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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 19.05.2009
Aktenzeichen: 15 A 4164/06
Rechtsgebiete: KAG NRW, AO


Vorschriften:

KAG NRW § 8
KAG NRW § 12
AO § 222
1. Eine zur Stundung eines Beitrags aus Billigkeitsgründen nach § 222 Satz 1 AO berechtigende erhebliche Härte ist gegeben, wenn der Beitragsschuldner nach einer Abwägung zwischen dem Interesse der Gemeinde an einer vollständigen und gleichmäßigen Beitragserhebung und dem Interesse des Beitragspflichtigen an einem Aufschub der Fälligkeit zumutbar nicht in der Lage ist, die Beitragsschuld ohne ein Entgegenkommen in zeitlicher Hinsicht zu begleichen.

2. Die für eine Stundung erforderliche Stundungswürdigkeit setzt voraus, dass der Beitragspflichtige sein Möglichstes zur Abtragung der Beitragsschuld getan hat. Sie scheidet somit aus, wenn es dem Beitragsschuldner möglich und zumutbar war, sich für eine Zahlung am Fälligkeitstag die erforderlichen Mittel zu verschaffen.


Tatbestand:

Der Kläger wurde wegen seines unbebauten, landwirtschaftlich genutzten Grundstücks, das als Gewerbegebiet überplant ist, zu einem Kanalanschlussbeitrag herangezogen. Der Kläger zahlte darauf einen Teil unter Inanspruchnahme eines Darlehens seiner Eltern. Im Verwaltungsprozess um den Beitragsbescheid ermäßigte die Gemeinde den Beitrag. Unabhängig davon hatte der Kläger beantragt, ihm aus Billigkeitsgründen den Beitrag - auch soweit er schon gezahlt worden war - zinslos zu stunden, da er ein Familienheim für sich und seiner Familie errichtet habe und daher den Beitrag nicht begleichen könne. Das VG verurteilte den beklagten Bürgermeister antragsgemäß, soweit der Beitrag noch nicht bezahlt war, und wies die Klage im Übrigen ab. Im Berufungsrechtszug wies das OVG NRW die Klage vollständig ab.

Gründe:

Die Klage ist zur Gänze unbegründet. Die Ablehnung der zinslosen Stundung des Anschlussbeitrags ist rechtmäßig (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Daraus ergibt sich, dass die zulässige Berufung des Beklagten gegen die teilweise Verurteilung zur zinslosen Stundung begründet ist.

Ein derartiger Anspruch ergibt sich nicht aus § 135 Abs. 4 BauGB, der allein Erschließungsbeitragspflichten betrifft, im Anschlussbeitragsrecht nach § 8 KAG NRW aber nicht anwendbar ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.4.1995 - 15 A 357/93 -, StuGR 1995, 272.

Nach § 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG NRW i. V. m. § 222 Satz 1 AO können Beitragsansprüche ganz oder teilweise gestundet werden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Hier fehlt es bereits am Merkmal der erheblichen Härte.

Eine erhebliche Härte ist gegeben, wenn der Beitragsschuldner nach einer Abwägung zwischen dem Interesse der Gemeinde an einer vollständigen und gleichmäßigen Beitragserhebung und dem Interesse des Beitragspflichtigen an einem Aufschub der Fälligkeit zumutbar nicht in der Lage ist, die Beitragsschuld ohne ein Entgegenkommen in zeitlicher Hinsicht zu begleichen. Die Entscheidung über die Beitragsstundung ist eine Ermessensentscheidung. Der Begriff der erheblichen Härte in § 222 AO ist ebenso wie der Begriff unbillig in § 227 Abs. 1 AO ein unbestimmter Rechtsbegriff, der Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung bestimmt. Der Begriff einer erheblichen Härte im Sinne des § 222 AO stellt geringere Anforderungen als der der Unbilligkeit im Sinne des § 227 AO. Das erklärt sich aus dem Unterschied in der Rechtsfolge: Die Anwendung des § 222 AO führt nicht zum Erlöschen des Steueranspruchs, sondern nur zur Hinausschiebung seiner Fälligkeit.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.8.1990 - 8 C 42.88 -, NJW 1991, 1073 (1076).

In die Beurteilung, ob die Zahlung zum Fälligkeitszeitpunkt eine erhebliche Härte darstellt, ist auch einzustellen, ob der Beitragspflichtige stundungswürdig ist.

Vgl. BFH, Beschluss vom 1.7.1998 - IV B 7/98 -, juris, Rn.14.

Dies folgt aus dem Billigkeitscharakter der Stundung. Nur dann, wenn der Beitragspflichtige sein Möglichstes zur Abtragung der Beitragsschuld getan hat, ist eine Stundung zu rechtfertigen. Sie scheidet somit aus, wenn es dem Beitragsschuldner möglich und zumutbar war, sich für eine Zahlung am Fälligkeitstag die erforderlichen Mittel zu verschaffen.

Vgl. BFH, Urteile vom 2.7.1986 - I R 39/83 -, juris, Rn. 31, und vom 21.8.1973 - VIII R 8/68 -, BFHE 111, 275 (277); Rüsken, in: Klein, AO, 8. Aufl., § 222 Rn. 28; Kruse, in: Tipke/Kruse, AO und FGO, Loseblattsammlung (Stand: November 2008), § 222 AO Rn. 35 f.; v. Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO und FGO, Loseblattsammlung (Stand: Dezember 2008), § 222 AO, Rn. 130, 145; Bruschke, in: Pump/Fittkau, AO, Loseblattsammlung (Stand: März 2009), § 222 Rn. 32, 36, 82.

Das ist hier der Fall: Der Kläger musste jedenfalls seit der Bekanntgabe des Beitragsbescheids damit rechnen, in Kürze eine erhebliche Beitragszahlung leisten zu müssen. Dennoch hat er sich danach entschlossen, für sich und seine Familie ein Wohnhaus zu errichten bzw. umzubauen, obwohl er nur geringes Eigenkapital einbrachte.

Dies alles wäre möglicherweise noch kein Hinderungsgrund, die Einziehung des Beitrags dennoch als erhebliche Härte zu beurteilen, wenn - wie der Kläger vorträgt - die Errichtung des Wohnhauses statt der Miete eines Hauses wirtschaftlich geboten gewesen wäre.

Vgl. etwa zur Möglichkeit der Stundung einer Steuer, wenn sie wegen betriebsnotwendiger Investitionen nicht beglichen werden kann, BFH, Urteil vom 21.8.1973 - VIII R 8/68 -, BFHE 111, 275 (277); Rüsken, in: Klein, AO, 8. Aufl., § 222 Rn. 28; v. Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO und FGO, Loseblattsammlung (Stand: Dezember 2008), § 222 AO, Rn. 132; Bruschke, in: Pump/Fittkau, AO, Loseblattsammlung (Stand: März 2009), § 222 Rn. 32.

Das würde aber voraussetzen, dass das Haus mit Eigenmitteln ohne Verwertung des der Beitragspflicht unterliegenden Grundstücks oder jedenfalls erst nach Verwertung des Grundstücks zur Begleichung der Beitragsschuld errichtet worden wäre. Denn im Gegensatz zur gegenleistungslos erhobenen Steuer ist der Beitrag eine Gegenleistung für die dem Grundstückseigentümer durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Entwässerungsanlage gebotenen wirtschaftlichen Vorteile (§ 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW). Der Beitragspflichtige hat eine Leistung erhalten, nämlich die durch die Möglichkeit des Kanalanschlusses und die damit erst bewirkte entwässerungstechnische Erschließung herbeigeführte Erhöhung des Gebrauchswerts des Grundstücks.

Vgl. zum wirtschaftlichen Vorteil bei einem Kanalanschlussbeitrag OVG NRW, Urteil vom 25.7.2006 - 15 A 2089/04 -, NWVBl. 2007, 151 (153).

Dieser wirtschaftliche Vorteil setzt den Beitragspflichtigen - jedenfalls bei unbebauten Grundstücken - erst in den Stand, ein ohne Entwässerungsmöglichkeit baulich oder gewerblich gewöhnlich nicht nutzbares Grundstück als Bauland zu verwerten. Dieser spezifisch beitragsrechtliche Gesichtspunkt schließt es regelmäßig aus, eine Zahlungspflicht als erhebliche Härte zu beurteilen, wenn das so im Gebrauchswert gesteigerte Grundstück statt zur Begleichung der Beitragsschuld zur Herstellung eines Hauses verwertet wird.

Der Kläger hat das Wohnhaus nicht aus Eigenmitteln errichtet, sondern unter Verwertung des der Beitragspflicht unterliegenden Grundstücks, indem er es als Sicherungsgrundlage für einen Kredit eingesetzt hat. Die Höhe der bestellten Grundschuld hätte bequem ausgereicht, den Beitrag zu zahlen. Er hat also den mit dem Beitrag abzugeltenden wirtschaftlichen Vorteil erhalten und ohne Rücksicht auf die Beitragspflicht verwertet.

Dem Kläger war es zuzumuten, das der Beitragspflicht unterliegende Grundstück zuerst zur Begleichung der Beitragsschuld zu verwerten und dann unter weiterer Verwertung des Grundstücks und eventuell höherer Kreditaufnahme das Wohnhaus zu errichten. Sollte dies nicht möglich gewesen sein, war es dem Kläger zumutbar, auf die Errichtung des Wohnhauses für seine Familie zu verzichten. Auch unter dem Gesichtspunkt des besonderen Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) begründet dieser Verwertungszweck keine erhebliche Härte. Zwar gebietet die Norm als verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts einen besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung und begründet eine allgemeine Pflicht des Staates zur Förderung der Familie durch geeignete Maßnahmen, ohne dass konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen aus dem Förderungsgebot hergeleitet werden können.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 12.2.2003 - 1 BvR 624/01 -, BVerfGE 107, 205 (212 f.).

Jedoch kann unter diesem Gesichtspunkt nicht verlangt werden, dass man eine kommunale Leistung in Bezug auf ein Grundstück erhält und dieses sodann zur Herstellung eines Familienheims verwerten darf, ohne die Gegenleistung dafür rechtzeitig begleichen zu müssen. Wenn man dies nämlich nicht kann, muss auf den Verwertungszweck der Errichtung eines Familienwohnheims zu Gunsten der Entrichtung der Beitragsschuld verzichtet werden. Das müssen andere Personen ohne entsprechende finanzielle Mittel, die nicht über ein durch entwässerungstechnische Erschließung wertvoll gewordenes Grundstück als Kreditunterlage verfügen, auch tun.

Da der Kläger somit keinen Anspruch auf - zinspflichtige (§ 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b KAG NRW i. V. m. § 234 Abs. 1 AO) - Stundung hat, kommt ein Anspruch auf zinslose Stundung (§ 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b KAG NRW i. V. m. § 234 Abs. 2 AO) erst recht nicht in Betracht.

Ende der Entscheidung

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