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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 02.05.2006
Aktenzeichen: 15 A 817/04
Rechtsgebiete: GO, VwGO


Vorschriften:

GO § 31
GO § 32 Abs. 1 Satz 2
GO § 43 Abs. 2
GO § 48 Abs. 2
GO § 54 Abs. 2
GO § 122
VwGO § 43
VwGO § 91
1. Die unberechtigte Mitwirkung von wegen Befangenheit nach §§ 31, 43 Abs. 2 GO NRW von der Abstimmung auszuschließenden Ratsmitgliedern verletzt keine im Kommunalverfassungsstreitverfahren durchsetzbaren organschaftlichen Rechte der anderen Ratsmitglieder oder einer Ratsfraktion (Fortführung der bisherigen Rechtsprechung).

2. Zum Ausschluss der Öffentlichkeit von Ratssitzungen gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW bei der Beratung über die Fusion von Sparkassen.

3. Die Rüge, der Rat habe einen Beschluss wegen unzureichender Informationen der Ratsmitglieder durch den Bürgermeister nicht fassen dürfen, erfordert im Kommunalverfassungsstreitverfahren, dass zuvor die Vertagung der Beschlussfassung beantragt worden ist.


Tatbestand:

Die Kläger, eine Ratsfraktion und ein Ratsmitglied, wandten sich gegen einen Beschluss des Gemeinderats betreffend den Beitritt der Gemeinde zu einem Sparkassenzweckverband sowie die Vereinigung der Sparkasse der Gemeinde mit der Sparkasse einer Nachbarstadt. Hinsichtlich der Beratung über die Sparkassenfusion war die Öffentlichkeit von der Ratssitzung ausgeschlossen worden. Die Kläger rügten eine Mitwirkung befangener Ratsmitglieder bei der abschließenden Beschlussfassung, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit sowie eine unzureichende Information vor der Ratssitzung und beantragen die Feststellung einer Verletzung ihrer organschaftlichen Mitwirkungsrechte. Ihr Begehren blieb auch in der Berufungsinstanz ohne Erfolg.

Gründe:

Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft.

Nach der 1. Alternative dieser Vorschrift kann mit der Feststellungsklage die Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Unter einem Rechtsverhältnis in diesem Sinn verstehen die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung und die Literatur die rechtlichen Beziehungen, die sich auf Grund der Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen konkreten Sachverhalt für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht.

BVerwG, Urteil vom 26.1.1996 - 8 C 19.94 -, BVerwGE 100, 262 (264), ferner Urteil vom 10.7.2001 - 1 C 35.00 -, BVerwGE 114, 356 (358 f.); Happ, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 43, Rdnr. 12.

An einem Rechtsverhältnis im Sinn dieser Definition beteiligt sein können nicht nur natürliche oder juristische Personen, sondern auch kommunale Organe oder Organteile als Träger organisationsinterner Rechte. Denn der Begriff des Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO ist nicht auf Außenrechtsverhältnisse beschränkt, sondern umfasst ebenso die Rechtsbeziehungen innerhalb von Organen einer juristischen Person, also auch einer kommunalen Vertretungskörperschaft.

OVG NRW, Urteil vom 5.2.2002 - 15 A 2604/99 -, NWVBl. 2002, 381; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15.3.1989 - 7 C 7.88 -, BVerwGE 81, 318 (319); Happ, a.a.O., § 43, Rdnr. 14; Fehrmann, Rechtsfragen des Organstreits, NWVBl. 1989, 303 (304); Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 43, Rdnr. 11; Pietzcker, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2002, § 43, Rdnr. 26.

Auch ein Ratsbeschluss kann im Rahmen eines kommunalrechtlichen Organstreits überprüft werden, wenn und soweit er die Rechte kommunaler Organe oder Organteile konkretisiert oder nachteilig betrifft.

OVG NRW, Urteil vom 5.2.2002 - 15 A 2604/99 -, a.a.O., Beschluss vom 7.8.1997 - 15 B 1811/97 -, NWVBl. 1998, 110, Urteile vom 26.4.1989 - 15 A 2805/86 -, OVGE 41, 118 und vom 14.10.1988 - 15 A 2126/86 -, MittNWStGB 1988, 394.

Eine dementsprechende nachteilige Betroffenheit in eigenen Rechten durch den Ratsbeschluss machen die Kläger geltend. Gegenstand der Klagebegehren ist die Frage, ob die Kläger durch den Beschluss in organschaftlichen Rechten verletzt sind. Dem Rechtsstreit liegt damit ein konkretes organschaftliches Rechtsverhältnis im Sinn des § 43 Abs. 1 VwGO zu Grunde.

Die Kläger sind auch klagebefugt. Eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines organschaftlichen Rechtsverhältnisses innerhalb kommunaler Organe oder zwischen diesen ("kommunalverfassungsrechtliche Feststellungsklage") ist in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig, wenn die Kläger geltend machen, in ihren Rechten verletzt zu sein. Dies setzt voraus, dass es sich bei der als verletzt gerügten Rechtsposition um ein durch das Innenrecht eingeräumtes, dem klagenden Organ oder Organteil zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesenes wehrfähiges subjektives Organrecht handelt. Geht es, wie hier, um die Verletzung organschaftlicher Mitwirkungsrechte durch einen Ratsbeschluss, setzt die Klagebefugnis dementsprechend voraus, dass dieser ein subjektives Organrecht des klagenden Organs oder Organteils nachteilig betrifft. Denn das gerichtliche Verfahren dient nicht der Feststellung der objektiven Rechtswidrigkeit des Ratsbeschlusses, sondern dem Schutz der dem klagenden Organ oder Organteil durch das Innenrecht zugewiesenen Rechtsposition. Ob eine solche geschützte Rechtsposition im Hinblick auf die Beschlussfassung des Rates besteht, ist durch Auslegung der jeweils einschlägigen Norm zu ermitteln. Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.9.1988 - 7 B 208.87 -, NVwZ 1989, 470 = BayVBl. 1989, 378; OVG NRW, Urteile vom 5.2.2002 - 15 A 2604/99 -, a.a.O., vom 24.4.2001 - 15 A 3021/97 -, NWVBl. 2002, 31, vom 26.4.1989 - 15 A 2805/86 -, a.a.O., vom 14.10.1988 - 15 A 2126/86 -, a.a.O., und vom 2.2.1972 - III A 887/69 -, OVGE 27, 258 (264); VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.2.1992 - 1 S 2242/91 -, NVwZ-RR 1992, 373; Schnapp, VwArch 78 (1987), S. 407 (415). Nach diesem Maßstab ist die Klagebefugnis sowohl der klagenden Ratsfraktion als auch des klagenden Ratsmitglieds im vorliegenden Fall zu bejahen. Der Senat hat bereits entschieden, dass Ratsfraktionen und Ratsmitgliedern ein eigenes wehrfähiges subjektives Organrecht auf Wahrung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit in § 48 Abs. 2 Satz 1 GO NRW zusteht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24.4.2001 - 15 A 3021/97-, NVwZ-RR 2002, 135.

Weitergehende Feststellungen setzt die Annahme der Klagebefugnis hier nicht voraus, insbesondere erfordert sie keine Prüfung, inwieweit den Klägern wehrfähige subjektive Organrechte auch im Hinblick auf die geltend gemachte unzureichende Information sowie die behauptete Mitwirkung befangener Ratsmitglieder bei der Beschlussfassung zustehen. Eine derartige differenzierende Betrachtungsweise wäre nur dann geboten, wenn mit den verschiedenen behaupteten Rechtsverletzungen auch mehrere Streitgegenstände und damit mehrere Klagen, bezüglich derer die Klagebefugnis jeweils gesondert geprüft werden müsste, in das Verfahren eingeführt worden wären. Dies ist hier aber nicht der Fall.

Nach dem in der Rechtsprechung entwickelten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff setzt sich der Streitgegenstand aus der angestrebten Rechtsfolge, die im Antrag zum Ausdruck kommt, und dem Klagegrund zusammen, d.h. dem Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 20.2.2001 - 9 C 21/00 - , BVerwGE 114, 27, und vom 10.5.1994 - 9 C 501.93 - , BVerwGE 96, 24, 25, Beschlüsse vom 22.1.2004 - 1 WB 38/03 - und vom 16.2.1990 - 9 B 325.89 - , Buchholz 412.3 § 18 BVFG Nr. 13.

Die Klägerin hat mit ihrem Feststellungsantrag und dem zur Begründung angeführten einheitlichen Lebenssachverhalt lediglich einen Streitgegenstand zur Entscheidung gestellt. Sie hat ihren auf die Feststellung einer Rechtsverletzung bezogenen Klageantrag lediglich in zulässiger Weise mit mehreren Rechtsverletzungen begründet. Zwar kann ein Feststellungsantrag nicht nur - wie die Kläger dies hier getan haben - auf verschiedene Begründungen gestützt werden, sondern mit ihm können auch mehrere Streitgegenstände in das Verfahren eingeführt werden. Voraussetzung ist dafür allerdings, dass der Kläger zweifelsfrei deutlich macht, dass er mit seinem Antrag mehrere prozessuale Begehren verfolgt.

Vgl. zu entsprechenden Konstellationen im Wettbewerbsrecht: BGH, Urteil vom 3.4.2003 - I ZR 1/01 - , NJW 2003, 2317-2319.

Eine derartige Verdeutlichung könnte insbesondere durch die Formulierung des Klageantrags in der Weise erfolgen, dass mehrere zur Klagebegründung angeführte Rechtsverletzungen ausdrücklich in den Klageantrag aufgenommen werden.

Die Klage ist unbegründet. Der angegriffene Beschluss verletzt die Kläger nicht in deren organschaftlichen Rechten. Dies gilt sowohl für die von den Klägern gerügte Mitwirkung befangener Ratsmitglieder als auch für den geltend gemachten Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit und die behauptete unzureichende Information vor der Ratssitzung.

Hinsichtlich der angeblichen Mitwirkung befangener Ratsmitglieder steht den Klägern schon ein wehrfähiges subjektives Organrecht nicht zu. Aus der kommunalverfassungsrechtlichen Stellung erwächst weder einem Ratsmitglied noch einer Ratsfraktion ein im Rechtsweg verfolgbarer allgemeiner Anspruch darauf, dass der Rat nur - in formeller wie materieller Hinsicht - gesetzmäßige Beschlüsse fasst.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7.8.1997 - 15 B 1811/97 - , NVwZ-RR 1998, 325; Bay. VGH, Urteil vom 2.7.1976 - Nr. 47 V 73 -, VRspr. 28, 460.

Die unberechtigte Mitwirkung eines wegen Befangenheit nach §§ 31, 43 Abs. 2 GO NRW von der Abstimmung auszuschließenden Ratsmitglieds verletzt auch im übrigen keine im Kommunalverfassungsstreitverfahren durchsetzbaren Mitgliedschaftsrechte der anderen Ratsmitglieder oder einer Ratsfraktion. §§ 31, 43 Abs. 2 GO NRW begründen keine Rechte der anderen Ratsmitglieder oder einer Ratsfraktion, weil sie nicht deren Interessen zu dienen bestimmt sind. Vielmehr bezweckt der Ausschluss befangener Ratsmitglieder ausschließlich im öffentlichen Interesse die Sicherstellung einer unvoreingenommenen, nicht durch unsachliche Motive bestimmten Beschlussfassung des Rates.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7.8.1997 - 15 B 1811/97 - , a.a.O., und vom 13.4. 2001 - 15 B 364/00 -; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 29.8.1984 - 7 A 19/84 -, DVBl. 1985, 177; BayVGH, Urteil vom 2.7.1976 - Nr. 47 V 73 - , a.a.O.; a.A. Suerbaum, JuS 1994, 324, 329 m.w.N.

Dies gilt unabhängig davon, ob die Befangenheit eines Ratsmitglieds gerügt wird oder ob die Befangenheit mehrerer Ratsmitglieder geltend gemacht wird. Das Recht von Ratsfraktionen, ihre Ansichten öffentlich darzustellen und ggf. auf Verstöße gegen Befangenheitsvorschriften öffentlich hinzuweisen, schließt nicht das Recht ein, das Vorliegen dementsprechender Verstöße auf dem Rechtsweg prüfen zu lassen. Die Gewährung eines dahingehenden Klagerechts ist auch nicht zur Aufrechterhaltung rechtsstaatlicher und demokratischer Grundprinzipien erforderlich. Der Gemeinderat ist als Teil der vollziehenden Gewalt durch Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Diese Gesetzesbindung wird nach dem nordrhein-westfälischen Gemeindeverfassungsrecht durch verschiedene Systeme ausreichend sichergestellt. Als internes Kontrollsystem dient die Pflicht des Bürgermeisters, rechtswidrige Ratsbeschlüsse zu beanstanden und ggf. die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen, § 54 Abs. 2 GO NRW. Kommt der Bürgermeister seinen diesbezüglichen Pflichten nicht nach, so kann die Aufsichtsbehörde den Bürgermeister anweisen, § 122 GO NRW. Dritte, also insbesondere Bürger, aber auch Fraktionen oder Ratsmitglieder haben aber keine Klagebefugnis für eine Klage auf Einschreiten des Bürgermeisters oder der Aufsichtsbehörde.

Vgl. Kallerhoff, Das kommunalaufsichtliche Beanstandungs- und Aufhebungsrecht in der Rechtsprechung des OVG NW, NWVBl. 1996, 53, 57, m.w.N.

Dieser Befund korrespondiert mit der vorstehenden Aussage, dass Fraktionen oder Ratsmitglieder keinen Anspruch darauf haben, dass der Rat nur gesetzmäßige Beschlüsse fasst. Neben der Kontrolle im Rahmen von Beanstandungs- und Aufsichtsmaßnahmen kann die Rechtmäßigkeit von Ratsbeschlüssen auch im Rahmen verwaltungsgerichtlicher Klageverfahren sonstiger in ihren Rechten Betroffener zur Überprüfung anstehen. Weitergehende Überprüfungsmöglichkeiten sind von Verfassungs wegen nicht geboten. Schließlich führt auch nicht der von den Klägern gezogene Erst-Recht-Schluss zur Annahme eines Klagerechts von bei der Beschlussabstimmung unterlegenen Ratsmitgliedern gegen die Mitwirkung anderer befangener Ratsmitglieder. Denn die Einräumung subjektiver Rechtspositionen zur Abwehr von äußeren Beeinträchtigungen wie etwa störenden Raucheinwirkungen lässt diesen Erst-Recht-Schluss nicht zu. Die Mitwirkung befangener Ratsmitglieder bei der Beschlussfassung unterscheidet sich von äußeren Einwirkungen auf ein Ratsmitglied nicht quantitativ, sondern qualitativ. Anders als etwa störende Raucheinwirkungen stört die Mitwirkung Befangener als solche nicht die Mandatsausübung der nichtbefangenen Ratsmitglieder.

Soweit die Kläger einen Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit geltend machen, betrifft dies zwar - wie bereits ausgeführt - verfahrensrechtliche Vorgaben, deren Verletzung sowohl von Ratsmitgliedern als auch von Ratsfraktionen gerügt werden kann. Der geltend Rechtsverstoß liegt aber nicht vor, denn die in Rede stehende Beratung war nicht in öffentlicher Sitzung durchzuführen. Vielmehr war die Öffentlichkeit gemäß § 6 Abs. 2 g) der Geschäftsordnung für den Rat (GeschO-Rat) ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen u.a. für Angelegenheiten, bei denen das Gemeinwohl der Behandlung in öffentlicher Sitzung entgegensteht. Dies ist hier der Fall.

§ 6 Abs. 2 g) ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Er findet seine Grundlage in § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW, wonach die - gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 GO NRW grundsätzlich vorgeschriebene - Öffentlichkeit von Ratssitzungen durch die Geschäftsordnung für Angelegenheiten einer bestimmten Art ausgeschlossen werden kann. § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW ermächtigt den Gemeinderat mit dem Ausschluss von "Angelegenheiten einer bestimmten Art" zur Schaffung abstrakt-generell gefasster Ausschlusstatbestände, während § 48 Abs. 2 Satz 3 GO NRW den Ausschluss der Öffentlichkeit "für einzelne Angelegenheiten" auf Antrag des Bürgermeisters oder eines Ratsmitglieds betrifft. Dem Wortlaut des § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW sind allerdings keine inhaltlichen Kriterien dafür zu entnehmen, in Angelegenheiten welcher Art der Gemeinderat die Öffentlichkeit durch die Geschäftsordnung ausschließen darf. Wegen der großen Bedeutung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit, vgl. OVG NRW, Urteil vom 24.4.2001 - 15 A 3021/97 -, a.a.O., m.w.N., ist hieraus aber nicht zu schließen, dass der Gemeinderat insoweit keinen Bindungen unterläge. § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW setzt vielmehr voraus, dass aus anderen Rechtsvorschriften oder Rechtsgrundsätzen herzuleiten ist, in welcher Art von Angelegenheiten in nichtöffentlicher Sitzung beraten werden muss.

Vgl. schon Kottenberg, GO, Kommentar, 6. Aufl. 1961, § 33 GO Anm. III.

In gesetzessystematischer Hinsicht sind einschlägige Vorgaben insbesondere den Regelungen über die Verschwiegenheitspflicht der Ratsmitglieder zu entnehmen, § 30 Abs. 1 i.V.m. § 43 Abs. 2 GO NRW. Danach haben Ratsmitglieder u.a. über die bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordene Angelegenheiten Verschwiegenheit zu wahren, deren Geheimhaltung ihrer Natur nach erforderlich oder besonders vorgeschrieben ist. Ihrer Natur nach geheim sind nach § 30 Abs. 1 Satz 2 GO NRW u.a. Angelegenheiten, deren Mitteilung an andere dem Gemeinwohl zuwiderlaufen würde. Geht der Gesetzgeber damit von der Geheimhaltungsbedürftigkeit bestimmter Angelegenheiten aus, so ist der Rat jedenfalls berechtigt, durch die Geschäftsordnung die Öffentlichkeit für diese Angelegenheiten von den Sitzungen des Rates auszuschließen. Sind nach § 30 Abs. 1 Satz 2 GO NRW ihrer Natur nach insbesondere Angelegenheiten geheim, deren Mitteilung an andere dem Gemeinwohl zuwiderlaufen würde, so darf der Rat dementsprechend - wie durch § 6 Abs. 2 g) GeschO-Rat - die Öffentlichkeit für Angelegenheiten ausschließen, bei denen das Gemeinwohl einer Behandlung in öffentlicher Sitzung entgegensteht, vgl. § 30 Abs. 1 Satz 2 GO NRW.

Das Gemeinwohl stand einer Beratung der Tagesordnungspunkte 3a) und 3b) im nichtöffentlichen Teil der Ratssitzung in öffentlicher Sitzung entgegen. Unter Gemeinwohl sind solche Interessen und Anliegen zu verstehen, die über die Interessen einzelner hinausgehen und die Interessen der örtlichen oder überörtlichen Gemeinschaft betreffen. Das Gemeinwohl gebietet den Ausschluss der Öffentlichkeit und rechtfertigt ihn, wenn Interessen und Belange des Bundes, des Landes, der Gemeinde oder anderer öffentlich-rechtlicher Aufgabenträger durch eine öffentliche Verhandlung verletzt werden können. Die Sparkasse der Gemeinde war ein öffentlich-rechtlicher Aufgabenträger im vorgenannten Sinne.

Sparkassen sind gemäß § 2 des Sparkassengesetzes (SpkG) rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts und damit Träger öffentlich-rechtlicher Aufgaben. Die Interessen und Belange der Sparkasse konnten durch eine Behandlung der mit der Fusion verbundenen Fragen in öffentlicher Sitzung verletzt werden. Die Sparkassen sind nach § 3 SpKG Wirtschaftsunternehmen der Gemeinden mit der Aufgabe, der geld- und kreditwirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft insbesondere des Geschäftsgebiets und ihres Gewährsträgers zu dienen. Unter Beachtung ihres öffentlichen Auftrags sind die Geschäfte der Sparkasse nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen. Hiervon ausgehend und unter Berücksichtigung der Konkurrenzsituation mit anderen Kreditinstituten haben Sparkassen Geschäftsgeheimnisse, die Dritten nicht unbefugt offenbart werden dürfen. Diesem Umstand trägt § 22 SpkG dadurch Rechnung, dass er die Mitglieder der Organe der Sparkasse sowie alle bei der Sparkasse tätigen Dienstkräfte, vgl. §§ 23,24 SpkG, zur Amtsverschwiegenheit über den Geschäftsverkehr und die sonstigen vertraulichen Angelegenheiten der Sparkasse verpflichtet. Das Interesse, die Geschäftsgeheimnisse der Sparkasse Dritten nicht unbefugt zu offenbaren, rechtfertigte den Ausschluss der Öffentlichkeit. Hierbei genügt es, dass eine Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen durch eine Behandlung der Angelegenheit in öffentlicher Sitzung möglich ist. Welchen Inhalt die Beratung tatsächlich haben wird, steht erst fest, wenn die Beratung abgeschlossen ist. Da die Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit aber bereits vor der Beratung zu treffen ist, kann sie nur aufgrund einer Gefährdungsprognose getroffen werden.

Vgl. Seeger, Handbuch für die Gemeinderatssitzung, 4. Aufl. 1989, S. 60.

Die danach anzustellende Prognose rechtfertigte die Einschätzung, dass die Behandlung der Tagesordnungspunkte 3 a) und 3 b) in öffentlicher Sitzung die Belange eines öffentlich-rechtlichen Aufgabenträgers, nämlich der Sparkasse gefährden könnte. Die Geschäftsgeheimnisse der Sparkasse hätten durch eine öffentliche Beratung über die Fusion mit der Sparkasse der Nachbarstadt verletzt werden können. Es liegt auf der Hand, dass im Rahmen dieser Beratung Interna (personelle, wirtschaftliche usw.) zur Sprache kommen konnten, an deren Geheimhaltung gegenüber der Öffentlichkeit die Sparkasse ein schutzwürdiges Interesse hatte. Dies galt umso mehr als die Klägerin zu 1) in ihren umfangreichen Fragenkatalog gerade auch Fragen zur wirtschaftlichen Situation der Sparkasse aufgenommen hatte, die sich nicht aus allgemein zugänglichen Quellen beantworten ließen.

Entgegen der Ansicht der Kläger konnte der Ausschluss der Öffentlichkeit nicht lediglich auf Teile der Beratung der Tagesordnungspunkte beschränkt werden. Eine derartige atomisierende Betrachtung ist den Regelungen über den Ausschluss der Öffentlichkeit fremd. Sie wird auch der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Die maßgebliche Prognose, ob Geheimhaltungsinteressen bei einer Beratung der Angelegenheit in öffentlicher Sitzung verletzt werden können, lässt wegen des thematischen Zusammenhangs der Angelegenheit und der Unvorhersehbarkeit der einzelnen Beiträge grundsätzlich nur für die Angelegenheit insgesamt, nicht aber für einzelne Teile der Angelegenheit treffen. Erfolgte der Ausschluss der Öffentlichkeit deshalb zu Recht, kommt es nicht mehr darauf an, ob den Klägern die Berufung auf einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz im konkreten Fall nach Treu und Glauben verwehrt wäre.

Die von den Klägern geltend gemachte Verletzung organschaftlicher Mitwirkungsrechte durch den Ratsbeschluss liegt schließlich auch nicht vor unter dem Gesichtspunkt einer unzureichenden Information durch den Bürgermeister der Gemeinde. Dabei kann offenbleiben, unter welchen Voraussetzungen der Gemeinderat auf Grund eine Verletzung der Informationspflicht des Bürgermeisters verpflichtet sein kann, von einer abschließenden Beschlussfassung in der Sache vorerst abzusehen. Jedenfalls können sich eine Ratsfraktion und ein Ratsmitglied auf eine insoweit bestehende Entscheidungssperre nur dann berufen, wenn sie eine Vertagung der Beschlussfassung beantragt haben. Dies folgt aus dem auf das Verhältnis zwischen kommunalen Organen oder Organteilen übertragbaren Grundsatz der Organtreue. Dieser begründet die Obliegenheit von Ratsfraktionen oder -mitgliedern, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer anstehenden Beschlussfassung auf Grund einer vermeintlich unzureichenden Information in der verfahrensrechtlich gebotenen Form rechtzeitig geltend zu machen. Wird diese Obliegenheit verletzt, so ist die spätere Geltendmachung der Rechtsverletzung gegenüber dem Gemeinderat treuwidrig und deshalb unzulässig.

Vgl. zur Folge entsprechender Obliegenheitsverletzungen z.B. im Prüfungsrechtsverhältnis: BVerwG, Urteil vom 17.2.1984 - 7 C 67/82 -, BVerwGE 69, 46.

Ende der Entscheidung

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