Ziel hat, ist gemäß § 26 Abs. 5 Nr. 9 GO NRW gesetzwidrig.

3. Da ein Bürgerentscheid den Text des Bürgerbegehrens grundsätzlich uneingeschränkt übernehmen muss, ist für die Prüfung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens der (nicht im nachhinein abänderbare) Text des eingereichten Bürgerbegehrens maßgeblich.


Tatbestand:

Eine Beteiligungsgesellschaft der Stadt (MVV) beabsichtigte, ihren Mehrheitsanteil an der Stadtwerke GmbH (SWM) an eine nicht von der Stadt beherrschte Gesellschaft (EMR) zu veräußern. Dazu gab die EMR ein notarielles Kaufangebot ab, in dem auch die Zustimmung "des hierfür zuständigen Gremiums der Stadt" als aufschiebende Bedingung vorgesehen war. Der beklagte Rat der Stadt stimmte am 29.3.2001 der Annahme des Angebots zu. Nach entsprechender Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung der MVV nahm die Geschäftsführung der MVV am 5.4.2001 das Angebot notariell an. Knapp drei Monate nach dem Ratsbeschluss reichten die Kläger ein Bürgerbegehren ein, nach dem der zustimmende Ratsbeschluss aufgehoben werden sollte. Mit der Klage verfolgten die Kläger das Ziel, den beklagten Rat verpflichten zu lassen, das Bürgerbegehren für zulässig zu erklären. Die Klage war in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Das Bürgerbegehren ist aber gemäß § 26 Abs. 5 Nr. 9 GO NRW unzulässig, weil es ein gesetzwidriges Ziel verfolgt.

Gegenstand des Bürgerbegehrens ist ausweislich seines Textes und auch erkennbar gewollt die Aufhebung des Ratsbeschlusses vom 29.3.2001, mit dem der Beklagte der Annahme des Angebots der EMR zum Kauf des Geschäftsanteils der MVV an der SWM zugestimmt hat. Dieses Ziel ist gesetzwidrig, weil der Beklagte selbst nicht befugt wäre, diesen Beschluss rückwirkend aufzuheben. Er ist nämlich jedenfalls auch privatrechtliche Zustimmung analog § 182 BGB zu dem Vertrag zwischen der MVV und der EMR. In Gestalt dieser Zustimmung ist der Ratsbeschluss nicht mehr rückwirkend aufhebbar.

Der genannte Charakter des Ratsbeschlusses ergibt sich aus § 11 Buchst. b des Vertrages zwischen der MVV und der EMR. Danach sollen die Regelungen des Vertrages unter der aufschiebenden Bedingung stehen, dass "das hierfür zuständige Gremium der Stadt M. gem. § 108 Abs. 5 GO NW dem Verkauf und der Abtretung zustimmt". Diese vertragliche Regelung geht dem Wortlaut nach ins Leere, denn es bedurfte keiner Zustimmung des Beklagten nach § 108 Abs. 5 GO NRW. Diese Vorschrift betrifft alleine die Beteiligung einer zumindest teilweise gemeindeeigenen Gesellschaft an einer Vereinigung, nicht aber, wie hier, die Aufgabe einer Beteiligung. Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, sondern auch aus deren Sinn und Zweck, die den Gefahren mittelbarer kommunaler Gesellschaftsbeteiligungen begegnen will. Die mit der Aufgabe mittelbarer kommunaler Gesellschaftsbeteiligungen verbundenen Gefahren soll vielmehr § 111 Abs. 2 GO NRW bekämpfen, der seinerseits keinen Beschlussvorbehalt des Rates enthält.

Insofern liegt also ein beiderseitiger Rechtsirrtum der Vertragspartner vor. Dennoch wird die Vertragsklausel des § 11 Buchst. b damit nicht gegenstandslos. Bei der Auslegung von Willenserklärungen ist der wirkliche Wille zu erkunden und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB), Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§ 157 BGB). Dadurch, dass in Wirklichkeit entgegen der Auffassung der Vertragspartner der Vertrag nicht nach § 108 Abs. 5 GO NRW der Zustimmung des Beklagten bedurfte, ist eine Lücke im Vertrag hinsichtlich der vertraglichen Bedeutung der Zustimmung des Beklagten entstanden, die im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließen ist.

Vgl. dazu Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl., § 157 Rn. 2 ff.

Angesichts der kommunalpolitischen Bedeutung des Vorgangs und der dem Rat gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW eingeräumten Möglichkeit, dem Gemeindevertreter in der Gesellschafterversammlung der MVV, die gemäß § 12 Nr. 4 des Gesellschaftsvertrages über die Veräußerung des Gesellschaftsanteils an die EMR entscheiden musste, Instruktionen für sein Verhalten zu erteilen, war als sicher anzunehmen, dass der Beklagte über den Verkauf beschließen würde. Eine ergänzende Vertragsauslegung ergibt unter diesen Umständen, dass die Vertragsparteien, hätten sie die fehlende gesetzliche Zustimmungsbedürftigkeit erkannt, eine Ratszustimmung ohne Nennung des § 108 Abs. 5 GO NRW als Bedingung vereinbart hätten. Dem angenommenen Zustimmungserfordernis haben die Vertragspartner dadurch Rechnung getragen, dass sie der Ratszustimmung vertragliche Wirkung beilegten, indem sie die Zustimmung als aufschiebende Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) für die Wirksamkeit des Vertrages ausgestalteten. Das ist, da die Vorschriften der §§ 182 ff. BGB über die Zustimmung zu Rechtsgeschäften unmittelbar nur für die Fälle einer gesetzlichen Zustimmungsbedürftigkeit gelten, vgl. BAG, Urteil vom 10.11.1994 - 2 AZR 207/94 -, NJW 1995, 1981 f.; Säcker/Schramm, Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl., Vor § 182 Rn. 13, rechtlich möglich.

Vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl., Einf v § 182 Rn. 5.

Auf das so vertraglich begründete Zustimmungserfordernis in Form einer Bedingung sind die Regeln für eine gesetzlich erforderliche Zustimmung nach §§ 182 ff. BGB entsprechend anzuwenden. Eine entsprechende Anwendung des § 183 Satz 1 BGB, der den Widerruf einer vorherigen Zustimmung (Einwilligung) nur bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts erlaubt, ergibt hier, dass die Aufhebung des zustimmenden Ratsbeschlusses, die dem Widerruf der Einwilligung nach § 183 Satz 1 BGB entspricht, nur möglich war bis zur Annahme des Angebots der EMR durch die MVV, also bis zum 5.4.2001, mithin jetzt nicht mehr.

Enger in: Säcker/Schramm, Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl., Vor §§ 182 Rn. 14: Notwendigkeit einer besonderen Vereinbarung für jedwede Widerruflichkeit einer als Bedingung ausgestalteten Einwilligung.

Damit steht das Bürgerbegehren, jedenfalls soweit es auf die rückwirkende Aufhebung des Ratsbeschlusses gerichtet ist, im Widerspruch zum entsprechend anwendbaren §§ 183 Satz 1 BGB und verfolgt damit ein gesetzwidriges Ziel im Sinne des § 26 Abs. 5 Nr. 9 GO NRW.

Das Bürgerbegehren bliebe auch dann unzulässig, wenn seine Zielsetzung vor dem dargelegten Hintergrund dahin verstanden würde, dass nicht die Aufhebung des Ratsbeschlusses mit Wirkung für die Vergangenheit (ex tunc), sondern nur mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) beschlossen werden soll. Dann ergäbe sich die Unzulässigkeit nämlich daraus, dass das Bürgerbegehren nicht auf eine Sachentscheidung gerichtet wäre, wie dies § 26 Abs. 1 GO NRW fordert: Eine Aufhebung des Ratsbeschlusses ex nunc ist unmöglich, ginge ins Leere und entschiede somit nichts. Begrifflich setzt die Aufhebung eines Ratsbeschlusses mit Wirkung ex nunc - nicht anders als der Widerruf eines Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Zukunft nach § 49 Abs. 1 VwVfG - voraus, dass der Ratsbeschluss in dem Zeitpunkt, in dem seine Geltung beendet werden soll, noch Wirkungen äußert. Das, was keine Wirkungen mehr entfaltet, kann in seiner Wirksamkeit, also seiner Geltung, nicht mehr beendet werden.

Vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, 6. Aufl., § 51 Rn. 56.

Der Ratsbeschluss vom 29.3.2001 entfaltet als Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft nur eine derart zeitlich beschränkte Wirkung, nämlich von seinem Beschluss bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts, dem zugestimmt wurde. Danach gehen keine Wirkungen mehr von ihm aus, sodass nur eine Aufhebung ex tunc möglich ist und damit Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein kann.

Vgl. zu einem ähnlichen Fall begrenzter zeitlicher Wirkung einer Zustimmung BVerwG, Urteil vom 28.2.1997 - 1 C 29.95 -, DVBl. 1997, 956 (957).

Schließlich kann der Gegenstand des Bürgerbegehrens nach erfolgtem Vertragsschluss auch nicht dahin verstanden werden, dass den Bürgern die Frage vorgelegt werden soll, ob der geschlossene Vertrag im Rahmen des Möglichen rückgängig gemacht werden soll. Ein solches Begehren mag, wenn es ein initiierendes Bürgerbegehren ist, grundsätzlich möglich sein.

Vgl. zur Abgrenzung kassatorischer und initiierender Bürgerbegehren OVG NRW, Urteil vom 28.1.2003 - 15 A 203/02 -, S. 10 f. des amtlichen Umdrucks.

Hier geht es jedoch darum, ob dem Bürgerbegehren mit Blick auf den angestrebten Bürgerentscheid nach Einreichung ein anderer Text zu Grunde gelegt werden kann. Es ist bereits geklärt, dass der Bürgerentscheid den Text des Bürgerbegehrens grundsätzlich uneingeschränkt übernehmen muss.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.9.2001 - 15 A 2445/97 -, NWVBl. 2002, 110 (111).

Daraus folgt, dass auch für die Zulässigkeitsprüfung der Text des eingereichten Bürgerbegehrens maßgeblich ist. Dabei kann offen bleiben, inwieweit die dargelegten Grundsätze Raum für redaktionelle Veränderungen geben, da hier die nach dem Text des vorliegenden Bürgerbegehrens gestellte Frage nach der Aufhebung des dem Vertrag zustimmenden Ratsbeschlusses etwas völlig anderes als die oben formulierte Frage ist, ob der geschlossene Vertrag im Rahmen des Möglichen rückgängig gemacht werden soll.

Angesichts der Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens nach § 26 Abs. 5 Nr. 9 GO NRW bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob hier ein Kostendeckungsvorschlag i.S.d. § 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW mit Blick darauf erforderlich war, dass ein Erfolg des Bürgerbegehrens möglicherweise zu Einnahmeausfällen auf Seiten der Gemeinde geführt hätte.

Ende der Entscheidung

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