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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 22.08.2007
Aktenzeichen: 15 B 1328/07
Rechtsgebiete: GO NRW, VwVG NRW


Vorschriften:

GO NRW § 123 Abs. 2
VwVG NRW § 63
Auf die kommunalaufsichtliche Ersatzvornahme nach § 123 Abs. 2 GO NRW finden die verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Vorschriften über die Zustellung der Zwangsmittelandrohung (§ 63 Abs. 6 Satz 1 VwVG NRW) und den Kostenvoranschlag (§ 63 Abs. 4 VwVG NRW) keine Anwendung.
Gründe:

Der antragstellenden Stadt wurde im Wege kommunalaufsichtlicher Anordnung nach § 123 Abs. 1 GO NRW aufgegeben, die Kindergartenbeiträge binnen einer gesetzten Frist durch Satzung zu erhöhen. Für den Fall fruchtlosen Fristablauf wurde die Ersatzvornahme nach § 123 Abs. 2 GO NRW angedroht und die sofortige Vollziehung angeordnet. Die Verfügung wurde formlos bekannt gegeben. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg.

Gründe:

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die nach § 123 Abs. 1 GO NRW verfügte Anordnung, durch Satzung die Kindergartenbeiträge in bestimmtem Umfange zu erhöhen.

Zu Recht meint das VG, dass sich diese Pflicht aus § 77 Abs. 2 GO NRW ergibt, der anordnet, dass die Gemeinde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Finanzmittel erstens, soweit vertretbar und geboten, aus speziellen Entgelten für die von ihr erbrachten Leistungen und zweitens im Übrigen aus Steuern zu beschaffen hat, soweit die sonstigen Finanzmittel nicht ausreichen. Daraus ergibt sich die Verpflichtung der Gemeinde zur vorrangigen Deckung der Ausgaben aus speziellen Entgelten, die lediglich auf den Rahmen des Vertretbaren und Gebotenen eingeschränkt wird. Deshalb müssen Kommunen in defizitärer Haushaltslage, wie die Antragstellerin, Finanzierungslücken bei Kindertageseinrichtungen vorrangig durch Elternbeiträge statt durch Steuern oder Kredite abdecken.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.5.2007 - 15 B 778/07 -, Gemhlt. 2007, 166.

Zu Unrecht meint die Antragstellerin, die Vorschrift sei wegen der bundesrechtlichen Vorschrift des § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII unanwendbar, nach dem u.a. für die Inanspruchnahme von Angeboten der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen Teilnahmebeiträge oder Kostenbeiträge festgesetzt werden können. Diese Vorschrift verleiht dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw. den jugendhilferechtlich tätigen Gemeinden die Befugnis, solche Beiträge festzusetzen und stellt dies in ihr Ermessen. Ausdrückliche inhaltliche Vorgaben für die Ausübung des Ermessens legt das Bundesrecht nicht fest. Allerdings mag sich aus der Qualität des Entgelts als Abgabe eigener Art ergeben, dass besondere soziale und pädagogische Gesichtspunkte im Rahmen des durch § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII eingeräumten Ermessens zu berücksichtigen sind. Dies steht jedoch nicht im Widerspruch zu der Pflicht nach § 77 Abs. 2 GO NRW, Entgelte zu erheben. Dessen Merkmale des Gebotenen und Vertretbaren geben Raum für eine diese Gesichtspunkte einbeziehende Ermessensausübung.

In Anwendung des § 77 Abs. 2 GO NRW hat das VG auch zutreffend eine Rechtspflicht der Antragstellerin zur Erhöhung der Beiträge bejaht. Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass der Begriff des Vertretbaren in § 77 Abs. 2 Nr. 1 GO NRW der Antragstellerin einen nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum eröffne, der nicht durch die Finanzsituation der Gemeinde begrenzt sei. § 77 Abs. 2 Nr. 1 GO NRW beschränkt die Verpflichtung der Gemeinde, Finanzmittel aus speziellen Entgelten für die von ihr erbrachten Leistungen zu beschaffen, nach oben auf das Vertretbare und nach unten auf das Gebotene. Die Pflicht der Gemeinden, Entgelte zu erheben, entfällt also nur, wenn dies unvertretbar oder nicht geboten ist. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich in Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe, die einen Beurteilungsspielraum nicht eröffnen. Dass eine solche Pflicht zur Erhöhung der bisherigen Beiträge besteht, hat das VG zutreffend festgestellt. Dagegen werden keine substantiierten Einwände erhoben.

Zu Unrecht meint die Antragstellerin, dass - soweit § 77 Abs. 2 GO NRW überhaupt für anwendbar gehalten werde - jedenfalls nur eine Erhöhung verfügt werden dürfe, die gerade noch geboten sei. Das sei eine durchschnittliche Erhöhung von 20,5 % nicht. Diese Auffassung verkennt den Regelungsgehalt des § 77 Abs. 2 GO NRW. Die Vorschrift verpflichtet hier die Antragstellerin, die seit 1993 nicht mehr erhöhten Beiträge im Rahmen des eingeräumten Ermessens zu erhöhen. Dieser Verpflichtung ist sie nicht nachgekommen. Wegen der Nichterfüllung der gesetzlichen Verpflichtung ist die Aufsichtsbehörde nach § 123 Abs. 1 VwGO befugt, das Ermessen anstelle der Gemeinde im Rahmen einer Aufsichtsmaßnahme auszuüben, wobei sie insoweit nur auf "das Erforderliche" beschränkt ist. Mit der angeordneten Erhöhung um 20,5 % wird der Ausfall von Landesmitteln in Höhe von 856.000,-- Euro voraussichtlich nur zu 65 % kompensiert, sodass die Anordnung im Rahmen des Erforderlichen verbleibt.

Wegen des Übergangs der Ermessensausübung auf die Aufsichtsbehörde gehen auch die gegen das Einschreitermessen gerichteten Einwände der Antragstellerin ins Leere: Richtig ist, dass es im Rahmen eines stimmigen Konzeptes denkbar ist, statt durch bloße Erhöhung der Beiträge auch anderweitige Einnahmeerhöhungen oder Ausgabeminderungen vorzusehen, um den Ausfall der Landesmittel abzudecken. Das wäre aber hier nur von Bedeutung, wenn die Antragstellerin ein solches Konzept im Einklang mit § 77 Abs. 2 GO NRW beschlossen und damit ihrer haushaltswirtschaftlichen Pflicht nachgekommen wäre. Daran fehlt es.

Schließlich führen auch die gegen die angedrohte Ersatzvornahme geführten Angriffe nicht zum Erfolg des Antrags. Richtig ist, dass die angegriffene Verfügung neben der Anordnung einer Beitragserhöhung durch Satzung auch eine Androhung der Ersatzvornahme enthält und dass die Verfügung nicht zugestellt, sondern formlos bekannt gemacht wurde. Eine Zustellung war jedoch auch nicht erforderlich. § 63 Abs. 6 Satz 1 VwVG NRW, der anordnet, dass die Androhung eines Zwangsmittels zuzustellen ist, ist nämlich unanwendbar. Diese Vorschrift betrifft alleine die Androhung der in § 57 VwVG NRW genannten Zwangsmittel. Dazu gehört zwar die Ersatzvornahme nach § 59 VwVG NRW, nicht aber die hier in Rede stehende Ersatzvornahme nach § 123 Abs. 2 GO NRW. Die verwaltungsvollstreckungsrechtliche Ersatzvornahme richtet sich zur Durchsetzung einer regelmäßig durch einen Grundverwaltungsakt verfügten Pflicht auf die Ausführung einer Handlung, deren Vornahme durch einen anderen möglich ist (vertretbare Handlung), seitens der Vollzugsbehörde oder eines von ihr Beauftragten. Es geht also um die Verwaltungsvollstreckung im allgemeinen Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Bürger und Staat. Die kommunalrechtliche Ersatzvornahme erlaubt demgegenüber, alle Handlungen der Gemeinde, auch wenn sie - wie etwa hier der Erlass einer Satzung - nicht vertretbar sind, durch die Aufsichtsbehörde durchzuführen oder durchführen zu lassen. Es handelt sich also um die speziell kommunalaufsichtsrechtliche Variante des allgemeinen Instituts aufsichtsrechtlichen Eintritts zwischen Aufsichtsbehörde und beaufsichtigter Körperschaft und Behörde (vgl. etwa den ordnungsbehördlichen Selbsteintritt der Aufsichtsbehörde nach § 10 Abs. 1 OBG in entsprechender Anwendung der kommunalrechtlichen Ersatzvornahme). Der unterschiedliche Charakter der verwaltungsvollstreckungsrechtlichen und der kommunalaufsichtlichen Ersatzvornahme erlaubt es nicht, auf letztere die genannte Zustellungsvorschrift des Verwaltungsvollstreckungsrechts anzuwenden.

Aus demselben Grund ist auch die Vorschrift des § 63 Abs. 4 VwVG NRW nicht anwendbar, wonach in der Androhung des Zwangsmittels die voraussichtlichen Kosten angegeben werden sollen.

Ende der Entscheidung

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