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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 12.07.2005
Aktenzeichen: 15 E 424/05
Rechtsgebiete: BRAGO, RVG


Vorschriften:

BRAGO § 7 Abs. 2
BRAGO § 13 Abs. 2
RVG § 15 Abs. 2
RVG § 22 Abs. 1
Zu den Voraussetzungen, mehrere in getrennten Verfahren erledigte Gegenstände im Sinne des § 7 Abs. 2 BRAGO (heute: § 22 Abs. 1 RVG) gebührenrechtlich als dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 13 Abs. 2 BRAGO (heute: § 15 Abs. 2 RVG) zu behandeln.
Tatbestand:

Ein Rechtsanwalt vertrat eine Vielzahl von Anliegern in Klageverfahren gegen Straßenbaubeitragsbescheide. Nach den gerichtlichen Kostenentscheidungen hatte die Gemeinde die Verfahrenskosten zu tragen. Der Rechtsanwalt rechnete daraufhin jedes der Klageverfahren nach dem für jedes einzelne Verfahren festgesetzten Streitwert ab. Der Kostenbeamte summierte demgegenüber alle Streitwerte und berechnete danach einmal die Rechtsanwaltsgebühren, die er dann anteilig nach Streitwerten auf die einzelnen Klageverfahren verteilte. Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss beantragte der Rechtsanwalt die Entscheidung des Gerichts. Gegen dessen zurückweisende Erinnerungsentscheidungen wurden Beschwerden eingelegt, die das OVG nach Verbindung der Verfahren zurückwies.

Gründe:

Das VG hat die zulässigen Erinnerungen zu Recht mit dem angegriffenen Beschluss zurückgewiesen. Allerdings handelt es sich um Erinnerungen nicht des Prozessbevollmächtigten der Kläger, sondern der Kläger selbst. Im Kostenfestsetzungsverfahren einer Partei gegen einen erstattungspflichtigen Gegner hat der Prozessbevollmächtigte mangels Beschwer kein eigenes Erinnerungsrecht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.12.1965 - III B 519/65 -, NJW 1966, 2425; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Loseblattsammlung (Stand: Januar 2003), § 165 Rn. 20; Olbertz, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblattsammlung (Stand: September 2004), § 165 Rn. 4; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., § 165 Rn. 2.

Indes wurden die Erinnerungen nicht ausdrücklich im Namen des Prozessbevollmächtigten erhoben, sodass sie als im Namen der Partei erhoben anzusehen sind. Das Rubrum wurde daher entsprechend umgestellt.

Die Beschwerde bleibt jedoch in der Sache erfolglos. Zu Recht hat das VG den angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluss bestätigt. Dieser hat für die vom Beklagten zu erstattenden außergerichtlichen Kosten in Gestalt der von den Klägern an ihren Prozessbevollmächtigten zu leistenden Rechtsanwaltsvergütung zutreffend den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit (§ 7 Abs. 1 BRAGO) auf der Grundlage der Gesamtsumme aller Einzelstreitwerte der vom Prozessbevollmächtigten vertretenen Klageverfahren (§ 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO) berechnet. Die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung ist nach der Übergangsvorschrift des § 61 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes noch anwendbar.

Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BRAGO kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern, und zwar gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BRAGO auch dann, wenn der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig wird. Das ist hier der Fall, weil alle in Rede stehenden Klageverfahren in derselben Angelegenheit betrieben wurden. Allerdings stellen die jeweiligen Klageverfahren jeweils getrennte Gegenstände derselben Angelegenheit dar, sodass für den Gegenstandswert die jeweiligen Einzelstreitwerte der Klageverfahren zusammen zu rechnen sind (§§ 8 Abs. 1 Satz 1, 7 Abs. 2 BRAGO), wie es in dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss geschehen ist.

Ob mehrere Gegenstände dieselbe Angelegenheit oder mehrere darstellen, hängt davon ab, ob sie von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt. Dabei können auch mehrere selbstständige Verfahren dieselbe Angelegenheit sein. Zwar mag grundsätzlich bei verschiedenen gerichtlichen Verfahren, bei denen von der Möglichkeit der Klageverbindung nach § 93 VwGO kein Gebrauch gemacht worden ist, vieles dafür sprechen, dass ein innerer Zusammenhang zwischen den Verfahrensgegenständen nicht besteht und der Rechtsanwalt wegen der unterschiedlichen materiell-rechtlichen und prozessualen Voraussetzungen und Anforderungen an einer einheitlichen Vorgehensweise gehindert ist. Allerdings ist nicht ausnahmslos von der Identität von Verfahren und Angelegenheit in der Weise auszugehen, dass mehrere Verfahren auch zwingend mehrere Angelegenheiten darstellen. Vornehmlich wird diese Ausnahme dann anzunehmen sein, wenn Fälle paralleler Verwaltungsverfahren vorliegen, in denen dieselbe Behörde Verwaltungsakte aus einem gemeinsamen Anlass und Rechtsgrund im engen zeitlichen Zusammenhang objektbezogen erlässt, sodass einen Adressaten mehrere Verwaltungsakte erreichen, die auch zusammen gefasst in einem einzigen Bescheid hätten ergehen können.

Bejaht etwa für mehrere Wassergebührenbescheide für mehrere Betriebe eines Klägers durch BVerwG, Urteil vom 9.5.2000 - 11 C 1.99 -, NJW 2000, 2289 f.; bejaht für mehrere Bauanträge eines Klägers im Rahmen eines Bebauungskomplexes durch OVG NRW, Urteil vom 6.10.1983 - 11 A 1143/82 -; verneint für die Prozessvertretung eines Bauherrn gegen mehrere Baunachbarklagen durch Beschluss vom 27.3.2001 - 10 E 84/01 -, BauR 2001, 1402.

Aber auch eine Mehrheit von Auftraggebern in verschiedenen Verfahren hindert die Annahme einer Angelegenheit nicht.

Vgl. für Verkaufsaufträge mehrerer Miteigentümer eines Grundstücks BGH, Urteil vom 29.6.1978 - III ZR 49/77 -, JZ 1978, 760; anders für die Vertretung mehrerer Enteignungsbetroffener eines Vorhabens: Urteil vom 17.11.1983 - III ZR 193/82 -, AnwBl. 1984, 501.

Auch in der Rechtsprechung des beschließenden Gerichtes sind die Gegenstände rechtsanwaltlicher Tätigkeit gegen unterschiedliche Bescheide verschiedener Auftraggeber als eine Angelegenheit angesehen worden.

Vgl. für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hinsichtlich eines Erschließungsbeitragsbescheids gegen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts und hinsichtlich eines Haftungsbescheides gegen einen Gesellschafter OVG NRW, Beschluss vom 23.8.2004 - 3 E 952/03 -; für die gerichtliche Vertretung in Verfahren hinsichtlich mehrerer Erschließungsbeitragsbescheide gegen mehrere Adressaten, Beschlüsse vom 10.7.1998 - 3 E 87/95 - und vom 18.5.1992 - 3 E 1081/91 -; insoweit grundsätzlich anderer Auffassung für Aufträge mehrerer Personen in getrennten Verfahren von Eicken, in: Gerold u.a., RVG, 16. Aufl., § 7 Rn. 12.

Nach den so anzulegenden Kriterien für das Vorliegen einer Angelegenheit bei mehreren Gegenständen (von einem einheitlichen Auftrag umfasst, innerer Zusammenhang zwischen ihnen, Wahrung eines einheitlichen Tätigkeitsrahmens) liegt hier eine Angelegenheit vor: Die Mandate wurden dem Prozessbevollmächtigten zwar wohl, wovon der Senat mangels gegenteiliger Erkenntnis ausgeht, nicht im Rahmen eines gemeinsamen Termins von den Mandanten kollektiv erteilt, sondern individuell. Dies schließt aber den Begriff eines einheitlichen Auftrags nicht aus. Maßgeblich dafür ist vielmehr, ob die Mandanten im Wesentlichen eine individuelle Bearbeitung der einzelnen Klagen erwarten durften oder ob sie eine Bearbeitung unter Berücksichtigung des Umstandes erwarten mussten, dass eine Vielzahl gleich gerichteter Mandate erteilt und deshalb eine im Wesentlichen gleich gerichtete Bearbeitung erfolgen würde. Die Frage, ob eine Angelegenheit oder mehrere vorliegen, bemisst sich unter dem Gesichtspunkt des einheitlichen Auftrags danach, ob es noch im Rahmen einer ordnungsgemäßen Bearbeitung der Aufträge liegt, die verschiedenen Gegenstände in gemeinsamen Besprechungsterminen mit der Mandantschaft zu erörtern. Hier ist es nach der Lebenserfahrung ausgeschlossen, dass sich 50 Straßenanlieger, die einen Beitragsbescheid für den Straßenausbau erhalten haben, getrennt voneinander und gleichsam zufällig an ein und denselben Rechtsanwalt wenden, um die Bescheide rechtlich anzugreifen. In einer solchen Situation wäre es aus Sicht der Mandantschaft geradezu unverständlich, keine gemeinsamen Besprechungstermine anzuberaumen. Daher sind die verschiedenen Gegenstände von einem einheitlichen Auftrag umfasst.

Auch das Merkmal des inneren Zusammenhangs zwischen den verschiedenen Gegenständen (Klageverfahren gegen einzelne Beitragsbescheide) liegt vor. Alle Beitragsbescheide wurden aus dem gemeinsamen Anlass des Ausbaus der hier in Rede stehenden drei Straßen auf der Grundlage des § 8 KAG NRW unter demselben Datum erlassen. Dabei steht dem inneren Zusammenhang nicht entgegen, dass es um den Ausbau dreier Straßen ging, denn die Straßen wurden vom Beklagten gerade als eine Anlage abgerechnet.

Der Rechtsanwalt hat auch einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen gewahrt. In den hier in Rede stehenden Klageverfahren hat der Prozessbevollmächtigte inhaltlich identische Schriftsätze verfertigt. Es wird auch nicht geltend gemacht, dass sonst eine unterschiedliche Tätigkeit bezüglich verschiedener Gegenstände entfaltet worden sei. Dem steht nicht entgegen, dass - wie die Kläger geltend machen - die Bearbeitung jedes Gegenstandes eine individuelle Prüfung (etwa bezogen auf die für das jeweilige Grundstück angesetzten Beitragsberechnungsgrößen) erfordert habe. Entscheidend für die Annahme, dass nur eine Angelegenheit vorliegt, ist der Umstand, dass wegen des Vorliegens der genannten beiden Merkmale des einheitlichen Auftrags und des inneren Zusammenhangs die Gegenstände im Wesentlichen einheitlich bearbeitet werden konnten und auch einheitlich bearbeitet worden sind. In dieser Arbeitserleichterung für den Rechtsanwalt liegt die Rechtfertigung, die mehreren Gegenstände als eine Angelegenheit zu betrachten und damit die gebührenrechtliche Degression eingreifen zu lassen, die bei einer Behandlung jedes Gegenstandes als eigene Angelegenheit nicht einträte. Dass individuelle Randfragen möglicherweise mit in den Blick genommen worden sind, ohne sich aber in einer Sprengung des einheitlichen Tätigkeitsrahmens durch individuelle Bearbeitung niederzuschlagen, hindert nicht die Bewertung der verschiedenen Gegenstände als eine Angelegenheit. Der Rechtsanwalt erhält schließlich auch für jeden Gegenstand insofern eine Vergütung, als der Gegenstandswert der einen Angelegenheit nach der Gesamtsumme der einzelnen Werte jedes Gegenstandes berechnet wird (§ 7 Abs. 2 BRAGO).

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Erhöhung der Gebühr nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO nicht in Betracht kommt. Danach erhöhen sich die Gebühren um einen bestimmten Prozentsatz bei mehreren Auftraggebern, wenn der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn es liegen mehrere unterschiedliche Gegenstände, wenngleich eine Angelegenheit vor. Die Unterschiedlichkeit des Gegenstandes führt gerade zur Summierung der Werte (§ 7 Abs. 2 BRAGO). Demgegenüber soll § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO allein die Mehrleistung des Anwaltes abdecken, die darin liegt, dass er für ein und denselben Gegenstand, für den er nur eine Gebühr unter einmaligem Ansatz des Wertes dieses Gegenstandes erhält, dennoch die Aufträge zweier Auftraggeber bearbeiten muss.

Ende der Entscheidung

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