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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 04.04.2007
Aktenzeichen: 15 B 266/07
Rechtsgebiete: GO NRW


Vorschriften:

GO NRW § 26
GO NRW § 82 Abs. 2
1. In der von einer Gemeinde mit vorläufiger Haushaltsführung für eine Kreditaufnahme gemäß § 82 Abs. 2 Satz 2 GO NRW vorzulegenden, nach Dringlichkeit geordneten Aufstellung der vorgesehenen unaufschiebbaren Investitionen orientiert sich der Begriff Dringlichkeit in erster Linie an der sachlichen Notwendigkeit der Aufwendungen. Die Refinanzierbarkeit der Aufwendung ("kostenrechnende Einrichtung") weist dazu keinen Bezug auf.

2. § 26 Abs. 8 Satz 2 GO NRW, wonach ein Bürgerentscheid nach Ablauf von zwei Jahren durch Ratsbeschluss abgeändert werden kann, trifft keine Aussage, wann ein Bürgerentscheid durchgeführt werden muss. Vielmehr findet insoweit die Pflicht des Bürgermeisters aus § 62 Abs. 2 Satz 2 GO NRW, Ratsbeschlüsse ohne sachlich nicht gebotene Verzögerung durchzuführen, entsprechende Anwendung.


Tatbestand:

Die antragstellende Gemeinde hatte beschlossen, eine Straße im Rahmen einer Wohnumfeldverbesserungsmaßnahme auszubauen und dabei zugleich den Mischwasserkanal zu sanieren. Im Januar 2005 entschied ein Bürgerentscheid, dass die Ausbauentscheidung aufgehoben und die Verwaltung nur noch beauftragt werde, den Kanal zu erneuern. Seit 2005 verfügt die Gemeinde mangels genehmigten Haushaltssicherungskonzepts nicht mehr über eine bekannt gemachte Haushaltssatzung. Der Gemeinderat beschloss, die Kanalsanierung in der Dringlichkeitsliste nach § 82 Abs. 2 Satz 2 GO NRW für das Haushaltsjahr 2008 vorzusehen. Der antragsgegnerische Landrat als Kommunalaufsichtsbehörde hob diesen Beschluss auf und ordnete unter Anordnung der sofortigen Vollziehung an, die Kanalsanierung für das Haushaltsjahr 2006 vorzusehen. Das von der Gemeinde dagegen angestrengte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hatte in der Beschwerdeinstanz Erfolg.

Gründe:

Das besondere öffentliche Vollziehungsinteresse hinsichtlich der kommunalaufsichtsrechtlichen Verfügung überwiegt nicht das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Die Verfügung erweist sich nämlich aus den im Beschwerdeverfahren dargelegten, allein maßgeblichen Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) als offensichtlich rechtswidrig.

Die kommunalaufsichtsrechtliche Verfügung hebt zum einen Beschlüsse des Rates der Antragstellerin auf, mit denen die Kanalsanierung in die Dringlichkeitsliste gemäß § 82 Abs. 2 Satz 2 GO NRW für das Haushaltsjahr 2008 aufgenommen bzw. diese zeitliche Zuordnung bestätigt wurde. Zum anderen ordnet sie die Aufnahme dieser Maßnahme in die Dringlichkeitsliste für das Haushaltsjahr 2006 an.

Nach § 122 Abs. 1 GO NRW kann die Aufsichtsbehörde, hier der Antragsgegner, Beschlüsse des Rates aufheben, die das geltende Recht verletzen. Dass die in Rede stehende Kanalbaumaßnahme nicht vor dem Haushaltsjahr 2008 ausgeführt werden soll, verletzt das geltende Recht nicht.

Nach § 82 Abs. 2 Satz 2 GO NRW hat eine Gemeinde mit vorläufiger Haushaltsführung, wie es für die Antragstellerin seit dem Haushaltsjahr 2005 der Fall ist, dem Antrag auf Genehmigung einer Kreditaufnahme eine nach Dringlichkeit geordnete Aufstellung der vorgesehenen unaufschiebbaren Investitionen beizufügen. Eine Vorverlagerung der Kanalbaumaßnahme in die Zeit vor 2008 stünde weder im Einklang mit den sich aus der genannten Vorschrift ergebenden haushaltsrechtlichen Voraussetzungen, noch könnte sie mit dem erfolgten Bürgerentscheid gerechtfertigt werden.

Eine Planung der Sanierungsmaßnahme vor dem Jahre 2008 widerspräche angesichts des Zustands des Kanals dem Erfordernis der Unaufschiebbarkeit der Investition: Eine Dringlichkeit der Sanierung aus abwassertechnischen Gründen wird vom Antragsgegner selbst nicht geltend gemacht. Auch nach Aktenlage kann davon nicht ausgegangen werden: (Wird ausgeführt).

Zu Unrecht meint der Antragsgegner in der angegriffenen Aufsichtsverfügung, die Einstufung der Kanalsanierung für ein Haushaltsjahr vor 2008 sei deshalb vertretbar, weil es sich um eine kostenrechnende Einrichtung handele, weil also die mit der Aufnahme in die Dringlichkeitsliste vorgesehene Kreditaufnahme letztlich haushaltsunschädlich sei, da sie mit höheren Einnahmen aus Kanalbenutzungsgebühren verbunden sei. Ob diese Annahme zutrifft, erscheint nicht zweifelsfrei: So trägt die Antragstellerin vor, ohne dass dem der Antragsgegner substantiiert entgegen tritt, es sei mit Gebührenausfällen zu rechnen, weil die Kosten einer Sanierung eines noch nicht sanierungsbedürftigen Kanals nicht in die Gebührenbedarfsberechnung eingestellt werden könnten. Davon unabhängig ergeben sich gewichtige Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des Antragsgegners insbesondere daraus, dass für den Fall, dass der Kanal auch der Straßenentwässerung dient, nach § 8 Abs. 4 Satz 4 KAG NRW ein dem Gemeindeanteil entsprechender Teil des Aufwandes bei einem zu erhebenden Straßenbaubeitrag nicht refinanzierbar auf die Antragstellerin entfallen würde.

All dies bedarf hier aber keiner Klärung: § 82 GO NRW unterwirft die Gemeinde, die mangels bekannt gemachter Haushaltssatzung der vorläufigen Haushaltsführung unterliegt, besonderen Restriktionen, die sich in erster Linie an der sachlichen Notwendigkeit der Aufwendungen orientieren. Auf dieser Grundlage kann die in § 82 Abs. 2 Satz 2 GO NRW geforderte Unaufschiebbarkeit der Investition nicht mit der Refinanzierbarkeit der Aufwendung begründet werden, weil die Frage der Finanzierung keinen Bezug zu der gebotenen sachlichen Notwendigkeit der Aufwendung aufweist.

Die angegriffene Verfügung geht ferner davon aus, dass sich die besondere Dringlichkeit der Kanalsanierung in der K.-Straße aus dem Umstand ergebe, dass die Maßnahme durch Bürgerentscheid von Januar 2005 beschlossen worden sei. Auch diese Begründung ist ersichtlich nicht tragfähig.

Es ist schon zweifelhaft, ob das Bürgerbegehren überhaupt die Kanalsanierung als positive Maßnahme zum Gegenstand hat oder sich nicht vielmehr auf die Aufhebung des Beschlusses beschränkt, die K.-Straße auszubauen. (Wird ausgeführt).

Auch § 26 Abs. 8 Satz 2 GO NRW, der die Abänderung eines Bürgerentscheids nach Ablauf von zwei Jahren durch Ratsbeschluss erlaubt, gibt - anders als der angegriffene Bescheid es annimmt - nichts dafür her, dem Bürgerentscheid eine solche Zeitvorgabe zu entnehmen. Richtig ist zwar, dass ein Bürgerentscheid, der die Wirkung eines Ratsbeschlusses hat (§ 26 Abs. 8 Satz 1 GO NRW), vom Bürgermeister entsprechend § 62 Abs. 2 Satz 2 GO NRW auszuführen ist. Richtig ist auch, dass der Bürgermeister nicht befugt ist, diese Ausführung ohne sachlichen Grund hinauszuzögern, um nach Ablauf von zwei Jahren den Bürgerentscheid durch Ratsbeschluss abändern zu lassen und damit den Bürgerentscheid zu unterlaufen. Jedoch verbleibt dem Bürgermeister das Recht und obliegt ihm die Pflicht, den Bürgerentscheid - wie auch jeden Ratsbeschluss - nach einem sachlich vertretbaren Zeitplan umzusetzen. Alleine dafür könnte ein Bürgerentscheid zeitliche Vorgaben machen. Das ist hier, wie ausgeführt, nicht der Fall.

Schließlich wäre selbst dann, wenn dem Bürgerentscheid zu entnehmen wäre, dass eine rasche Sanierung vor dem Haushaltsjahr 2008 gewollt war, die Verfügung offensichtlich rechtswidrig. Ein Bürgerentscheid untersteht nicht anders als ein Ratsbeschluss dem geltenden Recht, hier dem Recht der vorläufigen Haushaltsführung nach § 82 GO NRW. Dieses erlaubt - wie oben ausgeführt - die Terminierung der Sanierungsmaßnahme nicht vor dem Haushaltsjahr 2008. Damit steht fest, dass ein Bürgerentscheid, der eine Sanierung vor dem Jahr 2008 angeordnet hätte, rechtswidrig wäre und deshalb nicht durchgeführt werden dürfte. Insoweit wäre unerheblich, dass der Rat das Bürgerbegehren gemäß § 26 Abs. 6 Satz 1 GO NRW für zulässig erklärt hat und gegen diesen Beschluss keine aufsichtlichen Maßnahme, insbesondere keine Beanstandung durch den Bürgermeister, ergriffen wurde. Dadurch würde ein von Anfang an rechtswidriges oder später rechtswidrig gewordenes Bürgerbegehren bzw. ein solcher Bürgerentscheid nicht rechtmäßig. Er dürfte mit diesem Inhalt mithin nicht durchgeführt werden.

Erweist sich somit die angegriffene Aufhebungsverfügung als offensichtlich rechtswidrig, weil die aufgehobenen Ratsbeschlüsse das geltende Recht nicht dadurch verletzen, dass sie die Kanalsanierung nicht vor dem Haushaltsjahr 2008 vorsehen, so erweist sich auch die Anordnung, die Kanalsanierungsmaßnahme in der Dringlichkeitsliste für das Haushaltsjahr 2006 vorzusehen, als offensichtlich rechtswidrig. Da der Antragstellerin eine solche Pflicht nach den obigen Ausführungen nicht kraft Gesetzes obliegt, ist die Anordnung nicht von § 123 Abs. 1 GO NRW gedeckt.

Da schon die gesetzlichen Voraussetzungen für ein aufsichtsrechtliches Einschreiten nicht vorliegen, bedarf es keiner Überprüfung, ob Ermessensfehler vorliegen. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die in der angegriffenen Verfügung genannte Erwägung zur Ausübung des Einschreitermessens, dass nämlich die betroffene Bürgerschaft keine Rechtsschutzmöglichkeit besitze, den Bürgerentscheid durchzusetzen, entgegen der Auffassung des VG höchst zweifelhaft ist. Es spricht vieles dafür, dass die Vertreter eines zu einem erfolgreichen Bürgerentscheid führenden Bürgerbegehrens einen verfahrensrechtlichen Anspruch auf Durchführung des Bürgerentscheids haben.

Tendenziell bereits so für einen Ratsbeschluss, mit dem der Rat einem Bürgerbegehren nach § 26 Abs. 6 Satz 4 GO NRW entspricht, OVG NRW, Urteil vom 25.9.2001 - 15 A 2445/97 -, NWVBl. 2002, 110 f.

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