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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 23.03.2005
Aktenzeichen: 15 B 123/05
Rechtsgebiete: GG, GO NRW, GVG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 14
GO NRW § 107
GVG § 17 Abs. 2
1. Der Umfang des Grundrechtsschutzes privater Anbieter gegen wirtschaftliche Konkurrenz durch einen Träger öffentlicher Gewalt hängt davon ab, ob dieser freiwillig oder in Erfüllung einer gesetzlich vorgegebenen Aufgabe tätig wird.

2. Grundrechte schützen einen privaten Anbieter gegenüber konkurrierender freiwilliger wirtschaftlicher Betätigung eines Trägers öffentlicher Gewalt, wenn die private wirtschaftliche Betätigung unmöglich gemacht oder unzumutbar eingeschränkt wird oder eine unerlaubte Monopolstellung entsteht.

3. Bei rechtlich bindend vorgegebener Aufgabenerfüllung braucht ein Träger öffentlicher Gewalt grundsätzlich keine Rücksicht darauf zu nehmen, dass private Konkurrenz möglich bleibt. Ein Grundrechtsverstoß kann allenfalls dann vorliegen, wenn einzelnen privaten Anbietern in einer dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zuwider laufenden oder mit der vorgegebenen Aufgabenerfüllung nicht mehr im Zusammenhang stehenden Weise gezielt Nachteile zugefügt werden.


Tatbestand:

Der Antragsteller betreibt ein Unternehmen, das sich auf die Entsorgung asbesthaltiger Abfälle spezialisiert hat. Diese Abfälle werden u.a. im Gebiet des Antragsgegners (Kreis) eingesammelt und einer Anlage in Baden-Württemberg zugeführt. Im Jahre 2004 reduzierte der Antragsgegner den Gebührensatz für die Entsorgung dementsprechender Abfälle auf der kreiseigenen Abfalldeponie von 205,00 EUR/t zuzüglich Mehrwertsteuer auf 90,00 EUR/t zuzüglich Mehrwertsteuer. Hiergegen wandte sich der Antragsteller u.a. mit der Begründung, die Gebührenreduzierung verstoße gegen das Äquivalenzprinzip und sein Unternehmen habe im Kreisgebiet erhebliche Umsatzeinbußen erlitten, weil die Deponierung nunmehr deutlich günstiger sei als die von ihm angebotene Entsorgungsmöglichkeit. Der Antragsteller blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Gründe:

Mit der Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen die erstinstanzliche Entscheidung und beantragt,

1. dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO aufzugeben, es bis zu einer Entscheidung in dem Verfahren 11 K 2983/04 vorläufig zu unterlassen, die Entsorgung von Asbestzement zu einem geringeren Preis als 205,00 EUR/t zzgl. Mehrwertsteuer gegenüber Abfallerzeugern und Abfallbesitzern und/oder sonstigen Firmen wie Dachdeckern und Abbruchunternehmen anzubieten,

2. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung in dem Verfahren 11 K 2983/04 vorläufig zu verpflichten, für die Entsorgung von asbesthaltigen Baustoffen (Abfallschlüssel 17 06 05) entsprechend der vorgenommenen Gebührenkalkulation und der Abfallgebührensatzung von Dezember 2003 eine Gebühr von 205,00 EUR/t zzgl. Mehrwertsteuer in die Gebührensatzung in der jeweils gültigen Fassung aufzunehmen.

Diese nach § 123 VwGO zu beurteilenden Anträge sind jedenfalls unbegründet, weil der Antragsteller die für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnungen erforderlichen Anordnungsansprüche nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

Ein dementsprechender Anordnungsanspruch kann sich nur aus einer drittschützenden Norm des öffentlichen Rechts ergeben. Er besteht dagegen nicht bereits dann, wenn der Antragsgegner lediglich gegen nicht drittschützende Bestimmungen des objektiven Rechts verstoßen hat. Es kommt deshalb im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf an, ob - wie der Antragsteller vorträgt - der Gebührensatz mit dem - objektiv rechtlichen - Äquivalenzprinzip nicht vereinbar ist oder den objektiv rechtlichen Anforderungen der §§ 4 Abs. 1, 13 Abs. 1 KrW-/AbfG und des § 9 Abs. 2 Satz 3 LAbfG NRW widerspricht.

Aus drittschützenden Bestimmungen lässt sich ein für den Antrag zu 1. erforderlicher (Anordnungs-)Anspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner, die Entsorgung von asbesthaltigen Baustoffen gegenüber den Abfallbesitzern nicht zu einem Gebührensatz unter 205,00 EUR/t zzgl. Mehrwertsteuer anzubieten, nicht herleiten.

Ein entsprechender Anordnungsanspruch folgt nicht aus § 53 Abs. 1 KrO NRW i.V.m. § 107 Abs. 1 GO NRW, der für die örtlichen Wirtschaftsteilnehmer drittschützenden Charakter hat.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.8.2003 - 15 B 1137/03 -.

Dabei kann offen bleiben, ob § 107 Abs. 1 GO NRW nur die - hier nicht in Rede stehende - Frage regelt, "ob" eine Kommune am wirtschaftlichen Wettbewerb teilnehmen darf, vgl. dazu Held, in: Held/Becker/Decker/Kirchhof/ Krämer/Plückhahn/Sennewald/Wansleben, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW), Loseblattkommentar: Stand Dezember 2004, § 107 Anm. 9.4.2.1 m.w.N., oder ob die Bestimmung darüber hinaus auch dem "Wie" des Wettbewerbsverhaltens - um das es hier allein gehen könnte - Grenzen setzt. Jedenfalls ist § 107 Abs. 1 GO NRW im vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil die von der Antragstellerin beanstandete Abfallentsorgungstätigkeit des Kreises gemäß § 107 Abs. 2 Nr. 4 GO NRW nicht als wirtschaftliche Betätigung im Sinne u.a. des § 107 Abs. 1 GO NRW gilt.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich auch nicht aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 oder Art. 14 GG, denn die Schutzbereiche dieser Bestimmungen werden durch den nach Ansicht des Antragstellers rechtswidrigen Gebührensatz nicht verletzt.

Die Gebührengestaltung des Antragsgegners führt nicht zu einem unmittelbaren Eingriff in Grundrechte des Antragstellers. Maßnahmen eines Trägers öffentlicher Gewalt, mit denen für einen Unternehmer nachteilige Veränderungen wirtschaftlicher Verhältnisse einhergehen, können auch nicht etwa allein deshalb als - mittelbare - Grundrechtsbeeinträchtigung verstanden werden. Denn es gibt in der freien Wettbewerbswirtschaft im Grundsatz kein subjektives verfassungskräftiges Recht auf Erhaltung eines bestimmten Geschäftsumfangs und auf Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.4.1985 - 3 C 34.84 -, BVerwGE 71, 183, 193 m.w.N.

Die Reichweite des durch die o.g. Grundrechtsbestimmungen vermittelten Schutzes privater Anbieter hängt davon ab, ob die Kommune ihnen im Rahmen - freiwilliger - wirtschaftlicher Betätigung oder im Rahmen einer bindend vorgegebenen Erfüllung staatlicher oder kommunaler Aufgaben gegenüber tritt. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze, wonach die Grundrechte eines privaten Anbieters vor dem Hinzutreten des Staates oder von Gemeinden als Konkurrenten schützen, wenn die private wirtschaftliche Betätigung unmöglich gemacht oder unzumutbar eingeschränkt wird oder eine unerlaubte Monopolstellung entsteht, vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.3.1995 - 1 B 211.94 -, DVBl. 1996, 152, 153 m.w.N., gelten in dieser Form nur für die freiwillige wirtschaftliche Betätigung der Kommune.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.10.2004 - 15 B 1873/04 - (Bl. 9 des Beschlussabdrucks); in diesem Sinne hat das BVerfG entschieden, dass Art. 12 Abs. 1 GG nicht die Freiheit zur Erfüllung von Aufgaben gewährleistet, die der Staat im Rahmen seiner Gestaltungsbefugnis an sich gezogen hat und durch eigene Einrichtungen wahrnimmt, BVerfG, Beschluss vom 11.6.1974 - 1 BvR 82/71 -, BVerfGE 39, 314, 322.

Es liegt auf der Hand, dass bei rechtlich notwendiger Erfüllung staatlicher Aufgaben - etwa im Bereich der Gefahrenabwehr - grundsätzlich keine Rücksicht darauf genommen zu werden braucht, dass private Konkurrenz möglich bleibt. Das vorliegende Verfahren erfordert keine abschließende Entscheidung über die Reichweite des Grundrechtsschutzes in dieser Konstellation. Jedenfalls ist die Rechtsposition des privaten Anbieters hier schwächer als gegenüber freiwilliger wirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand. Denn in einem Bereich, in dem die Kommune kraft gesetzlichen Auftrags ausdrücklich zum Tätigwerden verpflichtet ist, befindet sie sich gegenüber privaten Anbietern nicht in einer marktwirtschaftlich geprägten Konkurrenzsituation. Vielmehr hat sie auf Grund gesetzlichen Auftrags von vornherein einen Handlungsvorrang, hinter dem die Geschäftstätigkeit des privaten Anbieters als rechtlich grundsätzlich nicht geschützte Chance zurückzutreten hat. In diesen Fällen steht dem privaten Anbieter deshalb ein Grundrechtsschutz selbst gegen weitgehende oder gar vollständige Verdrängung aus dem Tätigkeitsbereich nicht zu. Ein Grundrechtsverstoß kann allenfalls dann vorliegen, wenn die öffentliche Hand einzelnen privaten Anbietern in einer dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zuwider laufenden oder mit der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr im Zusammenhang stehenden Weise gezielt Nachteile zufügt.

Im vorliegenden Fall tritt der Kreis dem Antragsteller im Rahmen rechtlich bindend vorgegebener Erfüllung staatlicher Aufgaben, nämlich der durch § 15 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG zulässigerweise begründeten Pflicht zur Abfallentsorgung gegenüber. Dementsprechend schützen die Grundrechte den Antragsteller nicht davor, dass der Kreis diese Aufgabe wahrnimmt. Einer der oben beschriebenen Ausnahmefälle, in denen möglicherweise ein Grundrechtsverstoß angenommen werden könnte, liegt nicht vor. Es ist weder ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ersichtlich noch liegen Anhaltspunkte für die Annahme vor, die vom Antragsteller beanstandete Gebührengestaltung stehe nicht mehr im Zusammenhang mit der Aufgabenerfüllung des Kreises. Vielmehr soll durch die Reduzierung der Gebühr gerade erreicht werden, dass die betroffenen asbestzementhaltigen Abfälle in der kreiseigenen Deponie entsorgt werden.

Die zivilrechtlichen Bestimmungen des Wettbewerbsrechts scheiden in Fällen der vorliegenden Art für die Verwaltungsgerichte als Prüfungsmaßstab zwar nicht von vornherein aus, denn das Gericht des zulässigen Rechtswegs hat den Rechtsstreit gemäß § 17 Abs. 2 GVG unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu entscheiden; der Antragsteller hat einen Verstoß gegen diese wettbewerbsrechtlichen Vorschriften im Beschwerdeverfahren aber nicht dargelegt, sodass der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO von deren Prüfung abzusehen hat.

Aus der vorstehenden Begründung folgt zugleich, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch auch für den Antrag zu 2. nicht glaubhaft gemacht hat.

Ende der Entscheidung

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