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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 20.07.2007
Aktenzeichen: 15 A 785/05
Rechtsgebiete: KAG NRW, StrWG NRW


Vorschriften:

KAG NRW § 8
StrWG NRW § 2
StrWG NRW § 6
Anliegergrundstücke werden nur dann über eine Böschung als Straßenbestandteil beitragsrechtlich erschlossen, wenn sie zum Betreten bestimmt und geeignet ist.
Tatbestand:

Das Grundstück des Klägers liegt an der D.-Straße. Zur ausgebauten S.-Straße fällt eine Böschung ab, die im oberen Bereich im Eigentum des Klägers, ansonsten der Stadt steht. Die Klage gegen den Straßenbaubeitragsbescheid hatte in der Berufungsinstanz Erfolg.

Gründe:

Der Bescheid findet keine Rechtfertigung in § 8 KAG NRW i.V.m. der Straßenbaubeitragssatzung der Stadt (SBS).

Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW werden Beiträge von den Grundstückseigentümern dafür erhoben, dass ihnen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlage wirtschaftliche Vorteile geboten werden. Nach § 1 SBS erstreckt sich die Beitragspflicht auf die "erschlossenen" Grundstücke. Eine solche die Erschließung bewirkende vorteilsrelevante Inanspruchnahmemöglichkeit wird dem Kläger für sein Grundstück nicht geboten.

Eine Inanspruchnahmemöglichkeit in diesem Sinne wird in erster Linie Eigentümern von Grundstücken geboten, die unmittelbar an der ausgebauten Straße liegen. Diese sind beitragsrechtlich relevant erschlossen, wenn bis zu deren Grenze von der ausgebauten Straße herangefahren werden kann und sie von dort aus - unbeschadet eines eventuell dazwischen liegenden Gehweges, Radweges oder Seitenstreifens - ohne weiteres betreten werden können.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.7.2006 - 15 A 2316/04 -, NWVBl. 2007, 150.

Diese Voraussetzungen dürften hier schon deshalb nicht vorliegen, weil das klägerische Grundstück nicht unmittelbar an die ausgebaute Straße grenzt. Vielmehr liegen die städtischen Flurstücke 183 und 184 auf der zum Fahrbahnniveau hin abfallenden Böschung dazwischen.

Das Grundstück grenzt nicht etwa deshalb unmittelbar an die ausgebaute Straße, weil die einmündende D.-Straße, an die das Grundstück unmittelbar grenzt, im Einmündungsbereich zur S.-Straße vor dem klägerischen Grundstück ein Stück ausgebaut wurde. Die Satzung hat - wie hier in § 1 SBS geschehen - mit der Wendung "Anlagen im Bereich der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze" den spezifisch straßenbaubeitragsrechtlichen Anlagenbegriff gewählt, der für die räumliche Abgrenzung der Anlage grundsätzlich auf das Bauprogramm abstellt. Dieses legt die räumliche Ausdehnung der Anlage fest und bestimmt, wo, was und wie ausgebaut werden soll, und zwar so konkret, dass festgestellt werden kann, ob die Anlage i.S.d. § 8 Abs. 7 Satz 1 KAG NRW endgültig hergestellt ist. Die Maßgeblichkeit des Bauprogramms unterliegt jedoch gewissen rechtlichen Schranken, die dazu führen können, dass die räumliche Ausdehnung einer Anlage über das Bauprogramm hinausgeht oder hinter diesem zurück bleibt. Diese Schranken ergeben sich aus dem dem Straßenbaubeitragsrecht zu Grunde liegenden Vorteilsgedanken. Da der wirtschaftliche Vorteil ein Erschließungsvorteil ist, muss die Anlage so begrenzt werden, dass ihr erkennbar eine Erschließungsfunktion für bestimmte Grundstücke zukommt. Das setzt voraus, dass die Anlage selbst durch örtlich erkennbare Merkmale oder nach rechtlichen Gesichtspunkten abgrenzbar ist. Weitere Voraussetzung ist, dass durch die Abgrenzung der Anlage alle Grundstücke erfasst werden, denen durch die Ausbaumaßnahme annähernd gleiche wirtschaftliche Vorteile geboten werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.1.2005 - 15 A 548/03 -, NVwZ-RR 2006, 63.

Das Ende der Ausbaustrecke ist kein taugliches Begrenzungsmerkmal.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.1.2002 - 15 A 5565/99 -, NVwZ-RR 2002, 870.

Deshalb endet die ausgebaute Anlage mit der Einmündung der D.-Straße in die S.-Straße, so dass das ausgebaute Stück jener Straße nicht Teil der ausgebauten Anlage S.-Straße ist und das Grundstück nicht als unmittelbares Anliegerstück dieser Anlage erschlossen wird.

Die städtischen Böschungsflurstücke 183 und 184 sind keine Bestandteile der Straße. Zur Straße gehört nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a StrWG NRW der Straßenkörper, insbesondere die Erdbauwerke einschließlich der Böschungen. Wie sich aus der Präposition "einschließlich" ergibt, sind Böschungen als Teilmenge der "Erdbauwerke" Straßenbestandteil. Böschungen, die diesen Charakter nicht aufweisen, sind demnach nicht Bestandteil der Straßen. Erdbauwerke sind Bauwerke mit Erde als Baustoff. Bauwerke wiederum sind von Menschen errichteten Konstruktionen. Also sind Böschungen, die natürlich gewachsen sind, keine Erdbauwerke.

Wie die Augenscheinseinnahme ergeben hat und wie auch der dort anwesende Beamte der Stadt bestätigt hat, ist die hier in Rede stehende Böschung nicht künstlich hergestellt. Damit ist sie nicht Bestandteil der S.-Straße. Auch wenn man natürliche Böschungen im Einzelfall als Straßenkörperteil ansehen sollte, wäre dies hier zu verneinen: Dies wäre allenfalls gerechtfertigt, wenn eine solche Böschung funktionell für die Straße von Bedeutung wäre. Das ist aber nicht der Fall. Die S.-Straße führt einfach am Fuße der Böschung vorbei.

Keine beitragsrechtlich relevanten Auswirkungen dürfte es darüber hinaus haben, dass der Beklagte mit Rücksicht auf das gerichtliche Verfahren durch Widmungsverfügung die S.-Straße unter Einschluss auch der Flurstücke 183 und 184 gewidmet hat. Dadurch werden diese Böschungsflurstücke nicht Teil der Straße. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW erhalten durch die Widmung Straßen, Wege und Plätze die Eigenschaft einer öffentlichen Straße. Daraus ergibt sich, dass das Substrat der Widmung, die Straße als technisches Produkt, vorhanden sein muss, dem dann erst durch die Widmung eine bestimmte rechtliche Eigenschaft zukommt. Die bloße Widmung, führt nicht dazu, dass Flächen, die nicht Straßenbestandteil sind, dies werden.

Vgl. Zeitler/Häußler, in: Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Loseblattslg. (Stand: 1.2.2007), Art. 6 Rn. 26 f.; Herber, in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl., Kapitel 7, Rn. 15; zur straßenrechtlichen Rechtswidrigkeit einer solchen Widmung BayVGH, Urteil vom 24.10.2002 - 8 B 98.873 -, BayVBl. 2003, 337.

Somit handelt es sich beim klägerischen Grundstück um ein Hinterliegergrundstück. Für ein solches entsteht die Beitragspflicht nur bei einer gesicherten Möglichkeit der Inanspruchnahme der Straße über das Vorderliegergrundstück, hier also die Böschungsflurstücke der Stadt. Dazu hat der Senat in Abhängigkeit von verwirklichter Bebauung und tatsächlich angelegter Zufahrt nähere Kriterien entwickelt. Danach besteht für das bebaute Grundstück jedenfalls dann eine vorteilsrelevante Möglichkeit der Inanspruchnahme, wenn zur ausgebauten Straße hin ein durch Grunddienstbarkeit und Baulast gesichertes Wegerecht existiert.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.5.2004 - 15 B 747/04 -, NVwZ-RR 2004, 784; Urteil vom 30.10.2001 - 15 A 5184/99 -, NWVBl. 2002, 275 (277 f.).

Allenfalls kommt unter bestimmten Voraussetzungen noch eine Beitragspflicht bei einer tatsächlich angelegten Zufahrt in Betracht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.5.2004 - 15 B 747/04 -, NVwZ-RR 2004, 784; Beschluss vom 14.10.2005 - 15 A 240/04 -, KStZ 2006, 16.

Daran fehlt es.

Indes kann die straßenrechtliche Lage im Hinblick auf die Wirkung der Widmung dahinstehen, da eine Beitragspflicht selbst dann nicht entstanden wäre, wenn die städtischen Böschungsflurstücke Straßenbestandteil wären und das Anliegergrundstück somit unmittelbar an die Straße angrenzte. Ein Erschlossensein des Grundstücks kann nämlich aus dem Angrenzen an die Straße allein nicht gefolgert werden. Erforderlich ist vielmehr weiter - wie oben ausgeführt -, dass von der Fahrbahn aus das Grundstück "ohne weiteres" betreten werden kann. Das setzt voraus, dass der zwischen Grundstück und Fahrbahn gelegene Straßenteil zum Betreten bestimmt und geeignet ist.

Die hier in Rede stehenden Böschungsflächen sind, wie die Augenscheinseinnahme ergeben hat, zum Betreten nicht geeignet. Es handelt sich um einen relativ steilen Anstieg über eine unbefestigte Grasfläche, die darüber hinaus zum größten Teil mit Strauchwerk bestückt ist. Älteren oder körperlich behinderten Personen wäre ein Überwinden der Böschung nicht oder nur unter Anstrengungen möglich. Sie hat eher die Funktion der Abschließung des dahinterliegenden Grundstücks von der Straße, jedenfalls nicht seiner straßentechnischen Erschließung.

Unerheblich ist, ob das Hindernis mit zumutbaren Mitteln beseitigt werden kann und ob der Beklagte mit einer solchen Beseitigung einverstanden gewesen wäre. Die Frage der Zumutbarkeit der Beseitigung eines Erschließungshindernisses ist maßgeblich für die Frage des Erschlossenseins eines Grundstücks alleine dann, wenn es um ein Erschließungshindernis auf dem möglicherweise der Beitragspflicht unterliegenden Grundstück geht. Die Beseitigung solcher Hindernisse ist allein Sache des Eigentümers und schließt, sofern die Beseitigung zumutbar ist, die zur Beitragspflicht führende Möglichkeit der Inanspruchnahme der Straße nicht aus. Anders liegt es bei Erschließungshindernissen auf den Straßengrundstücken. Deren Beseitigung ist nicht Sache des Anliegers, sondern der Gemeinde. Diese muss, will sie eine zur Beitragspflicht führende Möglichkeit der Inanspruchnahme für den Anlieger bieten, alle die Erschließung hindernden Umstände auf dem Straßengrundstück beseitigen, also einen Zustand schaffen, der es ermöglicht, an die Grundstücksgrenze heranzufahren und von dort aus ohne weiteres das Grundstück zu betreten.

Vgl. die Entscheidungen des Senates, in denen er eine vorteilsrelevante Inanspruchnahmemöglichkeit wegen einer vor dem Anliegergrundstück errichteten Grünfläche auf Straßengelände verneint hat, OVG NRW, Beschlüsse vom 26.10.2001 - 15 B 1180/01 -, S. 3 des amtlichen Umdrucks, vom 2.8.1999 - 15 A 3207/99 -, S. 2 f. des amtlichen Umdrucks, und vom 18.11.1997 - 15 B 2751/97 -, S. 3 des amtlichen Umdrucks; vgl. zur Unterscheidung von Hindernissen auf dem Anliegergrundstück und auf der Straße Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Loseblattslg. (Stand: März 2007), § 8 Rn. 402, 403; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 35 Rn. 20.

Ob die Rechtslage anders zu beurteilen ist, wenn die Gemeinde zwar das Hindernis auf dem Straßengelände zu beseitigen anbietet, jedoch der Eigentümer seine Mitwirkung verweigert, den Ort zu bestimmen, von dem die Zuwegung zum Grundstück erfolgen soll,

vgl. zu solchen Konstellationen BVerwG, Urteil vom 29.5.1991 - 8 C 67.89 -, BVerwGE 88, 248 (252) zum Erschließungsbeitragsrecht; Hess. VGH, Beschluss vom 18.6.2002 - 5 TG 441/02 -, HSGZ 2003, 32,

bedarf hier keiner Entscheidung. Der Beklagte hat nicht nur kein solches Angebot abgegeben, er war vielmehr und ist möglicherweise bis heute der Ansicht, dass die Beseitigung des Hindernisses durch den Kläger zu erfolgen habe, denn er hat sich lediglich mit der Anlegung eines Zugangs oder einer Zufahrt durch den Kläger einverstanden erklärt.

Für solche Konstellationen besteht im Erschließungsbeitragsrecht die Lösung, dass zwar das Grundstück wegen des latenten Erschließungsvorteils in die Verteilung einzubeziehen ist (§ 131 Abs. 1 BauGB), aber erst bei Aktualisierung des Vorteils durch Beseitigung des Hindernisses beitragspflichtig wird (§ 133 Abs. 1 BauGB).

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.9.1983 - 8 C 86.81 -, BVerwGE 68, 41 (43, 46); Schrödter/Quaas, BauGB, 6. Aufl., § 133 Rn. 7.

Das Straßenbaubeitragsrecht kennt eine solche Differenzierung nicht.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 12.2.1999 - 15 A 558/99 -, S. 5 des amtlichen Umdrucks, und vom 18.12.1990 - 2 A 2326/89 -, DVBl. 1991, 1310.

Vielmehr kommt es für die Verteilung und die Unterwerfung unter die Beitragspflicht alleine darauf an, ob dem Grundstückseigentümer aktuell und nicht nur latent die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Straße und damit der den Beitrag rechtfertigende wirtschaftliche Vorteil geboten wird (§ 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW). Das setzt auf Seiten der Straße die Beseitigung, nicht nur die Ausräumbarkeit von Erschließungshindernissen voraus. Dabei lässt der Senat offen, ob und wie die Gemeinde in Konstellationen, in denen der Grundstückseigentümer ersichtlich (noch) kein Interesse an der Schaffung eines Zugangs hat, in beitragsrechtlich relevanter Weise die Beseitigung eines auf Straßengelände vorhandenen Erschließungshindernisses bei einem zukünftigen Erschließungswunsch des Eigentümers sicherstellen kann.



Ende der Entscheidung

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